Verfahrensgang

VG Dresden (Aktenzeichen 4 K 58/94)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 10. Dezember 1999 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Klägerin beansprucht die Rückübertragung eines Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen – VermG –. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil der zum seinerzeitigen Eigentumsverzicht führende schlechte bauliche Zustand des Anwesens nicht – jedenfalls nicht vorwiegend – auf die staatlich festgesetzten Niedrigmieten zurückzuführen gewesen sei und daher die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 2 VermG nicht vorlägen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf noch liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Senats nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor. Schließlich ist auch kein Verfahrensfehler erkennbar, auf dem das angegriffene Urteil nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht.

Die Klägerin hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob und inwieweit § 1 Abs. 2 VermG auch auf (vorwiegend) zu gewerblichen Zwecken genutzte Gebäude und Grundstücke anwendbar ist. Diese Frage kann nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen. Das Verwaltungsgericht hat die Unanwendbarkeit des § 1 Abs. 2 VermG in erster Linie darauf gestützt, dass bereits in der Zeit vor Gründung der DDR notwendige Reparaturen unterblieben seien und das Haus sich dadurch in seiner Nutzungsdauer überlebt habe. Daneben hat das Gericht darauf abgestellt, dass § 1 Abs. 2 VermG vorrangig auf die Restitution von Wohnanwesen, nicht aber von überwiegend oder ausschließlich gewerblich genutzten Gebäuden abziele. Ist eine Entscheidung aber auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur zugelassen werden, wenn jeder dieser Gründe zur Zulassung Anlass gibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1981 – BVerwG 8 B 8.81 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 192 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Zwar wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde auch gegen die in den Vordergrund gestellte Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass es wegen eines vor Gründung der DDR entstandenen Reparaturstaus an der durch § 1 Abs. 2 VermG vorausgesetzten Kausalität zwischen den staatlich festgesetzten Mieten und der Überschuldung des Anwesens fehle. Die insoweit erhobene Divergenzrüge greift jedoch nicht durch.

Die Klägerin sieht die Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darin, dass das Verwaltungsgericht den Schädigungstatbestand verneint habe, weil die Mängel und Schäden des Bauwerks nicht – jedenfalls nicht vorwiegend – im Zusammenhang mit der staatlichen Niedrigmietenpolitik zu sehen seien, während der Senat mit seinem Urteil vom 11. Februar 1999 – BVerwG 7 C 4.98 – (BVerwGE 108, 281 ≪286≫) entschieden habe, dass Niedrigmieten auch dann im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG kausal für die Überschuldung seien, wenn sie lediglich zu ihr beigetragen hätten. Der Widerspruch besteht nur scheinbar. Der Senat hat für die Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG nicht jede Mitursächlichkeit der Niedrigmieten für ausreichend gehalten, sondern aufgrund einer wertenden Eingrenzung dieser Vorschrift einen wesentlichen Ursachenbeitrag verlangt, weil sich nur dann von einer „kalten Enteignung” sprechen lasse, die ihrem Unrechtsgehalt nach den übrigen Restitutionstatbeständen des § 1 VermG gleichkomme (BVerwG, a.a.O., S. 288). Eine solche qualifizierte Ursächlichkeit der Niedrigmieten hat er insbesondere dann verneint, wenn der Wert des Grundstücks durch die Altschulden bereits weitgehend erschöpft war. Eben dieser Rechtssatz liegt auch der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zugrunde, wenn es darauf hinweist, dass sich das nach Angaben der Klägerin 1815 erbaute (im Urteil fälschlich als „Anfang des 18. Jahrhunderts” bezeichnet) Haus infolge seines hohen Alters „in seiner Nutzungsdauer überlebt” habe, weil bereits vor Gründung der DDR notwendige Unterhaltungs- und Reparaturmaßnahmen unterblieben seien; denn dies kann nicht anders verstanden werden, als dass die Niedrigmietenpolitik der DDR jedenfalls keinen wesentlichen Beitrag für die Überschuldung des schon vom Altersverfall gezeichneten Gebäudes mehr geleistet hat. Da aufgrund dieser Feststellungen des Verwaltungsgerichts die nach der Rechtsprechung des Senats im Regelfall bestehende Vermutung widerlegt ist, dass die Überschuldung auf nicht kostendeckenden Mieten beruht (BVerwG, a.a.O., S. 283 m.w.N.), rügt die Klägerin auch insoweit zu Unrecht eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

Es liegt auch kein Verfahrensfehler vor, der die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen könnte.

Die Rüge der Klägerin, die Kausalitätserwägungen des Gerichts verstießen gegen den in § 108 Abs. 1 VwGO niedergelegten Überzeugungsgrundsatz, weil evident sei, dass der im Urteil anerkannte Jahresertrag des Hauses von 1 146,25 DM den erforderlichen Renovierungsaufwand von 150 000 DM bis 200 000 DM nicht gedeckt habe, geht an den Ausführungen des Verwaltungsgerichts vorbei. Dieses hat nicht die Überschuldung des Anwesens als solche in Abrede gestellt, sondern nur, dass diese in wesentlicher Hinsicht von der Niedrigmietenpolitik der DDR mitverursacht worden sei. Auch die gerügte Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht erkennbar. Soweit die Klägerin eine Auseinandersetzung mit der Frage des Denkmalsschutzes vermisst, ist ihre Rüge bereits unschlüssig, weil daraus resultierende finanzielle Belastungen gerade nicht dem Schutzbereich des § 1 Abs. 2 VermG zuzuordnen wären. Abgesehen davon verkennt sie, dass es aus der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts auf einen zu DDR-Zeiten verordneten Denkmalschutz nicht ankommen konnte, weil danach die wesentliche Ursache für die Überschuldung bereits vor Gründung der DDR bestand. Aus demselben Grund rügt die Klägerin auch zu Unrecht, das Gericht habe nicht berücksichtigt, dass bis Ende der 80er-Jahre in dem Haus zwei Wohnungen und ein Ladenlokal bestanden hätten. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Klägerin ausdrücklich festgestellt, dass sich im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts im Erdgeschoss des Hauses zwei Ladengeschäfte befunden hätten sowie im Obergeschoss drei Räume von einer älteren Dame bewohnt worden seien und ein früherer Saal als Möbellager gedient habe. Soweit diese Rüge der Klägerin dahin verstanden werden soll, dass das Verwaltungsgericht bei der Bewertung der Ursachenbeiträge für die Überschuldung des Anwesens unter Verstoß gegen den in § 108 Abs. 1 VwGO niedergelegten Überzeugungsgrundsatz außer Acht gelassen habe, dass das Haus bis Ende der 80er-Jahre nutzbar gewesen sei (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerwG, a.a.O., S. 288), ist zu beachten, dass die Indizwirkung, die eine langjährige Weiternutzung des Gebäudes für seine Erhaltung in gebrauchsfähigem Zustand und die dafür aufgewendeten Kosten hätte haben können, wegen der Feststellungen des Gerichts zum überkommenen baulichen Zustand des Hauses bedeutungslos geworden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Kley, Neumann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566671

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