Verfahrensgang
Thüringer OVG (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 2 N 345/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 27. April 2004 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 160 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor, weil die von der Beschwerdeführerin bezeichneten Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.
So ist bereits geklärt, dass nationales Recht die Umsetzung einer Richtlinie des Gemeinschaftsrechts den Ländern überlassen darf und dass dies auch für die Umsetzung der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von tierischen Erzeugnissen usw. (ABl Nr. L 32/14) in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. Dezember 1993 (ABl Nr. L 340/15) gilt. Das schließt die Befugnis ein, gemäß Art. 2 Abs. 3 sowie gemäß Kap. I Ziff. 4 des Anhangs einen höheren Betrag als die Gemeinschaftsgebühren zu erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet (EuGH, Urteil vom 10. November 1992 – Rs. C-156/91 – Hansa Fleisch Ernst Mundt, Slg. I-5567, 5589 ≪Rn. 22 ff.≫; Urteil vom 9. September 1999 – Rs. C-374/97 – Feyrer, Slg. I-5153, 5167 ≪Rn. 33 ff.≫; Senat, Beschlüsse vom 26. April 2001 – BVerwG 3 BN 1.01 – LRE 41, 115, vom 21. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 9.01 – und vom 27. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 4.01 –). Damit steht zugleich fest, dass jede hiernach zur Rechtsetzung befugte Gliedkörperschaft der Bundesrepublik Deutschland das Gemeinschaftsrecht für ihren jeweiligen Hoheitsbereich umsetzt und dass die Wirksamkeit dieser Umsetzungsakte nicht davon abhängig ist, dass die Umsetzung auch in allen anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland bereits erfolgt ist.
Ferner ist geklärt, dass europäisches Gemeinschaftsrecht nicht grundsätzlich hindert, die erforderliche Umsetzung rückwirkend vorzunehmen. Namentlich darf eine Richtlinie des sekundären Gemeinschaftsrechts rückwirkend noch zu einem Zeitpunkt umgesetzt werden, zu dem sie bereits geändert oder außer Kraft gesetzt worden ist, sofern der Umsetzungsakt sich vermöge der Rückwirkung für einen Zeitraum Geltung beimisst, zu dem die umgesetzte Richtlinie ihrerseits noch in Geltung stand. Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Aufhebung der umzusetzenden Richtlinie hindere ihre Umsetzung für die Zukunft schlechthin, findet im geltenden Gemeinschaftsrecht keine Stütze (Urteil vom 18. Oktober 2001 – BVerwG 3 C 1.01 – Buchholz 316 § 60 Nr. 6 ≪S. 10 f.≫ = NVwZ 2002, 486).
Eine andere Frage ist, ob der rückwirkende Erlass einer Gebührenordnung im jeweiligen Fall den – strengen – Voraussetzungen entspricht, die das Gemeinschaftsrecht und vor allem das nationale Verfassungsrecht hieran stellen. Mit Blick auf die Fleischuntersuchungsgebühren hat das Bundesverwaltungsgericht derartige rückwirkend erlassene Gebührenordnungen bereits verschiedentlich gebilligt. Es ist hierbei davon ausgegangen, dass das europäische Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten zur Erhebung kostendeckender Gebühren verpflichtet und dass die betroffenen Betriebe schon aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen und der bundesrechtlichen Vorgaben gemäß § 24 Abs. 2 FlHG mit der Erhebung derartiger kostendeckender Gebühren rechnen mussten. Die häufigen Verzögerungen beim Erlass der nötigen Rechtsgrundlagen hatten ihren Grund zumeist in anfänglichen Unklarheiten über Inhalt und Reichweite des einschlägigen Gemeinschaftsrechts. Bei dieser Sachlage hindern Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht, die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung erst nachträglich rückwirkend zu schaffen (Beschluss vom 27. April 2000 – BVerwG 1 C 12.99 – Buchholz 418.5 Nr. 21 ≪S. 18 ff.≫ = LRE 39, 45; Urteil vom 18. Oktober 2001 a.a.O. ≪S. 8, 10 f.≫; Beschlüsse vom 28. Juni 2002 – BVerwG 3 BN 5.01, 6.01 und 7.01 –).
Die Beschwerdeführerin trägt nichts vor, woraus sich ergäbe, dass diese Grundsätze einer erneuten Überprüfung unterzogen werden müssten. Hierfür ist auch nichts ersichtlich. Der vorliegende Normenkontrollantrag betrifft Ziff. 5.1.1 des Teils C des Kostenverzeichnisses zur Thüringer Verwaltungskostenordnung für den Geschäftsbereich des Ministeriums für Soziales und Gesundheit in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 15. August 2000 (GVBl S. 248), der mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist. Diese Regelung ermächtigt zur Erhebung der EG-Pauschalgebühren (Ziff. 5.1.1.1) sowie – zur Deckung höherer Kosten – zu deren Anhebung für bestimmte Betriebe bis zur Höhe der zu deckenden Kosten (Ziff. 5.1.1.2) nach Maßgabe einer Kostenkalkulation für den jeweiligen Betrieb (Ziff. 5.1.1.3). Die Vorgängerregelung hatte stattdessen einen Gebührenrahmen je Tierart vorgesehen (Ziff. 5.1.1 des Teils C i.d.F. der Ersten Änderungsverordnung vom 6. September 1996, GVBl S. 169). Das war nach Gemeinschaftsrecht unzulässig, so dass die Ersetzung für die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts geboten war. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts mussten die betroffenen Betriebe in Thüringen jedenfalls seit 1993 davon ausgehen, dass die erforderlichen Rechtsgrundlagen für die Erhebung kostendeckender Gebühren – notfalls rückwirkend – geschaffen würden, so dass sich ein Vertrauen darauf, lediglich mit den EG-Pauschalgebühren belastet zu werden, nicht bilden konnte. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht in Auslegung des nichtrevisiblen Landesrechts dargelegt, dass sichergestellt war, dass es infolge der rückwirkenden Anwendung der zur Normenkontrolle gestellten Verordnung zu keinen höheren Kostenfestsetzungen kommen darf, als eine Berechnung auf der Grundlage des zuvor geltenden Rechts ergeben hätte.
2. Die weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen neben der Sache.
Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann sich nicht aus der Rechtsfrage ergeben, ob ein im Zeitpunkt seines Erlasses gemeinschaftsrechtswidriger Gebührenbescheid durch rückwirkende Schaffung oder Änderung seiner Rechtsgrundlage rechtmäßig werden kann; denn um die Rechtmäßigkeit von Gebührenbescheiden geht es in dem vorliegenden Normenkontrollverfahren nicht.
Auch die Frage, ob der Mitgliedstaat von den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren in der Weise nach oben abweichen darf, dass er von den Abweichungsermächtigungen der Nummern 4 Buchstabe a und 4 Buchstabe b des Anhangs (A) Kapitel I zur Richtlinie 85/73/EWG zugleich Gebrauch macht, stellt sich nicht. Die zur Normenkontrolle gestellte Vorschrift des Thüringer Landesrechts wurde allein auf Nummer 4 Buchstabe a gestützt.
Inwiefern es auf die weitere Frage, ob eine wirksame Umsetzung der Richtlinie 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. Juni 1996 (ABl EG Nr. L 162/1) erfordert, Gebührentatbestände auch nach Maßgabe von Art. 2 in Verbindung mit dem Anhang B für andere Arten von Lebensmittelbetrieben festzulegen, für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ankommt, legt die Beschwerdeführerin nicht dar. Das Oberverwaltungsgericht ist hierauf nicht eingegangen, und es ist nicht ersichtlich, dass es dies hätte tun müssen.
Ob Ziff. 5.1.1.3 des Teils C des Kostenverzeichnisses die dort vorgesehene Kostenkalkulation einwandfrei regelt, ist gleichgültig, weil diese Vorschrift nicht Gegenstand des Normenkontrollantrags ist. Im Übrigen liegt die Annahme nahe, dass die Kostenkalkulation die Aufwendungen für Trichinenuntersuchungen nicht einschließt, weil Ziff. 5.1.3 des Teils C des Kostenverzeichnisses – unzulässigerweise – hierfür einen eigenen Gebührentatbestand vorsah. Mit Blick auf Ziff. 5.1.1 hat dieser Umstand die Beschwerdeführerin aber nur begünstigt. Weshalb er umgekehrt zu einer Senkung der allgemeinen Untersuchungsgebühr hätte führen müssen, ist unerfindlich.
3. Auch die Divergenzrügen führen nicht zur Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Dass sich das Oberverwaltungsgericht in Gegensatz zu dem Beschluss des Senats vom 28. Juni 2002 (BVerwG 3 BN 5.01) gesetzt hätte, legt die Beschwerde nicht dar. Im Gegenteil hat es Ziff. 5.1.3 des Teils C des Kostenverzeichnisses für nichtig erklärt und ist damit dem Inhalt des genannten Beschlusses des Senats gerade gefolgt. Ebenso wenig besteht ein Gegensatz zu den Urteilen des Senats vom 9. Oktober 2002 (BVerwG 3 C 17.02) und vom 14. Oktober 2002 (BVerwG 3 C 16.02). Der dem Oberverwaltungsgericht zugeschriebene Rechtssatz findet sich weder an der angegebenen Stelle noch sonst in dem angefochtenen Urteil. Im Übrigen widerspricht er der Rechtsprechung des Senats nicht.
Zur nachträglichen Änderbarkeit eines Verwaltungsakts hat das Oberverwaltungsgericht nicht Stellung genommen und – bei einer Normenkontrollsache – auch nicht Stellung nehmen müssen, weshalb die Behauptung einer Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Januar 1982 (BVerwG 8 C 12.81 – BVerwGE 64, 356 ≪358≫) unzutreffend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen
Haufe-Index 1338563 |
AuUR 2005, 259 |