Leitsatz (amtlich)
Die mündliche Verhandlung im Disziplinarklageverfahren setzt die Anwesenheit des beklagten Beamten nur voraus, wenn sein persönliches Erscheinen angeordnet worden ist.
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 07.10.2022; Aktenzeichen 12 A 21/21.D) |
VG Dresden (Entscheidung vom 24.11.2020; Aktenzeichen 10 K 1403/19.D) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.
Rz. 2
1. Der Beklagte steht als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) im Dienst der Klägerin. Ab 2011 konsumierte er Crystal und Marihuana und war seit Frühjahr 2013 von Crystal abhängig. Nach erfolgreicher Drogentherapie lebt der Beklagte seit Ende 2015 frei von illegalen Drogen. Im Oktober 2014 leitete die Klägerin gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs ein, im Zeitraum vom März 2013 bis Ende Oktober 2014 in zahlreichen Fällen Betäubungsmittel unerlaubt erworben, eingeführt und besessen zu haben. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten Mitte November 2015 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in 30 Fällen sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Anschließend setzte die Klägerin das Disziplinarverfahren fort, enthob den Beklagten vorläufig des Dienstes und behielt einen Teil der monatlichen Dienstbezüge ein. Ende August 2017 verurteilte das Amtsgericht den Beklagten wegen falscher Verdächtigung unter Einbeziehung der zuvor verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Rz. 3
Die Klägerin hat anschließend Disziplinarklage erhoben und zur Begründung auf die den rechtskräftigen Strafurteilen zugrundeliegenden Sachverhalte verwiesen; zusätzlich hat sie dem Beklagten vorgeworfen, durch den Konsum der Betäubungsmittel gegen die ihm obliegende Gesunderhaltungspflicht verstoßen zu haben. Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht die Handlungen in Bezug auf die falsche Verdächtigung aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden und den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. In der Berufungsverhandlung hat das Oberverwaltungsgericht auch den Vorwurf der Verletzung der Gesunderhaltungspflicht aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe ein schweres außerdienstliches Dienstvergehen begangen und deshalb das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren.
Rz. 4
2. Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz (a) und des Verfahrensfehlers (b) gestützte Beschwerde des Beklagten (§ 69 BDG und § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO) ist unbegründet.
Rz. 5
a) Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 69 BDG und § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
Rz. 6
Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 m. w. N.).
Rz. 7
Nach diesen Grundsätzen ist eine Divergenz in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Zum einen geht es nicht um die Anwendung derselben - oder nahezu gleichlautenden - Rechtsvorschrift. Im angegriffenen Berufungsurteil bemisst sich die Disziplinarmaßnahme nach § 13 BDG, während für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Januar 2017 - 2 WD 12.16 - (Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 52), von dem das Berufungsgericht nach dem Vorbringen des Beklagten abgewichen sein soll, § 38 WDO (i. V. m. § 58 Abs. 7 WDO) maßgeblich ist. § 38 WDO ist aber nicht vollständig mit der Vorschrift des § 13 BDG vergleichbar, die die Grundsätze für die gegen einen Beamten zu verhängende Maßnahme festlegt.
Rz. 8
Zum anderen hat die Beschwerde die tragenden rechtlichen Erwägungen des Berufungsurteils nicht erfasst. Das Oberverwaltungsgericht ist entgegen der Beschwerdebegründung nicht rechtssatzmäßig davon ausgegangen, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die einzig mögliche Maßnahme darstellt. Vielmehr hat es dargelegt, dass unter Berücksichtigung sämtlicher Vorgaben des § 13 BDG die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Disziplinarmaßnahme darstellt, weil der Beklagte wegen der schuldhaften Verletzung ihm obliegender Pflichten das für die Ausübung seines Amtes erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat.
Rz. 9
b) Das Berufungsurteil leidet auch nicht an dem vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensverstoß (§ 69 BDG und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat nicht dadurch das Recht des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, dass es seinen Antrag auf Verlegung der Berufungsverhandlung abgelehnt hat. Der Beklagte ist dadurch nicht gehindert gewesen, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und tatsächliche oder rechtliche Argumente vorzutragen.
Rz. 10
Nach § 173 Satz 1 VwGO und § 227 ZPO kann eine mündliche Verhandlung aus erheblichen Gründen verlegt oder vertagt werden. Erhebliche Gründe i. S. d. § 227 ZPO sind nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes (§ 3 BDG i. V. m. § 87 Abs. 1 und § 87b VwGO) erfordern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 1995 - 9 B 1.95 - Buchholz 303 § 227 ZPO Nr. 21 S. 1 f.). Solche Umstände sind im Schriftsatz des Bevollmächtigten des Beklagten vom 5. Oktober 2022 unter Verweis auf die für den Zeitraum vom 5. bis zum 10. Oktober 2022 geltende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht dargelegt. § 3 BDG und § 102 Abs. 2 VwGO gestatten die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts trotz Abwesenheit eines Beteiligten, wenn in der Ladung, wie hier, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Das persönliche Erscheinen des Beklagten hatte das Oberverwaltungsgericht nicht angeordnet. Im Termin war der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten.
Rz. 11
Anders als in einigen anderen verwaltungsrechtlichen Rechtsgebieten (z. B. Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer: BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1989 - 6 C 66.86 - BVerwGE 81, 229) kommt es für die Entscheidung über eine Disziplinarklage nicht entscheidend auf die Bekundungen des beklagten Beamten zu dem ihm vorgeworfenen Dienstvergehen und den von ihm in einer gerichtlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck an. Dementsprechend wird regelmäßig auch nicht das persönliche Erscheinen des betroffenen Beamten angeordnet. Vielmehr kann der Beamte zu sämtlichen Aspekten des gerichtlichen Disziplinarverfahrens durch entsprechende schriftliche und mündliche Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten Stellung nehmen, durch den er sich im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht vertreten lassen muss (§ 3 BDG und § 67 Abs. 4 VwGO).
Rz. 12
Die Rechtslage im Disziplinarklageverfahren unterscheidet sich auch von den für den Strafprozess geltenden Regelungen. § 230 Abs. 1 StPO bestimmt für das Strafverfahren, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet. Diese Vorschrift gewährt dem Angeklagten im Strafverfahren nicht nur rechtliches Gehör, sondern soll ihm auch die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung sichern. Zugleich gewährleistet sie aber, dass der Tatrichter im Interesse der Ermittlung der Wahrheit einen unmittelbaren Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen gewinnen kann. Dieser unmittelbare Eindruck vom Angeklagten versetzt ihn in die Lage, die konkrete Strafe zuzumessen und zu verantworten (BVerfG, Beschlüsse vom 9. März 1983 - 2 BvR 315/83 - BVerfGE 63, 332 ≪337 f.≫ und vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1447/05 - BVerfGE 118, 212 ≪233≫). Eine dem § 230 StPO entsprechende Vorschrift sieht das Bundesdisziplinargesetz aber nicht vor. Die Vorschrift des § 230 StPO galt bereits nicht für das Disziplinarverfahren nach Maßgabe der Bundesdisziplinarordnung (vom 20. Juli 1967, BGBl. I S. 750, zuletzt geändert mit Gesetz vom 9. Juli 2001, BGBl. I S. 1510 - BDO), obwohl dieses Verfahren durch Verweisungen auf die Strafprozessordnung geprägt war (§ 25 Satz 1 BDO). Denn die Anwendung des § 230 StPO war durch die spezielle Vorschrift des § 72 Abs. 1 Satz 1 BDO ausgeschlossen. Danach hatte die Hauptverhandlung auch dann stattzufinden, wenn der Beamte nicht erschienen war (BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2001 - 1 D 22.00 - juris Rn. 10).
Rz. 13
Dass der Verweis auf privatärztlich bescheinigte Reise- und Verhandlungsunfähigkeit eines Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nach § 173 Satz 1 VwGO und § 227 ZPO nach Maßgabe der nunmehr geltenden Vorschriften grundsätzlich nicht zur Verlegung des Termins aus erheblichen Gründen führt, zeigt sich auch daran, dass der Gesetzgeber die hierfür maßgeblichen speziellen Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung nicht in das Bundesdisziplinargesetz übernommen hat. § 72 Abs. 2 BDO bestimmte, dass das Verfahren bis zur Dauer von vier Wochen ausgesetzt werden konnte, wenn der Beamte vorübergehend verhandlungsunfähig war. War der Beamte aus zwingenden Gründen am Erscheinen verhindert und hatte er dies rechtzeitig dem Gericht mitgeteilt, hatte dieses einen neuen Termin zur Hauptverhandlung anzusetzen. Zu diesen zwingenden Gründen zählte insbesondere die krankheitsbedingte Verhinderung des betroffenen Beamten (vgl. z. B. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl. 1994, § 72 Anm. 3; Behnke, Bundesdisziplinarordnung, 2. Aufl. 1969, § 72 Anm. 5). Im Gegensatz zu dieser Regelung hat sich der Gesetzgeber beim Erlass des Bundesdisziplinargesetzes durch die Anlehnung des Disziplinarverfahrens an das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung in Gestalt des § 3 BDG für die entsprechende Geltung des § 102 Abs. 2 VwGO entschieden.
Rz. 14
Der Anspruch des betroffenen Beamten auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann im Rahmen des § 173 Satz 1 VwGO und § 227 ZPO zu einer Verlegung der Verhandlung führen, wenn der Beamte glaubhaft macht, dass dem Gericht eine dem § 13 BDG entsprechende Bemessungsentscheidung nur dann möglich ist, wenn dieses ihn in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört und einen unmittelbaren Eindruck von seiner Person gewonnen hat. Anhaltspunkte für eine solche Konstellation werden im Antrag des Bevollmächtigten des Beklagten vom 5. Oktober 2022 jedoch nicht dargelegt.
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil die Gerichtsgebühren streitwertunabhängig festgelegt sind (§ 78 Satz 1 BDG i. V. m. Nr. 62 der Anlage zu § 78 BDG).
Fundstellen
NVwZ-RR 2024, 296 |
NVwZ-RR 2024, 5 |
DÖV 2024, 347 |
JZ 2024, 113 |
JZ 2024, 120 |
LKV 2024, 71 |
VR 2024, 180 |