Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenhausplan. Bedarf. Bedarfsanalyse. Bedarfsgerechtigkeit. Bedarfsprognose. länderübergreifender Bedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Der Krankenhausplan kann die Aufgabe, die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausbetten zu gewährleisten (§§ 1, 6 KHG), nur erfüllen, wenn ihm eine Bedarfsprognose zugrunde liegt (wie u.a. Urteil vom 25. Juli 1985 – BVerwG 3 C 25.84 – BVerwGE 72, 38 ≪47≫).
2. Es ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Bedarfsprognose auf der Entwicklung der Bettenbelegung eines Krankenhauses in der Vergangenheit aufbaut („Trendextrapolation”).
3. Nimmt die Bevölkerung eines Landes nachhaltig in erheblichem Umfang die Krankenhausleistungen eines anderen Landes in Anspruch, so verringert sich der im Wohnsitzland zu versorgende Bedarf (wie u.a. Urteil vom 27. Juli 1985 – BVerwG 3 C 25.84 – a.a.O.).
Normenkette
KHG §§ 1, 6
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 43 290 DM festgesetzt.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen zwei Bescheide, durch die die Zahl der in den Niedersächsischen Krankenhausplan aufgenommenen Betten des von ihm betriebenen Krankenhauses vom 1. Januar 1994 an von 212 auf 205 und vom 1. Januar 1996 an auf 197 reduziert worden ist. Die Vorinstanzen haben die angefochtenen Bescheide wegen der über Jahre hinweg unterdurchschnittlichen Belegung des Krankenhauses als rechtmäßig angesehen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr vom Kläger beigelegte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen sind, soweit sie entscheidungserheblich sind, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
1.1 Die Beschwerde sieht in erster Linie die Frage als klärungsbedürftig an, ob die niedersächsische Form der Bedarfsanalyse, die das Teilelement der Prognosepflicht ausschalte, bundesrechtlich haltbar sei. Dazu ist zunächst festzuhalten, daß in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Notwendigkeit einer Bedarfsprognose bei der Erstellung des Krankenhausplans bereits eindeutig anerkannt ist. In seinen Urteilen vom 25. Juli 1985 – BVerwG 3 C 25.84 – (BVerwGE 72, 38 ≪47≫) und vom 14. November 1985 – BVerwG 3 C 41.84 – (Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 8 S. 73) hat der Senat ausgeführt, die Bedarfsanalyse als Beschreibung des zu versorgenden Bedarfs der Bevölkerung an Krankenhausbetten umfasse die als notwendig anzusehende Beschreibung des gegenwärtig zu versorgenden Bedarfs sowie eine ebenfalls notwendige Bedarfsprognose. Dieser Sicht ist auch das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 12. Juni 1990 – 1 BvR 355/86 – (BVerfGE 82, 209 ≪225≫) gefolgt. Danach erfordert der Begriff der Bedarfsgerechtigkeit die Ermittlung des gegenwärtigen und des zukünftigen Bedarfs an Krankenhausleistungen. Dies entspricht unzweifelhaft nach wie vor den maßgeblichen bundesrechtlichen Vorgaben. Nach § 6 Abs. 1 KHG stellen die Länder Krankenhauspläne „zur Verwirklichung der in § 1 genannten Ziele” auf. Nach § 1 Abs. 1 KHG gehört es zu den Zielen der gesetzlichen Regelung, „eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhäusern zu gewährleisten”. Ohne eine vorausschauende Beurteilung des zu erwartenden künftigen Bedarfs ist die Gewährleistung der bedarfsgerechten Versorgung nicht möglich. Die vom Beklagten vertretene Auffassung, die der Krankenhausplanung zugrunde zu legende Bedarfsanalyse umfasse nicht notwendig eine Bedarfsprognose, ist daher bundesrechtlich nicht haltbar.
Hiervon geht auch das Berufungsgericht aus, denn es mißt die angefochtenen Bescheide ausdrücklich an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einschließlich des darin geforderten prognostischen Elements der Bedarfsanalyse. Es sieht dieses Element verwirklicht in der vom Beklagten angewendeten Methode der „Trendextrapolation”, bei der aus der Bettenbelegung der letzten drei Jahre auf den künftigen Bettenbedarf am jeweiligen Krankenhausstandort geschlossen wird. Die Beschwerde meint, der Sache nach handele es sich dabei um eine rein retrospektive Entscheidung, die wesentliche und in den meisten anderen Bundesländern berücksichtigte Kriterien wie die allgemeine Bevölkerungsentwicklung und die disziplin- und altersspezifische Krankenhaushäufigkeit rechtswidrig ausblende. Auch damit wird jedoch ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.
Es ist höchstrichterlich geklärt, daß der Benutzungsgrad eines Krankenhauses ein wichtiges Indiz für dessen Bedarfsgerechtigkeit ist (vgl. Urteil des Senats vom 14. November 1985 – BVerwG 3 C 41.94 – Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 8 S. 83; BVerfG, Beschluß vom 12. Juni 1990, a.a.O. S. 226). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beschränkt sich der Beklagte bei seiner Planung nicht darauf, diesen Belegungsgrad statistisch festzustellen. Er unterwirft die für die Vergangenheit erhobenen Zahlen vielmehr einer wertenden Beurteilung im Sinne einer Trendanalyse und vergleicht diese mit der Sollvorgabe einer 85 %igen Belegung, die der Krankenhausplan allgemein zugrunde legt. Der Beklagte trifft hiernach eine prognostische Entscheidung auf der Grundlage eines bundesrechtlich legitimierten Kriteriums.
Ob und welche weiteren Kriterien in die der Krankenhausplanung zugrundeliegende Prognose einfließen können, bedarf aus Anlaß des vorliegenden Verfahrens keiner Entscheidung. Bundesrechtswidrig ist eine solche Planung jedenfalls nur dann, wenn sie Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art berücksichtigt, die für den künftigen Bedarf keine Rolle spielen können, oder umgekehrt wesentliche Gesichtspunkte außer Acht läßt, die den Bedarf beeinflussen, ohne in der „Trendextrapolation” schon hinreichend zur Geltung zu kommen.
Als konkreten Grund, der die Richtigkeit der den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Trendextrapolation in Frage stellen könnte, benennt die Beschwerde allein die Erwartung einer höheren Auslastung nach Abschluß der Sanierungsarbeiten im Jahre 1998. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht diesem Gesichtspunkt die Entscheidungsrelevanz abgesprochen hat, wirft aus bundesrechtlicher Sicht keine Fragen auf. Das Gericht stellt zum einen fest, daß die Wahrscheinlichkeit einer Trendumkehr aufgrund der durchgeführten Sanierung äußerst gering sei, weil alles dafür spreche, daß andere Gründe für die nachhaltige Unterbelegung des klägerischen Krankenhauses verantwortlich seien. Zum anderen bestünde im Rahmen der jährlichen Fortschreibung des Krankenhausplans hinreichende Gelegenheit, einer etwa doch eintretenden Trendumkehr durch eine Erhöhung der Bettenzahl Rechnung zu tragen. Diese Einschätzung ist um so weniger zu beanstanden, da der Belegungsgrad des klägerischen Krankenhauses zeitweise auf unter 70 % gefallen war und die Reduzierung der Planbetten durch die angefochtenen Bescheide der signifikanten Unterbelegung nur sehr zurückhaltend Rechnung trug.
1.2 Die Beschwerde sieht als klärungsbedürftig weiter die Frage an, „was unter Bedarf zu verstehen ist”. Sie konkretisiert diese Frage dahin, es müsse geklärt werden, auf welchen Raum sich jeweils die Bedarfsanalyse zu beziehen habe. Diese Frage rechtfertigt aber schon deshalb nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, weil sie in der Rechtsprechung des Senats eindeutig beantwortet ist. Im Urteil vom 18. Dezember 1986 – BVerwG 3 C 67.85 – (Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 11 S. 107 f.) ist mehrfach ausgeführt, daß der Beurteilung der Bedarfsgerechtigkeit der Bettenbedarf im Einzugsbereich des Krankenhauses zugrunde zu legen ist.
In der Sache wendet sich die Beschwerde dagegen, daß das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Beklagten die starke Inanspruchnahme von Krankenhäusern im benachbarten Stadtstaat Bremen durch die Bewohner des klagenden Kreises als bedarfsmindernd in Ansatz gebracht hat. Sie meint, diese Patienten müßten wegen ihres Wohnsitzes im Lande Niedersachsen als dort zu versorgender Bedarf angesehen werden. Auch insoweit besteht jedoch kein Klärungsbedarf, da die Frage höchstrichterlich im entgegengesetzten Sinne entschieden ist.
In seinen Urteilen vom 25. Juli 1985 (a.a.O. S. 47 f.) und vom 14. November 1985 (a.a.O.) hat der Senat ausgeführt, die Planung habe sich zu orientieren an dem „tatsächlich zu versorgenden Bedarf”. Dabei ist eindeutig klargestellt worden, daß Bewohner eines Bundeslandes, die zum Zwecke der Krankenhausbehandlung regelmäßig die Leistungen eines anderen Landes in Anspruch nehmen, nicht zu dem im Wohnsitzland zu versorgenden Bedarf gehören. Gerade in dem hier interessierenden Kontext heißt es, das durch die Bewohner des Nachbarlandes in Anspruch genommene Bundesland könne Maßnahmen ergreifen, die zu einer Abwanderung des betreffenden Patientenanteils führten; nur soweit solche Maßnahmen eingeleitet seien, könnten ihre voraussichtlichen Auswirkungen berücksichtigt werden.
Soweit die Beschwerde die Richtigkeit dieser Rechtsprechung in Frage stellt, besteht kein Anlaß zu einer grundsätzlichen Überprüfung. Wie das Berufungsgericht zu Recht festgestellt hat, läßt der Sinn und Zweck des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, das Krankenhauswesen wirtschaftlich zu gestalten und eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, eine andere Auslegung nicht zu. Es widerspräche dieser Zielsetzung, Krankenhausbetten über Jahre öffentlich zu fördern, obwohl sie leerstehen, weil die potentiellen Patienten das möglicherweise differenziertere Angebot der benachbarten Großstadt vorziehen. Die Autonomie der kommunalen Gebietskörperschaft verleiht keinen Rechtsanspruch darauf, die dort wohnenden Patienten ausschließlich in dort gelegenen Krankenhäusern zu behandeln (vgl. auch BVerfG, Beschluß vom 7. Februar 1991 – 2 BvL 24.84 – BVerfGE 83, 363 ≪386 f.≫).
2. Auch die Divergenzrüge geht fehl. Das angefochtene Urteil steht nicht im Widerspruch zum Urteil des Senats vom 14. November 1985 (– BVerwG 3 C 41.84 – a.a.O. S. 74). Dort ist ausgeführt, die Länder dürften nicht durch eine gezielte Minderversorgung Teile ihrer Bevölkerung zwingen, die Krankenhausleistungen anderer Bundesländer in Anspruch zu nehmen. Dem widerspricht das angefochtene Urteil nicht. Es stellt ausdrücklich fest, im klagenden Landkreis sei eine bewußte Minderversorgung durch den Beklagten nicht festzustellen. In Wahrheit verlangt der Kläger aufgrund eines mißverstandenen Territorialprinzips, für seine Wohnbevölkerung öffentlich geförderte Krankenhausbetten vorhalten zu dürfen, die von eben dieser Bevölkerung wegen der Anziehungskraft der Krankenhäuser in der benachbarten Großstadt nicht angenommen werden. Eine solche Aussage ist dem von der Beschwerde angeführten Urteil des Senats vom 14. November 1985 nicht zu entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen