Verfahrensgang
VG Meiningen (Urteil vom 16.01.2014; Aktenzeichen 8 K 756/11 Me) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens BVerwG 3 B 25.14 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 16. Januar 2014 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm Rechtsanwalt F. aus S. beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, weil die Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Januar 2014 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
Der Kläger wendet sich gegen die Ausschließung von Leistungen nach § 4 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG). Er war im Jahre 2007 wegen der Einweisung und Unterbringung im Durchgangsheim Schmiedefeld und im Jugendwerkhof „Junge Welt” gemäß § 1 BerRehaG beruflich rehabiliert worden und hatte im Antrag angegeben, nicht als Mitarbeiter für die Staatssicherheit oder das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei der Volkspolizei tätig gewesen zu sein. Nach einer später eingeholten Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR war der Kläger zumindest von 1978 bis 1984 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei S. tätig gewesen. Daraufhin nahm der Beklagte die Anerkennung des Klägers als Verfolgter mit Bescheid vom 12. Mai 2011 teilweise zurück und stellte fest, dass er gemäß § 4 BerRehaG von Leistungen auszuschließen sei. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die teilweise Rücknahme des Anerkennungsbescheides sei zu Recht erfolgt. Der Kläger sei erheblich in das Repressionssystem der ehemaligen DDR verstrickt gewesen und habe im Sinne des § 4 BerRehaG gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Es stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er für das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei (K I) als IM tätig gewesen sei und durch mindestens einen Bericht eine ehemalige Bürgerin der DDR denunziert und dadurch der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt habe. Es spreche nicht gegen die Tätigkeit als IM, dass es keine vom Kläger unterschriebene Verpflichtungserklärung gebe; dem Gericht sei aus einer Vielzahl anderer Verfahren bekannt, dass es für eine Tätigkeit als Informant des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) oder der K I nicht zwingend einer Verpflichtungserklärung bedurft habe. Das Gericht sei in Übereinstimmung mit dem Landgericht Meiningen und dem Oberlandesgericht Jena auch davon überzeugt, dass der fragliche Bericht vom 22. November 1984 vom Kläger verfasst und unterschrieben worden sei. Das ergebe sich aus dem vom Oberlandesgericht eingeholten Schriftgutachten und decke sich mit dem eigenen Eindruck des Gerichts.
Es spricht nichts dafür, dass die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil Erfolg haben wird.
1. Dem Verwaltungsgericht ist kein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ungenügender Sachaufklärung unterlaufen.
a) Der Kläger rügt insoweit, dass das Verwaltungsgericht seinen Beweisangeboten nicht nachgegangen ist. Er stützt sich auf die in den Schriftsätzen angesprochene Möglichkeit zur Vernehmung seiner Ehefrau und eines weiteren Zeugen zu Umständen, die in seinen Augen den Schluss zulassen, dass er kein IM war und der Bericht nicht von ihm geschrieben worden sein kann. Seinen dahingehenden Ankündigungen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht durch die Stellung förmlicher Beweisanträge Nachdruck verliehen. Deshalb handelt es sich um bloße Anregungen an das Gericht, im Rahmen der gerichtlichen Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO in der gewünschten Weise zu ermitteln. Bei solchen Beweisanregungen kommt ein Verfahrensmangel nur in Betracht, soweit das Gericht sie nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihnen nicht gefolgt ist, obwohl sich dies aufdrängte (stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom 15. Februar 2013 – BVerwG 8 B 58.12 – ZOV 2013, 40 ≪42≫, vom 17. Januar 2013 – BVerwG 7 B 18.12 – juris Rn. 15, vom 24. September 2012 – BVerwG 5 B 30.12 – juris Rn. 4, vom 20. Dezember 2011 – BVerwG 7 B 43.11 – Buchholz 445.4 § 58 WHG Nr. 1 Rn. 20, vom 19. Oktober 2011 – BVerwG 8 B 37.11 – ZOV 2011, 264 ≪265≫ und vom 19. August 2010 – BVerwG 10 B 22.10 – juris Rn. 10).
b) Das Verwaltungsgericht hat sich mit den unter Beweis gestellten Tatsachenbehauptungen sehr wohl auseinandergesetzt und sie in der Sache als offenkundig falsch oder nicht erheblich bewertet, weil sie den vom Kläger gezogenen Schluss nicht zuließen (UA S. 8 ff.). Dann aber liegt eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO nur dann vor, wenn sich dem Gericht die angeregte Beweisaufnahme aufdrängen musste. Das ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
c) Der Kläger beruft sich zum Beweis der Behauptung, er sei nicht für das K I tätig gewesen, darauf, dass es keine schriftliche Verpflichtungserklärung gibt; inoffizielle Mitarbeiter hätten solche Erklärungen (ausnahmslos) fertigen müssen. Dieser Behauptung ist das Verwaltungsgericht unter Hinweis darauf entgegengetreten, dass ihm das Gegenteil bekannt sei. Das war nicht verfahrensfehlerhaft. § 291 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwenden ist, erlaubt, von einer Beweiserhebung abzusehen, wenn eine Tatsache offenkundig ist. Zu den offenkundigen Tatsachen gehören Ereignisse, Verhältnisse oder Zustände, von denen der Richter aus amtlicher Veranlassung selbst Kenntnis erlangt hat, sofern sie ihm noch so bekannt sind, dass es der Feststellung aus den Akten nicht bedarf (vgl. nur Beschluss vom 22. August 1989 – BVerwG 9 B 207.89 – Buchholz 303 § 291 ZPO Nr. 2 S. 2 m.w.N.). An die Feststellung der Gerichtskundigkeit der streitig gestellten Tatsache wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gebunden; denn der Kläger hat in Bezug auf diese Feststellung keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht, § 137 Abs. 2 VwGO. Er bemängelt lediglich, dem angefochtenen Urteil sei nicht zu entnehmen, worauf das Verwaltungsgericht seine Kenntnis stützt. Das trifft nicht zu. Im angefochtenen Urteil wird mitgeteilt, das Gericht beziehe seine Kenntnis „aus einer Vielzahl anderer Verfahren” (UA S. 8 f.). Damit ist erkennbar gemeint, dass die Kammer in den von ihr bearbeiteten Verfahren wiederholt als zutreffend zugrunde gelegt hat, dass ein IM ohne Verpflichtungserklärung tätig geworden war. Damit ist ein typischer Fall gerichtskundiger Tatsachen bezeichnet. Zur Nennung der Verfahren, denen das Verwaltungsgericht seine Kenntnis entnommen hat, war es nicht verpflichtet; denn eine Feststellung aus den Akten soll bei gerichtskundigen Tatsachen gerade erspart werden. Dass dem Gericht die in Anspruch genommene Erkenntnisbasis tatsächlich nicht zur Verfügung stand, macht der Kläger auch nicht geltend.
d) Das Verwaltungsgericht hat ferner verfahrensfehlerfrei davon abgesehen, jenen Umständen nachzugehen, mit denen der Kläger die Urheberschaft des Berichts vom 22. November 1984 in Abrede stellen will. Es hat zu Recht angenommen, dass die vom Kläger insofern vorgetragenen Beweistatsachen mehrdeutig sind und nicht den Schluss zulassen, dass der Kläger den Bericht nicht verfasst haben kann und dieser gefälscht ist. Indizien ohne Aussagewert konnten das Verwaltungsgericht nicht zu Ermittlungen veranlassen. Davon abgesehen übergeht der Kläger, dass der ihm vorgehaltene Bericht nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht im Rahmen einer unmittelbaren Tätigkeit für das K I abgegeben worden ist, sondern im dienstlichen Zusammenhang mit einem Disziplinarverstoß gegenüber einem Vorgesetzten (UA S. 9). Um einen mit Decknamen zu unterzeichnenden Bericht handelte es sich gerade nicht.
2. Das angefochtene Urteil weicht nicht von einer Entscheidung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte ab.
a) Der Kläger rügt insoweit, dass das Verwaltungsgericht die inoffizielle Zusammenarbeit mit dem K I rechtlich gleichgesetzt habe mit einer Zusammenarbeit mit dem MfS und damit von Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des Thüringer Oberlandesgerichts, des Oberlandesgerichts Dresden und des Kammergerichts abgewichen sei. Die letztgenannten Gerichte gehören der ordentlichen Gerichtsbarkeit an und zählen nicht zu den in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO abschließend aufgeführten divergenzfähigen Gerichten. Für die Zulassung der Revision zum Bundesverwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Divergenz wäre es mithin ohne Bedeutung, sollte sich das vorinstanzliche Gericht mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz in Widerspruch gesetzt haben zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in Anwendung derselben Rechtsvorschrift in einer Entscheidung eines Zivilgerichts aufgestellt worden ist.
b) Einen derartigen Widerspruch zeigt der Kläger auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf. In den zum Beleg einer Divergenz angeführten Entscheidungen (Urteile vom 8. März 2002 – BVerwG 3 C 23.01 – und vom 19. Januar 2006 – BVerwG 3 C 11.05 – sowie Beschluss vom 16. Mai 2006 – BVerwG 3 PKH 15.05 –) hat sich der Senat zwar nur mit Spitzeltätigkeiten für das MfS befasst; dies war allerdings durch die zu beurteilenden Sachverhalte bedingt. Einen Rechtssatz, dass eine Spitzeltätigkeit für das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei einer solchen für das MfS nach dem Maßstab des § 4 BerRehaG nicht gleichzuerachten ist, hat der Senat weder dort noch in anderen Entscheidungen aufgestellt. Er geht vielmehr übereinstimmend mit dem Verwaltungsgericht seit langem davon aus, dass eine Tätigkeit als inoffizieller Mitarbeiter für das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei im Regelfall zum Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit nach § 4 BerRehaG führt (Beschluss vom 20. Dezember 2012 – BVerwG 3 B 48.12 – ZOV 2013, 37 sowie schon Beschlüsse vom 23. November 2009 – BVerwG 3 B 32.09 – ZOV 2010, 35 und vom 28. Juni 2007 – BVerwG 3 B 117.06 – juris).
c) Allein die Tätigkeit für das K I reicht jedoch nicht aus, um einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit zu begründen. Erforderlich ist, dass die Tätigkeit konkret geeignet war, Dritte zu schädigen oder Verfolgungsmaßnahmen auszulösen. Maßgeblich ist mithin die Art der Mitarbeit, nicht zwangsläufig die Stelle, für die ein IM tätig geworden ist. Allerdings hat der Senat aufgrund von Feststellungen der Verwaltungsgerichte bislang stets zugrunde gelegt, dass das K I wie das MfS von seinen inoffiziellen Mitarbeitern eine gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßende Bespitzelung eingefordert hat. Das K I hat aufgrund einer teilweisen Übereinstimmung von Aufgabenstellung und Arbeitsmethoden eng mit dem Staatssicherheitsdienst zusammengearbeitet, wobei diesem die Führungsrolle zukam. Es hat in stetiger Abstimmung mit dem MfS und in Kenntnis der Mitbenutzung durch dieses Informationen einschließlich solcher aus repressiven Tätigkeitsfeldern gesammelt und weitergegeben und sich dabei Mitteln und Methoden bedient, die denen des MfS glichen und bei denen das MfS Unterstützung leistete (Beschluss vom 20. Dezember 2012 a.a.O. und OVG Magdeburg, Urteil vom 22. September 1999 – 3 L 267/95 – juris Rn. 51). Deshalb ist regelmäßig der Ausschließungsgrund des § 4 BerRehaG zu bejahen. Es versteht sich aber, dass dazu die letztlich entscheidende Frage der konkreten Eignung der Spitzeltätigkeit, Dritte zu gefährden oder zu schädigen, in jedem Einzelfall geprüft und abschließend bejaht werden muss. Auch von diesem, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Rechtssatz ist das Verwaltungsgericht indes nicht abgewichen und hat im Fall des Klägers den ihm zugeordneten Bericht auf die konkrete Schädigungseignung untersucht (UA S. 10).
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen sind ohne Weiteres im Sinne des angefochtenen Urteils zu beantworten. Was die unter III 1 bis 3 der Beschwerdeschrift aufgeworfenen Fragen zur Gleichsetzung der Tätigkeiten für das K I und das MfS, zur Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung sowie zur Art der Spitzeltätigkeit betrifft, ergeben sich die Antworten unmittelbar aus der unter 2. angeführten Rechtsprechung. Dass das Gewicht der Spitzeltätigkeit im Rahmen der Einzelfallprüfung nicht durch den Umfang der erlittenen Verfolgung, die der Spitzel im Sinne des § 1 BerRehaG erlitten hat, gemindert werden kann, wie es der Kläger unter III 4 geklärt wissen möchte, erschließt sich bereits aus dem Gesetz. Für die Kompensation oder Relativierung von Unrecht, das ein IM infolge einer freiwilligen eigenen Verstrickung in das Regime der DDR verübt hat, durch unabhängig hiervon erlittenes früheres Unrecht bietet § 4 BerRehaG keinen Ansatzpunkt. Die Vorwerfbarkeit einer drittschädigenden Spitzeltätigkeit entfällt nur dann, wenn sie durch eine die Freiwilligkeit ausschließende, unerträgliche Zwangslage herbeigeführt wurde. Jenseits dessen wird nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen niemand durch selbsterlittenes Unrecht dazu ermächtigt, Dritten Unrecht zuzufügen.
Unterschriften
Kley, Dr. Wysk, Dr. Kuhlmann
Fundstellen