Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.06.2002; Aktenzeichen 8 C 10506/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zu einem Viertel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragsteller wenden sich in einem (zweiten) Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan, den die Antragsgegnerin nach Durchführung des ergänzenden Verfahrens (§ 215a BauGB) erneut bekannt gemacht hat.
Mit Urteil vom 9. Januar 2002 (8 C 10659/01.OVG) hatte das Normenkontrollgericht den am 11. Januar 2001 als Satzung beschlossenen Bebauungsplan “Am Bahnhof” der Antragsgegnerin auf Antrag der Antragsteller wegen eines Abwägungsfehlers für unwirksam erklärt und den weitergehenden, auf Feststellung der Nichtigkeit gerichteten Antrag, mit dem die Antragsteller auch andere formelle und materielle Mängel gerügt hatten, abgelehnt. Am 14. März 2002 beschloss die Antragsgegnerin den Bebauungsplan erneut als Satzung. Den neuerlichen Normenkontrollantrag, mit dem die Antragsteller beantragt haben, den Bebauungsplan für unwirksam zu erklären, hat das Normenkontrollgericht mit Urteil vom 3. Juni 2002 abgelehnt, weil der umstrittene Bebauungsplan nunmehr in formeller und materieller Hinsicht der Überprüfung standhalte. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wenden sich die Antragsteller.
Entscheidungsgründe
II.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen einer Divergenz zu einer anderen gerichtlichen Entscheidung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass das Normenkontrollgericht die Ausführungen in seiner ersten Normenkontrollentscheidung, mit denen es die weiteren Angriffe der Antragsteller gegen die Gültigkeit des Bebauungsplans zurückgewiesen hat, durch stillschweigende Bezugnahme wiederholt hat, und unterstellt, dass sich die Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde gegen diese Ausführungen noch zur Wehr setzen können, obwohl sie die teilweise Ablehnung ihres (ersten) Normenkontrollantrags nicht mit Rechtsmitteln angegriffen haben.
- Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage, ob nur dann eine Pflicht zur Auslegung eines im Bebauungsplanverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens besteht, sofern bestimmte Einwendungsberechtigte ihre Betroffenheit durch die Planungsabsicht anders nicht hinreichend erkennen können, führt nicht zur Zulassung der Revision. Es ist schon sehr zweifelhaft, ob die Beschwerde hinsichtlich dieser Frage ihrer Darlegungslast aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt; denn sie führt nicht aus, weshalb nach ihrer Rechtsauffassung eine Pflicht zur Auslegung des eingeholten Sachverständigengutachtens bestehen könnte. Die Frage ist aber jedenfalls nicht klärungsbedürftig. Nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB sind der Planentwurf und die Begründung hierzu auszulegen. Ob darüber hinaus ausnahmsweise weitere Unterlagen wie beispielsweise ein eingeholtes Gutachten auszulegen sind, wenn bestimmte Bürger anders ihre Betroffenheit durch die Planungsabsicht der Gemeinde nicht hinreichend erkennen können, wie das Normenkontrollgericht im Anschluss an das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. November 2000 – 10a D 129/97.NE – (BRS 63 Nr. 29) meint, kann offen bleiben. Denn ein derartiger Fall ist nach der für das Beschwerdegericht maßgebenden tatrichterlichen Würdigung der Vorinstanz eindeutig nicht gegeben. Für eine Auslegung weiterer Unterlagen in anderen Fällen ist eine Notwendigkeit – auch nach dem Vortrag der Beschwerde – nicht erkennbar. Soweit der ausgelegte Planentwurf und die ausgelegte Begründung über Inhalt und Zweck der beabsichtigten Planung nicht hinreichend informieren, kann der betroffene Bürger weitere Auskunft von der Gemeinde, nicht aber die öffentliche Auslegung weiterer Unterlagen verlangen (vgl. dazu auch § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, letzter Halbsatz, und Satz 2 BauGB).
- Die Frage, ob sich eine umfassende Flächenarrondierung und somit günstige Neuordnung der Eigentumsverhältnisse innerhalb eines im Bebauungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesenen Bereichs aller Voraussicht nach nicht verwirklichen lässt, sofern dies dem Grundsatz entgegensteht, dass bei der Verteilung der Flächen (nur) in gleicher oder gleichwertiger Lage Grundstücke abzufinden sind, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Mit ihr will die Beschwerde erreichen, dass in einem Revisionsverfahren die Wechselwirkung zwischen Bauleitplanung und Umlegung konkretisiert wird. Dies wäre jedoch in einem künftigen Revisionsverfahren nicht möglich. Denn nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts lässt sich das von den Antragstellern gewünschte Ziel einer für sie günstigen Neuordnung der Eigentumsverhältnisse innerhalb des als Gewerbegebiet ausgewiesenen Bereichs aller Voraussicht nach wegen der besonderen Situation und Qualität der betroffenen Grundflächen und damit aus städtebaulichen Gründen nicht verwirklichen.
Die Fragen,
- ob § 1 Abs. 6 BauGB es gebietet, einen bestimmten Ausgleich für wegfallende Lagerflächen eines Gewerbebetriebes rechtsverbindlich zu sichern, sofern dies betrieblich erforderlich ist,
- ob ein Anspruch auf Erweiterung des Bebauungsplangebiets auf die einem Gewerbebetrieb gehörende, von diesem dringend benötigte Lagerflächen besteht, und
- ob es abwägungsfehlerhaft ist, die Lagerfläche von dem Gewerbebetrieb zu trennen,
rechtfertigen die Zulassung der Revision gleichfalls nicht, weil ihre Beantwortung in erster Linie von den besonderen Umständen des jeweiligen Falles abhängt. Im Übrigen lassen sie sich mit der Entscheidung des Senats vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215 ≪219≫) unschwer im Sinne des vorinstanzlichen Urteils beantworten: Nicht abwägungserheblich und erst recht nicht anspruchsbegründend sind Interessen, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht. So liegt es hier, da der Lagerplatz nach dem vorinstanzlichen Befund in formeller und materieller Hinsicht dem Baurecht widerspricht. Dieser Befund lässt sich nicht mit der als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Frage erschüttern, ob eine formell und materiell rechtswidrige bauliche Nutzung vorliegt, wenn ein ehemals im Eigentum der Bundesbahn stehender Güterbahnhof nebst Umschlagplatz von einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Umschlagplatz, Lagerfläche sowie Anfahrts- und Wartebereich für Transportfahrzeuge fortgenutzt wird. Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB, die nicht mehr dem Fachplanungsvorbehalt des § 38 BauGB unterfallen – wie entwidmete Bahnanlagen –, unterliegen dem allgemeinen Baurecht (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111 ≪119≫; Roeser in: Berliner Kommentar zum BauGB, hrsg. von Otto Schlichter und Rudolf Stich, 2. Aufl., § 38 Rn. 16). Sie sind formell illegal, wenn die nach Landesrecht notwendige Baugenehmigung fehlt, und materiell illegal, wenn sie nicht genehmigungsfähig sind. All dies ist juristisches Allgemeingut und braucht nicht einer erneuten Prüfung in einem Revisionsverfahren unterzogen zu werden. Die Feststellungen des Normenkontrollgerichts, dass den Antragstellern eine Baugenehmigung für den Lagerplatz niemals erteilt worden ist und auch nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die Lagerfläche wegen ihrer exponierten Lage das – wenn auch vorbelastete – Landschaftsbild verunstaltet sowie eine unerwünschte Erweiterung der schon vorhandenen Splittersiedlung befürchten lässt und daher öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 2 und 3 BauGB), sind das Ergebnis einer einzelfallbezogenen tatrichterlichen Würdigung.
- Die von der Beschwerde ferner aufgeworfene Frage, ob eine Gemeinde von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan Abstand nehmen und die Konfliktlösung dem Baugenehmigungsverfahren überlassen darf, bedarf keiner grundsätzlichen Klärung mehr, weil sie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur Beschluss vom 21. Februar 2000 – BVerwG 4 BN 43.99 – BRS 63 Nr. 224) unter der Voraussetzung bejaht, dass die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt oder zu erwarten ist. Das Normenkontrollgericht hat diese Voraussetzung als erfüllt angesehen, weil die Immissionsbelastung von Wohnhäusern in dem als Mischgebiet ausgewiesenen Bereich erforderlichenfalls im Wege – den Bauherrn wegen der Vorbelastung durch die Existenz des Landhandelsbetriebs der Antragsteller zumutbarer – architektonischer Selbsthilfe (Ausrichtung der Aufenthaltsräume zu der vom Gewerbebetrieb abgewandten Seite hin) reduziert werden könne. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich insoweit nicht. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass das Maß der Schutzbedürftigkeit außer von der Vorbelastung (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1976 – BVerwG 4 C 80.74 – BVerwGE 51, 15 ff.) auch davon abhängen kann, ob der Nachbar ohne größeren Aufwand im Rahmen des Ortsüblichen und Sozialadäquaten zumutbare Abschirmmaßnahmen ergreifen kann (BVerwG, Beschluss vom 17. März 1999 – BVerwG 4 B 14.99 – BRS 62 Nr. 87). Ob und in welchem Umfang Abschirmmaßnahmen möglich und im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn zumutbar sind, ist Teil der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall.
- Schließlich vermag die sich den Antragstellern offenbar erst im Beschwerdeverfahren als problematisch erkannte Frage, ob eine öffentliche Verkehrsfläche in die Grundstücke eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs hineingeplant werden darf, auch wenn hierdurch die betrieblichen Belange erheblich gestört werden, die Zulassung der Revision nicht auszulösen. Feststellungen dahingehend, dass der Wendehammer das Betriebsgelände der Antragsteller durchschneidet, hat das Normenkontrollgericht nicht getroffen. Deshalb kann nicht gesagt werden, ob sich die von der Beschwerde angesprochene Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen wird. Eine Rechtssache hat aber grundsätzliche Bedeutung nur, wenn zu erwarten ist, dass die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 1992 – BVerwG 5 B 99.92 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 309). Diese Voraussetzung ist nach dem Sachverhalt, den das Normenkontrollgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, offen.
- Die Rüge, die angefochtene Entscheidung weiche von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 1974 – BVerwG 4 C 50.72 – (BVerwGE 45, 309) und 1. November 1974 – BVerwG 4 C 38.71 – (BVerwGE 47, 144) sowie der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 8. November 2001 – 5 S 1218/99 – BauR 2002, 1209 ab, ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechtssatz eines anderen Gerichts in Widerspruch tritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712). Der Tatbestand der Divergenz muss in der Beschwerdebegründung nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Gerichts, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Darlegung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze bezeichnet werden. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet keinen Rechtssatz aus dem vorinstanzlichen Urteil heraus, der von einem Rechtssatz aus den genannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Soweit die Beschwerde auch eine Divergenz zu dem genannten Urteil des VGH Baden-Württemberg geltend macht, übersieht sie, dass eine Abweichung von einer Entscheidung eines Oberverwaltungsgerichts keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darstellt.
- Die Verfahrensrüge der Beschwerde, das Normenkontrollgericht hätte durch ein Sachverständigengutachten klären lassen müssen, ob die durch den Bebauungsplan zugelassene Wohnbebauung unzumutbaren Immissionen durch den Betrieb der Antragsteller ausgesetzt werde, greift nicht durch. Diese Frage war für das Normenkontrollgericht nicht entscheidungserheblich, weil nach seiner Auffassung die von der Beschwerde befürchteten Konflikte auf der Stufe der Planverwirklichung, d.h. im Baugenehmigungsverfahren, gelöst werden können. Die verfahrensrechtliche Aufklärungspflicht (§ 86 VwGO) gebietet dem Tatrichter nur, solche Umstände aufzuklären, auf die es nach seiner eigenen inhaltlichen Rechtsauffassung, die er seinem Urteil zugrunde legt, ankommt; ob diese Auffassung zutrifft, ist keine Frage der Aufklärungspflicht, sondern des anzuwendenden inhaltlichen Rechts (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts; u.a. Urteil vom 14. Januar 1998 – BVerwG 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 ≪119≫; Beschluss vom 2. Juli 1998 – BVerwG 11 B 30.97 – Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Gatz
Fundstellen