Entscheidungsstichwort (Thema)
Werbung für Wein als bekömmlich. Begriff der gesundheitsbezogenen Angabe. Vereinbarkeit eines Werbungsverbots mit den Unionsgrundrechten der Berufs- und der Unternehmerfreiheit. Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
Leitsatz (amtlich)
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung des Begriffs der gesundheitsbezogenen Angaben im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 (Health-Claims-Verordnung).
Normenkette
EUVtr Liss Art 6 Abs. 1; AEUV Art. 267 Abs. 3; EUGrdRCh Art. 15 Abs. 1, Art. 16; EGV 1924/2006 Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 4 Abs. 3 S. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 10 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 19.08.2009; Aktenzeichen 8 A 10579/09) |
VG Trier (Urteil vom 23.04.2009; Aktenzeichen 5 K 43/09.TR) |
Nachgehend
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erfordert der Gesundheitsbezug einer Angabe im Sinne des Artikel 4 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 5 oder des Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl L 404 S. 9), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl L 37 S. 16), eine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung, die auf eine nachhaltige Verbesserung des körperlichen Zustandes abzielt, oder reicht auch eine vorübergehende, namentlich auf die Zeitspanne der Aufnahme und Verdauung des Lebensmittels beschränkte Wirkung aus?
2. Für den Fall, dass bereits die Behauptung einer vorübergehenden positiven Wirkung einen Gesundheitsbezug haben kann:
Reicht es für die Annahme, eine solche Wirkung werde mit dem Fehlen oder dem verringerten Gehalt einer Substanz im Sinne des Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a und des 15. Erwägungsgrunds der Verordnung begründet, aus, wenn mit der Angabe lediglich behauptet wird, dass eine von Lebensmitteln dieser Art allgemein ausgehende, vielfach als nachteilig empfundene Wirkung im konkreten Fall gering ist?
3. Falls Frage 2 bejaht wird:
Ist es mit Artikel 6 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung vom 13. Dezember 2007 (ABl C 115 vom 9. Mai 2008) in Verbindung mit Artikel 15 Absatz 1 (Berufsfreiheit) und Artikel 16 (Unternehmerfreiheit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der Fassung vom 12. Dezember 2007 (ABl C 303 S. 1) vereinbar, einem Erzeuger oder Vermarkter von Wein die Werbung mit einer gesundheitsbezogenen Angabe der vorliegend in Rede stehenden Art ausnahmslos zu verbieten, sofern diese Angabe zutrifft?
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Bezeichnung eines Weins als bekömmlich in Verbindung mit dem Hinweis auf eine sanfte Säure eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 (ABl L 404 S. 9) darstellt, die bei alkoholischen Getränken generell unzulässig ist.
Rz. 2
Die Klägerin, eine Winzergenossenschaft, vermarktet Weine der Rebsorten Dornfelder und Grauer/Weißer Burgunder als "Edition Mild" mit dem Zusatz "sanfte Säure". Auf dem Etikett wird unter anderem angegeben: "Zum milden Genuss wird er durch die Anwendung unseres besonderen LO3-Schonverfahrens zur biologischen Säurereduzierung." Die Halsschleife der Weinflaschen trägt den Aufdruck "Edition Mild bekömmlich". In der Preisliste wird der Wein als "Edition Mild - sanfte Säure/bekömmlich" bezeichnet.
Rz. 3
Nachdem der Beklagte die Verwendung der Bezeichnung "bekömmlich" beanstandet hatte, hat die Klägerin auf Feststellung geklagt, dass die beschriebene Etikettierung und Werbung zulässig ist. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Bezeichnung keinen Gesundheitsbezug aufweise, sondern nur das allgemeine Wohlbefinden betreffe. Die Verordnung gelte nicht für Bezeichnungen, die traditionell für Lebensmittel oder Getränke verwendet würden, die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben könnten, wie z.B. Digestif für ein die Verdauung förderndes Getränk. Die Entstehungsgeschichte belege, dass Angaben zum allgemeinen Wohlbefinden nicht unter die Verordnung fallen sollten; deshalb sei ein enges Verständnis der gesundheitsbezogenen Angaben geboten.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. April 2009 abgewiesen; die dagegen geführte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 19. August 2009 zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, dass der Begriff der Gesundheit jedenfalls die mit einem Lebensmittel verbundenen Wirkungen auf den Körper des Verbrauchers und dessen Funktionen erfasse. In Abgrenzung zu den Arzneimitteln komme es hingegen nicht darauf an, dass gezielt Körperfunktionen beeinflusst werden. Die Bezeichnung als bekömmlich stelle bei Wein einen Zusammenhang zu Vorgängen im Körper her und spreche nicht nur das allgemeine Wohlbefinden an. Zwar könne der Begriff auch in einem nur allgemeinen Sinne verstanden werden. Seine Bedeutung reiche jedoch weiter; ihm würden Synonyme wie "gesund", "leicht verdaulich" oder "den Magen schonend" zugeordnet. Dies sei bei dem Konsum von Wein von Bedeutung, denn mit ihm würden immer wieder Kopf- und Magenbeschwerden in Zusammenhang gebracht; unter Umständen könne Wein sogar eine den menschlichen Organismus schädigende Wirkung zukommen und zu einem Suchtverhalten führen. Durch die Verwendung des Begriffs im Zusammenhang mit dem Hinweis auf ein besonderes Verfahren zur Säurereduzierung und eine milde Säure werde aus Sicht des Verbrauchers ein Zusammenhang zwischen dem Wein und dem Fehlen von mit dem Konsum teilweise verbundenen nachteiligen Wirkungen im Verdauungsvorgang hergestellt. Der Begriff stelle auch keine traditionelle Angabe einer Eigenschaft einer Kategorie von Getränken im Sinne des 5. Erwägungsgrundes der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 dar.
Rz. 5
Mit der Revision rügt die Klägerin eine unzutreffende Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Die Bezeichnung eines Weins als bekömmlich sei keine gesundheitsbezogene Angabe und auch keine allgemeine Angabe zum gesundheitlichen Wohlbefinden im Sinne des Art. 10 Abs. 3 der Verordnung, sondern beziehe sich nur auf das allgemeine Wohlbefinden. Der Begriff habe keinen Bezug zu den in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung genannten Funktionen. Das zeige auch sein bisheriges Verständnis; nach früherem nationalem Recht sei er nicht als gesundheitsbezogene Angabe eingeordnet worden. Unter diesen Umständen hätte das Berufungsgericht ein Sachverständigengutachten dazu einholen müssen, wie ein durchschnittlicher Verbraucher den Begriff verstehe. Selbst wenn es sich um eine gesundheitsbezogene Angabe handele, sei sie als traditioneller Begriff im Sinne des 5. Erwägungsgrundes der Verordnung, der durch Art. 1 Abs. 4 der Verordnung nur unzureichend erfasst werde, nicht verboten. Auch verstanden als eine Angabe zum gesundheitlichen Wohlbefinden im Sinne des Art. 10 Abs. 3 der Verordnung sei der Begriff nicht unzulässig, solange keine vollständigen Listen nach Art. 13 oder 14 der Verordnung vorlägen.
Rz. 6
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
II.
Rz. 7
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von den im Tenor formulierten Fragen ab. Sie zielen auf eine fallbezogene Klärung des gemeinschaftsrechtlichen Begriffs der gesundheitsbezogenen Angaben, zu dem einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht existiert und dessen richtige Auslegung nicht offenkundig ist. Vielmehr begegnet das weite Verständnis des Begriffs durch die Vorinstanzen nach Ansicht des Senats Bedenken. Das Verfahren ist deshalb auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Rz. 8
1. Die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sind durch die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 (ABl L 404 S. 9), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl L 37 S. 16), harmonisiert worden. Die Verordnung gilt für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben, die in kommerziellen Mitteilungen bei der Kennzeichnung und Aufmachung von oder bei der Werbung für Lebensmittel gemacht werden, die an den Endverbraucher abgegeben werden sollen. Unter einer gesundheitsbezogenen Angabe versteht die Verordnung jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht (Art. 2 Abs. 2 Nr. 5). Diese Angaben sind verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen und den speziellen Anforderungen der Verordnung entsprechen, gemäß der Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 aufgenommen sind (Art. 10 Abs. 1). Neben Angaben mit einem spezifischen Gesundheitsbezug erfasst die Verordnung auch Verweise auf nichtspezifische Vorteile für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitliche Wohlbefinden; sie sind nur zulässig, wenn ihnen eine in einer der Listen nach Art. 13 oder 14 enthaltene spezielle gesundheitsbezogene Angabe beigefügt ist (Art. 10 Abs. 3). Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent dürfen generell keine gesundheitsbezogenen Angaben tragen (Art. 4 Abs. 3 Satz 1).
Rz. 9
2. Das Berufungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass aus Sicht eines informierten und verständigen Durchschnittsverbrauchers die von der Klägerin verwendete Bezeichnung "bekömmlich" durch die Aufmachung und Werbung in einen Bezug zu der Säure ihrer Weine gesetzt wird. Sie sollen besonders bekömmlich sein wegen der sanften Säure als Folge eines besonderen Verfahrens zur Säurereduzierung. Dadurch wird für die Verbraucher eine besondere Magenfreundlichkeit hervorgehoben.
Rz. 10
Der Senat ist als Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Verständnis der Bezeichnung "bekömmlich" gebunden. Die insoweit erhobenen Rügen der Klägerin greifen nicht durch. Insbesondere war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Wie eine Angabe zu einem Lebensmittel zu verstehen ist, beurteilt sich aus der Sicht des normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers (vgl. zu diesem Maßstab den 16. Erwägungsgrund der Verordnung). Das kann der Richter grundsätzlich aus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung beurteilen (Beschluss vom 2. April 1991 - BVerwG 3 B 133.90 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 228; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2001 - I ZR 193/99 - juris Rn. 20 ff.). Umstände für eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegen hier nicht vor.
Rz. 11
3. Der Senat hat aber Zweifel, ob die tatsächlichen Feststellungen in rechtlicher Hinsicht die Annahme einer gesundheitsbezogenen Angabe tragen. Die entsprechende Schlussfolgerung des Berufungsgerichts erscheint nicht offensichtlich richtig, sondern unter verschiedenen Gesichtspunkten des Gemeinschaftsrechts klärungsbedürftig.
Rz. 12
a) Die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 bezeichnet als gesundheitsbezogene Angaben solche Angaben, die einen Zusammenhang zwischen einem Lebensmittel einerseits und der Gesundheit andererseits erklären, suggerieren oder mittelbar zum Ausdruck bringen. Sie definiert aber nicht, was unter dem Begriff der Gesundheit zu verstehen ist. Einen Hinweis kann insoweit Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung liefern. Danach ist die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig, wenn nachgewiesen ist, dass das Lebensmittel eine (positive) ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung hat. Der Gesundheitsbezug setzt also voraus, dass eine solche Wirkung behauptet wird. Damit allein kann es aber nicht sein Bewenden haben, denn eine in diesem allgemeinen Sinne ernährungsbezogene Wirkung kommt jedem Lebensmittel zu; es dient der Aufnahme von Nährstoffen und anderen Substanzen für den menschlichen Organismus und damit der Ernährung. Darin liegt gerade die Funktion der Lebensmittel. Für einen Gesundheitsbezug im Sinne der Verordnung kann es deshalb nicht ausreichen, eine bloß vorübergehende Aufrechterhaltung oder sonstige Beeinflussung der Körperfunktionen zu behaupten. Nach Auffassung des Senats spricht vielmehr einiges dafür, einen Gesundheitsbezug erst dann anzunehmen, wenn längerfristige, nachhaltige Auswirkungen auf den körperlichen Zustand oder die Befindlichkeit angesprochen werden und nicht bloß flüchtige Einwirkungen auf Stoffwechselvorgänge, die die Konstitution - und damit den eigentlichen Gesundheitszustand - unberührt lassen. In diesem Sinne mag die Behauptung, dass die Aufnahme bestimmter Substanzen (etwa von Vitaminen) oder das Vermeiden bestimmter Substanzen (etwa von Fetten) auf längere Sicht der körperlichen Verfassung dienlich ist, einen Gesundheitsbezug haben. Darum geht es hier jedoch nicht. Der in Rede stehende Hinweis auf die Bekömmlichkeit der von der Klägerin vermarkteten Weine wegen ihrer milden Säure spricht nur die Verträglichkeit der Produkte an. Er erschöpft sich in der Behauptung, der Wein verursache bei der Verdauung keine oder weniger Magenbeschwerden, als üblicherweise bei einem Wein dieser Art und Güte zu erwarten ist. Darin einen konkreten Gesundheitsbezug oder auch nur einen unspezifischen Verweis darauf zu sehen, dass der Konsum des Weins allgemein zu einer "gesunden" Ernährung beitrage, erscheint dem Senat eher fernliegend. Mit der im Tenor zu 1 formulierten Frage möchte er deshalb geklärt wissen, ob auch vorübergehende, allein auf die Zeitspanne des Konsums und der Verdauung eines Lebensmittels bezogene Vorteile bereits einen Gesundheitsbezug im Sinne der Verordnung begründen können. Die Frage zielt auf eine nähere Definition des Gesundheitsbegriffs, namentlich auf die Beschreibung handhabbarer Kriterien für eine Abgrenzung der (spezifischen oder unspezifischen) gesundheitsbezogenen Angaben von bloßen Verweisen auf Vorteile für das allgemeine Wohlbefinden.
Rz. 13
b) Die Verordnung will als gesundheitsbezogene Angaben nur solche erfassen, die dem Lebensmittel oder einem Inhaltsstoff eine positive Wirkung zusprechen (vgl. etwa den 6. und 14. Erwägungsgrund). In Betracht kommen also nur Aussagen oder Behauptungen, die dem Verbraucher nahelegen, durch den Konsum des Lebensmittels seine Gesundheit zu fördern. Zwar muss diese positive Wirkung nicht notwendigerweise mit dem Vorhandensein eines Nährstoffes oder einer anderen Substanz begründet werden; die Verordnung geht davon aus, dass auch durch das Fehlen oder den verringerten Gehalt eines Nährstoffes oder einer anderen Substanz in einem Lebensmittel eine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung erzielt werden kann (vgl. den 15. Erwägungsgrund sowie Art. 5 Abs. 1 Buchstabe a). So oder so muss aber als Folge der besonderen Zusammensetzung des Lebensmittels im Ergebnis ein "Vorteil" für den Verbraucher im Sinne einer Verbesserung seiner Gesundheit stehen, ansonsten fehlte es an einer positiven Wirkung. Der Senat hat Zweifel, ob eine solche Verbesserung der Gesundheit allein schon darin liegen kann, dass ein Lebensmittel weniger schädlich für die Gesundheit ist als vergleichbare Produkte derselben Kategorie, ob also - mit anderen Worten - ein nur relativer Vorteil gegenüber dem Konsum (noch) ungesünderer Produkte für die Annahme einer positiven Wirkung auf die Gesundheit ausreichen kann. Handelt es sich um Lebensmittel mit Substanzen, die verbreitet als nachteilig angesehene Wirkungen zeitigen können (hier: Säure im Wein), erscheint es schon nach allgemeinem Sprachgebrauch wenig verständlich, den Konsum eines solchen Produkts begrifflich als gesundheitsfördernd einzustufen, bloß weil die nachteiligen Folgen etwas geringer sind als bei vergleichbaren Produkten. Mit der zweiten Frage möchte der Senat deshalb geklärt wissen, ob es für eine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung ausreicht, wenn mit der Angabe lediglich behauptet wird, dass eine von Lebensmitteln dieser Art allgemein ausgehende, vielfach als nachteilig empfundene Wirkung im konkreten Fall gering ist.
Rz. 14
c) Die Auslegung des Begriffes der gesundheitsbezogenen Angaben muss zusätzlich die Vereinbarkeit mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, namentlich mit der Berufsfreiheit (Art. 15 Abs. 1 der Charta) und der Unternehmerfreiheit (Art. 16 der Charta) berücksichtigen. Die genannten Grundrechte werden durch die Verordnung beschränkt, indem den Lebensmittelunternehmern bestimmte Vorgaben für die Aufmachung und Bewerbung ihrer Produkte gemacht und bei alkoholischen Getränken gesundheitsbezogene Angaben generell untersagt werden. Diese Beeinträchtigung muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Charta wahren; insbesondere muss sie in einem noch angemessenen Verhältnis zu dem durch die Verordnung verfolgten Zweck stehen. Angesichts der Weite und Konturlosigkeit, die dem Begriff der gesundheitsbezogenen Angaben im Falle der Bejahung der vorstehenden Fragen zukäme, hat der Senat Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der in der Verordnung normierten Restriktionen. Die Verordnung will erklärtermaßen sicherstellen, dass gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln den Verbrauchern die notwendigen Informationen für eine sachkundige Entscheidung über ihre Ernährung liefern (vgl. den 1. und 9. Erwägungsgrund). Bei alkoholischen Getränken sollen solche Angaben unabhängig von ihrer Richtigkeit insgesamt unzulässig sein, um von vornherein eine positive Assoziation zwischen dem Konsum dieser Getränke und der Gesundheit zu verhindern. Dem liegt ersichtlich die Erwägung zugrunde, dem Konsum alkoholischer Getränke nicht dadurch Vorschub zu leisten, dass der Verbraucher damit etwaige Vorteile für seine Gesundheit verbindet. Eine Auslegung, die selbst die hergebrachte und nicht nur in der Weinbeschreibung gängige Bezeichnung eines Getränks als "bekömmlich" bereits als gesundheitsbezogene Angabe wertet, geht über den Zweck der Verordnung indes deutlich hinaus. Es liegt auf der Hand, dass ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher durch ein solches Attribut nicht zu einem höheren Alkoholkonsum verleitet wird in der Annahme, sich auf diese Weise einen gesundheitlichen Vorteil zu verschaffen. Durch den Hinweis auf die Verträglichkeit des Weins wegen seiner milden Säure wird dem Verbraucher, sofern der Hinweis zutrifft, vielmehr eine nützliche Information geboten, um eine sachkundige Auswahl zwischen verschiedenen Produkten treffen zu können. Sollte selbst eine solche Information - auch wenn sie zuträfe - unzulässig sein, würde dies dem Zweck der Verordnung geradezu zuwider laufen. Mit der dritten Frage möchte der Senat deshalb geklärt wissen, ob es mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 des Vertrages über die Europäische Union in der Fassung vom 13. Dezember 2007 in Verbindung mit Art. 15 Abs.1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist, einem Erzeuger oder Vermarkter von Wein den Hinweis auf die Bekömmlichkeit seines Produkts wegen einer milden Säure selbst dann zu verbieten, wenn diese Angabe zutrifft. Sollte die Frage zu verneinen sein, müsste geklärt werden, ob die Weine der Klägerin tatsächlich wegen des auf dem Etikett angegebenen besonderen Verfahrens eine geringere oder mildere Säure aufweisen. Dazu haben die Vorinstanzen bislang keine Feststellungen getroffen.
Rz. 15
4. Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen ist entscheidungserheblich. Wenn die in Streit stehende Bezeichnung eine gesundheitsbezogene Angabe im Sinne der Verordnung darstellt, darf sie bei der Aufmachung und Bewerbung von Wein nicht verwendet werden. Die gegenteilige Annahme der Klägerin trifft nicht zu. Zwar führt der 5. Erwägungsgrund der Verordnung an, dass allgemeine Bezeichnungen, die traditionell zur Angabe einer Eigenschaft einer Kategorie von Lebensmitteln oder Getränken verwendet werden, die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben könnte, wie z.B. "Digestif" oder "Hustenbonbon", von der Anwendung der Verordnung ausgenommen werden sollten. Die Bezeichnung "bekömmlich" benennt aber nicht eine bestimmte Getränkekategorie, sondern eine Eigenschaft, die jedem beliebigen Getränk oder Lebensmittel zugeschrieben werden kann. Die Ausnahme für traditionelle Kategoriebezeichnungen wie Digestiv führt nicht dazu, dass alle Angaben, die auf die Verträglichkeit oder die Verdauungsförderung eines alkoholischen Getränks abstellen, von dem Verordnungsregime freigestellt wären.
Rz. 16
Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen erübrigt sich entgegen der Annahme der Klägerin auch nicht durch den Umstand, dass die in Art. 10 Abs. 3 in Bezug genommenen Listen nach Art. 13 und 14 der Verordnung noch nicht vollständig vorliegen. Auch Verweise auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile eines Lebensmittels für die Gesundheit im Allgemeinen oder das gesundheitsbezogene Wohlbefinden im Sinne des Art. 10 Abs. 3 der Verordnung sind gesundheitsbezogene Angaben, die bei alkoholischen Getränken generell unzulässig sind. Das Verbot in Art. 4 Abs. 3 Satz 1 unterscheidet ebenso wie die Definition in Art. 2 Abs. 2 Ziffer 5 der Verordnung nicht zwischen spezifischen und unspezifischen gesundheitsbezogenen Angaben. Für Letztere stellt Art. 10 Abs. 3 lediglich eine zusätzliche Voraussetzung auf, indem er dazu verpflichtet, solchen Angaben eine gelistete spezifische Angabe beizufügen. Das wäre freilich bei alkoholischen Getränken von vornherein ausgeschlossen.
Fundstellen
Dokument-Index HI11675067 |