Leitsatz (amtlich)
1. Auch ein verfahrensfehlerhafter Beschluss des Truppendienstgerichts über die Zulassung der Rechtsbeschwerde bindet den Senat.
2. Die unterbliebene Eintragung in das Wählerverzeichnis steht dem Anfechtungsrecht aus § 52 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SBG nicht entgegen.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Entscheidung vom 21.03.2018; Aktenzeichen TDG N 6 RL 3/18) |
Tenor
Der Beschluss des Truppendienstgerichts... vom 13. Dezember 2017 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Truppendienstgericht... zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Gegenstand des Verfahrens ist eine Rechtsbeschwerde in einem Wahlanfechtungsverfahren.
Rz. 2
Nach dem Inkrafttreten der Novellierung des Soldatinnen- und Soldatenbeteiligungsgesetzes vom 29. August 2016 war nach § 65 Abs. 3 SBG unverzüglich die Wahl der erstmalig zu bildenden Vertrauenspersonenausschüsse der militärischen Organisationsbereiche einzuleiten. Daraufhin berief der Inspekteur des Heeres am 27. Juli 2017 einen Wahlvorstand hierfür ein. Der Vorsitzende des Wahlvorstandes zeichnete unter dem 2. August 2017 für den Zentralen Wahlvorstand für die Wahl des 1. Vertrauenspersonenausschusses des Heeres ein Wahlausschreiben für die als Briefwahl durchzuführende Wahl, welches nach Einrichtung eines dezentralen Wahlvorstandes für den Bereich Kommando... unter dem 19. September 2017 geändert wurde. Nach Ablauf der für den Eingang der Wahlbriefe festgesetzten Frist am 7. November 2017, 24.00 Uhr, war die Wahl abgeschlossen. Das Wahlergebnis wurde am 14. November 2017 im Intranet der Bundeswehr veröffentlicht.
Rz. 3
Bereits am 13. November 2017 hat der Antragsteller zu 1., der Mitglied des Gesamtvertrauenspersonenausschusses war, die Wahl angefochten. Mit Schriftsatz vom 29. November 2017 haben alle vier Antragsteller die Wahl angefochten. Die Antragsteller zu 2. und 3. waren am 18. Oktober 2017 im Wählerverzeichnis eingetragen, die Antragsteller zu 1. und 4. nicht.
Rz. 4
Das Truppendienstgericht... hat den Antrag mit Beschluss vom 13. Dezember 2017 in der Besetzung mit dem Vorsitzenden und drei ehrenamtlichen Richtern zurückgewiesen. Zwar sei die Anfechtungsfrist gewahrt. Jedoch sei das Quorum des § 52 Abs. 2 SBG nicht erreicht. Die Antragsteller zu 1. und 4. seien nicht wahlberechtigt und daher auch nicht anfechtungsberechtigt gewesen. Sie seien am Stichtag gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SBG, dem 18. Oktober 2017, nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen. Wegen § 48 Abs. 1 SBGWV werde die Wahlberechtigung über das Wählerverzeichnis vermittelt und nur zum Stichtag im Wahlverzeichnis eingetragene Vertrauenspersonen dürften wählen. Einsprüche gegen das Wählerverzeichnis habe es nicht gegeben. Dieses sei vom Wahlvorstand von Amts wegen ständig berichtigt worden. Unabhängig von der Zulässigkeit des Antrages habe die Kammer das Wahlverzeichnis zum Stichtag geprüft und keine Unrichtigkeit entdeckt, die das Wahlergebnis hätte beeinträchtigen können. Die Rechtsbeschwerde war nicht zugelassen worden.
Rz. 5
Der Beschluss ist dem Bevollmächtigten der Antragsteller am 8. Februar 2018 zugestellt worden. Er hat am 8. März 2018 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und begründet. Mit Beschluss vom 21. März 2018 hat das Truppendienstgericht in der Besetzung mit dem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Frage der Anfechtungsberechtigung müsse untersucht werden. Für die Handhabung von Anfechtungsverfahren sei die Frage, ob sich die Anfechtungsberechtigung nach formellen oder materiellen Kriterien richte, von großer Bedeutung.
Rz. 6
Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt dieser Beschluss, der den Antragstellern und den weiteren Beteiligten durch das Truppendienstgericht nicht zugestellt wurde, nicht. Das Truppendienstgericht hat nur mitgeteilt, dass die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt werde. Nachdem es die Akten dem Senat vorgelegt hat, ist durch den Vorsitzenden des 1. Wehrdienstsenates am 26. April 2018 die Zustellung an die Antragsteller verfügt und eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden.
Rz. 7
Am 17. Mai 2018 hat der Bevollmächtigte der Antragsteller dem Truppendienstgericht die Begründung der Rechtsbeschwerde übersandt. Er macht geltend, die Wahlanfechtung sei zulässig, da sie durch mindestens drei Wahlberechtigte getragen werde. Es komme auf die objektive Wahlberechtigung der Anfechtenden an und nicht auf eine zu Unrecht unterbliebene Eintragung in das Wählerverzeichnis. Der Antragsteller zu 4. sei am Stichtag als Vertrauensperson wahlberechtigt gewesen, da er für eine zum maßgeblichen Zeitpunkt wegversetzte Vertrauensperson nachgerückt sei. Die Wahlanfechtung sei wegen zahlreicher, erheblicher und für das Wahlergebnis ursächlicher Mängel begründet. Wegen der Vielzahl schwerwiegender Verstöße und Wahlbehinderungen sei die Wahl nicht nur anfechtbar, sondern nichtig.
Rz. 8
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Truppendienstgerichts... vom 13. Dezember 2017 aufzuheben und die Wahl zum 1. Vertrauenspersonenausschuss des Heeres für nichtig, hilfsweise für unbegründet (gemeint wohl: ungültig) zu erklären.
Rz. 9
Die Beteiligten zu 1. und 2. treten dem Vortrag der Antragsteller entgegen. Insbesondere sehen beide das Quorum von mindestens drei wahlberechtigten Antragstellern als nicht erreicht an. Der Bevollmächtigte des Beteiligten zu 2. führt aus, es komme nicht auf die materiell-rechtliche Wahlberechtigung an. Wer zu Unrecht nicht im Wählerverzeichnis stehe, müsse dies rechtzeitig anfechten, um mit diesem Vortrag nicht bei der Wahlanfechtung ausgeschlossen zu sein. Der Antragsteller zu 1. sei seit Januar 2019 Mitglied im 1. Vertrauenspersonenausschuss des Heeres und habe sich auch an dessen Beschlussfassung beteiligt. Damit fehle ihm das Rechtsschutzbedürfnis für die Wahlanfechtung.
Rz. 10
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akte des Truppendienstgerichts Bezug genommen, die dem Senat bei der Beratung vorgelegen hat.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
1. Neben den Antragstellern sind formell am Verfahren nur das Kommando Heer gemäß § 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SBG und der 1. Vertrauenspersonenausschuss des Heeres gemäß § 52 Abs. 4 Satz 2 SBG beteiligt. Sie sind im Rubrum dem Gesetzeswortlaut entsprechend bezeichnet.
Rz. 12
Weder das Bundesministerium der Verteidigung noch der Bundeswehrdisziplinaranwalt als dessen Vertreter sind dagegen formell am Verfahren zu beteiligen. § 52 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 SBG findet vorliegend keine Anwendung.
Der Wortlaut und der systematische Zusammenhang knüpfen die Beteiligtenstellung des Bundesministeriums der Verteidigung oder der Kommandos der militärischen Organisationsbereiche im Sinne von § 52 Abs. 4 Satz 1 SBG an das Anfechtungsrecht der genannten Behörden nach § 52 Abs. 1 SBG oder § 52 Abs. 2 SBG. Zu beteiligen ist hiernach die jeweils anfechtungsberechtigte Behörde unabhängig davon, ob sie von ihrem Anfechtungsrecht Gebrauch gemacht hat. Daher ist das Bundesministerium der Verteidigung allein bei Verfahren um die Anfechtung der Wahl zum Gesamtvertrauenspersonenausschuss zu beteiligen. Dies ergibt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BT-Drs. 18/8298 S. 49). Die Beteiligtenstellung ist in § 52 Abs. 4 SBG für das Wahlanfechtungsverfahren abschließend geregelt.
Rz. 13
2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Rz. 14
a) Sie ist vom Truppendienstgericht mit Beschluss vom 21. März 2018 zugelassen worden. Damit hat das Truppendienstgericht der Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsteller abgeholfen (§ 22b Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, Alt. 1 WBO.
Rz. 15
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist für den Senat bindend (§ 22a Abs. 3 WBO). Für die Bindungswirkung ist unerheblich, dass der Beschluss wegen einer vorschriftswidrigen Besetzung verfahrensfehlerhaft ergangen ist (vgl. Dau, WBO, 6. Aufl. 2013, § 22a Rn. 16, Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 132 Rn. 36 unter Verweis auf BT-Drs. 11/7030 S. 33). Verfahrensfehlerhaft ist der Abhilfebeschluss, weil an ihm nur zwei ehrenamtliche Richter mitgewirkt haben, was bereits der Zahl nach nicht der Vorschrift des § 52 Abs. 3 Satz 2 SGB entspricht, wonach der Kammer oder dem Senat des Wehrdienstgerichts jeweils eine ehrenamtliche Richterin oder ein ehrenamtlicher Richter aus den Laufbahngruppen der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften angehört, die oder der aus der Mitte der Vertrauenspersonen zu berufen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 1 WNB 2.18 - juris Rn. 7).
Rz. 16
b) Die Rechtsbeschwerde ist nach der erst im Mai 2018 erfolgten Zustellung des Zulassungsbeschlusses ordnungsgemäß und fristgerecht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 2013 - 1 WRB 1.12 - Rn. 29 m.w.N.) beim Truppendienstgericht begründet worden (§ 22b Abs. 5 Satz 2 WBO). Sie ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller zu 1. nicht dadurch das Rechtsschutzinteresse an der Rechtsbeschwerde und der Wahlanfechtung verloren, dass er als Ersatzmitglied in den Vertrauenspersonenausschuss des Heeres nachgerückt ist. Das mit der Wahlanfechtung verfolgte Ziel der Wahlüberprüfung wird durch das Nachrücken eines Anfechtenden nicht erreicht. Die Anfechtungsbefugnis geht daher mit der Mitgliedschaft im Vertrauenspersonenausschuss nicht verloren. Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, ein Wahlamt auszuüben und die Rechtmäßigkeit auch der eigenen Wahl überprüfen zu lassen. Das Soldatenbeteiligungsgesetz stellt ein gewähltes Mitglied eines Vertrauenspersonenausschusses nicht vor die Wahl zwischen dem Anfechtungsrecht und dem Wahlamt.
Rz. 17
2. Die Rechtsbeschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet.
Rz. 18
a) Der angegriffene Beschluss beruht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht, weil er den Antrag rechtsfehlerhaft als unzulässig zurückweist. Die Vorinstanz stützt die Zurückweisung des Antrages darauf, dass das Quorum des § 52 Abs. 2 SBG von mindestens drei Wahlberechtigten nicht erreicht ist. Nach § 52 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SBG kann die Wahl des Vertrauenspersonenausschusses eines militärischen Organisationsbereiches von drei Wahlberechtigten angefochten werden. Die Vorinstanz stellt unter Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 SBGWV für das Bestehen der Wahlberechtigung allein auf die Eintragung im Wahlverzeichnis am Stichtag gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SBG ab, an der es den Antragstellern zu 1. und 4. fehle. Damit verkennt sie, dass die Eintragung in das Wählerverzeichnis lediglich die formellen Voraussetzungen für die faktische Ausübung des Wahlrechts schafft; dem Wählerverzeichnis kommt eine verbindliche Entscheidung über die Wahlberechtigung hingegen nicht zu (BVerwG, Beschlüsse vom 26. November 2008 - 6 P 7.08 - PersV 2009, 138 m.w.N., und vom 21. Juli 2009 - 1 WB 18.08 - BVerwGE 134, 228 Rn. 40). Daher kann die Nichteinlegung eines Einspruches das Anfechtungsrecht nicht ausschließen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. März 1968 - 7 P 3.67 - juris Rn. 17 und vom 30. Juni 1980 - 6 P 9.80 - juris Rn. 12).
Rz. 19
Etwas Anderes folgt auch nicht aus § 44 Abs. 4 SBGWV. Zwar ist hiernach - unter den dort geregelten und von der Vorinstanz hier in tatsächlicher Hinsicht auch nicht festgestellten Voraussetzungen - eine Präklusion von Rügen gegen die Richtigkeit des Wählerverzeichnisses möglich, wenn die Einspruchsfrist versäumt wurde. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm ist selbst in diesem Fall der Einspruchsberechtigte aber nur mit der späteren Anfechtung nach § 52 Abs. 2 SGB "unter Berufung auf diesen Einspruchsgrund ausgeschlossen". Da hiernach die Rüge anderer Wahlfehler trotz der Präklusion möglich bleibt, folgt daraus nicht der Verlust der die Anfechtungsberechtigung des Quorums begründenden Wahlberechtigung.
Rz. 20
b) Auf diesem Rechtsfehler beruht die angegriffene Entscheidung auch. Der Abhilfebeschluss weist bereits darauf hin, dass sich aus den der Kammer vorgelegten Dokumenten das Nachrücken des Antragstellers zu 4. in das Amt der Vertrauensperson ergeben kann. Ist dies aber der Fall, ist er wahlberechtigt, das Quorum erreicht und eine Sachentscheidung über die von den Antragstellern erhobenen Rügen erforderlich. Die fehlerhafte Handhabung einer Sachentscheidungsvoraussetzung stellt zugleich einen Verfahrensmangel dar, auf dem die Entscheidung beruhen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2019 - 1 WNB 3.18 - Rn. 2 und 6 m.w.N.).
Rz. 21
3. Nach § 22a Abs. 6 Satz 2 WBO kann der Senat bei einer begründeten Rechtsbeschwerde entweder in der Sache selbst entscheiden oder den angefochtenen Beschluss aufheben und die Sache an das Truppendienstgericht zur anderweitigen Verhandlung zurückverweisen. Im vorliegenden Fall macht er von der zweiten Alternative Gebrauch, weil das Truppendienstgericht infolge der Zurückweisung des Antrages als unzulässig keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, auf deren Grundlage die Rügen der Wahlanfechtung überprüft werden könnten. Da der Senat nicht Tatsacheninstanz ist, kann er keine eigenen Tatsachenfeststellungen an ihre Stelle setzen und in der Sache nicht abschließend entscheiden. Daher bleibt der hierauf gerichtete weitergehende Antrag der Antragsteller insoweit ohne Erfolg.
Fundstellen
JZ 2020, 287 |
PersV 2020, 278 |