Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 18.11.2004; Aktenzeichen 7 K 1056/01) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18. November 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin möchte festgestellt wissen, dass sie an der 1946 enteigneten Firma …-Manufactur AG (D…) mit einer höheren Beteiligung berechtigt ist, als sie der Funktionsvorgänger der Beklagten festgestellt hat. Sie ist nach einem bestandskräftig gewordenen Bescheid des Funktionsvorgängers der Beklagten Berechtigte in Bezug auf das ehemals in der Firma Gebr. A… KG geführte Unternehmen Bankhaus Gebr. A…, dessen Gesellschafter jüdischer Herkunft waren. Mit notariellem Vertrag vom 2. Dezember 1935 übertrug das Bankhaus Gebr. A… das Geschäft seiner Niederlassung in D…, darunter Stammaktien der D… im Nominalwert von 72 500 RM und Vorzugsaktien der D… im Nominalwert von 14 700 RM, auf die Dresdner Bank. Durch den angefochtenen Bescheid wurden die Berechtigung der Klägerin in Bezug auf Stammaktien der D…im Nominalwert von 72 500 RM und Vorzugsaktien der D… im Nominalwert von 7 200 RM sowie ein Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum in Höhe von 1 714/100 000 am Vermögen der D… oder an später aus deren Mitteln erworbenen Vermögensgegenständen festgestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Berechtigung hinsichtlich der Vorzugsaktien in Höhe von 14 700 RM sowie den Anspruch auf Einräumung von Bruchteilseigentum in Höhe von 1 875/100 000 angenommen und den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit er dem entgegenstand. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass über die durch Vertrag vom 2. Dezember 1935 entzogenen hinaus weitere Aktien der D… im Eigentum des Bankhauses Gebr. A… gestanden hätten und verfolgungsbedingt verloren gegangen seien. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, “ob die Anwendung der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB ausgeschlossen ist, wenn eine Bank in einer Haupt-/Generalversammlung die Hinterlegung von Inhaberaktien nachweist und das Stimmrecht für diese Inhaberaktien ausübt, aber die rechtliche Möglichkeit eines verdeckten Auftretens der Bank besteht, ohne dass tatsächlich geklärt oder erkennbar ist, ob es sich um eigene oder fremde Inhaberaktien der Bank handelte”, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Beschwerde zielt mit ihrer Frage darauf ab, dass nach der in der Generalversammlung der D… am 26. November 1935 aufgestellten Liste der anwesenden Aktionäre durch Herrn Oskar R… aus D… für “A…” Stammaktien im Nominalwert von 418 600 RM vertreten waren. Die Frage ist zu bejahen, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Aus der Angabe der vertretenen Stammaktien im Teilnehmerverzeichnis ergibt sich nicht, dass die Klägerin Eigenbesitzerin der Aktien ist. Das Teilnehmerverzeichnis gibt Auskunft über die in der Versammlung erschienenen und vertretenen Aktionäre. Bei der Vertretung kann es sich um eine offene Stellvertretung handeln, also um eine solche, bei der die Person des Vertretenen bekannt ist (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG), um eine verdeckte Stellvertretung, die im fremden Namen ohne Bezeichnung des Aktionärs aufgrund einer Vollmacht ausgeübt wird (vgl. § 129 Abs. 2 AktG), oder um eine Legitimationsübertragung, durch die ein Dritter von dem Aktionär ermächtigt wird, im eigenen Namen das Stimmrecht für Aktien auszuüben, die ihm nicht gehören (vgl. § 129 Abs. 3 AktG). Vor In-Kraft-Treten des Aktiengesetzes vom 30. Januar 1937 (RGBl I S. 166) musste ein das Stimmrecht ausübender Dritter nicht offen legen, ob er mit eigenen Aktien oder mit Aktien Dritter vertreten war. Erst durch das Aktiengesetz 1937 wurde bestimmt, dass in den Fällen der Legitimationsübertragung die betreffenden Aktien im Teilnehmerverzeichnis gesondert anzugeben waren. Da das Teilnehmerverzeichnis der Generalversammlung vom 26. November 1935 keine Unterscheidung der vertretenen Aktien nach verdeckter Stellvertretung oder Legitimationsübertragung enthielt und sich im Aktienbesitz einer Geschäftsbank nach der Lebenserfahrung typischerweise auch Inhaberaktien befinden, die Dritten gehören, kann nicht angenommen werden, dass mit dem Besitzerwerb der Klägerin an den Aktien auch der Eigentumserwerb verknüpft war, was allein Gegenstand der Vermutung des § 1006 Abs. 1 BGB ist (BGH, NJW 1984, 1456 m.w.N.). In dieser Fallkonstellation überwiegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter den von einer Bank zur Hauptversammlung hinterlegten Inhaberaktien auch für Dritte verwahrte Inhaberaktien befinden. Angesichts dessen kann ein Eigenbesitz der Bank an den hinterlegten Inhaberaktien erst vermutet werden, wenn eine Hinterlegung fremder Inhaberaktien aus tatsächlichen Gründen auszuschließen ist.
Von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung ist auch nicht die weitere Frage, “ob es für den Nachweis eines Vermögensverlusts im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG erforderlich ist, dass die konkreten Umstände des Vermögensverlusts nachgewiesen werden, selbst wenn feststeht, dass das Vermögen in der Zeit vom 30.01.1933 bis zum 08.05.1945 verloren wurde”. Über diese Frage würde in einem Revisionsverfahren nicht zu entscheiden sein, weil sie einen Sachverhalt voraussetzt, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts beschränkte sich das Eigentum der Klägerin an D…-Aktien im Schädigungszeitraum auf Stammaktien im Nominalwert von 72 500 RM und Vorzugsaktien im Nominalwert von 14 700 RM. Angesichts dessen stellt sich nicht die Frage nach dem Beweismaß, das für die Darlegung eines Vermögensverlusts erforderlich ist. Die Verfolgteneigenschaft begründet zugunsten des Berechtigten nur die Vermutung, dass ein Vermögensverlust durch in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 abgeschlossene Rechtsgeschäfte verfolgungsbedingt war (§ 1 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO). Für den Nachweis des Eigentums an Vermögensgegenständen, die auf diese Weise verloren gegangen sein können, gelten die allgemeinen Beweisregeln. Aus der Tatsache, dass dem Berechtigten in bestimmtem Umfang Inhaberpapiere entzogen wurden, kann nicht auf das Eigentum an weiteren Inhaberpapieren geschlossen werden. Abgesehen davon hat die Klägerin in der Anmeldung ihrer vermögensrechtlichen Ansprüche mit Schriftsatz vom 25. März 1991 den Nominalwert der ihr entzogenen D…-Aktien selbst mit 72 500 RM (Stammaktien) und 14 700 RM (Vorzugsaktien) angegeben. Diese Werte entsprechen den Angaben in der Anlage 4 zu dem notariellen Übertragungsvertrag vom 2. Dezember 1935, der die tatsächliche Grundlage und das Ausmaß der von ihr geltend gemachten Schädigung in Bezug auf den Verlust an Aktieneigentum bezeichnet. Nachweise dafür, dass sie im Schädigungszeitraum Eigentümerin von weiteren D…-Aktien war, hat sie zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts nicht erbracht.
Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Eine Abweichung vom Beschluss des Senats vom 1. November 1993 – BVerwG 7 B 190.93 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 11 liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zu der Divergenzentscheidung steht. Es hat insbesondere nicht in Abrede gestellt, dass in Bezug auf einzelne Schädigungstatbestände des § 1 VermG im Einzelfall eine Umkehr der Beweislast oder Beweiserleichterungen in Betracht zu ziehen sein können. Es hat vielmehr angenommen, dass in Bezug auf die Frage, welches Vermögen bei der Klägerin im Schädigungszeitpunkt vorhanden war, kein Anlass für eine solche Beweiserleichterung bestehe. Selbst wenn es mit dieser Annahme einen vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz fehlerhaft angewendet hätte – was nicht der Fall ist –, läge hierin keine Abweichung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Die Zulassung der Divergenzrevision dient der Wahrung der Rechtseinheit. Die vermeintlich unrichtige Anwendung eines in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten und vom Instanzgericht nicht bezweifelten Rechtssatzes auf den zu entscheidenden Fall stellt die Rechtseinheit nicht in Frage.
Ebenso wenig ist die Revision wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt, ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat das Vorbringen berücksichtigt, dass die Klägerin in der Generalversammlung vom 26. November 1935 nach der Teilnehmerliste mit D…-Aktien im Nominalwert von 418 600 RM vertreten war. Auch die Auslegung des notariellen Übertragungsvertrags vom 2. Dezember 1935 durch das Verwaltungsgericht lässt keinen Verfahrensfehler erkennen. Aus der Übernahme der in Anlage 4 des Vertrags aufgeführten “eigenen Bestände” an Effekten der Klägerin durch die Dresdner Bank ergibt sich weder ein Anhaltspunkt für einen höheren, nicht übernommenen Aktienbestand, noch ist daraus zu schließen, dass die Klägerin kein Depotgeschäft geführt haben könnte. Auch das Vorbringen, dass die Beteiligung der Klägerin an der D… bereits seit Mitte 1935 zu Boykottmaßnahmen geführt habe, das Reichswirtschaftsministerium auf ein Ausscheiden des Vertreters der Klägerin aus dem Aufsichtsrat der D… gedrängt habe und die Klägerin in der Regel nur in Aufsichtsräten von Gesellschaften mit einer eigenen Beteiligung über 1,7 % vertreten gewesen sei, hat das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung nicht ausgeblendet. Dass es den Sachverhalt anders gewürdigt hat als die Beschwerde, begründet den behaupteten Verfahrensmangel nicht. Der Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht sei in Bezug auf das Depotstimmrecht der Banken im Jahr 1935 von einer unzutreffenden Rechtslage ausgegangen, trifft nicht zu. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass Banken seinerzeit das Stimmrecht für Aktionäre hätten ausüben können, ohne dabei den Namen des Aktieninhabers offen legen zu müssen, widerspricht nicht der Notwendigkeit einer entsprechenden Ermächtigung. Während die Befugnis der Banken zur Ausübung des Depotstimmrechts vor In-Kraft-Treten des Aktiengesetzes 1937 im Wege der Legitimationsübertragung aufgrund der vom Kunden anerkannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausgeübt werden durfte, sah § 114 Abs. 4 AktG hierfür eine besondere schriftliche Ermächtigung vor. An der Tatsache, dass die Banken das Stimmrecht in Fällen dieser Art im eigenen Namen ausübten und damit das Handeln für einen Dritten nicht erkennen ließen, hat das Aktiengesetz 1937 nichts geändert.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Kley, Herbert, Krauß
Fundstellen