Verfahrensgang

VG Magdeburg (Aktenzeichen 9 K 14/99)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 8. März 2000, berichtigt durch Beschluss vom 18. Mai 2000, wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde ist begründet. Die allein geltend gemachte Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat gegen seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Das angefochtene Urteil beruht auch auf dem dargelegten Verfahrensmangel. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO) Gebrauch.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hätte den aufgeworfenen Zweifeln von Amts wegen nachgegangen werden müssen, die darin bestehen, ob Druck zur Veräußerung des Unternehmens durch Geltendmachung überhöhter Steuerforderungen ausgeübt worden war. Das Verwaltungsgericht ist zwar der Ansicht, dass der Vermögensverlust nicht durch eine missbräuchliche Festsetzung von Steuern herbeigeführt wurde, und begründet dies mit fehlendem Anhalt dafür, dass die vom Finanzamt … geltend gemachten Steuerforderungen allein zum Zwecke der Herbeiführung der Veräußerung des Unternehmens „konstruiert” worden seien. Den für diese Schlussfolgerung in Betracht kommenden Sachverhalt hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht ausermittelt. Es hat sich zwar eingehend der Frage gestellt, ob nach Erlass der Steuerbescheide ein Verkaufsdruck von interessierten Stellen ausgeübt worden sei, hat aber die geforderten Steuern selbst keiner kritischen Würdigung unterzogen.

Für die Anwendung von § 1 Abs. 3 VermG ist entscheidend, ob bei objektiver Betrachtung der gesamten Umstände die unlautere Machenschaft das Ziel verfolgt hatte, den betroffenen Rechtsinhaber um seinen Vermögenswert zu bringen; die subjektive Vorstellung der unlauter handelnden Person muss nicht unbedingt ermittelt werden (BVerwGE 99, 82, 85). Eine in manipulativer Weise erfolgte Ermittlung einer Steuerforderung kann den Schädigungstatbestand erfüllen. Zwar ist nicht in jeder Heranziehung zu einer rechtswidrig veranlagten oder festgesetzten Steuer eine als unlauter zu wertende Maßnahme zu sehen; ist aber der Rechtsverstoß eklatant, so kann er unter Berücksichtigung der konkreten Situation durchaus die Beurteilung rechtfertigen, dass damit der Zweck (mit-)verfolgt war, die Veräußerung überhaupt erst zu veranlassen. Je nach dem Ergebnis der Gesamtwürdigung aller Umstände könnte dies für die Anwendung von § 1 Abs. 3 VermG genügen (vgl. Urteil vom 29. Januar 1998 – BVerwG 7 C 60.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 136 S. 410 ≪412≫).

Vorliegend weisen Anhaltspunkte im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils auf Machtmissbrauch hin. Auslöser für den Verkauf des Unternehmens an die Deutsche Reichsbahn waren offene Steuerforderungen aus den Jahren 1950 und 1951 und für den Verkauf der Betriebsgrundstücke weitere Steuerforderungen. Das veranlagende Finanzamt … hatte die Firma im November 1952 wegen der Steuerforderungen „mit Nachdruck” (UA S. 4) zum Verkauf an die Deutsche Reichsbahn gedrängt. Vor diesem Hintergrund liegt der allgemein gehaltene Einwand des Klägers nicht fern, das Unternehmen sei überhöht besteuert worden (Schriftsatz vom 12. Januar 2000; Ähnliches schon im Schreiben vom 16. Dezember 1997 an das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen). Hierauf hatte die Beigeladene im Schriftsatz vom 3. März 2000 angeregt, einen Sachverständigen heranzuziehen, der gutachtlich zu den Fragen der Besteuerung der Unternehmen in der DDR ab 1949 bis 1953 Stellung nimmt und diese ins Verhältnis zur Steuerbehandlung der C.K. OHG setzt. Sie hatte bereits in ihrem Schriftsatz vom 30. Juni 1999 darauf hingewiesen, dass im Jahre 1952 die 2. Parteikonferenz der SED stattgefunden hatte, auf der die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus beschlossen worden sei. Damit verbunden sei die schrittweise Abschaffung des Privatkapitals bis hin zur durchgehenden Bildung von Volkseigentum gewesen. Um die gesetzen Ziele der Partei realisieren zu können, seien rechtliche Steuerungssysteme geschaffen worden. Alle Privatbetriebe hätten einer Progressivbesteuerung bis zu 95 % unterlegen. Dies habe dazu geführt, dass ein privat geführtes Unternehmen auf Dauer nicht das notwendige Kapital zu einer rentablen Produktion habe aufbringen können. Der Kläger wiederum hat mit seiner vorliegenden Beschwerde dargetan, dass Anlass für die Annahme eines eklatanten Verstoßes gegen das damals in der DDR geltende Steuerrecht besteht. Danach liegt für das Jahr 1950 eine fast 30 %ige Überhöhung und für das Jahr 1951 eine Steuerfestsetzung vor, der eine Gewinnsteigerung im Jahresvergleich um rund 95 % entsprochen haben müsste, obwohl der Umsatz um etwa 6,5 % zurückgegangen sei. Auch die Steuerforderung für 1952 war danach deutlich höher als rechtlich geboten. Der Steuerberechnung der Beschwerde sind zwar der Beklagte und die Beigeladene entgegengetreten, dies aber mehr mit allgemein gehaltenen Einwänden und weniger mit konkreten Beanstandungen einzelner Rechenoperationen. Das anhängige Beschwerdeverfahren ist nicht dazu angetan, die erhobenen und nacherhobenen Steuern auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es genügt, dass anhand der Darlegung in der Beschwerde plausibel wird, dass insofern ein Aufklärungsbedarf besteht, dem das Verwaltungsgericht nicht entsprochen hat.

Der Verfahrensrüge steht nicht entgegen, dass der Kläger erst im Beschwerdeverfahren die Steuerbeträge detailliert bestritten hat. Der Kläger war in erster Instanz anwaltlich nicht vertreten, und sein Antrag, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgelehnt, seine Klage biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Diese Entscheidung hat das Gericht getroffen, obwohl es danach in eine förmliche Beweisaufnahme eingetreten ist (zu überzogenen Anforderungen an die Erfolgsaussichten vgl. Bundesverfassungsgericht ≪2. Kammer des Ersten Senats≫, Beschluss vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 –, NJW 2000 S. 1936 ≪1937≫). Wenn dem Kläger durch Beiordnung seines Rechtsanwalts die Möglichkeit eingeräumt worden wäre, das jetzige Vorbringen bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend zu machen, hätte das Verwaltungsgericht seine Ermittlungen prozessordnungsgemäß auch auf diesen Punkt erstrecken müssen.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 13, 14 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Postier

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566759

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