Verfahrensgang

VGH Baden-Württemberg (Aktenzeichen 5 S 2149/97)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

Das angefochtene Urteil weist nicht die Merkmale einer Überraschungsentscheidung auf. Wie aus § 278 Abs. 3 ZPO zu ersehen ist, der nach § 173 VwGO auch im Verwaltungsprozeß entsprechend anwendbar ist, darf das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Im Berufungsverfahren besteht eine Hinweispflicht insbesondere dann, wenn Gesichtspunkte den Ausschlag geben, die weder im Verwaltungsverfahren noch im ersten Rechtszug erörtert worden sind. Gleiches gilt, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts von der des Verwaltungsgerichts in maßgeblichen Punkten abweicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage, anders als die Vorinstanz, abgewiesen, weil er sich auf den Standpunkt gestellt hat, die Erklärung des Landesamts für Straßenwesen vom 5. Juli 1991 sei unter der nicht eingetretenen aufschiebenden Bedingung abgegeben worden, daß das Bundesministerium für Verkehr den „RE-Vorentwurf” durch einen „Gesehenvermerk” billige. Hierdurch hat die Vorinstanz dem Rechtsstreit indes keine Wendung gegeben, mit der die Beteiligten nach dem Prozeßverlauf nicht rechnen konnten.

Die Klägerin räumt selbst ein, daß der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten der Klage in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1999 mit dem Argument entgegengetreten ist, die Zusage stehe unter der haushaltsrechtlichen Voraussetzung des Gesehenvermerks. Sie stellt auch nicht in Abrede, daß über diese Ansicht im weiteren Verlauf der Verhandlung diskutiert worden ist. Somit ergibt sich aus ihrem eigenen Vorbringen, daß sie Gelegenheit gehabt hat, zu der von der Beklagten angesprochenen und vom Berufungsgericht aufgegriffenen Rechtsfrage Stellung zu nehmen. Ihre Kritik erschöpft sich letztlich darin, erst in der mündlichen Verhandlung und nicht bereits vorher mit der Thematik bekanntgemacht worden zu sein. Dahinstehen kann, ob das Berufungsgericht vor dem 28. Oktober 1999 überhaupt aus eigener Erkenntnis in der Lage gewesen ist, die Klägerin auf den bis dahin noch nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt hinzuweisen. Welche Maßnahmen der Vorsitzende oder der Berichterstatter schon im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zu ergreifen hat, bestimmt sich nach § 87 in Verbindung mit § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die tatsächliche und rechtliche Erörterung der Streitsache ist nach § 104 Abs. 1 in Verbindung mit § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich die mündliche Verhandlung der eigentliche Ort. Wird ein Beteiligter in der Verhandlung erstmals mit einer Rechtsauffassung konfrontiert, zu der er nicht aus dem Stand sachgerecht Stellung zu nehmen vermag, so eröffnet ihm das Prozeßrecht verschiedene Möglichkeiten, um seine Belange zur Geltung zu bringen und zu verhindern, daß seine Rechtsverfolgung beeinträchtigt wird. Er kann darauf hinwirken, daß die Sitzung unterbrochen oder die Verhandlung vertagt wird (§ 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Kann sich ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Gegners nicht erklären, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt worden ist, so kann das Gericht überdies auf seinen Antrag nach § 283 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO eine Frist bestimmen, in der er die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann. Sah die in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1999 anwaltlich vertretene Klägerin es als unzumutbar an, auf die Rechtsausführungen der Beklagten sofort einzugehen, so hatte sie es in der Hand, die prozessualen Möglichkeiten, die ihr zur Wahrung ihrer Interessen zu Gebote standen, zu nutzen. Sie macht indes selbst nicht geltend, hiervon Gebrauch gemacht zu haben.

Das Berufungsgericht brauchte nicht bereits in der mündlichen Verhandlung zu erkennen zu geben, daß es dem „Gesehenvermerk” zentrale rechtliche Bedeutung beimaß. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, mit den Beteiligten vorab zu erörtern, wie es den von ihm festgestellten Sachverhalt rechtlich zu würdigen und auf welche von mehreren denkbaren Gesichtspunkten es seine Entscheidung zu stützen gedenkt. Eindeutige Erklärungen in dieser Richtung konnte die Klägerin schon deshalb nicht erwarten, weil sie nach ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewann, daß zwischen den Richtern Uneinigkeit darüber bestand, ob der „Gesehenvermerk” als bloßes haushaltsrechtliches Internum zu werten ist oder auch Außenwirkung entfalten kann.

Ebenfalls fehl geht die Rüge, das Berufungsgericht habe den Rechtsschutz der Klägerin insofern verkürzt, als es im angefochtenen Urteil überraschend die Meinung vertreten habe, daß sich der Beklagte nicht zur Durchführung einer Lärmschutzmaßnahme, sondern lediglich zum Abschluß einer entsprechenden Vereinbarung verpflichtet habe. Wie aus dem Sitzungsprotokoll vom 28. Oktober 1999 erhellt, ist es das erklärte Rechtsschutzziel der Klägerin „festzustellen, daß der Beklagte aufgrund der Zusage vom 5.7.1991 verpflichtet ist, eine Vereinbarung über den Bau und die Unterhaltung einer Lärmschutzwand … abzuschließen”. Vor dem Hintergrund dieses Antrages kann keine Rede davon sein, daß die Vorinstanz dem Klagebegehren einen Sinn unterlegt hat, der in dem Vorbringen der Klägerin keine argumentative Stütze findet.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und § 14 Abs. 3 GKG.

 

Unterschriften

Gaentzsch, Berkemann, Halama

 

Fundstellen

SGb 2001, 314

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