Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 27.04.2004; Aktenzeichen 10 UE 2511/03) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. April 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die auf die Behauptung einer Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs hat keinen Erfolg.
Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 5. Januar 2001 – BVerwG 4 B 57.00 – ≪NVwZ-RR 2001, 422≫). Die Begründung für eine solche Abweichung muss deshalb den die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden abstrakten Rechtssatz angeben und aufzeigen, dass und inwiefern er von einem in der Rechtsprechung der genannten Bundesgerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – ≪NVwZ-RR 1996, 712≫ und vom 9. Juni 1999 – BVerwG 11 B 47.98 – ≪NVwZ 1999, 1231≫).
Die angefochtene Entscheidung stützt sich unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 1979 – BVerwG 5 C 39.78 – (FEVS 28, 13 ≪16≫) auf den Rechtssatz, für die Anwendung der Vorschrift des § 29 Satz 1 BSHG sei entscheidend, ob ohne das Eintreten der Sozialhilfe ein notwendiger Heimaufenthalt zu scheitern drohe; dabei sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Träger der Sozialhilfe entscheide. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte erst zehn Monate nach dem Ende des maßgeblichen Heimaufenthalts des Klägers entschieden; zu diesem Zeitpunkt sei ein Eintreten des Trägers der Sozialhilfe nicht mehr erforderlich gewesen, um die Unterbringung und Betreuung des Klägers in dem Pflegeheim zu ermöglichen. Der Wunsch, dass der Träger der Sozialhilfe Schulden übernehme, führe nicht dazu, dass ein “begründeter Fall” im Sinne von § 29 Satz 1 BSHG vorliege.
Dem gegenüber macht die Beschwerde geltend, auch in dem hier vorliegenden “Weigerungsfall”, der dadurch geprägt gewesen sei, dass die gesetzliche Vertreterin des Klägers einerseits die Entscheidung über die weiterhin von ihr verlangte Hilfebewilligung in die Hand des Sozialhilfeträgers habe legen wollen, andererseits aber zur Verwertung einzusetzenden Vermögens nicht bereit gewesen sei, habe der Sozialhilfeträger in Kenntnis vorhandenen Einkommens und Vermögens nach § 29 Satz 1 BSHG leisten können und dürfen; dies lasse sich dem entsprechenden Hinweis in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juni 1992 – BVerwG 5 C 25.87 – (FEVS Bd. 43, S. 324 ≪327≫) entnehmen, welches wiederum auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1982 – BVerwG 5 C 39.81 – (FEVS Bd. 32, S. 1 ≪6≫) verweise, dem zu entnehmen sei, dass vom Vorliegen eines “begründeten” Falles im Sinne des § 29 Satz 1 BSHG auch dann auszugehen sei, wenn die “Notlage” der Hilfe suchenden Person gerade darin bestehe, dass sich der gesetzliche Vertreter weigere, die für die anfallenden Heimpflegekosten notwendigen Mittel aus dem Vermögen des von ihm vertretenen Hilfesuchenden aufzubringen, obwohl dies zuzumuten sei. Insoweit sei das angefochtene Urteil mit dem das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1982 tragenden Rechtsgedanken zur Anwendung des § 29 Satz 1 BSHG nicht vereinbar.
Entgegen der Annahme der Beschwerde ist jedoch nicht zu erkennen, dass das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Urteilen vom 4. Juni 1992 und vom 8. Juli 1982 von dem Erfordernis einer Notlage der hilfebedürftigen Person in dem Sinne, das ohne Eintreten der Sozialhilfe eine notwendige Hilfemaßnahme gefährdet wäre, abgegangen wäre. In dem Urteil vom 4. Juni 1992 – BVerwG 5 C 25.87 – (a.a.O.) heißt es lediglich, die Hilfe sei in dem entschiedenen Fall “nicht so eilig (gewesen), dass die Klärung der … noch offenen Einkommens- und Vermögenslage nicht hätte abgewartet werden können”, und “Auch ein Weigerungsfall (vgl. dazu BVerwGE 66, 82 ≪85≫), bei dem der Sozialhilfeträger in Kenntnis vorhandenen Einkommens oder Vermögens nach § 29 Satz 1 BSHG leistet”, habe nicht vorgelegen. Damit ist für Weigerungsfälle keine Ausnahme von dem Erfordernis einer konkreten Notlage gemacht, sondern – ohne dass insoweit eine konkretisierende rechtliche Aussage getroffen worden wäre – der Fall einer noch offenen Einkommens- und Vermögenslage vom Fall einer Weigerung des Einsatzpflichtigen abgegrenzt worden. Auch das in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1982 – BVerwG 5 C 39.81 – (BVerwGE 66, 82 ff.) geht vom Erfordernis einer “Notlage” als Voraussetzung eines “begründeten Falles” im Sinne des § 29 Satz 1 BSHG aus. Nach der Feststellung, der seinerzeitige Kläger habe sich als der Vater der minderjährigen und unverheirateten Hilfesuchenden geweigert, die notwendigen Mittel aus ihm (dem Vater) gehörenden Vermögen aufzubringen, obwohl ihm dies zuzumuten sei, heißt es dort (a.a.O. S. 85 f.):
“Wenn der Beklagte in dieser ‘Notlage’ des M.… Hilfe ‘verauslagte’ (siehe BVerwGE 52, 16 ≪19≫), dann handelte er in einem ‘begründeten Fall’ nicht ermessenswidrig (vgl. BVerwGE 50, 73 ≪77≫ m.w.N.).”
Daraus ist entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht zu schließen, eine Weigerung einsatzpflichtiger Personen oder des gesetzlichen Vertreters des Hilfesuchenden, die notwendigen Mittel aufzubringen, begründe eine Notlage des Hilfebedürftigen auch dann, wenn der konkrete Hilfebedarf nicht mehr besteht und es nur noch darum geht, im Interesse des Einrichtungsträgers nachträglich die Kosten des Aufenthalts in einer Einrichtung zu übernehmen. Ein weitergehender Rechtssatz dahingehend, dass auch eine nach Ende der “Notlage” erfolgte Leistung des Sozialhilfeträgers eine erweiterte Hilfe nach § 29 Satz 1 BSHG rechtfertige, ist der genannten Entscheidung entgegen der Rechtsansicht der Beschwerde nicht zu entnehmen. Die Divergenzrüge ist daher mangels Bestehens des behaupteten divergenzfähigen Rechtssatzes in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke
Fundstellen