Tenor
Die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesministeriums des Innern vom 4. März 2014 ist rechtswidrig.
Tatbestand
I
Auf Ersuchen des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz schrieb das Bundespolizeipräsidium den Kläger im Juli 2011 auf der Grundlage von § 31 BPolG zur grenzpolizeilichen Beobachtung aus. Der Kläger war daraufhin bei Auslandsreisen über den Flughafen München dort verstärkten Kontrollen der Bundespolizeidirektion München ausgesetzt, welche die Ein- und Ausreisedaten dem Landesamt für Verfassungsschutz übermittelte.
Der Kläger erhob im Ausgangsverfahren beim Verwaltungsgericht gegen das Bundespolizeipräsidium Klage mit den Anträgen, festzustellen, dass die polizeilichen Fahndungs- und Beobachtungsmaßnahmen der Bundespolizei gegen ihn aus Anlass seiner Flugreisen in den Jahren 2011 und 2012 auf dem Flughafen München rechtswidrig waren, sowie dem beklagten Bundespolizeipräsidium zu untersagen, die polizeilichen Fahndungs- und Beobachtungsmaßnahmen gegen ihn fortzusetzen. Mit der Zustellung der Klage forderte das Verwaltungsgericht das beklagte Bundespolizeipräsidium auf, den Verwaltungsvorgang im Original vorzulegen. Das beigeladene Bundesministerium des Innern verweigerte mit einer Sperrerklärung vom 31. Januar 2013 die Vorlage des Verwaltungsvorgangs im Original: Anlass für die grenzpolizeiliche Beobachtung des Klägers und die entsprechenden Kontrollen sei das Ersuchen einer hierzu berechtigten Stelle gewesen, die geheimhaltungsbedürftig sei. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit beziehe sich ausschließlich auf den Urheber des Ersuchens. Es würden deshalb alle Textpassagen nur geschwärzt vorgelegt, aus denen sich die ersuchende Behörde ergebe; nicht vorgelegt würden die Schreiben der ersuchenden Behörde, weil sich aus dem verwendeten Schrifttypus und dem Layout Rückschlüsse auf die ersuchende Behörde ziehen ließen, eine Schwärzung dieser Dokumente daher nicht ausreichend sei. Demgemäß legte das beklagte Bundespolizeipräsidium dem Verwaltungsgericht eine in diesem Umfang unvollständige und teilweise geschwärzte Kopie des Vorgangs vor. Der Kläger erhielt Akteneinsicht in die Kopie.
Der Kläger hat sodann gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO beantragt, gerichtlich zu überprüfen, ob ein Grund für die Verweigerung der vollständigen und ungeschwärzten Vorlage der Akten besteht. Das Verwaltungsgericht hat dem beklagten Bundespolizeipräsidium durch einen näher begründeten Beschluss vom 16. August 2013 aufgegeben, die geschwärzten und die dem Verwaltungsvorgang entnommenen Aktenteile vorzulegen, da deren Inhalt für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung des Klägers zur grenzpolizeilichen Beobachtung nach § 31 BPolG erheblich sei. Es hat gleichzeitig die Akten dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über den Antrag des Klägers nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt.
Während des Zwischenverfahrens hat das beigeladene Bundesministerium des Innern seine Sperrerklärung vom 31. Januar 2013 aufgehoben und durch eine neue Sperrerklärung vom 4. März 2014 ersetzt: Welche berechtigte Stelle um die grenzpolizeiliche Beobachtung des Klägers nachgesucht habe, sei jetzt nicht mehr geheimhaltungsbedürftig. Geheimhaltungsbedürftig seien nunmehr lediglich einzelne Informationen, die sich aus dem Ersuchen selbst ergäben und die Rückschlüsse auf Art und Umfang der Ermittlungen zuließen. Das beklagte Bundespolizeipräsidium hat die Blätter, die in dem ursprünglich als Kopie eingereichten Vorgang teilweise geschwärzt waren, erneut mit Schwärzungen versehen eingereicht. Während die ursprünglich geschwärzten Passagen, die Hinweise auf das Landesamt für Verfassungsschutz enthielten, nunmehr weithin ungeschwärzt sind, sind zahlreiche andere Passagen, die ursprünglich nicht geschwärzt waren, nunmehr geschwärzt.
Entscheidungsgründe
II
Der Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Weigerung des beigeladenen Bundesministeriums des Innern rechtswidrig ist, den Vorgang des Bundespolizeipräsidiums betreffend die Ausschreibung des Klägers zur grenzpolizeilichen Beobachtung vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, ist zulässig und begründet.
1. Gegenstand dieses Antrags ist die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesinnenministeriums vom 4. März 2014. Mit dieser Sperrerklärung hat das beigeladene Bundesinnenministerium während des Zwischenverfahrens seine frühere Sperrerklärung vom 31. Januar 2013 ausdrücklich aufgehoben und durch die nunmehr abgegebene Sperrerklärung ersetzt. Allein diese unterliegt deshalb der Überprüfung im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO, ohne dass der Kläger sie ausdrücklich durch eine hierauf bezogene Erklärung in das Verfahren einbeziehen müsste. Sein Antrag ist darauf gerichtet, die Rechtswidrigkeit der Verweigerung einer vollständigen und ungeschwärzten Vorlage der in Rede stehenden Akten festzustellen. Inwieweit dieser Antrag begründet ist, ist anhand der jeweils abgegebenen Sperrerklärung zu prüfen.
Die Sperrerklärung vom 4. März 2014 erfasst nicht mehr die Seiten Bl. 15, 15R, 38, 38R, 50, 69, 69R und 82 des Vorgangs. Diese Teile des Vorgangs hatte das beigeladene Bundesinnenministerium in seiner Sperrerklärung vom 31. Januar 2013 gänzlich von einer Vorlage ausgenommen. Die nunmehr abgegebene Sperrerklärung bezieht sich auf diese Seiten überhaupt nicht mehr, ohne sie allerdings in die jetzt vorgelegte Kopie des Vorgangs aufzunehmen. Sie sind dem Verwaltungsgericht noch vorzulegen.
Der Fachsenat geht davon aus, dass sich die Sperrerklärung vom 4. März 2014 hingegen auf die Seiten Bl. 6, 6R und 7 des Vorgangs des Bundespolizeipräsidiums beziehen soll. Auch diese Seiten hat das Bundesinnenministerium in seiner ursprünglichen Sperrerklärung einer Vorlage gänzlich entzogen, hat sie jetzt jedoch als Kopie mit den anderen kopiert eingereichten Seiten teilgeschwärzt vorgelegt, ohne sie aber in der Sperrerklärung in die Auflistung der Seiten aufzunehmen, die (jetzt) nur mit Schwärzungen zugänglich gemacht werden sollen. Jedoch wird in der Begründung der Sperrerklärung vom 4. März 2014 angegeben, geheimhaltungsbedürftig sei nicht mehr die Behörde, die um die Ausschreibung des Klägers zur grenzpolizeilichen Beobachtung ersucht habe, sondern geheimhaltungsbedürftig seien nunmehr lediglich einzelne Informationen, die sich aus dem Ersuchen selbst ergäben. Bei den jetzt teilgeschwärzt vorgelegten Seiten Bl. 6, 6R und 7 des Vorgangs handelt es sich um das Ersuchen des Landesamts für Verfassungsschutz. Das lässt den Schluss zu, dass die Sperrerklärung vom 4. März 2014 sich auch auf diese nicht ausdrücklich aufgelisteten Seiten beziehen soll.
2. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Es reicht regelmäßig nicht aus, wenn das Verwaltungsgericht die Akten lediglich formularmäßig – ohne dokumentierte rechtliche Erwägungen – mit der Eingangsverfügung angefordert hat. Das Gericht der Hauptsache hat vielmehr in der Regel zur ordnungsgemäßen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen einen förmlichen Beweisbeschluss zu erlassen. Je nach Fallkonstellation darf es sich dabei allerdings nicht in formelhafter Weise allein auf die Angabe des Beweisthemas und der als entscheidungserheblich erachteten Aktenteile (Beweismittel) beschränken, sondern muss in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall – sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs – Stellung nehmen (stRspr, vgl. hier Beschluss vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫ = Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 36 S. 27).
Zwar hat das Verwaltungsgericht hier den Verwaltungsvorgang des Bundespolizeipräsidiums zunächst nur formularmäßig angefordert und die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen – für den Fachsenat nachvollziehbar – erst in einem Beschluss näher dargelegt, mit dem es dem beklagten Bundespolizeipräsidium die Vorlage nochmals aufgegeben hat, nachdem das beigeladene Bundesinnenministerium seine Sperrerklärung bereits abgegeben und der Kläger seinen Antrag auf Entscheidung des Fachsenats gestellt hatte. Es reicht jedoch aus, wenn das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der zurückgehaltenen Akten noch in diesem Stadium des Verfahrens verlautbart, weil der Fachsenat auch dann feststellen kann, dass es seiner Entscheidung im Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO wegen der Entscheidungserheblichkeit der zurückgehaltenen Akten bedarf (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung Beschluss vom 21. Januar 2014 – BVerwG 20 F 1.13 – juris Rn. 15; vgl. auch Beschluss vom 8. März 2010 – BVerwG 20 F 11.09 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 7). Im Übrigen ist Gegenstand dieses Verfahrens (nur) die Sperrerklärung vom 4. März 2014, die in Kenntnis des Beschlusses vom 16. August 2013 ergangen ist.
3. Der Antrag ist begründet. Die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesinnenministeriums vom 4. März 2014 ist rechtswidrig.
a) Der Fachsenat kann offenlassen, ob die Sperrerklärung den formellen Anforderungen an eine solche Erklärung genügt.
Bereits die Sperrerklärung muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass die in Anspruch genommenen Weigerungsgründe vorliegen. Insoweit muss die oberste Aufsichtsbehörde die Akten aufbereiten und je nach Inhalt der Schriftstücke den behaupteten Weigerungsgrund nachvollziehbar darlegen. Die Sperrerklärung muss grundsätzlich eine präzisierende Umschreibung der Unterlagen enthalten. Die Verweigerung der Vorlage von Akten in einem gerichtlichen Verfahren erfordert, zumal bei umfangreicheren Unterlagen, eine konkrete Zuordnung des Geheimhaltungsgrundes zu den jeweiligen Aktenbestandteilen. Erst dann ist eine effektive gerichtliche Überprüfung durch den Fachsenat möglich (Beschluss vom 27. August 2012 – BVerwG 20 F 3.12 – juris Rn. 11).
Das beigeladene Bundesinnenministerium hat lediglich aufgelistet, welche Seiten nur teilweise geschwärzt vorgelegt werden und im Übrigen vermengt mit der zusätzlich erforderlichen Ermessensentscheidung pauschal Geheimhaltungsgründe benannt, ohne sie konkret näher beschriebenen Textpassagen zuzuordnen.
b) Die Sperrerklärung ist jedenfalls ihrem Inhalt nach rechtswidrig. Der Fachsenat kann nicht feststellen, dass mit ihr bezogen auf die geschwärzten Textpassagen Gründe vorliegen, welche die Weigerung rechtfertigen, die betroffenen Seiten ungeschwärzt vorzulegen.
Die oberste Aufsichtsbehörde kann nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente oder die Erteilung von Auskünften verweigern, wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.
Ein Nachteil für das Wohl des Bundes oder eines Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde (vgl. beispielsweise Beschluss vom 18. Februar 2014 – BVerwG 20 F 10.13 – juris Rn. 5). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (vgl. beispielsweise Beschluss vom 4. März 2010 – BVerwG 20 F 3.09 – juris Rn. 6). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (vgl. beispielsweise Beschluss vom 21. Januar 2014 a.a.O. Rn. 19).
Die Sperrerklärung vom 4. März 2014 macht zwar bezogen auf die geschwärzt vorgelegten Textpassagen ein Interesse an der Geheimhaltung des Inhalts dieser Passagen geltend, die sich derartigen Gründen zuordnen lassen könnten. Insoweit ist jedoch ein Geheimhaltungsbedürfnis weithin nicht (mehr) erkennbar. Die Textpassagen, die aufgrund der Sperrerklärung vom 4. März 2014 geschwärzt wurden, sind dem Kläger zum weit überwiegenden Teil bekannt. Sie sind aufgrund der zunächst abgegebenen Sperrerklärung vom 31. Januar 2013 ungeschwärzt dem Kläger und dem Verwaltungsgericht mit dem kopierten Vorgang zugänglich gemacht worden und sind dort weiter zugänglich. Die aufgrund der früheren Sperrerklärung in dem kopierten Vorgang geschwärzten Passagen sind aufgrund der jetzt abgegebenen Sperrerklärung in den nunmehr vorgelegten kopierten Seiten weithin nicht geschwärzt. Werden diese beiden, dem Kläger und dem Verwaltungsgericht zugänglichen, Kopien des Vorgangs neben einander gelegt, steht der Vorgang nahezu komplett offen zur Verfügung. Ausgenommen, weil in beiden kopierten Vorgängen geschwärzt, sind im Wesentlichen nur Aktenzeichen, sei es der Bundespolizeidirektion, sei es des Landesamtes für Verfassungsschutz, Bestandteile der Email-Adresse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die offensichtlich auf die dort zuständige Organisationseinheit hinweisen, aber auch die Anschrift des Landesamtes für Verfassungsschutz und dessen Postfach, die schon deshalb nicht geheimhaltungsbedürftig sind, weil das Landesamt für Verfassungsschutz sie auf seiner Internetseite veröffentlicht hat.
Die Sperrerklärung ist insgesamt rechtswidrig. Dort ist die Geheimhaltungsbedürftigkeit pauschal, nicht aber gezielt für einzelne Schwärzungen begründet. Diese pauschal gegebene Begründung trägt nicht für die geringen Reste des Vorgangs, die auch bei einer Zusammenschau bisher nicht offengelegt sind und deren Offenlegung daher allenfalls noch verweigert werden kann. Insoweit ist zweifelhaft, ob angesichts des bereits bekannten Inhalts des Vorgangs selbst bei einer Gesamtschau die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden gefährdet würde, wenn auch sie noch bekannt würden. Das gilt auch für das jetzt erstmals teilgeschwärzt vorgelegte Ersuchen des Landesamtes für Verfassungsschutz. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass sich der Inhalt der dort geschwärzten Passagen aus den früher offengelegten Teilen des Vorgangs erschließt, weil sich das Ersuchen um Ausschreibung inhaltlich in den eigenen Bearbeitungsbögen des Bundespolizeipräsidiums widerspiegelt.
4. Einer eigenständigen Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht (vgl. dazu Beschluss vom 16. Dezember 2010 – BVerwG 20 F 15.10 – Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 62 Rn. 11). Eine Streitwertfestsetzung ist ebenfalls entbehrlich, da Gerichtsgebühren mangels Gebührentatbestand im Verfahren vor dem Fachsenat nicht anfallen.
Unterschriften
Neumann, Dr. Bumke, Dr. Kuhlmann
Fundstellen