Entscheidungsstichwort (Thema)
Sanierungsgebiet. förmliche Festlegung des –. Sanierungssatzung. Bestimmtheit. Verfahrensfehler. erneute Beschlußfassung. rückwirkendes Inkraftsetzen. Abschluß der Sanierung. Aufhebung der Sanierungssatzung. Erhebung von Ausgleichsbeträgen
Leitsatz (amtlich)
Eine verfahrensfehlerhaft zustande gekommene Satzung über die förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets kann auch dann noch erneut beschlossen und rückwirkend in Kraft gesetzt werden (§ 215 Abs. 3 BauGB 1986 = § 215a Abs. 2 BauGB 1998), wenn die Sanierung bereits abgeschlossen und die förmliche Festlegung schon aufgehoben worden ist.
Normenkette
BauGB § 142 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 2, § 154 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1, § 162 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; BauGB 1986 § 215 Abs. 3
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 05.12.1996; Aktenzeichen 22 A 1755/93 - u.a.) |
VG Minden (Entscheidung vom 30.03.1993; Aktenzeichen 1 K 352/91 - u.a.) |
Tenor
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Dezember 1996 werden aufgehoben.
Die Sachen werden zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger wenden sich gegen Bescheide des beklagten Bürgermeisters der Stadt E…, mit denen sie zu Ausgleichsbeträgen für sanierungsbedingte Wertsteigerungen ihrer Grundstücke herangezogen worden sind.
Die Grundstücke der Kläger liegen in einem Gebiet, das durch am 5. Mai 1972 bekanntgemachte Satzung als Sanierungsgebiet “Stadtkern” förmlich festgelegt worden ist. Nach Abschluß der Sanierungsmaßnahmen hat die Stadt durch am 5. September 1988 bekanntgemachte Satzung die Sanierungssatzung aufgehoben. Mit Bescheiden vom 10. Februar 1989 hat der Beklagte sodann die Kläger gemäß § 154 BauGB zu Ausgleichsbeträgen herangezogen. Nach erfolglosem Widerspruch haben die Kläger Anfechtungsklagen erhoben. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Sanierungssatzung sei gültig gewesen. Die Heranziehungsbescheide seien nach Grund und Höhe rechtmäßig.
Während des Berufungsverfahrens hat die Stadt, nachdem Zweifel am rechtmäßigen Zustandekommen der Sanierungssatzung von 1972 aufgekommen waren, am 2. Dezember 1996 die Satzung – unter Einschluß von 1978 und 1980 beschlossenen Erweiterungen des Sanierungsgebiets – erneut beschlossen und rückwirkend zum 5. Mai 1972 in Kraft gesetzt. Die Satzung wurde am 3. Dezember 1996 bekanntgemacht. Am selben Tage hat die Stadt erneut eine Satzung zur Aufhebung dieser Sanierungssatzung mit Rückwirkung auf den 5. September 1988 beschlossen und am 4. Dezember 1996 bekanntgemacht.
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteilen vom 5. Dezember 1996 unter Änderung der erstinstanzlichen Urteile die Heranziehungsbescheide aufgehoben. Sie seien rechtswidrig, weil ein Sanierungsgebiet nicht wirksam festgesetzt worden sei. An der Beschlußfassung über die Sanierungssatzung von 1972 habe ein Ratsmitglied mitgewirkt, dem ein Grundstück im Sanierungsgebiet gehört habe und das deshalb von der Mitwirkung gesetzlich ausgeschlossen gewesen sei. Die Satzung hätte nicht rückwirkend erneut in Kraft gesetzt werden können. Sie sei nämlich bereits 1988 aufgehoben worden. Außerdem hätten bei der erneuten Beschlußfassung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets keine städtebaulichen Mißstände mehr bestanden, weil die Sanierung schon abgeschlossen gewesen sei. Überdies sei die Sanierungssatzung ein Instrument, das auf planerisches Wirken in die Zukunft gerichtet sei. Sie könne nicht dazu genutzt werden, nachträglich eine Grundlage für die Erhebung von Geldleistungen von den Bürgern zu schaffen. Des weiteren seien in der erneuten Satzung zur Benennung der im Gebiet gelegenen Grundstücke die inzwischen überholten “historischen” Flurstücksbezeichnungen von 1972 verwendet worden. Auch seien in die Rückwirkung bis 1972 die Flächen einbezogen worden, um die das Sanierungsgebiet erst 1978 und 1980 erweitert worden sei. Selbst wenn die erneute Sanierungssatzung von 1996 wirksam sein sollte, scheitere die Erhebung der Ausgleichsbeträge an der Voraussetzung des § 154 Abs. 3 Satz 1 BauGB, daß die Sanierung abgeschlossen sein müsse. Das sei nicht der Fall, weil die erneute Aufhebungssatzung nicht gemäß § 215 Abs. 3 Satz 2 BauGB (a.F.) rückwirkend hätte in Kraft gesetzt werden können, und die Stadt eine Aufhebungssatzung mit Wirkung ex nunc nicht habe erlassen wollen.
Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Beklagten. Er hält die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht es ausschließt, daß die Grundstücke in einem wirksam förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegen haben, für bundesrechtswidrig.
Die Kläger verteidigen das Berufungsurteil.
Der Oberbundesanwalt hält ein rückwirkendes Inkraftsetzen einer Sanierungssatzung, die verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, auch dann für zulässig, wenn die Sanierung bereits abgeschlossen ist.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen sind zulässig und begründet. Das Berufungsgericht verletzt mit der Annahme, die Erhebung der Ausgleichsbeträge sei rechtswidrig, weil die Grundstücke nicht in einem wirksam festgelegten Sanierungsgebiet gelegen hätten, mehrfach Bundesrecht. Auch die Annahme, die Sanierung sei, wenn eine wirksame Sanierungssatzung unterstellt werde, jedenfalls nicht abgeschlossen, verletzt Bundesrecht. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben. Dem erkennenden Senat ist eine abschließende Entscheidung in der Sache nicht möglich, weil es an Feststellungen des Berufungsgerichts dazu fehlt, ob die Ausgleichsbeträge der Höhe nach rechtmäßig sind.
1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die ursprüngliche Sanierungssatzung sei wegen der Mitwirkung eines nicht zur Mitwirkung befugten Ratsmitglieds nicht wirksam zustande gekommen, ist auf irrevisibles Landesrecht gestützt. Sie bindet den erkennenden Senat (§ 137 Abs. 1 VwGO).
2. Die Sanierungssatzung ist von der beklagten Stadt rückwirkend erneut beschlossen und in Kraft gesetzt worden. Die vom Berufungsgericht hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch. Sonstige Bedenken an der Wirksamkeit der erneuten Satzung bestehen nicht. Der erkennende Senat sieht auch keine Anhaltspunkte für materiellrechtliche Mängel der ursprünglichen Sanierungssatzung, die nicht rückwirkend behoben werden könnten. Für die vom Berufungsgericht angedeuteten Zweifel an dem Vorliegen einzelner materiellrechtlicher Voraussetzungen für die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets im Zeitpunkt des ursprünglichen Satzungserlasses sieht der erkennende Senat keine ernsthafte Grundlage.
§ 215 Abs. 3 Satz 2 BauGB in der für die erneute Sanierungssatzung maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1986 (BGBl I S. 2253) läßt das rückwirkende Inkraftsetzen auch einer verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Sanierungssatzung zu. Daran kann angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts des Gesetzes kein Zweifel bestehen. Auch Sinn und Zweck des Gesetzes sind eindeutig. Das Gesetz will städtebauliche Satzungen nicht daran scheitern lassen, daß sie verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sind. Er will der Gemeinde gerade auch ein rückwirkendes Inkraftsetzen ermöglichen, um aufgrund der nicht wirksamen Satzung ergangenen anderweitigen Entscheidungen und Maßnahmen nachträglich eine einwandfreie rechtliche Grundlage zu verschaffen (vgl. Urteil vom 21. November 1986 – BVerwG 4 C 22.83 – BVerwGE 75, 142 ≪145≫; Urteil vom 5. Dezember 1986 – BVerwG 4 C 31.85 – BVerwGE 75, 262 ≪268≫; Beschluß vom 3. Juli 1995 – BVerwG 4 NB 11.95 – NVwZ 1996, 374 ≪375≫). Daraus folgt, daß ein rückwirkendes Inkraftsetzen auch dann noch möglich ist, wenn die städtebauliche Satzung schon vollzogen ist oder – wie hier – die Sanierungsmaßnahmen schon durchgeführt worden sind. Ob es eines rückwirkenden Inkraftsetzens einer nach Abschluß der Sanierungsmaßnahmen inzwischen wieder aufgehobenen Sanierungssatzung bis zum Zeitpunkt der ursprünglichen Bekanntmachung bedarf, braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls ist dies zulässig. Daß es der Stadt darum ging, mit der erneuten Sanierungssatzung für die ergangenen Ausgleichsbetragsbescheide nachträglich eine sichere Grundlage zu schaffen, ist in keiner Weise rechtlich bedenklich. Auf die weiteren Einwände des Berufungsgerichts gegen die Möglichkeit eines erneuten rückwirkenden Inkraftsetzens einer Sanierungssatzung im einzelnen einzugehen, besteht angesichts der klaren Gesetzeslage kein Anlaß.
Die Bedenken des Berufungsgerichts gegen die Bestimmtheit der rückwirkenden Satzung sind unbegründet. Die Gemeinde durfte bei der erneuten Beschlußfassung und Bekanntmachung der Sanierungssatzung zur Bezeichnung der in ihrem Geltungsbereich gelegenen Grundstücke die alten Grundstücksbezeichnungen verwenden. Die Bezeichnung muß nur so eindeutig sein, daß die Übertragbarkeit der Grenzen in die Örtlichkeit einwandfrei möglich ist (vgl. Beschluß vom 25. Februar 1993 – BVerwG 4 NB 18.92 – Buchholz 406.15 § 5 StBauFG Nr. 2 = BRS 55 Nr. 218). Geht es wie hier, um die Heilung einer Sanierungssatzung, so ist in der Regel die Verwendung der ursprünglichen Grundstücksbezeichnungen eher geeignet, den Bürgern Klarheit über die Gebietsabgrenzung zu verschaffen, nämlich ihnen eine Überprüfung der Identität der ursprünglichen mit der jetzigen Gebietsfestlegung zu ermöglichen, als die Verwendung der geänderten Grundstücksbezeichnungen. Dafür, daß hier die Dinge ausnahmsweise anders liegen könnten, gibt es keine Anhaltspunkte. Abgesehen davon würden etwaige Unklarheiten im Grenzbereich nicht die Unwirksamkeit der erneuten Satzung insgesamt zur Folge haben (vgl. Beschluß vom 4. Januar 1994 – BVerwG 4 NB 30.93 – DVBl 1994, 699 = NVwZ 1994, 684 = Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 69; speziell zur Sanierungssatzung: Beschluß vom 1. Februar 1994 – BVerwG 4 NB 44.93 –).
Auch soweit das Berufungsgericht Zweifel an der Wirksamkeit der erneuten Sanierungssatzung daraus herleitet, daß in die Rückwirkung bis 1972 auch solche Flächen einbezogen worden sind, um die das Sanierungsgebiet erst 1978 und 1980 erweitert worden ist, greifen nicht durch. Die insoweit überschießende Rückwirkung wäre zwar fehlgeschlagen, ohne daß deshalb jedoch die erneute Satzung insgesamt nichtig wäre. Auf jeden Fall wäre sie für den 1972 förmlich festgelegten Bereich, in dem die Grundstücke sämtlicher Kläger gelegen sind, wirksam geworden.
3. Die Erwägungen des Berufungsgerichts, bei unterstellter Wirksamkeit der erneuten Sanierungssatzung hätten die Ausgleichsbeträge jedenfalls deshalb nicht erhoben werden können, weil die Sanierung noch nicht abgeschlossen sei, gehen ebenfalls fehl. Einer erneuten Aufhebungssatzung bedurfte es nicht. Die Aufhebungssatzung von 1988 ist wirksam zustande gekommen. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben sich insoweit keine Zweifel. Die Überlegung des Berufungsgerichts, die Aufhebungssatzung sei ins Leere gegangen, weil ihr Gegenstand, die ursprüngliche Sanierungssatzung, nichtig gewesen sei, geht an der Sache vorbei. Mit der Aufhebungssatzung von 1988 hat die Gemeinde verbindlich erklärt, daß die Sanierung abgeschlossen ist mit der Folge, daß Ausgleichsbeträge zu erheben sind. Mit dem rückwirkenden Inkraftsetzen der ursprünglich fehlerhaften Sanierungssatzung hat die Aufhebungssatzung im Nachhinein auch formal einen – aufzuhebenden – Gegenstand erhalten; das liegt in der Natur der Rückwirkung.
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Lemmel, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1414863 |
BauR 1999, 376 |
NuR 2000, 91 |
ZfBR 1999, 164 |
BRS 1999, 783 |
DVBl. 1999, 255 |
KomVerw 1999, 260 |
FuBW 1999, 571 |
FuHe 2000, 14 |
FuNds 1999, 593 |