Entscheidungsstichwort (Thema)
Fernstraßenplanung. neue Länder. Besitzeinweisung nach Planfeststellung. Rechtsschutz gegen Besitzeinweisung. Verwaltungsrechtsweg. Zivilrechtsweg. zuständiges Gericht. Verweisung vom Oberverwaltungsgericht an das Landgericht – Kammer für Baulandsachen –
Leitsatz (amtlich)
Bei Straßen, für deren Planung das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz (VerkPBG) gilt, ist das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung von Entscheidungen der Enteignungsbehörde über die vorzeitige Besitzeinweisung (§ 7 VerkPBG 1991, jetzt § 18 f FStrG) – liegt eine anderweitige landesrechtliche Regelung nicht vor – gemäß § 9 Abs. 3 VerkPBG in Verbindung mit § 217 BauGB den ordentlichen Gerichten (Baulandgerichten) zugewiesen (im Anschluß an BVerwG, Beschluß vom 1. April 1999 – BVerwG 4 B 26.99 – Buchholz 407.3 § 9 VerkPBG Nr. 1; NVwZ-RR 1999, 485).
Normenkette
VwGO § 40 Abs. 1 S. 1; VerkPBG § 9 Abs. 3; BauGB § 217 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Entscheidung vom 24.02.2000; Aktenzeichen 1 D 5/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Verweisungsbeschluß des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Kläger wenden sich gegen den Beschluß des Regierungspräsidiums Leipzig vom 14. Januar 2000, durch den die Beigeladene in den Besitz von Teilflächen zweier Grundstücke vorzeitig eingewiesen wird. Die Flächen werden für den Neubau der Bundesstraße B 6 zwischen der Bundesautobahn A 9 und der Stadt Leipzig benötigt. In der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Beschlusses wird auf die Möglichkeit der Klageerhebung zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht hingewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Landgericht Leipzig – Kammer für Baulandsachen – verwiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
1. a) Die Beschwerde ist zulässig. Das Oberverwaltungsgericht hat sie nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zugelassen. An diese Entscheidung ist der Senat nach § 17 a Abs. 4 Satz 6 VwGO gebunden.
b) Die Beschwerde ist indes unbegründet. Das vorinstanzliche Gericht hat den Rechtsstreit – soweit revisibles Recht zu prüfen ist – zu Recht an das Landgericht Leipzig – Kammer für Baulandsachen – verwiesen. Für die Anfechtungsklage gegen den Besitzeinweisungsbeschluß des Regierungspräsidiums Leipzig vom 14. Januar 2000 ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet.
Nach § 18 f Abs. 1 Satz 1 FStrG entscheidet bei Straßenbaumaßnahmen auf der Grundlage des Bundesfernstraßengesetzes über die vorzeitige Besitzeinweisung die Enteignungsbehörde. Das Besitzeinweisungsverfahren weist zwar die Merkmale einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auf. Die gerichtliche Überprüfung ist jedoch im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen. Die angefochtene Besitzeinweisung betrifft eine Bundesfernstraße, die vom Anwendungsbereich des § 1 Nr. 2 VerkPBG erfaßt wird. Nach § 9 Abs. 3 VerkPBG in der nach Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2659) am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Fassung gelten für das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der Entscheidungen der Enteignungsbehörde die §§ 217 bis 231 BauGB entsprechend, soweit keine landesrechtlichen Regelungen bestehen. Nach § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann eine Besitzeinweisung nur durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden, über den nach § 217 Abs. 1 Satz 4 BauGB das Landgericht – Kammer für Baulandsachen – entscheidet. Bis zum 31. Dezember 1999 enthielt § 9 Abs. 3 VerkPBG insoweit eine abschließende Zuständigkeitsregelung (vgl. BVerwG, Beschluß vom 1. April 1999 – BVerwG 4 B 26.99 – Buchholz 407.3 § 9 VerkPBG Nr. 1). Mit der Novelle vom 22. Dezember 1999 hat der Gesetzgeber die Länder ermächtigt, hiervon abzuweichen und den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten wieder herzustellen. Von dieser Möglichkeit hat der beklagte Freistaat indes ausweislich der Gründe des angefochtenen Beschlusses keinen Gebrauch gemacht.
Der Beklagte weist selbst darauf hin, daß als abweichende Regelung im Sinne des § 9 Abs. 3 VerkPBG n.F. allenfalls § 19 des Justizausführungsgesetzes vom 12. Dezember 1997 (GVBl S. 638) in Betracht kommt. Danach entscheidet das Sächsische Oberverwaltungsgericht in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwGO im ersten Rechtszug auch über Streitigkeiten, die vorzeitige Besitzeinweisungen betreffen. Nach Auffassung des vorinstanzlichen Gerichts stellt diese Vorschrift, die keinen enteignungsrechtlichen Gehalt aufweist, sondern auf dem in § 48 Abs. 1 Satz 3 VwGO enthaltenen Vorbehalt beruht, keine abweichende Regelung im Sinne des § 9 Abs. 3 VerkPBG dar.
Der Bundesgesetzgeber knüpft die Möglichkeit, die gerichtliche Zuständigkeit von den Landgerichten auf die Verwaltungsgerichte zu verlagern, nicht an bestimmte rechtliche Vorgaben. Den Ländern steht es vielmehr frei, es bei dem in § 9 Abs. 3 VerkPBG geregelten Grundsatz zu belassen oder abweichende Bestimmungen zu treffen. Ob eine Regelung vorhanden ist, die einen Rückgriff auf die in § 9 Abs. 3 VerkPBG genannten Vorschriften des Baugesetzbuchs entbehrlich macht, ist eine Frage der Auslegung und Anwendung des Landesrechts, die dem jeweiligen oberen Landesgericht vorbehalten und einer Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht nicht zugänglich ist (vgl. §§ 137 Abs. 1, 173 VwGO, § 562 ZPO).
Stellt § 19 SächsJustAG nach der für den Senat maßgeblichen Rechtsauffassung des vorinstanzlichen Gerichts keine im Sinne des § 9 Abs. 3 VerkPGB abweichende landesrechtliche Regelung dar, so entspricht es auf der Grundlage des Senatsbeschlusses vom 1. April 1999 – BVerwG 4 B 26.99 – (a.a.O.) unverändert der Rechtslage, den Rechtsstreit an das Landgericht – Kammer für Baulandsachen – zu verweisen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat schätzt den Wert für das Besitzeinweisungsverfahren auf 15 000 DM. Der Streitwert für das Rechtswegbeschwerdeverfahren nach § 17 a GVG ist auf einen Bruchteil des Hauptsachewerts festzusetzen (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1996 – III ZB 105/96 – NJW 1998, 909). Der Senat hält ein Fünftel für angemessen.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Halama
Fundstellen
LKV 2000, 357 |
NuR 2000, 716 |
NuR 2001, 216 |
DVBl. 2000, 1462 |
UPR 2000, 456 |
SächsVBl. 2000, 209 |