Leitsatz (amtlich)
§ 2 Abs. 2 EnLAG a.F. bestimmt abschließend, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Planfeststellungsbehörde bei einem Pilotvorhaben nach § 2 Abs. 1 EnLAG a.F. vom Vorhabenträger Errichtung und Betrieb eines Erdkabels gegen dessen Willen verlangen kann.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, die niedersächsische Stadt Einbeck, wendet sich gegen eine Hochspannungsfreileitung.
Rz. 2
Auf Antrag vom 18. Dezember 2013 erließ die Beklagte unter dem 28. November 2017 den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der 380 kV-Leitung Wahle - Mecklar, Abschnitt B: UW Lamspringe - UW Hardegsen und Anbindungsleitung Pumpspeicherwerk (PSW) Erzhausen. Das Vorhaben ist ein Abschnitt des Vorhabens Nr. 6 des Bedarfsplans nach dem Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) (Neubau Höchstspannungsleitung Wahle - Mecklar, Nennspannung 380 kV) und damit Teil eines Pilotverfahrens zum Test des Einsatzes von Erdkabeln auf der Höchstspannungsebene im Übertragungsnetz nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EnLAG. Der Abschnitt umfasst die Errichtung und den Betrieb der 380 kV-Übertragungsleitung zwischen dem geplanten Umspannwerk (UW) Lamspringe und dem UW Hardegsen als Freileitung, eine Kabelübergangsanlage sowie ein 380 kV-Erdkabel zur Anbindung des PSW Erzhausen, den Rückbau der bestehenden 220 kV-Leitung zum PSW, die Mitführung der 110 kV-Bahnstromleitung Kreiensen-Rethen sowie den Rückbau der nicht mehr benötigten Abschnitte von mitgeführten Leitungen.
Rz. 3
Der insgesamt 50 km lange Leitungsabschnitt verläuft auf einer Länge von rund 31 km auf dem Gebiet der Klägerin. Bei Mast B023 erreicht die von Osten kommende Leitung das Gemeindegebiet, quert dort mit den Masten B024 bis B026 das Überschwemmungsgebiet der Leine und wird in südwestlicher, später südlicher Richtung bis zur Bundesstraße B 64 bei Mast B034 geführt. Die Leitung folgt dem Verlauf der Bundesstraße nach Westen bis Mast B051 und umgeht so die Kernstadt der Klägerin im Norden. Zwischen den Masten B034 und B038 soll die Leitung zwischen der Bundesstraße und dem nördlich gelegenen Windpark auf dem Süllberg verlaufen. Bei Mast B051 und damit nördlich von Hallensen schwenkt die Leitung nach Süden und verläuft sodann westlich der Kernstadt der Klägerin. Dabei quert sie in der Nähe von Mast B066 eine im Flächennutzungsplan dargestellte Sonderbaufläche, für welche die Klägerin die Ansiedlung eines Betriebsbahnhofes für die Ilmebahn anstrebt.
Rz. 4
Die planfestgestellte Trassenführung entspricht im nördlichen Verlauf einer im Raumordnungsverfahren als vorzugswürdig planfestgestellten großräumigen Variante 2. Der Verlauf auf dem Gemeindegebiet bindet die Leitung über die nach Westen verlaufende, raumordnerisch nicht geprüfte Querspange an eine im Raumordnungsverfahren bewertete Variante 4 an, welche die Kernstadt der Klägerin westlich umgeht.
Rz. 5
Die Klägerin rügt mit ihrer Klage einen Verfahrensfehler bei der Auslegung und beanstandet das Fehlen eines Raumordnungsverfahrens für die Querspange auf ihrem Gemeindegebiet. Sie sieht sich durch die planfestgestellte Höchstspannungsleitung in ihren kommunalen Handlungsmöglichkeiten in rechtswidriger Weise beschränkt. Der Planfeststellungsbeschluss tangiere das für den Betriebsbahnhof Ilmebahn im Flächennutzungsplan dargestellte Sondergebiet und behindere einen Ausbau der Sonderbaufläche für Windenergieanlagen am Süllberg. Bei der Prüfung, ob die Trasse auch im Wege einer Erdverkabelung errichtet werden könne, sei es zu einem Ermessensnichtgebrauch gekommen. Infolgedessen sei die Trassenwahl abwägungsfehlerhaft.
Rz. 6
Die Klägerin beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 28. November 2017 für den Neubau der 380 kV-Leitung Wahle - Mecklar, Abschnitt B: UW Lamspringe - UW Hardegsen und Anbindungsleitung Pumpspeicherwerk Erzhausen aufzuheben, soweit er das Gebiet der Klägerin betrifft.
Rz. 7
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Rz. 9
Der planfestgestellte Leitungsabschnitt ist Teil des Vorhabens Neubau der Höchstspannungsleitung Wahle - Mecklar, Nennspannung 380 kV. Damit entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 EnLAG i.V.m. Nr. 6 der Anlage zum EnLAG über die Klage im ersten und letzten Rechtszug.
Rz. 10
Die Klage hat keinen Erfolg.
Rz. 11
Entgegen der Ansicht der Beigeladenen scheitert die Zulässigkeit der Klage nicht an § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Klageschrift hat ein Beschäftigter der Klägerin mit Befähigung zum Richteramt unterzeichnet. Die Voraussetzungen einer wirksamen Vertretung sind damit erfüllt. Die Klägerin ist auch klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Sie kann eine mögliche Beeinträchtigung ihrer gemeindlichen Planungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geltend machen. Denn es ist nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass die planfestgestellte Überspannung der im Flächennutzungsplan der Klägerin dargestellten Sonderbauflächen für den Betriebsbahnhof Ilmebahn sowie für Windenergieanlagen am Süllberg ihre Planungshoheit verletzt. Die Klage ist damit insgesamt zulässig (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 21).
Rz. 12
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an Fehlern, deren Vorliegen die Klägerin als Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Die Klägerin hat deshalb weder einen Anspruch auf Aufhebung noch - als rechtliches Minus - auf Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Als von der Fachplanung betroffene Gemeinde ist sie auf die Rüge von Vorschriften beschränkt, die ihrem Schutz dienen. Sie kann ihre Klage auf das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete gemeindliche Selbstverwaltungsrecht, insbesondere in Gestalt der gemeindlichen Planungshoheit, sowie auf ihr zivilrechtliches Eigentum stützen. Keines dieser Rechte vermittelt ihr indes einen Anspruch auf Vollüberprüfung des Planfeststellungsbeschlusses (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013- 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 23 m.w.N.). Als Gemeinde ist die Klägerin auch nicht befugt, sich zur Sachwalterin der Allgemeinheit zu machen oder den Schutz des Eigentums oder der Gesundheit ihrer Bürger gerichtlich zu verfolgen (stRspr, etwa BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 9 A 8.15 - Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 170 Rn. 14). Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses ist die Rechtslage bei dessen Erlass am 28. November 2017, soweit nicht spätere Rechtsänderungen einen vormaligen Rechtsverstoß entfallen lassen (BVerwG, Urteile vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 52 und vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 25).
Rz. 13
1. Der Planfeststellungsbeschluss leidet nicht an den geltend gemachten Verfahrensfehlern.
Rz. 14
a) Die Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung war nicht fehlerhaft.
Rz. 15
Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen § 43 Satz 9 EnWG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG und § 73 Abs. 2 VwVfG, weil die ihr zur Auslegung überlassenen Unterlagen unvollständig gewesen seien. Denn seitens der Beigeladenen hätten weitere Kartierungsarbeiten (zu Fledermäusen) durchgeführt werden müssen, die im ursprünglich ausgelegten Planentwurf noch nicht enthalten gewesen seien. Der Vortrag führt nicht auf einen Verfahrensfehler.
Rz. 16
Einen Verstoß gegen § 43 Satz 9 EnWG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG und § 73 Abs. 2 VwVfG könnte die Klägerin als Gemeinde nicht als Verstoß gegen ein subjektives Recht geltend machen, weil sie durch diese Vorschrift nur als Behörde angesprochen ist. Zu fragen ist, ob die zur Auslegung bestimmten Unterlagen den Anforderungen nach § 43 Satz 9 EnWG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG und § 73 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 VwVfG genügten (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 - 9 A 8.10 - BVerwGE 139, 150 Rn. 19). Das ist zu bejahen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. Juni 2014 - 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 12) müssen nicht alle Unterlagen, die möglicherweise zur umfassenden Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Planung erforderlich sind, ausgelegt werden, sondern nur solche, die - aus der Sicht der potenziell Betroffenen - notwendig sind, um den Betroffenen ihr Interesse an der Erhebung von Einwendungen bewusst zu machen (Anstoßwirkung). Ob dazu auch Gutachten gehören, beurteilt sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalles. Sachverständigengutachten sind grundsätzlich dann auszulegen, wenn sich erst aus ihnen abwägungserhebliche Auswirkungen auf die Belange potenziell Betroffener oder anerkannter Vereinigungen ergeben, diese also nur bei Kenntnis des Gutachtens hinlänglich über das Vorhaben und dessen Auswirkungen auf ihre Rechte und Interessen unterrichtet sind und sachkundige Einwendungen erheben oder eine Stellungnahme abgeben können. Ergänzt ein Gutachten dagegen nur ausgelegte Planunterlagen, muss es nicht mit ausgelegt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 2011 - 9 A 8.10 - a.a.O. Rn. 19). Abweichendes ergibt sich auch aus § 6 UVPG in der bis zum 28. Juli 2017 geltenden Fassung (a.F.) nicht (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 24. November 2004 - 9 A 42.03 - juris Rn. 26).
Rz. 17
Die gebotene Anstoßfunktion der Auslegung wurde auch ohne die von der Klägerin vermissten Fledermauskartierungen erreicht. Denn die Auswirkungen der geplanten 380 kV-Freileitung auf Fledermäuse waren bereits Gegenstand der ausgelegten Umweltverträglichkeitsstudie der Beigeladenen (Erläuterungsbericht, Anlage 12, Kap. 6.2-40). Bereits auf dieser Grundlage waren die interessierte Öffentlichkeit und die Behörden hinlänglich über das Vorhaben und dessen Auswirkungen unterrichtet und in der Lage, sachkundige Einwendungen zu erheben oder Stellungnahmen abzugeben.
Rz. 18
Im Übrigen wäre der behauptete Verfahrensfehler geheilt. Denn die Fledermauskartierungen wurden in der zweiten Öffentlichkeitsbeteiligung mit ausgelegt. Mit der von der Klägerin angesprochenen Frage, ob § 73 Abs. 8 VwVfG anwendbar ist, hat dies nichts zu tun. Diese Vorschrift gewährt Verfahrenserleichterungen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. April 2012 - 4 C 8.09 u.a. - BVerwGE 142, 234 Rn. 27 und 30) für den Fall, dass ein ausgelegter Plan geändert worden ist und dadurch der Aufgabenbereich einer Behörde oder einer Vereinigung oder Belange Dritter erstmals oder stärker als bisher berührt werden. Hier fehlt es bereits an einer Planänderung. Ferner ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Betroffenheiten durch die nachträglich erstellten Fledermauskartierungen geändert haben könnten.
Rz. 19
b) Das Verfahren war nicht deshalb fehlerhaft, weil die planfestgestellte in Ost-West-Richtung verlaufende Querspange zwischen den landesplanerisch geprüften großräumigen Varianten 2 und 4 nicht in einem Raumordnungsverfahren untersucht wurde.
Rz. 20
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ROG prüft die für Raumordnung zuständige Landesbehörde in einem Raumordnungsverfahren die Raumverträglichkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 1 RoV. Nach § 1 Satz 1 RoV soll für die in Satz 3 der Vorschrift aufgelisteten Planungen und Maßnahmen ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, wenn sie im Einzelfall raumbedeutsam sind und überörtliche Bedeutung haben. Nach § 1 Satz 3 Nr. 14 RoV fällt die Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr hierunter.
Rz. 21
Die Raumverträglichkeit des Vorhabens der Beigeladenen wurde auf deren Antrag in einem Raumordnungsverfahren untersucht. Die Untersuchung wurde mit einer landesplanerischen Feststellung vom 30. November 2011 abgeschlossen, in der die großräumige Variante 2 östlich der Kernstadt der Klägerin als raumverträglich und vorzugswürdig festgestellt wurde. Planfestgestellt wurde demgegenüber die Variante B01-3, die im Bereich des PSW Erzhausen eine Querspange zwischen den großräumigen Varianten 2 und 4 vorsieht. Von der Landesplanerischen Feststellung weicht der Planfeststellungsbeschluss damit gleichwohl nicht ab. Denn deren Maßgabe 7 formuliert als Prüfauftrag:
"Zu prüfen ist, ob im Bereich des Pumpspeicherwerks Erzhausen der Gemeinde Kreiensen und der Stadt Einbeck im Ortsteil Naensen durch eine Querspange von der Variante 2 nördlich von Heckenbeck zur Variante 4 nördlich von Hallensen die Belastungen im Raum Bad Gandersheim angemessen verringert werden können."
Rz. 22
Hintergrund dieses Prüfauftrags war, dass die Leitung nach Einschätzung der Landesplanerischen Feststellung in Variante 2 südlich von Kreiensen durch wertvolle Landschaften führe und damit ein hohes Konfliktrisiko auslöse, obwohl diese Variante raumordnerisch grundsätzlich möglich sei; deshalb habe sich im Raumordnungsverfahren die Fragestellung ergeben, ob diese Belastungen durch eine nördliche Querspange verringert werden könnten. In Umsetzung dieses Prüfauftrags hat die Beigeladene die örtliche Variante B01-2 geplant, zur örtlichen Variante B01-3 fortentwickelt und neben den anderen örtlichen Varianten in der Vorgelagerten Variantenuntersuchung (siehe Überblick S. 50) zum Gegenstand ihrer Detailplanung gemacht. Dass sich die Beigeladene dabei vom Prüfauftrag in Maßgabe 7 der Landesplanerischen Feststellung entfernt hätte, macht die Klägerin nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
Rz. 23
Ein Fehler des Planfeststellungsbeschlusses ergibt sich auch nicht daraus, dass die planfestgestellte örtliche Variante B01-3 nicht in einem Raumordnungsverfahren untersucht worden ist. Denn zur Beantragung eines weiteren Raumordnungsverfahrens zur Untersuchung der Raumverträglichkeit ihrer örtlichen Vorzugsvariante B01-3 war die Beigeladene nicht verpflichtet. Ein Raumordnungsverfahren kann auch mit dem Ergebnis enden, dass das zur Prüfung gestellte Vorhaben unter bestimmten Maßgaben raumverträglich ist (vgl. etwa Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2. Aufl. 2018, § 15 Rn. 97). Gegenstand solcher Maßgaben können auch weitere Prüfaufträge sein, die etwa dann naheliegen, wenn sich die Raumordnungsbehörde - wie hier - auf der Grundlage der ihr vorliegenden Unterlagen nicht in der Lage sieht, die Auswirkungen einer Variante auf die zu berücksichtigenden Schutzgüter abschließend zu beurteilen. Die in Maßgabe 7 enthaltene Rückverlagerung der Prüfzuständigkeit auf das detailgenauere Planfeststellungsverfahren ist deshalb nicht zu beanstanden.
Rz. 24
2. Materielle Rechtsverstöße des Planfeststellungsbeschlusses rügt die Klägerin ebenfalls ohne Erfolg.
Rz. 25
a) Der Planfeststellungsbeschluss verletzt die Klägerin nicht in ihrem Recht auf fehlerfreie Abwägung ihrer gemeindlichen Planungshoheit.
Rz. 26
Die von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Planungshoheit vermittelt der Gemeinde eine wehrfähige, in die Abwägung nach § 43 Satz 4 EnWG einzubeziehende Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen auf dem eigenen Gemeindegebiet, wenn ein Vorhaben der Fachplanung eine hinreichend bestimmte Planung nachhaltig stört, wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren Planung entzieht oder wenn kommunale Einrichtungen durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden (BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 1988- 4 C 40.86 - BVerwGE 81, 95 ≪106≫, vom 30. Mai 2012 - 9 A 35.10 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 225 Rn. 35 und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 58, jeweils m.w.N.). Darüber hinaus muss die Planfeststellungsbehörde auf noch nicht verfestigte, aber konkrete Planungsabsichten einer Gemeinde abwägend dergestalt Rücksicht nehmen, dass durch die Fachplanung von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise "verbaut" werden (BVerwG, Urteile vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 ≪394≫ und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - a.a.O.).
Rz. 27
aa) Entsprechende Betroffenheiten sind hinsichtlich des beabsichtigten Betriebsbahnhofs Ilmebahn nicht dargetan.
Rz. 28
Im Flächennutzungsplan der Klägerin ist im Westen der Kernstadt ein Sondergebiet "SO" zeichnerisch dargestellt, das westlich der Bundesstraße B 3 und südlich der Landesstraße L 580 liegt und von der planfestgestellten Leitung zwischen den Masten B065 und B066 überspannt werden soll. Für dieses Gebiet werde, so die Klägerin, ein Planfeststellungsverfahren nach dem Eisenbahnrecht angestrebt, um eine Verladung - insbesondere von Holz - von der Straße auf die Schiene zu ermöglichen. Dieses Vorhaben werde durch die planfestgestellte Höchstspannungsleitung beeinträchtigt, weil mit Behinderungen der Beladeeinrichtungen, Kräne und elektrischen Steuerungseinheiten der Verladestation zu rechnen sei. Dies sei im Planfeststellungsbeschluss nicht ausreichend gewürdigt worden.
Rz. 29
Es fehlen schon hinreichend bestimmte gemeindliche Planungen oder konkrete Planungsabsichten, die in der fachplanerischen Abwägung zu berücksichtigen gewesen wären. Verbindliche planerische Festsetzungen eines Bebauungsplans liegen nicht vor. Die betreffende Fläche ist nur im Flächennutzungsplan der Klägerin als Sondergebiet dargestellt. Dem Flächennutzungsplan lässt sich aber keine Konkretisierung des Nutzungszwecks des Sondergebiets entnehmen (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 30. September 1993 - 7 A 14.93 - Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 23 = juris Rn. 44). Auch in anderer Weise ist dieses Planungsvorhaben nicht näher konkretisiert.
Rz. 30
Ebenso fehlen substantiierte Darlegungen zu möglichen Beeinträchtigungen der geplanten Bahnhofsanlagen. Die Klägerin trägt nicht vor, wo die Anlagen des Betriebsbahnhofs Ilmebahn in welcher Größe und in welchem Abstand zur planfestgestellten Freileitung errichtet werden sollen und woraus sich die behauptete Beeinflussung elektronischer Geräte ergeben soll. Der Klägerin geht es im Kern darum, sich alle planerischen Optionen offen zu halten. Ein solcher "Freihaltebelang" ist für sich genommen nicht abwägungserheblich (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 ≪394 f.≫).
Rz. 31
Damit geht auch die Rüge ins Leere, eine Störung des Betriebsbahnhofs Ilmebahn greife in die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin ein.
Rz. 32
bb) Auch hinsichtlich der Sonderbaufläche für Windenergieanlagen am Süllberg legt die Klägerin weder abwägungsrelevante Planungen oder Planungsabsichten noch planbedingte Beeinträchtigungen dar.
Rz. 33
In welche Richtung und auf welche Flächen die Sonderbaufläche für die Windenergienutzung ausgeweitet werden soll, bleibt im Dunkeln. Hinsichtlich zukünftiger Ausweitungsabsichten der Klägerin verweist die Beigeladene zu Recht auf den Prioritätsgrundsatz, wonach in der Konkurrenz zwischen Fachplanung und Bauleitplanung diejenige Planung Rücksicht zu nehmen hat, die zeitlich nachfolgt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 ≪394≫). Welche Störungen die Klägerin für die bestehenden Anlagen befürchtet, obwohl nach Angabe der Beigeladenen die nach der DIN EN 50341-3-4 geforderten Abstände eingehalten werden, ist nicht ersichtlich.
Rz. 34
b) Ein Abwägungsfehler bezüglich der denkbaren Trassenvarianten liegt ebenfalls nicht vor.
Rz. 35
Unberechtigt ist insbesondere die Kritik an der Vorgelagerten Variantenuntersuchung der Beigeladenen.
Rz. 36
Die Klägerin stört sich an der Formulierung (Erläuterungsbericht, Anhang 3, S. 4), eine Überprüfung der Alternativen und Varianten habe unter landesplanerischen Aspekten bereits im Raumordnungsverfahren stattgefunden. Sie hält diese Aussage für unzutreffend, weil das Raumordnungsverfahren die planfestgestellte Variante gerade nicht geprüft habe. Dem folgt der Senat nicht. Denn in der Vorgelagerten Variantenuntersuchung ist klargestellt, dass die im Raumordnungsverfahren als raumverträglich festgestellte Trassenführung nur der "Ausgangspunkt" für das Planfeststellungsverfahren gewesen sei. Die Beigeladene stellt nicht in Abrede, dass die planfestgestellte örtliche Variante B01-3 im Raumordnungsverfahren nicht vollständig geprüft wurde. Dass sie ihre Variantenuntersuchung auf die im Raumordnungsverfahren nicht geprüften Umweltauswirkungen beschränken durfte, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 25).
Rz. 37
Entgegen der Kritik der Klägerin ist in der Vorgelagerten Variantenuntersuchung auch nachvollziehbar begründet, warum die örtliche Variante B01-3 gewählt wurde. Die Untersuchung enthält nach einer Beschreibung des methodischen Vorgehens (3.2, S. 26 ff.) und einer ausführlichen Darstellung der Vergleichskriterien (3.3, S. 28 ff.) eine nach den Vergleichskriterien gewichtete Beschreibung der einzelnen Varianten (3.4, S. 37 ff.) sowie eine vergleichende tabellarische Gegenüberstellung (S. 56 ff.). Im Anschluss daran werden für die einzelnen Varianten Zwischenergebnisse (3.4.8, S. 62 ff.) formuliert und ein gewichtetes Gesamtergebnis (3.4.11, S. 75 f.) präsentiert. Basierend auf dieser Untersuchung fasst auch der Planfeststellungsbeschluss (S. 91 ff. ≪"Kleinräumige Varianten"≫) die Vorzüge und Nachteile der einzelnen Varianten mit Blick auf verschiedene Schutzgüter noch einmal nachvollziehend zusammen und schließt sich den Ergebnissen der Vorgelagerten Variantenuntersuchung der Beigeladenen an. Was die Klägerin konkret vermisst, bleibt unklar.
Rz. 38
c) Die Beklagte war nicht nach § 43 Satz 4 EnWG verpflichtet, über eine Führung der Leitung als Erdkabel auf der planfestgestellten Trasse abwägend zu entscheiden. Zwar wird die Alternativenprüfung und damit auch die Prüfung technischer Alternativen grundsätzlich durch das fachplanerische Abwägungsgebot gesteuert. Dies schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber, gestützt auf sachliche Gründe, bindende Vorgaben für die Ausgestaltung des Vorhabens macht und so den Spielraum von Planungsträgern und Planfeststellungsbehörden einschränkt (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2013 - 7 VR 13.12 - UPR 2013, 345 Rn. 27). Eine solche Beschränkung folgt aus § 2 Abs. 1 und 2 EnLAG. Dies sieht der Planfeststellungsbeschluss (S. 86 f.) richtig.
Rz. 39
Das am 18. Dezember 2013 beantragte Planfeststellungsverfahren war nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EnLAG nach den bis zum 30. Dezember 2015 geltenden Vorschriften zu Ende zu führen (im Folgenden EnLAG a.F., zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. März 2011 - BGBl. I S. 338). Denn die Beigeladene hat nicht entsprechend § 2 Abs. 4 Satz 2 EnLAG beantragt, das Verfahren nach dem Energieleitungsausbaugesetz in der ab dem 31. Dezember 2015 geltenden Fassung fortzuführen (PFB S. 87).
Rz. 40
Der planfestgestellte Abschnitt ist als Teil der Leitung Wahle - Mecklar ein Pilotverfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 EnLAG a.F. Die Leitung kann nach § 2 Abs. 1 EnLAG a.F. nach Maßgabe von § 2 Abs. 2 EnLAG a.F. als Erdkabel errichtet und betrieben oder geändert werden, um den Einsatz von Erdkabeln auf der Höchstspannungsebene im Übertragungsnetz zu testen. Nach § 2 Abs. 2 EnLAG a.F. ist im Falle des Neubaus auf Verlangen der für die Zulassung des Vorhabens zuständigen Behörde bei einem solchen Vorhaben eine Höchstspannungsleitung auf einem technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitt als Erdkabel zu errichten und zu betreiben oder zu ändern, wenn die Leitung nach Nr. 1 in einem Abstand von weniger als 400 m zu Wohngebäuden errichtet werden soll, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB liegen, falls diese Gebiete vorwiegend dem Wohnen dienen, oder nach Nr. 2 in einem Abstand von weniger als 200 m zu Wohngebäuden errichtet werden soll, die im Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB liegen. Diese Abstände werden im planfestgestellten Abschnitt nicht unterschritten (PFB S. 87), sieht man von der als Erdkabel nach § 43 Satz 8 EnWG planfestgestellten Anbindungsleitung für das PSW Erzhausen ab. Die Voraussetzungen für ein Verlangen der Behörde nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EnLAG a.F. lagen damit auf dem gewählten örtlichen Trassenverlauf nicht vor.
Rz. 41
§ 2 Abs. 2 EnLAG a.F. bestimmt abschließend, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 - 4 A 16.16 - NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 95) die Planfeststellungsbehörde bei einem Pilotvorhaben nach § 2 Abs. 1 EnLAG a.F. vom Vorhabenträger Errichtung und Betrieb eines Erdkabels gegen dessen Willen verlangen kann. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EnLAG a.F. (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. April 2017 - 4 A 2.16 u.a. - juris Rn. 43 f.) verlören ihren Sinn, wenn die Planfeststellungsbehörde bei ihrem Fehlen dem Vorhabenträger als Ergebnis einer fachplanerischen Abwägung Errichtung und Betrieb eines Erdkabels aufgeben könnte, das mit Eingriffen in die Rechte des Vorhabenträgers und der Grundeigentümer verbunden wäre. Dies entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers, der in § 2 Abs. 2 EnLAG regeln wollte, "unter welchen Voraussetzungen die Teilverkabelung erfolgen darf" (BT-Drs. 16/10491 S. 16). Dass der Gesetzgeber den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 EnLAG abschließende Wirkung zumisst, belegt die Neufassung des § 2 EnLAG durch Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Bestimmungen des Rechts des Energieleitungsausbaus vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2490). Denn die Vorschrift regelt die Voraussetzungen für ein Erdkabel im Regelungsbereich des Energieleitungsausbaugesetzes sowohl hinsichtlich der in Betracht kommenden Leitungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EnLAG), der Anordnungsanlässe (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und 3 EnLAG), des Umfangs (§ 2 Abs. 2 Satz 2 EnLAG) und des Verfahrens (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 4 EnLAG: "auf Antrag des Vorhabenträgers") im Einzelnen und weist die Befugnis zur Anordnung von Erdkabeln - jedenfalls gegen den Willen des Vorhabenträgers - nicht dem fachplanerischen Abwägungsgebot zu.
Rz. 42
d) Auf die geltend gemachten "besonders starken Auswirkungen" der planfestgestellten Leitung im Bereich von Natur und Landschaft kann sich die Klägerin als Gemeinde nicht berufen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 24 m.w.N.). Eine fehlerhafte Abwägung weiterer "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" der Klägerin ist nicht dargetan. Zwar ist nicht auszuschließen, dass ein Vorhaben der Fachplanung die Leistungsfähigkeit einer durch Fremdenverkehr geprägten Gemeinde so massiv und nachhaltig verschlechtert, dass eine Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts im Rahmen der Abwägung in Betracht zu ziehen wäre (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Februar 1999 - 4 A 47.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148 und vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 1 S. 16). Für die von der Klägerin behaupteten wirtschaftlichen Schäden in Form rückläufiger Touristen- und Besucherzahlen sowie einen Eingriff in ihre erwerbswirtschaftliche Tätigkeit fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt.
Rz. 43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Fundstellen
BVerwGE 2020, 166 |
DÖV 2019, 798 |
JZ 2019, 750 |
NuR 2019, 552 |
VR 2019, 359 |
ZNER 2019, 344 |
EnWZ 2020, 43 |