Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 30.01.2003; Aktenzeichen 3 K 37/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 30. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 225,84 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Auffassung der Vorinstanz, der von ihm vorgelegte Lage- und Höhenplan sei nicht geeignet, die Zulässigkeit seiner Restitutionsklage gemäß § 153 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO zu begründen, weil dieser Plan keine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Mit dem Angriff auf diese Rechtsauffassung verbindet er vier Rechtsfragen, die er in einem Revisionsverfahren grundsätzlich geklärt wissen möchte. Diese vier Grundsatzrügen betreffen sämtlich die Frage, ob das Nachbargrundstück (Flurstück 18) aufgrund der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen derart bebaut werden kann, dass das angrenzende Grundstück des Antragstellers “hinsichtlich Luft, Licht, Sonne und Ästhetik rücksichtslos beeinträchtigt werden könne”. Die Möglichkeit einer solchen rücksichtslosen Beeinträchtigung hatte die Vorinstanz in ihrem rechtskräftigen Urteil vom 27. Januar 1999 (Az.: 3 K 28/98) u.a. mit der Begründung verneint, das Nachbargrundstück (Flurstück 18) könne trotz seiner beachtlichen Tiefe und der Festsetzung einer Grundflächenzahl (GFZ) von 0,3 nicht annähernd in einem die Bebauungsgrenzen ausnutzenden Umfang bebaut werden. Mit seiner Beschwerde formuliert der Antragsteller vier auf diese vorinstanzliche Urteilsbegründung zugeschnittene Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung von § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO.
Diese Grundsatzrügen können die Zulassung der Revision schon deshalb nicht rechtfertigen, weil die formulierten Fragen in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wären. In dem angegriffenen Urteil vom 30. Januar 2003 stützt die Vorinstanz ihre Auffassung, dass der Restitutionsantrag des Antragstellers unzulässig sei, selbstständig tragend auf mehrere Gründe. Sie führt aus, dass der Restitutionsantrag u.a. deshalb keinen Erfolg haben könne, weil das Urteil vom 27. Januar 1999 im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachten rücksichtslosen Beeinträchtigungen “hinsichtlich Luft, Licht, Sonne und Ästhetik” auch darauf gestützt worden sei, dass die Abstandsflächenregelungen des Landesrechts ausreichenden Schutz vor einer rücksichtslosen Bebauung gewährleisteten. Damit werde auch dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme Genüge getan. Allein diese Begründung trage bereits die Entscheidung vom 27. Januar 1999. Selbst wenn unterstellt würde, dass die nunmehr vorgelegte Urkunde geeignet wäre, die im Urteil vom 27. Januar 1999 getroffenen Feststellungen zur Ausnutzung der festgesetzten Baugrenzen in Frage zu stellen, hätte die vorgelegte Urkunde daher keine günstigere Entscheidung für den Antragsteller herbeiführen können.
Hat das vorinstanzliche Gericht seine Entscheidung mehrfach selbstständig tragend begründet, muss die Beschwerde für jede der Begründungen der angegriffenen Entscheidung einen selbstständigen Zulassungsgrund vortragen. Die Beschwerde ist nur begründet, wenn ein Zulassungsgrund für jeden der entscheidungstragenden Gründe zulässig vorgetragen und auch gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; vgl. auch den Senatsbeschluss vom 13. August 1999 – BVerwG 4 BN 27.99 –, der die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der Vorinstanz vom 27. Januar 1999 zurückweist). Der Antragsteller hat zu den Ausführungen im Urteil vom 30. Januar 2003, welche die Einhaltung der landesrechtlichen Grenzabstände betreffen, keine zulässigen und begründeten Rügen im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO erhoben. Er bezeichnet zwar den Rechtsstandpunkt der Vorinstanz, das Urteil vom 27. Januar 1999 sei hinsichtlich der Verletzung des Rücksichtnahmegebots doppelt begründet, als “abwegig” und die Ausführungen des beschließenden Senats in seinem Beschluss vom 13. August 1999, in dem dieser Standpunkt ebenfalls vertreten wird, als “nicht haltbar” bzw. als “missverstandenen Unsinn”. Eine derartige Urteilskritik ist jedoch nicht geeignet, einen der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe darzulegen.
Ergänzend sei angemerkt: Die vom Antragsteller zum Urkundenbeweis nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO formulierten Rechtsfragen könnten in einem Revisionsverfahren nicht in rechtsgrundsätzlicher, d.h. verallgemeinerungsfähiger Weise für eine Vielzahl von Fällen, geklärt werden. Die Fragen lassen sich nicht losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles beantworten. Die mit der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen sind auch – ungeachtet ihrer abstrahierenden Formulierung – auf die besonderen Umstände des vorliegenden Streitfalles zugeschnitten und erschöpfen sich in der Sache in einer Kritik der vorinstanzlichen Rechtsanwendung. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf ist damit nicht dargelegt. Die vom Antragsteller zum Rechtsschutzbedürfnis aufgeworfene Frage ist nach den Ausführungen der Vorinstanz in dem angegriffenen Urteil vom 30. Januar 2003 (Urteilsabschrift S. 10) nicht entscheidungserheblich und rechtfertigt deshalb ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.
2. Der Antragsteller rügt, dass seine Anträge vom 4. Dezember 2000, 1. Juli 2002 und 28. Januar 2003 betreffend die Ablehnung mehrerer Richter der Vorinstanz wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 ZPO) von der Vorinstanz zu Unrecht abgelehnt worden seien. Der Antragsteller erhebt dazu eine Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und macht geltend, ihm sei unter Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der gesetzliche Richter entzogen worden.
Die Verfahrensrüge bleibt erfolglos. Wird ein Ablehnungsantrag wegen Befangenheit vom Tatsachengericht unanfechtbar abgelehnt, so kann die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) mit dem Ziel der erneuten Prüfung des Ablehnungsantrags durch das Revisionsgericht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden. Nach § 548 ZPO, der gemäß § 173 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, unterliegen die dem Endurteil vorausgehenden Entscheidungen, sofern sie unanfechtbar sind, nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn wie hier ein Oberverwaltungsgericht Befangenheitsanträge zurückweist. Denn derartige Entscheidungen können nach § 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1992 – BVerwG 2 B 11.92 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 305 m.w.N.). Für die Behauptung des Antragstellers, seine Befangenheitsanträge seien von der Vorinstanz willkürlich abgelehnt worden, fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten. Weitere Ausführungen zu diesem Vorbringen erübrigen sich daher.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat ein Prozessbeteiligter, dessen Ablehnungsgesuch vom Oberverwaltungsgericht unanfechtbar zurückgewiesen worden ist, keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass das Ablehnungsgesuch vom Revisionsgericht erneut überprüft wird (BVerwG, Beschluss vom 24. April 1990 – BVerwG 7 B 20.90 – Buchholz 11 Art. 101 GG Nr. 16). Zwar erstreckt sich die Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch auf dessen Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Daraus hat das Bundesverfassungsgericht die Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet, durch geeignete Verfahrensregelungen Vorsorge dafür zu treffen, dass nur ein unparteilicher Richter in der Sache entscheidet (BVerfGE 21, 139 ≪145 f.≫). Diesem Gebot ist bereits mit der den Verfahrensbeteiligten in § 54 VwGO, §§ 42 ff. ZPO eingeräumten Möglichkeit der Richterablehnung Genüge getan, über die – von den Fällen des Rechtsmissbrauchs abgesehen – das Gericht unter Ausschluss des abgelehnten Richters entscheidet. Art. 19 Abs. 4 GG stellt keine weitergehenden Anforderungen. Denn der dem Bürger zustehende Rechtsschutz wird in der jeweils einschlägigen Prozessordnung näher ausgestaltet. Diese darf zwar die Beschreitung des Rechtswegs nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren, braucht aber einen mehrstufigen Rechtszug nicht vorzusehen (BVerwG, Beschluss vom 24. April 1990 a.a.O. mit Hinweis auf BVerfGE 78, 88 ≪99≫ und BVerfG, NJW 1977, 1815 – zur Richterablehnung).
3. Entgegen dem Beschwerdevorbringen war der Richter am Oberverwaltungsgericht R.… auch nicht gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO im Restitutionsverfahren kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen. Der Ausschließungsfall des § 41 Nr. 6 ZPO setzt voraus, dass der Richter in einem früheren Rechtszuge bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Der Richter am Oberverwaltungsgericht R.… hat zwar am Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Januar 1999, das Gegenstand des Restitutionsverfahrens ist, mitgewirkt. Darin liegt aber nicht die in § 41 Nr. 6 ZPO vorausgesetzte Mitwirkung “in einem früheren Rechtszuge”. Das (Normenkontroll-)Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht, das mit Urteil vom 27. Januar 1999 beendet wurde, ist im Verhältnis zum Wiederaufnahmeverfahren (hier: Restitutionsklage nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 580 ZPO), das ebenfalls vor dem Oberverwaltungsgericht durchzuführen ist, kein “früherer Rechtszug”. § 41 Nr. 6 ZPO hat den Sinn zu verhindern, dass in einem mehrinstanzlichen Verfahren ein Richter bei der Nachprüfung der vorinstanzlichen Entscheidung mitwirkt, der an dieser Entscheidung mitgewirkt hat. Mit anderen Worten: § 41 Nr. 6 ZPO schließt einen Richter dann aus, wenn er in einer unteren Instanz an einer Entscheidung mitgewirkt hat und diese in einer höheren Instanz überprüfen müsste (vgl. BGH, NJW 1981, 1273). Dies folgt aus der Funktion des gerichtlichen Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 78, 331 ≪337 f.≫). Die Wiederaufnahmeklage (Restitutionsklage) ist kein Rechtsmittel, mit dem die angegriffene Entscheidung in einem höheren Rechtszug zur Überprüfung gestellt wird. § 41 Nr. 6 ZPO kann daher nicht über seinen eindeutigen Wortlaut hinaus auf ein Wiederaufnahmeverfahren ausgedehnt werden, das vor dem Oberverwaltungsgericht, welches bereits (als Normenkontrollgericht) in der Sache erstinstanzlich entschieden hat, durchzuführen ist. Vorschriften über den gesetzlichen Richter sind wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Voraus möglichst eindeutig zu bestimmen, strikt auszulegen und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (BVerfGE 30, 149 ≪155≫; BVerwG, Beschluss vom 4. November 1974 – BVerwG 7 B 9.74 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 16 = NJW 1975, 1241 ≪1242≫; BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1979 – BVerwG 3 C 117.79 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 27 = NJW 1980, 2722).
Aus dem Vorstehenden folgt, dass der mit der Beschwerde gerügte Verfahrensfehler in Gestalt eines absoluten Revisionsgrundes im Sinne von § 138 Nrn. 1 und 2 VwGO nicht vorliegt. Die Gehörsrüge (Art. 103 Abs. 1 GG), die der Antragsteller im Zusammenhang mit seiner Rüge, der Richter am Oberverwaltungsgericht R.… sei nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO vom Restitutionsverfahren kraft Gesetzes ausgeschlossen, erhebt, muss daher ebenfalls erfolglos bleiben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Rojahn, Gatz
Fundstellen