Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederaufgreifen. Wiederaufgreifen eines Wiederaufgreifensverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an einen erneuten Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG.
Normenkette
VwVfG § 51
Verfahrensgang
VG Magdeburg (Urteil vom 20.09.2005; Aktenzeichen 5 A 86/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 20. September 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Nach rechtskräftiger Ablehnung seines Restitutionsantrages beantragte der Kläger das Wiederaufgreifen des Verfahrens mit der Begründung, die auf besatzungshoheitlicher Grundlage erfolgte Enteignung seines Rechtsvorgängers habe gegen ein Enteignungsverbot der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) verstoßen. Der Name seines Großvaters stehe auf einer Freigabeliste (Liste “B…”) der SMAD. Zum Nachweis hatte er beglaubigte Kopien von Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 7. September 2001 (Stellvertretender Generalstaatsanwalt Kolmogorov) und des Staatlichen Archivdienstes der Russischen Föderation vom 30. August 2001 (Stellvertretender Archivdirektor Marinin), jeweils gerichtet an den Deputierten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation Wetrov, vorgelegt, die einen derartigen Eintrag bestätigen. Auf Rückfrage des Beklagten teilte der Staatliche Archivdienst der Russischen Föderation unter dem 15. Januar 2002 mit (Leiter des Archivs Mironenko), dass das Schreiben vom 30. August 2001 nicht der Wirklichkeit entspräche und eine Fälschung darstelle; eine Liste “B…” habe das Archiv nicht zur Aufbewahrung.
Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Dezember 2002 die Wiederaufnahme des Restitutionsverfahrens ab. In dem sich hieran anschließenden Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg (Az.: 5 A 173/03 MD) nahm der Kläger die Klage am 16. Dezember 2003 zurück. Das Verwaltungsgericht hatte sich zuvor über das Auswärtige Amt an die Deutsche Botschaft in Moskau mit der Bitte gewandt, beim Föderalen Archivdienst der Russischen Föderation zu ermitteln, ob es eine Liste “B…” gebe, auf welcher der Name des Großvaters des Klägers verzeichnet sei. Die vom Kläger eingereichten Belege waren der Anfrage beigefügt. Das Außenministerium der Russischen Föderation teilte der Deutschen Botschaft mit Note vom 9. April 2004 – nach der vom Sprachendienst der Botschaft gefertigten Übersetzung – mit, dass das Schreiben des stellvertretenden Generalstaatsanwaltes der Russischen Föderation W.W. Kolmogorow vom 7. September 2001 – wie aus den der Note beigefügten Dokumenten hervorgehe – die Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten der Staatsduma der Föderalen Versammlung der Russischen Föderation sei und auf Informationen des Staatsarchivs der Russischen Föderation beruhe. Das besagte Schreiben enthalte keinerlei Erwähnung der von einem deutschen Gericht verhandelten Verwaltungssache und biete keinerlei Möglichkeit, von ihm bei dem Verwaltungsverfahren Gebrauch zu machen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. August 2004 ab.
Unter Bezugnahme auf die Note des Außenministeriums der Russischen Föderation vom 9. April 2004 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28. Mai 2004 am 2. Juni 2004 das Wiederaufgreifen des vermögensrechtlichen Restitutionsverfahrens und des (ersten) Wiederaufgreifensverfahrens mit der Begründung beantragt, der Vorwurf der Fälschung werde durch diese Note nicht bestätigt und damit widerlegt. Der Beklagte lehnte eine erneute Sachentscheidung mit Bescheid vom 17. Dezember 2004 ab. Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht unter Zurückweisung eines Beweisantrages des Klägers mit Urteil vom 20. September 2005 abgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Mit seiner umfangreich begründeten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe eines Verfahrensfehlers gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO und der grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vorliegen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ergeben zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO analog).
In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass § 144 Abs. 4 VwGO auch im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision entsprechend anwendbar ist (vgl. Beschlüsse vom 27. April 1978 – BVerwG 1 B 103.78 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 166; vom 13. Juni 1977 – BVerwG 4 B 13.77 – BVerwGE 54, 99 f.; vom 17. März 1998 – BVerwG 4 B 25.98 – Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 66 S. 27; vom 25. April 2005 – BVerwG 7 B 159.04 – und vom 24. Juni 2005 – BVerwG 8 B 100.04 – sowie Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte 1971, S. 102 f.).
Das vom Kläger begehrte Wiederaufgreifen des zu seinen Ungunsten rechtskräftig abgeschlossenen Restitutionsverfahrens richtet sich nach den revisiblen Vorschriften von § 51 VwVfG LSA (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 31 Abs. 7 VermG), auf deren Anwendung das angefochtene Urteil beruht. Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG LSA kommt eine Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes in Betracht, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
Das Verwaltungsgericht hat im vorliegenden Verfahren erneut die vom Kläger im ersten Wiederaufgreifensverfahren vorgelegten russischen Dokumente und die eidesstattliche Erklärung von Prof. Dr. S… einer inhaltlichen Überprüfung daraufhin unterzogen, ob sie als Beweismittel geeignet sind, den ursprünglichen Restitutionsantrag des Klägers zu stützen. Darauf kommt es jedoch nicht an. Das (erste) Wiederaufgreifensverfahren ist bestandskräftig abgeschlossen. Die bis zur Klagerücknahme im gerichtlichen Verfahren 5 A 173.03 MD vorgelegten Beweismittel, die für den Kläger eine günstigere Entscheidung hätten herbeiführen sollen, sind danach nicht geeignet gewesen, das vermögensrechtliche Restitutionsverfahren wiederaufzugreifen. Für das zweite Wiederaufgreifensverfahren sind sie als neue Beweismittel i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG LSA verbraucht. Ohne Klagerücknahme hätten sie streitentscheidend in die gerichtliche Überprüfung des (ersten) ablehnenden Bescheides über das Wiederaufgreifen vom 16. Dezember 2002 einbezogen werden können. Nach § 51 Abs. 2 VwVfG LSA ist die Geltendmachung von Wiederaufgreifensgründen unzulässig, die in einem früheren Verfahren hätten vorgetragen werden können. Zu dem “früheren Verfahren” zählt das gesamte Verfahren einschließlich einer gerichtlichen Überprüfung bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 51 Rn. 131 m.w.N.).
Mit dem zweiten Wiederaufgreifensantrag kann zudem nur das Wiederaufgreifen des ersten Wiederaufgreifensverfahrens erreicht werden, und dafür können hier nur die Beweismittel in Betracht kommen, von deren Existenz der Kläger erst nach seiner Klagerücknahme Kenntnis erlangt hat. Das kann nur die Note des Außenministeriums der Russischen Föderation vom 9. April 2004 sein. Dieses Dokument hätte jedoch keine günstigere Entscheidung für den Kläger im ersten Wiederaufgreifensverfahren herbeigeführt, wenn es bis zur Klagerücknahme vorgelegen hätte.
Das erste Wiederaufgreifensverfahren ist deshalb zu Ungunsten des Klägers ausgefallen, weil nach dem Bescheid des Beklagten vom 16. Dezember 2002 durch die Mitteilung des Staatlichen Archivdienstes der Russischen Föderation vom 15. Januar 2002 bewiesen ist, dass der in dem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 7. September 2001 und des Staatlichen Archivdienstes der Russischen Föderation vom 30. August 2001 beurkundete Vorgang unrichtig ist. An dieser Einschätzung hätte die Kenntnis des Inhalts der Note des Außenministeriums der Russischen Föderation vom 9. April 2004 nichts geändert. Ein (neues) Beweismittel muss derart beschaffen sein, dass es im Rahmen der den bestandskräftigen Bescheid tragenden Rechtsauffassung die Richtigkeit der tatsächlichen Entscheidungsgrundlage erschüttert. Es darf sich also nicht in einer neuen Bewertung bekannter Tatsachen erschöpfen. Es muss darauf zielen, dass die Behörde im früheren Verfahren von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und in Kenntnis des richtigen Sachverhalts zugunsten des Betroffenen entschieden hätte. Die Eignung des neuen Beweismittels für eine günstigere Entscheidung ist vom Antragsteller schlüssig darzulegen. Ein Schlüssigkeitsmangel führt zur Abweisung der Klage (Urteile vom 21. April 1982 – BVerwG 8 C 75.80 – Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 11 und vom 2. August 2001 – BVerwG 7 C 26.00 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 18). So liegt der Fall hier.
Der Beklagte hat in seinem streitgegenständlichen Bescheid vom 17. Dezember 2004 zutreffend ausgeführt, dass die diplomatische Note lediglich Auskunft darüber gebe, dass das Schreiben des stellvertretenden Generalstaatsanwaltes der Russischen Föderation vom 7. September 2001 die Antwort auf eine Anfrage eines Abgeordneten der Staatsduma sei und auf Informationen des Staatsarchivs der Russischen Föderation beruhe. Dieser Informationsgehalt stelle inhaltlich nichts Neues dar, sondern wiederhole lediglich das, was sich aus den seitens des Klägers ursprünglich im Rahmen des Verfahrens nach § 51 VwVfG LSA vorgelegten “neuen” Beweismitteln ohnehin ergäbe. Auf diesen Umstand komme es aber nicht an. Denn es gehe vorliegend nicht darum, ob das Dokument der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation oder des Staatlichen Archivdienstes der Russischen Föderation eine Fälschung darstelle, sondern ob die abgegebenen Erklärungen inhaltlich richtig, also wahr seien. Über diese maßgebliche Frage – so der Bescheid – enthalte die diplomatische Note aber gerade keine Information.
Wenn der Kläger hierzu meint, der Vorwurf der Fälschung werde durch die Note nicht bestätigt und damit widerlegt, zieht er eine Schlussfolgerung, für die die Note nichts hergibt. Sie erschöpft sich in der Beweisbekräftigung für die Abgabe der beurkundeten Erklärung dergestalt, dass sie die Urheberschaft der in der Urkunde enthaltenen Erklärung feststellt, nicht aber deren inhaltliche Richtigkeit bestätigt. Ein statthafter Schluss von der äußeren auf die innere Beweiskraft drängt sich auch nicht deswegen auf, weil die diplomatische Note auf eine Anfrage hin erging, die auf die Wahrhaftigkeit der fraglichen Dokumente zielte. Gerade der Umstand, dass keine klare Aussage erfolgte, macht deutlich, dass eine inhaltliche Bewertung vermieden sein soll. Dafür spricht, dass – der Note zufolge – die beurkundete Erklärung nicht für eine Verwendung in einem Verwaltungsverfahren gedacht war. Doch selbst wenn, wie der Kläger vermutet (Schriftsatz vom 9. Juni 2005), nur “diplomatische Probleme” nicht erzeugt werden sollten, bleibt als Erkenntnis, dass die Note den Vorwurf der Falschbeurkundung nicht schlüssig widerlegt. Das Verwaltungsgericht brauchte unter diesen Umständen in die vom Kläger beantragte Beweisaufnahme nicht einzutreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47, 52 GKG.
Unterschriften
Gödel, Dr. von Heimburg, Postier
Fundstellen