Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland

 

Leitsatz (amtlich)

Ein besonderer Notfall, der Sozialhilfeleistungen an Deutsche im Ausland rechtfertigt, liegt dann vor, wenn eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter – hier des Rechts auf angemessene Schulbildung – droht und dieser Gefahr nur durch Hilfegewährung im Ausland begegnet werden kann, weil dem Bedürftigen eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar ist.

 

Normenkette

BSHG § 119

 

Verfahrensgang

VG Berlin (Urteil vom 26.02.1996; Aktenzeichen 17 A 257.95)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Februar 1996 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger, die als deutsche Staatsangehörige zusammen mit ihrer deutschen Mutter und ihrem laotischen Vater in Laos leben, begehren die Gewährung des an ihrer Schule anfallenden Schulgeldes für das Schuljahr 1995/96 in Höhe von insgesamt 3 300 US-Dollar im Wege der Sozialhilfe.

Der Kläger zu 1 ist im Jahre 1983 im früheren Berlin (Ost) geboren und lebt mit seinen Eltern seit dem Jahre 1984 in Laos. Der Kläger zu 2 ist im Jahre 1989 in Laos geboren. Er leidet an chronischen Darmbeschwerden und Asthma. Die Kläger besuchen in Laos seit dem Jahre 1990 bzw. 1992 eine französische Schule, die Ècole Hoffet de Vientiane. Das von dieser Schule erhobene Schulgeld trugen für jedes Schuljahr bis zum Ende des Schuljahres 1994/95 die jeweils zuständigen Sozialhilfeträger.

Mit Bescheid vom 2. Februar 1995 lehnte das Bezirksamt Zehlendorf von Berlin die weitere Sozialhilfegewährung für die Zeit ab 1. Juli 1995 ab. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1995 zurück und führte zur Begründung aus: Ein besonderer Notfall im Sinne des § 119 Abs. 1 BSHG liege nicht vor; aufgrund des Alters der Kläger und der noch nicht so weit fortgeschrittenen schulischen Ausbildung erscheine die Heimführung nach Deutschland, auch aus fürsorgerischen Erwägungen, notwendig und zumutbar.

Mit Urteil vom 26. Februar 1996 hat das Verwaltungsgericht der Verpflichtungsklage mit folgender Begründung stattgegeben:

Der besondere Notfall liege als Einzelfall einer Notlage außer bei konkreter Gefahr für Leben und Gesundheit auch vor, wenn ein deutsches Kind im schulpflichtigen Alter, das mit seinen Eltern im Ausland lebe und nicht auf eine Rückkehr nach Deutschland verwiesen werden könne, nur bei Übernahme von Schulgeld aus Sozialhilfemitteln die Chance einer angemessenen allgemeinen Schulbildung erhalte. Den Klägern eröffne allein der Besuch der französischen Schule in Laos die Möglichkeit, eine angemessene Schulbildung zu erwerben. Auf das den Klägern als deutschen Staatsangehörigen zustehende Recht, eine unentgeltliche öffentliche Schule in Deutschland zu besuchen, müßten sie sich nicht vorrangig verweisen lassen. Hingegen sei der Wechsel in eine laotische Schule für den Kläger zu 1 unmöglich und für beide Kläger unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit unzumutbar. Der Kläger zu 1 könne nunmehr mit 13 Jahren und ohne Kenntnisse der geschriebenen laotischen Sprache, die sich nicht des lateinischen Alphabets bediene, nicht mehr in das laotische Schulsystem eingegliedert werden. Es sei nachvollziehbar, daß ein Schüler der sechsten Klasse aus pädagogischen Gründen nicht mit Schulanfängern in der ersten Klasse zu beschulen sei. Darüber hinaus sei es unzumutbar, den Kläger zu 1, nachdem er seit fünf Jahren – gefördert mit Sozialhilfemitteln – die französische Schule besucht habe, in eine laotische Schule zurückzuschicken. Auch die psychische Konstitution des Klägers zu 1 mache das Erfordernis der Hilfeleistung gerade hinsichtlich der französischen Schule deutlich. Für den Kläger zu 2 komme der Besuch einer laotischen Schule gleichfalls nicht in Betracht. Für ihn scheide eine Einschulung in eine erste Klasse einer laotischen Schule zwar nicht aus Altersgründen aus, er leide jedoch an chronischer Diarrhöe allergischen Ursprungs und an Asthma, aufgrund dessen er gesundheitlich auf hygienische Verhältnisse angewiesen sei, die in laotischen Schulen nicht ausreichend gewährleistet seien. Diese verfügten nicht über sanitäre Anlagen und, jedenfalls die Schule in Wohnnähe der Kläger, über kein Telefon, so daß im Falle eines Asthmaanfalls nicht auf schnelle Weise ärztliche Hilfe herbeigeholt werden könnte. Darüber hinaus gewährleiste der Besuch einer laotischen Schule keine angemessene Schulbildung. Zwar könne die Schulbildung in Laos bis zu elf Jahre bei einer allgemeinen Schulpflicht von neun Jahren dauern. Jedoch sei ein dortiges Schuljahr hinsichtlich des zu erwartenden Ausbildungsergebnisses nicht mit einem solchen in Deutschland gleichzusetzen. Eine internationale Studierfähigkeit sei jedenfalls mit einem Schulabschluß in Laos nicht zu erreichen. Das Niveau eines laotischen Schulabschlusses nach elf Jahren entspreche vergleichsweise einem Hauptschulabschluß in Deutschland und der laotische Hochschulabschluß dem einer Realschule. Den Klägern könne die zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung erforderliche Hilfe schließlich nicht in Deutschland gewährt werden. Weder sei eine Heimführung der Kläger nach § 119 Abs. 3 Satz 2 BSHG geboten, noch sei ihnen die Rückkehr nach Deutschland zumutbar. Eine Aufgabe des bisherigen Lebensmittelpunktes in Laos wäre für die Familie, die seit dem Jahre 1984 dort lebe, von erheblicher Tragweite sowohl in persönlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Vater der Kläger würde ohne deutsche Sprachkenntnisse kaum eine Möglichkeit haben, eine seiner Ausbildung als Ökonom angemessene Berufstätigkeit in Deutschland zu finden. Auch die Mutter der Kläger wäre im Falle einer Rückkehr gezwungen, ihre berufliche Tätigkeit zugunsten einer ungewissen Zukunft in der Bundesrepublik Deutschland aufzugeben. Das Ermessen des Beklagten sei auf die allein rechtmäßige Entscheidung der Hilfegewährung reduziert. Die für den Schulbesuch erforderlichen finanziellen Mittel könnten nicht aus dem Einkommen der Eltern der Kläger gedeckt werden, so daß jede andere Ermessensentscheidung hinsichtlich der Höhe der Hilfe als die der vollen Kostenübernahme ausscheide.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte, daß das Verwaltungsgericht den Begriff des besonderen Notfalles in § 119 Abs. 1 BSHG verkannt habe. Der Hilfebedarf im Ausland müsse außergewöhnlich dringend sein wie bei Lebensgefahr oder in Fällen, in denen ohne Hilfegewährung eine schwere Gesundheitsschädigung zu befürchten sei. Da der Besuch einer laotischen Schule den Lebensverhältnissen und dem Bildungsniveau in Laos entspreche, könnten die Kläger ohne Einschränkung auf den Besuch einer laotischen Schule verwiesen werden. Ein Deutscher, der sich ins Ausland begebe, müsse die dort herrschenden Lebensverhältnisse akzeptieren.

Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil.

Nach Ansicht des Oberbundesanwalts haben die Kläger keinen Anspruch auf Finanzierung ihres Privatschulbesuchs nach § 119 Abs. 1 BSHG. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt könne ein besonderer Notfall regelmäßig nur angenommen werden, wenn der Hilfesuchende zur Sicherung seines Lebensunterhalts bei langjährigem Auslandsaufenthalt infolge hohen Alters und fehlender Zuerwerbsmöglichkeit oder bei schwerer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage sei. Eine dementsprechende schwerwiegende Gefährdung für Leben und Gesundheit sei bei den Klägern im Falle eines Schulwechsels zu einer laotischen Einrichtung so nicht zu befürchten, trotz der bei dem Kläger zu 2 bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigung. Das Fehlen eigener Mittel für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung im Ausland könne nicht als außergewöhnlicher Notfall angesehen werden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die unter Übergehung der Berufungsinstanz nach § 134 Abs. 1 VwGO zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das angegriffene Urteil steht teilweise mit Bundesrecht nicht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da jedoch eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch tatsächliche Feststellungen und Würdigungen erfordert, die vorzunehmen dem Revisionsgericht verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), muß die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen werden.

Die Berechtigung des Begehrens der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt ist nach § 119 Abs. 1 BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl I S. 646) zu beurteilen. Nach der bis zum 26. Juni 1993 geltenden früheren Fassung des § 119 Abs. 1 BSHG sollte Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Ausland der Hilfe bedürfen, Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden; sonstige Sozialhilfe konnte gewährt werden, wenn die besondere Lage des Einzelfalles dies rechtfertigte. In dieser früheren Fassung ist § 119 BSHG gemäß § 147 b BSHG nur noch in den Fällen anzuwenden, in denen Deutsche im Ausland am 1. Juli 1992 Hilfe nach § 119 BSHG bezogen haben, weiterhin bedürftig sind und bis zum 26. Juni 1993 das 60. Lebensjahr vollendet hatten oder die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung erhielten. Liegen die zuletzt genannten Voraussetzungen nicht vor, enden die Leistungen bei fortdauernder Bedürftigkeit spätestens mit Ablauf des 30. Juni 1995 (§ 147 b Satz 2 BSHG). Da die Kläger keinen der Ausnahmetatbestände des § 147 b Satz 1 BSHG erfüllen, sind ihre nach altem Recht bestehenden Ansprüche auf Hilfe zum Lebensunterhalt Ende Juni 1995 ausgelaufen und können sie vom Beklagten die weitere Zahlung ihres Schulgeldes nur verlangen, wenn die Voraussetzungen hierfür nach neuem Recht gegeben sind.

Gemäß § 119 Abs. 1 BSHG kann Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und dort der Hilfe bedürfen, in besonderen Notfällen Sozialhilfe gewährt werden. Die Vorschrift knüpft die in das Ermessen der Behörde gestellte Hilfeleistung an einen Deutschen mit – wie bei den Klägern – gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland nicht (mehr) nur an die Voraussetzung, daß er im Ausland der Hilfe bedarf. Vielmehr muß ein besonderer Notfall vorliegen. Wann ein solcher besonderer Notfall vorliegt, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Der Begriffsinhalt muß also durch Auslegung ermittelt werden. Ein Notfall ist nach dem Wortsinn eine Sachlage, welche über die allgemeine Notlage hinausgeht, die Voraussetzung einer sozialhilferechtlichen Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 11 Abs. 1 BSHG ist. Mit dem Erfordernis einer besonderen Notlage verlangt das Gesetz das Hinzutreten besonderer Umstände, die sich ihrer Art nach von Situationen, die üblicherweise im Ausland sozialhilferechtlichen Bedarf hervorrufen, deutlich abheben. Deshalb ist die besondere Notlage auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen ohne die Hilfeleistung an den im Ausland lebenden und in Not geratenen Deutschen eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter droht. Das ist dann zu bejahen, wenn durch die Not sein Leben in Gefahr ist oder bedeutender Schaden für die Gesundheit oder ein anderes vergleichbar existentielles Rechtsgut zu gewärtigen ist, dem nicht anders als durch Hilfegewährung im Ausland begegnet werden kann, weil dem Bedürftigen eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar ist. Der „besondere Notfall” als das Eintreten der Sozialhilfe im Ausland auslösender Sachverhalt unterscheidet sich aus dieser Sicht von einer „allgemeinen” sozialhilferechtlichen Notlage, die im Inland bereits eher zum Eintreten der Sozialhilfe führt, mithin dadurch, daß er erst gegeben ist, wenn die Not ein wesentliches Rechtsgut gewichtig zu schädigen droht.

Der „besondere Notfall” ist sonach zum einen durch die qualifizierende Voraussetzung eines existentielle Güter betreffenden Mangels charakterisiert, zum anderen aber abhängig von der Feststellung, daß dem Mangel nicht in zumutbarer Weise in der Bundesrepublik Deutschland abgeholfen werden kann. Ausdrücklich schließt § 119 Abs. 3 Satz 2 BSHG Sozialhilfeleistungen im Ausland aus, wenn die Heimführung des Hilfesuchenden geboten ist. Darauf, ob diese besondere Hilfebedürftigkeit plötzlich und unvorhergesehen eingetreten ist und ob sie innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne wieder beseitigt werden kann, kommt es dagegen, wie auch die Vorinstanz zutreffend darlegt, nicht entscheidend an. Eine solche Einschränkung läßt sich dem Wortsinn des Begriffs des besonderen Notfalls nicht entnehmen.

Nach diesen Grundsätzen kann auch bei nicht unerheblichen Gefahren für eine angemessene Schulbildung Hilfe im Ausland in Betracht kommen. Das Recht auf Bildung und Ausbildung ist ein wesentlicher Bestandteil des Grundrechts des Art. 2 Abs. 1 GG, das dem einzelnen Kind ein Recht auf eine möglichst ungehinderte Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit seiner Anlagen und Befähigungen gibt (vgl. § 1 SGB AT; BVerwGE 56, 155 ≪158≫; 47, 201 ≪206≫). Um dem jungen Menschen die für eine spätere eigenständige Existenz erforderlichen Start- und Förderungschancen zu geben, hat der Staat entsprechend seinem – dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordneten – Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪182, 184≫; Senatsurteil vom 13. August 1992 – BVerwG 5 C 70.88 – Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 16) und damit den Eintritt in das Erwerbsleben eröffnet. Im Eltern-Kind-Verhältnis hebt § 1610 Abs. 2 BGB ausdrücklich hervor, daß der von den Eltern geschuldete Unterhalt den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf umfaßt. Stehen die für eine solche Ausbildung erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung, besteht gemäß § 1 BAföG Anspruch auf staatliche Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung. Der auch in diesen gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck kommende hohe Rang des Rechts auf Bildung und Ausbildung gebietet seine Gewährleistung notfalls auch im Ausland.

Von diesem Ansatz geht auch das Verwaltungsgericht aus, berücksichtigt aber nicht, daß anders als bei der die physische Existenz sichernden Hilfe zum Lebensunterhalt bezüglich des Rechts auf Ausbildung zu differenzieren ist, weil nicht jede Beeinträchtigung dieses Rechts eine existentielle, mit der Menschenwürde unvereinbare Bedrohung darstellt. Soweit das Verwaltungsgericht daher im rechtlichen Ausgangspunkt meint, die Sozialhilfe sei als Hilfe in besonderen Lebenslagen nach § 27 Abs. 2 BSHG durch Übernahme der vollen Kosten für den Schulbesuch der Kläger im Schuljahr 1995/96 zu gewähren, läßt das Urteil nicht hinreichend deutlich erkennen, daß ihm hinsichtlich des besonderen Notfalls der richtige rechtliche Maßstab zugrunde liegt. Gemäß § 27 Abs. 2 BSHG kann im Inland Hilfe in anderen besonderen Lebenslagen gewährt werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Das gilt nicht gleichermaßen für Sozialhilfe an Deutsche im Ausland nach § 119 BSHG. Mit der Übergangsregelung des § 147 b Satz 1 BSHG hat der Gesetzgeber den Hilfeempfängern in bestehenden Dauerbedarfsfällen grundsätzlich das Ende der Hilfegewährung nach altem Recht nach längstens zwei Jahren angekündigt und ihnen Gelegenheit gegeben, sich auf die veränderte Rechtslage einzustellen. Abgesehen von denjenigen Menschen, denen eine solche Umstellung wegen ihres Alters oder ihrer Lebenslage in besonderen Einrichtungen nicht mehr zugemutet werden sollte, setzt § 147 b Satz 2 BSHG für alle anderen Hilfeempfänger das Ende der Leistungen nach altem Recht auf den Ablauf des 30. Juni 1995 fest. Daraus folgt, daß als besondere Notfälle im Sinne des § 119 Abs. 1 BSHG n.F. nur solche anzusehen sind, in denen nach dem Wirksamwerden der gesetzlichen Neufassung Ereignisse eintreten oder fortwirken, die einen Notfall der oben bezeichneten besonderen Art begründen. Auch soweit bei der Gewährung von Sozialhilfe an im Ausland lebende Deutsche nach § 119 BSHG ein „besonders strenger Maßstab” anzulegen ist (BTDrucks 12/4401 S. 85), darf doch, wie der Vorinstanz beizupflichten ist, nicht die aus dem Gesichtspunkt der Menschenwürde unabdingbar notwendige Hilfe unterbleiben.

Soweit das Verwaltungsgericht eine Verweisung der Kläger auf die Inanspruchnahme der Schulgeldfreiheit für öffentliche Schulen in Deutschland verneint hat, ist dies revisionsgerichtlich allerdings nicht zu beanstanden. Den zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums zwölf- bzw. sechsjährigen Klägern war und ist es nicht zumutbar, von den Eltern getrennt in Deutschland zu leben, um hier die Schule zu besuchen. Den Klägern kann auch nicht die Entscheidung der Eltern, in Laos zu leben, über die gesetzliche Vertretung als zugleich eigene und damit auch eigenzuverantwortende Entscheidung zugerechnet werden. Dabei ist zu bedenken, daß Eltern- und Kinderinteressen nicht gleichgerichtet sein müssen und in bestimmten Fällen auch gegenläufig sein können. Ausgehend von den berechtigten Gründen der Eltern, sowohl ihrer deutschen Mutter als auch insbesondere ihres laotischen Vaters, in Laos zu leben, und mit Rücksicht auf das Recht der Kläger auf Pflege und Erziehung in der Familie, ist ihnen eine Trennung von der Familie nicht zumutbar (Art. 6 Abs. 1, 2 und 3 GG).

Dagegen reichen die im verwaltungsgerichtlichen Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus, um die Frage abschließend zu beurteilen, ob den Klägern der Besuch laotischer Schulen zumutbar ist.

Mit Recht hebt das Verwaltungsgericht zunächst nicht darauf ab, ob die Kläger – was angesichts ihres Lebensalters ohnehin fernliegt – sich aus eigenem Entschluß für längere Zeit in Laos niedergelassen haben. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß sich ihr Aufenthalt nach dem ihrer Eltern bestimmt. Auch läßt sich nicht mit § 119 Abs. 4 BSHG begründen, daß für die Kläger die Schulausbildung in laotischen Schulen ausreichend sei. Zwar richten sich Art, Form und Maß der Hilfe nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland. Das beschränkt aber die Hilfe nicht generell auf das allgemeine Lebensniveau im Aufenthaltsland (s. BTDrucks 12/4401 S. 85 zu Nr. 30). Vielmehr steht § 119 Abs. 4 BSHG unter dem Vorbehalt des § 1 Abs. 2 BSHG, wonach es Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Dazu gehört – wie ausgeführt – nicht nur die Hilfe für Nahrung und Gesundheit, sondern auch für die erforderliche Schulbildung. Für die Kläger als Deutsche, denen es möglich sein muß, später in Deutschland zu leben, ist deshalb Hilfe für eine ihren Fähigkeiten angemessene Schulbildung zu leisten, die ihnen ein ihren Fähigkeiten angemessenes Leben auch in Deutschland ermöglicht.

Die Möglichkeit einer Eingliederung der Kläger in das laotische Schulsystem kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aber nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, daß allein die Schulbildung an der französischen Schule „angemessen” sei. Vielmehr kommt es darauf an, ob es einen besonderen Notfall darstellt, wenn die Kläger sich wie in Laos landesüblich ausbilden lassen müssen. So hat der Senat im Hinblick auf die Schulgeldfreiheit an öffentlichen Schulen in Deutschland ausgeführt, daß sie im Verhältnis zu den Vorschriften über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff. BSHG) als Sonderregelung wirkt, die in aller Regel einen sozialhilferechtlich anzuerkennenden Bedarf für die Übernahme von Schulgeld im Rahmen des notwendigen Lebensunterhalts nicht entstehen läßt (Urteil vom 13. August 1992, a.a.O. S. 5). Ausnahmen von diesem Grundsatz kommen nur in Betracht, wenn der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven Gründen (z.B. wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Wohnort) oder aus schwerwiegenden persönlichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Das Verwaltungsgericht hat hierzu festgestellt, daß die Schulbildung in Laos elf Jahre bei einer allgemeinen Schulpflicht von neun Jahren dauert, daß jedoch eine internationale Studierfähigkeit mit einem Schulabschluß in Laos nicht zu erreichen sei, weil das Niveau eines laotischen Schulabschlusses nach elf Jahren vergleichsweise einem Hauptschulabschluß in Deutschland und der laotische Hochschulabschluß dem einer Realschule entspreche. Das bedeutet immerhin, daß die Kläger sich in Laos in öffentlichen Einrichtungen ausbilden lassen sowie studieren können und sich auf diese Weise die beste in Laos erreichbare Bildungsqualifikation verschaffen können. Wenn diese auch nur dem deutschen Realschulabschluß entsprechen mag, folgt allein daraus noch nicht, daß die Lebens- und Berufschancen der Kläger mit diesem Abschluß nachhaltig gemindert würden. Die Ausführungen der Vorinstanz hierzu lassen bereits nicht genügend erkennen, was unter einer „internationalen Studierfähigkeit” zu verstehen ist und inwiefern alles andere als diese eine den Zielen der Sozialhilfe im Ausland zuwiderlaufende Qualifikation darstellt. Ferner verhält sich das Verwaltungsgericht nicht dazu, inwiefern die Studierfähigkeit für die Kläger, gegebenenfalls nach einer weiteren Qualifizierung an einem Studienort außerhalb von Laos, nur unter unzumutbaren Bedingungen erreichbar sein sollte. Sofern nämlich damit verbundene zeitliche Verzögerungen nicht Ausmaße erreichen, die praktisch einem Verlust der Ausbildungschancen gleichkommen, müssen sie hingenommen werden. Das Verwaltungsgericht wird daher genauer zu prüfen haben, welchen Umfang die mit einem laotischen Schulabschluß verbundenen Nachteile haben.

Sollte sich herausstellen, daß der Verweis auf die öffentlichen Schulen in Laos die Bildungschancen der Kläger nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, wird die Zugänglichkeit des laotischen Bildungssystems für die Kläger nicht bereits aus den von der Vorinstanz angeführten individuellen Gründen verneint werden können. Zwar macht der Kläger zu 2 geltend, daß er infolge einer chronischen Darmerkrankung sowie seines Asthmaleidens eine öffentliche Schule in Laos nicht besuchen könne. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Kläger zu 2 sei auf hygienische Verhältnisse angewiesen, die in laotischen Schulen nicht ausreichend gewährleistet seien, reicht aber zur Annahme eines besonderen Notfalls nicht ohne weiteres aus, denn es erscheint zweifelhaft, ob die vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen den Besuch einer öffentlichen Schule unzumutbar machen. Feststellungen dazu, ob der Kläger zu 2 notfalls auch während der Schulzeit die sanitären Einrichtungen im Elternhaus benutzen sowie in der Schule etwa Hygienetücher und Asthmaspray verwenden kann, hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen. Auch soweit das Verwaltungsgericht bezüglich des Klägers zu 1 aus der Stellungnahme der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 21. Februar 1996 zitiert, daß der Kläger zu 1 „den erzwungenen Austritt aus der Schule seelisch nicht verkraften wird”, belegt dies noch keinen besonderen Notfall. Derlei psychische Probleme können gegebenenfalls durch entsprechende familiäre oder sonst psychologische Hilfestellung gemildert und verarbeitet werden.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke

 

Fundstellen

BVerwGE

BVerwGE, 44

DÖV 1998, 34

DVBl. 1997, 1441

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