Entscheidungsstichwort (Thema)
besatzungshoheitliche Enteignung von Unternehmen. Pachtgrundstück. Nutzung, betriebliche. SMAD-Befehl Nr. 64. DWK-Richtlinien Nr. 1. Erstreckungsregelung;. Enteignung, faktische;. Vollzugsauftrag Besatzungsmacht. Restitutionsausschluß
Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 enthielten keinen Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zum Zugriff auf das Eigentum bisher nicht enteignungsbetroffener Dritter, das einem enteigneten Unternehmen zu betrieblichen Zwecken diente.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 24. März 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger beansprucht als Mitglied der Erbengemeinschaft nach Frau Hedwig P. die Rückübertragung des Gehöfts H. in N. Die damals in B. wohnende Frau P. hatte das Gehöft im Jahre 1936 erworben und mit notariellem Vertrag vom 11. August 1942 an die angrenzende Fa. H. GmbH für zehn Jahre verpachtet. Die H. GmbH wurde auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 sequestriert und im März 1948 in die Enteignungsliste A der gewerblichen Betriebe sowie in das Verzeichnis der Betriebe mit ausländischer Kapitalbeteiligung aufgenommen. Zwei im Grundbuch von N. verzeichnete Grundstücke der H. GmbH, darunter das Fabrikgrundstück a. K., sind auf der Grundlage des Gesetzes Nr. 4 „zur Sicherung des Friedens durch Überführung von Betrieben (Eigentumskategorien) der faschistischen und Kriegsverbrecher in die Hände des Volkes” vom 16. August 1946 (Amtsblatt Mecklenburg S. 98) in Volkseigentum übergegangen und gemäß Nr. 5 der Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 im August 1948 im Grundbuch umgeschrieben worden. Mit Bescheid vom 17. Oktober 1951 stellte die Landesregierung Mecklenburg unter Hinweis auf die „nach Befehl Nr. 124” erfolgte Enteignung der H. GmbH auf der Grundlage der Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 fest, daß das Gehöft H. mitenteignet sei. Das Gehöftgrundstück wurde am 19. November 1951 im Grundbuch als Eigentum des Volkes eingetragen.
Den im Jahr 1990 gestellten Antrag auf Rückübertragung des Gehöfts H. lehnte das beklagte Landesamt durch Bescheid vom 11. September 1995 mit der Begründung ab, daß das Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden und darum gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG von der Rückübertragung ausgeschlossen sei.
Das Verwaltungsgericht hat die darauf erhobene Verpflichtungsklage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Das Gehöft sei als Bestandteil der H. GmbH auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 sequestriert und in die Enteignungsliste A der gewerblichen Betriebe aufgenommen worden. Enteignet worden seien nicht die Geschäftsanteile der deutschen Gesellschafter, sondern das Unternehmen der H. GmbH, was durch die Umschreibung der Grundstücke in Volkseigentum belegt werde. Die Enteignung sei vor Gründung der DDR vollzogen worden. Es sei nicht ersichtlich, daß das Unternehmen mit Blick auf die ausländische Kapitalbeteiligung als Anteilsbetrieb übernommen worden sei. Die Enteignung sei durch den SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigt worden und habe nicht gegen ein Enteignungsverbot der Besatzungsmacht verstoßen. Die Enteignung des Unternehmens habe auch das gepachtete Gehöft H. erfaßt. Die auf die SMAD-Befehle Nr. 124 und Nr. 64 zurückgehenden Betriebsenteignungen hätten sich immer auf das Unternehmen als sachliche und wirtschaftliche Gesamtheit bezogen. In Nr. 2 der Richtlinien Nr. 1 sei klargestellt worden, daß sich Unternehmensenteignungen nicht nur auf das bilanzierte Vermögen, sondern überhaupt auf das den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen erstreckten. Die zuständigen Stellen hätten das dahin verstanden, daß davon auch betrieblich genutzte Pachtgrundstücke erfaßt gewesen seien; die Eigentumslage habe keine Rolle gespielt. Nach einem Bericht des Hauptbuchhalters der Vereinigung volkseigener Betriebe Holz und Kunststoffe (VVB) vom 15. Juli 1950 habe die H. GmbH das Pachtgrundstück zur Unterbringung von Betriebsangehörigen genutzt. Die Annahme, daß das seit Kriegsende von sowjetischen Truppen besetzte Gehöft zusammen mit dem Unternehmen bereits vor dem 7. Oktober 1949 enteignet worden sei, werde durch das Klagevorbringen, wonach bis Mitte 1950 eine laufende Nutzungsentschädigung an die Grundstückseigentümerin gezahlt worden sei, nicht ausgeschlossen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung trägt er vor: Die Eigentümerin des Gehöfts habe sich vor dem 7. Oktober 1949 nicht als enteignet betrachten müssen. In dem Bericht des VVB-Buchhalters vom 15. Juli 1950 sei darauf hingewiesen worden, daß das Gehöft noch im Eigentum der Frau P. stehe und der Pachtvertrag bis Ende März 1953 laufe. Der Pachtzins sei bis in das Jahr 1950 hinein an Frau P. entrichtet worden. Die Enteignung habe sich erstmals in dem Feststellungsbescheid vom 17. Oktober 1951 manifestiert. Ein über das Ende der Besatzungszeit hinausreichender Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zur Enteignung des Gehöftgrundstücks sei nicht ersichtlich. Entgegen der nicht näher begründeten Annahme des Verwaltungsgerichts sei das Gehöft nicht sequestriert worden. Als Pachtvermögen habe es nicht zum Anlage- und Umlaufvermögen der H. GmbH gehört und darum von deren Sequestrierung nicht erfaßt werden können. Eine den Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 entsprechende Erstreckungsregelung habe sich weder aus dem SMAD-Befehl Nr. 124 noch aus dem Gesetz Nr. 4 ergeben. Nach der Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz vom 21. Februar 1947 (Regierungsblatt für Mecklenburg S. 26) habe sich die Inanspruchnahme auf „alle Werte des Anlage- und Umlaufvermögens des Betriebes” beschränkt. Der Annahme eines Vollzugsauftrags stehe schon entgegen, daß es sich bei der H. GmbH um einen Anteilsbetrieb mit ausländischer Kapitalbeteiligung gehandelt habe, der als ausländisches Vermögen unter Schutz gestellt worden sei. Die Erstreckungsregelung der Richtlinien Nr. 1 könne nicht weitergehen als die von der Besatzungsmacht bestätigte Enteignung. Diese habe sich nur auf die Geschäftsanteile der deutschen Gesellschafter bezogen.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus: Daß sich die Enteignung des Unternehmens der H. GmbH auf das von dieser gepachtete Gehöftgrundstück erstreckt habe, ergebe sich auch aus einer Ausführungsbestimmung der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) vom 28. Oktober 1948. Die Eigentümerin des Gehöfts habe sich bereits angesichts der Enteignung der H. GmbH faktisch als enteignet ansehen müssen. Selbst wenn von einer Enteignung des Gehöfts erst nach dem 7. Oktober 1949 ausgegangen werde, beruhe diese auf besatzungshoheitlicher Grundlage, da aus den Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 ein fortdauernder Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zu entnehmen sei. Die Enteignung des Unternehmens habe kein konkretes Enteignungsverbot der Besatzungsmacht verletzt. Die Einbeziehung betrieblich genutzten Eigentums Dritter in die Unternehmensenteignung habe der objektbezogenen Zielsetzung der Besatzungsmacht entsprochen, ein sozialistisches Wirtschaftssystem nach dem Vorbild der Sowjetunion zu schaffen, das auf die Mehrung von Volkseigentum gerichtet gewesen sei. Dieser Zweck einer „Abrundung” des Vermögens volkseigener Betriebe, der bereits dem SMAD-Befehl Nr. 76 und dem SMAD-Schreiben Nr. 447 vom 19. Oktober 1948 zugrunde gelegen habe, sei auch Grundlage der Erstreckungsregelung der Richtlinien Nr. 1 gewesen. Auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugriffs auf das Grundstück komme es daher nicht an.
Unabhängig hiervon erweise sich das angegriffene Urteil teilweise aus anderen Gründen als richtig, da die Rückübertragung hinsichtlich einer Teilfläche von rund 18 000 m² des insgesamt rund 51 000 m² großen Grundstücks durch § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG ausgeschlossen sei. Die genannte Teilfläche werde im öffentlichen Interesse für die Zwecke eines Pflegeheims benötigt, das aus dem dort Mitte der 50 er Jahre mit erheblichem baulichen Aufwand errichteten „Feierabendheim H.” hervorgegangen sei und dessen Betrieb der beigeladene Landkreis im Jahre 1992 der Arbeiterwohlfahrt e.V. als privatem Träger übertragen habe. Auch die Beigeladenen gehen davon aus, daß der genannte Restitutionsausschlußgrund vorliege.
Nach Ansicht des Oberbundesanwalts erstreckte sich die Enteignung der H. GmbH, die trotz ausländischer Kapitalbeteiligung nicht gegen ein Enteignungsverbot der Besatzungsmacht verstoßen habe, auf das gepachtete, zu betrieblichen Zwecken genutzte Grundstück. Der Feststellungsbescheid vom 17. Oktober 1951 sei Ausdruck eines fortdauernden Vollzugsauftrags der Besatzungsmacht, der den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang begründe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil beruht auf einem Verstoß gegen Bundesrecht. Da die vorinstanzlich getroffenen Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung darüber ermöglichen, ob die Rechtsvorgängerin des Klägers auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet wurde oder ob die Restitution aus einem anderen Grund ausgeschlossen ist, muß das Urteil aufgehoben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, daß das Gehöftgrundstück als Bestandteil des Unternehmens der H. GmbH auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sei; die im Jahre 1948 erfolgte Enteignung des Unternehmens nach Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 habe sich auf das betrieblich genutzte Pachtgrundstück erstreckt. Diese Annahme verstößt gegen § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG (a). Mit dieser Vorschrift unvereinbar ist auch die im Revisionsverfahren vorgetragene Ansicht des Beklagten, daß sich aus den genannten Richtlinien ein konkreter Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zur Enteignung von betrieblich genutztem Drittvermögen ergebe und daher zumindest im Jahre 1951 eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage stattgefunden habe (b). Angesichts dessen läßt sich nicht abschießend beurteilen, ob das in Rede stehende Grundstück auf besatzungshoheitlicher Grundlage im Sinne von § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG enteignet worden ist; es fehlt an den dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen (c).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes vornehmlich in einem faktischen Sinn zu verstehen. Eine Enteignung setzt hiernach keine bestimmte Form voraus, sondern ist immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt worden ist. Davon ist auszugehen, wenn die Vermögensentziehung in der Rechtswirklichkeit für den Eigentümer greifbar zum Ausdruck gekommen ist (Urteil vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪87 f.≫; Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 1; Urteil vom 27. Juli 1999 – BVerwG 7 C 36.98 – VIZ 1999, 723).
Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts mußte sich die Eigentümerin des Gehöfts H. nicht allein deswegen aus ihrem Eigentum verdrängt sehen, weil das Unternehmen der H. GmbH als Pächter ihres an das Werksgelände angrenzenden Grundstücks im März 1948 in die durch den SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigte Enteignungsliste A der gewerblichen Betriebe aufgenommen wurde. Das gilt unabhängig davon, ob der Enteignung des im Anteilseigentum ausländischer Staatsangehöriger stehenden Unternehmens ein den besatzungshoheitlichen Zurechnungszusammenhang unterbrechendes generelles oder individuelles Verbot der Besatzungsmacht entgegenstand (vgl. hierzu Urteil vom 30. Juni 1994 – BVerwG 7 C 58.93 – BVerwGE 96, 183 ≪186 ff.≫; Beschluß vom 16. Oktober 1996 – BVerwG 7 B 232.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 90).
Die mit dem SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen richteten sich, wie aus der Präambel des Befehls und in der Sache übereinstimmend auch aus dem Vorspruch des mecklenburgischen Gesetzes Nr. 4 „zur Sicherung des Friedens …” hervorgeht, gegen „Kriegs- und Naziverbrecher” und sollten diese aus dem wirtschaftlichen Leben der sowjetischen Besatzungszone entfernen (Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 1); Anhaltspunkte dafür, daß die Rechtsvorgängerin des Klägers diesem Personenkreis zugerechnet wurde, bestehen nicht. Aus den zugleich mit dem SMAD-Befehl Nr. 64 bekanntgegebenen DWK-Richtlinien Nr. 1 zu diesem Befehl ergibt sich keine über den genannten Personenkreis hinausgehende Zielsetzung der Unternehmensenteignungen. Nach Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinien Nr. 1 sollten sich die Enteignungen wirtschaftlicher Unternehmungen über das bilanzierte Vermögen hinaus überhaupt auf das den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen einschließlich aller Rechte und Beteiligungen erstrecken, soweit nicht die Beschlüsse der Landeskommissionen ausdrücklich etwas anderes bestimmten; nach Absatz 2 sollte im Fall der teilweisen Enteignung eines Unternehmens mit mehreren Betriebsstätten die Enteignung auch alle anderen Unternehmensteile erfassen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang untereinander standen. Diese Erstreckungsregelungen betrafen, wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat (vgl. Beschluß vom 8. April 1998 – BVerwG 7 B 7.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149; Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – a.a.O.; Urteil vom 3. Juni 1999 – BVerwG 7 C 35.98 – ZOV 1999, 393), die schon zuvor enteignungsbetroffenen Eigentümer jener Unternehmen; sie mußten sich – auch unabhängig von einem weiteren tatsächlichen Eigentumszugriff – in dem in den Richtlinien Nr. 1 beschriebenen Umfang als aus ihrem Unternehmenseigentum verdrängt betrachten.
Dagegen ließ sich den Richtlinien Nr. 1 nicht oder jedenfalls nicht mit der zur Annahme eines tatsächlichen Eigentumsverlusts erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, daß sich die Enteignungsaktion nunmehr auch gegen solche Personen richtete, die von ihr bislang nicht betroffen waren. Zwar ist unter dem „bilanzierte(n) Vermögen” in der Regel das dem Unternehmensträger gehörende Anlage- und Umlaufvermögen zu verstehen. Der vom Beklagten hieraus gezogene Schluß, daß mit der Erstreckung der Enteignung auf „das den betrieblichen Zwecken dienende Vermögen” nur das für betriebliche Zwecke gepachtete Eigentum Dritter gemeint sein könne, geht jedoch fehl. Als durch die Betriebsenteignung miterfaßt kommt insbesondere das für betriebliche Zwecke genutzte Privatvermögen der Inhaber oder Gesellschafter des Unternehmens in Betracht (§ 1 Nr. 2 der Richtlinien Nr. 3 zum SMAD-Befehl Nr. 64 – „sonstiges Vermögen”; vgl. hierzu Urteil vom 28. September 1999 – BVerwG 7 C 44.98 – ZOV 2000, 50). Daß auch Dritte, die dem enteigneten Unternehmen ein Grundstück zur Nutzung überlassen hatten, ohne vorherige Prüfung und Feststellung einer individuellen Belastung allein deswegen, weil ihr Eigentum in das verstaatlichte Unternehmenseigentum der „Kriegs- und Naziverbrecher” eingebunden war, dieses Eigentum verlieren sollten, war ohne weitere, speziell darauf abzielende Zugriffsmaßnahmen nicht anzunehmen (Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – a.a.O.). Das Verwaltungsgericht hat nicht festgestellt, daß eine solche Maßnahme hier vor Ende der Besatzungszeit ergangen ist.
Anders als der Beklagte und das Verwaltungsgericht meinen, kommt es demgemäß auch mit Blick auf die Erstreckungsregelung der Richtlinien Nr. 1 darauf an, ob der hiervon betroffene Eigentümer bereits einer Enteignungsmaßnahme unterworfen wurde. Dem steht nicht entgegen, daß in den „Richtlinien für die Bevollmächtigten” über die Auslegung der Nr. 2 Abs. 1 der Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 vom 28. Oktober 1948, auf die sich der Beklagte in seiner Revisionserwiderung beruft, ein Zugriff auch auf betrieblichen Zwecken dienendes Eigentum Dritter vorgesehen war. Hiernach sollten die zuständigen Verwaltungsstellen beachten, daß nach dem Sinn der Richtlinien Nr. 1 durch die Enteignung eines wirtschaftlichen Unternehmens grundsätzlich solche in fremdem Eigentum stehenden Vermögenswerte miterfaßt werden, die dem enteigneten Unternehmen „a) vor dem 8. Mai 1945, b) ohne Zwang, c) ausschließlich oder überwiegend, d) für betriebliche Zwecke” zur Verfügung gestellt wurden. Aufgrund dieser Auslegungsrichtlinien mußte sich die Eigentümerin des Gehöfts schon deswegen nicht als enteignet ansehen, weil sie nicht veröffentlicht wurden und ein Zugriffsakt, der ihre Anwendung auf das Gehöftgrundstück in der Rechtswirklichkeit erkennbar gemacht hätte, vom Verwaltungsgericht nicht festgestellt worden ist.
b) Die besonderen Voraussetzungen, unter denen erst nach der Gründung der DDR vollendete Enteignungen ausnahmsweise noch von der Verantwortung der sowjetischen Besatzungsmacht gedeckt sind und deshalb auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhen, sind ebenfalls nicht erfüllt. Aus den Richtlinien Nr. 1 zum SMAD-Befehl Nr. 64 läßt sich kein Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zur Enteignung bislang nicht enteignungsbetroffener Dritter herleiten.
Ein die Besatzungszeit überdauernder Zurechnungszusammenhang setzt nach der Rechtsprechung des Senats voraus, daß der betreffende Enteignungsakt unter der Oberhoheit der Besatzungsmacht und mit ihrer Billigung in einer Weise in die Wege geleitet worden war, die die Verantwortung der Besatzungsmacht für den weiteren Vollzug durch die deutschen Stellen begründete (vgl. Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 55.95 – BVerwGE 101, 201 ≪204≫; Urteil vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 C 53.95 – BVerwGE 101, 273 ≪275 f.≫). Einen solchen Auftrag zum Vollzug einer gegenständlich und sachlich vorgeformten Enteignungsaktion enthielten die Richtlinien Nr. 1 – insbesondere deren Nr. 2 Abs. 1 – jedenfalls nicht für den Zugriff auf betrieblich genutzte Grundstücke, die bislang nicht enteignungsbetroffenen Dritten gehörten.
Die Besatzungsmacht hatte der DWK durch Nr. 8 des SMAD-Befehls Nr. 64 den Auftrag erteilt, „zur Durchführung dieses Befehls Richtlinien zu erlassen und andere entsprechende Maßnahmen zu ergreifen”. Dieser Auftrag umfaßte keine Handlungsanweisung des Inhalts, daß sich die im SMAD-Befehl Nr. 64 bestätigten Unternehmensenteignungen auf das Vermögen Dritter erstrecken sollten; hierin liegt der wesentliche Unterschied von Fällen der vorliegenden Art zu sonstigen „Nacherfassungen” begründet, bei denen entweder die Enteignung des Unternehmensträgers auf das gesamte Vermögen desselben Eigentümers erstreckt wurde (vgl. Urteil vom 3. Juni 1999 – BVerwG 7 C 35.98 – ZOV 1999, 393) oder die Enteignung für den Eigentümer bereits vor Ende der Besatzungszeit offenkundig war, aber erst danach grundbuchtechnisch abgewickelt wurde (vgl. Beschluß vom 16. April 1993 – BVerwG 7 B 3.93 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 3; Beschluß vom 8. April 1998 – BVerwG 7 B 7.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149; Beschluß vom 6. April 1999 – BVerwG 8 B 6.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 3).
Selbst wenn die DWK in den Richtlinien Nr. 1, in den hierzu ergangenen Auslegungsrichtlinien vom 28. Oktober 1948 oder in anderen zum SMAD-Befehl Nr. 64 erlassenen Bestimmungen eindeutig den Willen geäußert hätte, auf das betrieblich genutzte Vermögen Dritter zuzugreifen, könnte hieraus nicht auf einen mittelbar erteilten Auftrag der Besatzungsmacht zur Vornahme der in Rede stehenden Enteignungen geschlossen werden. Da die in dem Befehl bestätigten Unternehmensenteignungen in erster Linie durch die Absicht gekennzeichnet waren, die als „Kriegs- und Naziverbrecher” bezeichneten Unternehmenseigentümer für ihr Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen, ging die Ausdehnung der Unternehmensenteignungen auf das Eigentum dritter, bislang nicht betroffener Personen über den Rahmen der von der Besatzungsmacht durch den Befehl Nr. 64 gebilligten Enteignungsaktion hinaus. Diese Personen mußten die Enteignungen nicht um ihrer Eigenschaft als „Kriegs- und Naziverbrecher” willen, sondern schon allein deswegen hinnehmen, weil es den deutschen Stellen im Interesse eines möglichst reibungslosen Aufbaus der volkseigenen Wirtschaft wünschenswert erschien, sämtliche dem Unternehmenszweck dienenden Vermögensgegegenstände in Volkseigentum zu überführen. Infolgedessen können Regelungen, die einen solchen weitergehenden Eigentumszugriff zum Gegenstand haben, nicht mehr als bloße Durchführungsbestimmungen zu den bisherigen Unternehmensenteignungen angesehen werden. Jenseits dieses Regelungsbereichs kann eine eigene, über den Zeitpunkt der Gründung der DDR hinausreichende Vollzugsverantwortung der Besatzungsmacht nur angenommen werden, wenn diese einen entsprechenden Willen geäußert hatte (Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – a.a.O.).
Mangels Bekundung eines richtunggebenden Willens der Besatzungsmacht, die von den Unternehmensenteignungen nicht betroffenen Vermögenswerte Dritter mitzuenteignen, sind diese Vermögenswerte nicht gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG von der Restitution ausgenommen, wenn auf sie erst nach Ende der Besatzungszeit zugegriffen wurde. Der bloße Umstand, daß die Enteignungen von den deutschen Stellen auf eine besatzungshoheitliche Grundlage gestützt wurden, reicht zur Anwendung dieser Vorschrift nicht aus (Urteil vom 30. Mai 1996 – BVerwG 7 C 55.95 – BVerwGE 101, 201 ≪205≫). Ebensowenig kommt es bei derartigen Enteignungen auf die erkennbare Absicht der deutschen Stellen an, die vorangegangenen, auf besatzungshoheitlicher Grundlage beruhenden Unternehmensenteignungen abzurunden und die auf diese Weise entstandene volkseigene Wirtschaft im Einklang mit der politisch-ideologischen Zielsetzung der Besatzungsmacht (vgl. Nrn. 2 und 7 des SMAD-Befehls Nr. 64) zu stärken (Urteil vom 6. Dezember 1996 – BVerwG 7 C 9.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 96; Urteil vom 28. Januar 1999 – BVerwG 7 C 10.98 – a.a.O.). Entscheidend ist allein, ob den nach der Gründung der DDR vorgenommenen Enteignungen ein konkreter Vollzugsauftrag der Besatzungsmacht zugrunde lag. Hierfür ist nach dem vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt nichts ersichtlich.
c) Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Frage ab, ob auf das Gehöftgrundstück während der Besatzungszeit faktisch enteignend zugegriffen worden ist. Hierzu muß das Verwaltungsgericht noch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen. In diesem Zusammenhang ist die Behauptung des Klägers von Bedeutung, der Eigentümerin des Gehöftgrundstücks sei noch bis Mitte 1950 der laufende Pachtzins gezahlt worden. In diese Richtung deutet auch der Bericht, den der von der VVB als Treuhänder für ausländisches Vermögen eingesetzte Buchhalter mit Datum vom 15. Juli 1950 über das Unternehmen der H. GmbH verfaßt hat. Darin heißt es, daß das Gehöft noch im Eigentum der Rechtsvorgängerin des Klägers stehe und ein bis 1953 laufender Pachtvertrag vorliege. Der Hinweis des Beklagten, das Gehöftgrundstück sei ebenso wie das Unternehmen der H. GmbH während der Besatzungszeit von sowjetischen Truppen besetzt gewesen, weist in erster Linie auf eine Beschlagnahme zu militärischen Zwecken hin und ist deshalb für sich allein gesehen kaum geeignet, eine Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage darzutun. Sollte die weitere Prüfung ergeben, daß das Gehöft H. erst nach dem Ende der Besatzungszeit entschädigungslos enteignet worden ist und damit auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG vorliegt, wird das Verwaltungsgericht auch zu prüfen haben, ob einem Rückübertragungsanspruch der Restitutionsausschlußgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG entgegensteht. Eine entsprechende Behauptung haben der Beklagte und die Beigeladene erstmals im Revisionsverfahren vorgebracht.
Unterschriften
Dr. Franßen, Dr. Bardenhewer, Gödel, Kley, Herbert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.03.2000 durch Gallin Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
ZAP-Ost 2000, 336 |
NJ 2000, 387 |
OVS 2000, 212 |