Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrolle. Antragsbefugnis. Pächter. hofnahe Weidefläche. Abwägungsgebot. abwägungserhebliche Belange
Leitsatz (amtlich)
Wird für eine landwirtschaftlich genutzte Fläche (hier: hofnahes Weideland) im Bebauungsplan eine andere Nutzungsart festgesetzt, so kann auch der Pächter dieser Fläche gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt im Normenkontrollverfahren sein.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BauGB § 1 Abs. 6
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 08.10.1998; Aktenzeichen 1 K 5/97) |
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 1998 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan Nr. 32 der Antragsgegnerin, soweit er das von ihm gepachtete Flurstück 30/59 (teilweise) der Flur 1 der Gemarkung M. als Gewerbegebiet festsetzt.
Der Antragsteller bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb. Für 50 bis 55 Milchkühe stehen ihm insgesamt 8,5 ha hofnahe Weideflächen zur Verfügung. Zu diesen Weideflächen gehört auch das 23.663 qm große Flurstück 30/59, das im Eigentum der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde K. steht. Nach dem Vortrag des Antragstellers hat seine Familie das Grundstück seit 1925 gepachtet. Gegenwärtig gilt ein Landpachtvertrag mit einer Pachtzeit von sechs Jahren; er endet am 30. September 2001.
Der nördliche, etwa 1,1 ha große Teil des Flurstücks 30/59 liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 32 vom 19. Juni/13. November 1996, der am 18. Dezember 1996 bekanntgemacht worden ist. Diesen nördlichen Teil des Flurstücks setzt der Plan als (eingeschränktes) Gewerbegebiet fest.
Während des Planaufstellungsverfahrens hatte sich der Vater des Antragstellers, der damals noch Inhaber des landwirtschaftlichen Betriebes war, gegen die Einbeziehung der Fläche in das Plangebiet gewandt. Er hatte geltend gemacht, er benötige auch sie als Weidefläche für seine Milchkühe. Die ihm angebotene Ersatzfläche nördlich des Plangebiets sei für seinen Betrieb ungeeignet. Die Kirchengemeinde hatte den Antragsteller unterstützt und insbesondere vorgetragen, es müsse ein für den Viehtrieb geeigneter Verbindungsweg zur vorgesehenen Ersatzfläche erhalten bzw. geschaffen werden. Die Stadtvertretung der Antragsgegnerin hatte sich mit diesen Einwendungen befaßt, eine Herausnahme des Flurstücks 30/59 aus dem Gewerbegebiet aber abgelehnt.
Im Normenkontrollverfahren hat der Antragsteller erneut geltend gemacht, er müsse bei einem Verlust der hofnahen Weidefläche seinen Milchviehbestand reduzieren; dies wäre mit – möglicherweise existenzgefährdenden – Einkommenseinbußen verbunden. Die diskutierte Ersatzflächenlösung sei aus betriebswirtschaftlichen und verkehrlichen Gründen nicht realisierbar. Seine betrieblichen Belange seien nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Abwägung eingestellt worden. Die Antragsgegnerin hat die Antragsbefugnis des Antragstellers in Zweifel gezogen; im übrigen hat sie ihren Bebauungsplan als rechtmäßig verteidigt.
Mit Urteil vom 8. Oktober 1998 hat das Normenkontrollgericht den Antrag, den Bebaungsplan Nr. 32 der Antragsgegnerin insoweit für nichtig zu erklären, als damit das Flurstück 30/59 als Gewerbegebiet festgesetzt worden sei, als unzulässig abgelehnt. Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt, weil nichts dafür ersichtlich sei, daß er durch die streitige Festsetzung in seinen Rechten verletzt werde. In das – ohnehin nur bis zum 30. September 2001 befristete – Pachtrecht werde ebensowenig eingegriffen wie in das aus dem Pachtverhältnis folgende Besitzrecht des Antragstellers. Auch in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Antragstellers werde nicht „durch” den Bebauungsplan oder „durch” dessen Anwendung eingegriffen. Da der Antrag unzulässig sei, brauche auf die Frage, ob der Plan insbesondere gegen das in § 1 Abs. 6 BauGB kodifizierte Gebot gerechter Abwägung verstoße, nicht mehr eingegangen zu werden. Mit Beschluß vom 26. April 1999 hat das Normenkontrollgericht im Hinblick auf das ihm nachträglich bekanntgewordene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – die Revision zugelassen.
Die Revision macht geltend: Das angefochtene Urteil verletze § 47 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 1 Abs. 6 BauGB. Das Normenkontrollgericht habe nicht geprüft, ob der Antragsteller durch den Bebauungsplan in seinem Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 6 BauGB) verletzt sein könne. Tatsächlich habe die Antragsgegnerin seine Interessen als Pächter einer von der Bauleitplanung betroffenen landwirtschaftlichen Fläche nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Antragsteller beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 1998 aufzuheben und den Bebauungsplan Nr. 32 der Stadt K. insoweit für nichtig zu erklären, als in ihm das Flurstück 30/59 als Gewerbegebiet festgesetzt ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt aus, der Normenkontrollantrag sei auch auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts unzulässig. Es bestehe nämlich kein planungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers auf den Fortbestand seines Nutzungsinteresses an den von ihm gepachteten Flächen. Durch den Bebauungsplan werde der Antragsteller nicht an der bisherigen Nutzung gehindert, soweit dies seine schuldrechtlichen Beziehungen zum Grundstückseigentümer zuließen. Auf die Frage der drittschützenden Wirkung des Abwägungsgebots in § 1 Abs. 6 BauGB komme es nicht an.
Entscheidungsgründe
II.
Über die Revision entscheidet der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet. Das Urteil des Normenkontrollgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Zu Unrecht hat das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis des Antragstellers verneint. Da für eine abschließende Entscheidung weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich sind, ist die Sache an das Normenkontrollgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (i.d.F.d. 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996, BGBl I, S. 1626) kann den Normenkontrollantrag stellen, wer geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Das Normenkontrollgericht hat geprüft, ob der Antragsteller geltend machen könne, in seinem Pachtrecht an der überplanten Fläche oder in seinem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten eingerichteten und ausgeübten landwirtschaftlichen Gewerbebetrieb verletzt zu sein. Es hat die Frage verneint; die Revision nimmt dies hin. Zutreffend rügt die Revision jedoch, daß das Normenkontrollgericht nicht geprüft habe, ob der Antragsteller in dem Recht auf gerechte Abwägung seiner privaten Interessen verletzt sein könne. Wie der Senat in seinem Urteil vom 24. September 1998 – BVerwG 4 CN 2.98 – (BVerwGE 107, 215 – DVBl 1999, 100) entschieden hat, hat das in § 1 Abs. 6 BauGB enthaltene Abwägungsgebot drittschützenden Charakter hinsichtlich solcher privaten Belange, die für die Abwägung erheblich sind. Deshalb kann auch das Abwägungsgebot „Recht” im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sein.
Der Antragsteller hat hier auch hinreichend geltend gemacht, in seinem Recht auf gerechte Abwägung verletzt zu sein. Zu den privaten Belangen, die die Stadtvertretung der Antragsgegnerin bei ihrem Beschluß über den Bebauungsplan im Rahmen der Abwägung bedenken mußte, gehörte nämlich auch das Interesse des Antragstellers, das Flurstück 30/59 weiterhin als hofnahe Weide nutzen zu können. Nach seinem Vortrag, dem die Antragsgegnerin nicht substantiiert entgegengetreten ist, benötigt er die überplante Fläche für seine Milchviehhaltung; bei einer Verkleinerung der Weideflächen müsse er den Viehbestand reduzieren; dadurch werde die Existenz seines landwirtschaftlichen Betriebes gefährdet. Die Antragsgegnerin selbst hat das private Interesse des Antragstellers, das Flurstück 30/59 weiterhin als Weide nutzen zu können, für abwägungsbeachtlich gehalten. Denn sie hat sich mit ihm ausdrücklich beschäftigt. Indem sie dem Antragsteller eine Ersatzlandlösung angeboten hat, hat sie anerkannt, daß die Festsetzung einer Gewerbefläche auf dem Weidegrundstück mit erheblichen Nachteilen für den Antragsteller verbunden ist. Mit seinem Vorbringen, die Antragsgegnerin habe seine Interessen bei der Aufstellung des Bebauungsplans nicht ausreichend berücksichtigt, genügt der Antragsteller den Anforderungen des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
Unerheblich ist, daß der Antragsteller nur Pächter der Weidefläche ist. Abwägungsrelevant ist nämlich nicht nur ein durch die Planung berührtes subjektiv-öffentliches Recht. Abwägungserheblich kann vielmehr auch jedes mehr als geringfügige private Interesse sein, soweit es schutzwürdig ist (vgl. BVerwG, Beschluß vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 und 2-4.79 – BVerwGE 59, 87 ≪101 ff≫). Die Tatsache, daß eine bestimmte Grundstücksnutzung nur auf Grund eines Miet- oder Pachtvertrages geschieht, führt nicht aus sich dazu, daß die damit zusammenhängenden Interessen bei der planerischen Abwägung unberücksichtigt zu bleiben hätten (BVerwG, Beschluß vom 9. November 1979 – BVerwG 4 N 1.78 und 2 – 4.79 – BVerwGE 59, 87 ≪101≫; vgl. auch Beschluß vom 7. April 1995 – BVerwG 4 NB 10.95 – NVwZ-RR 1996, 8; Urteil vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 4 CN 1.98 –; ferner VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. Januar 1998 – 8 S 1337/97 – PBauE § 11 BauNVO Nr. 17).
Die Antragsbefugnis des Antragstellers entfällt hier auch nicht etwa deshalb, weil er die Weidefläche auf der Grundlage seines Pachtvertrages gegenwärtig nur bis zum 30. September 2001 nutzen darf. Als potentiell abwägungserheblich ist in der Rechtsprechung bisher nicht nur das Interesse an der weiteren Ausnutzung eines vorhandenen Betriebsbestandes, sondern auch das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung angesehen worden (BVerwG, Urteil vom 16. April 1971 – BVerwG 4 C 66.67 – Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 90 ≪S. 27, 34≫ – DVBl 1971, 746). Wenn aber sogar ein betriebliches Erweiterungsinteresse abwägungsbeachtlich sein kann, so gilt dies erst recht für den Wunsch, ein für die Existenz des Betriebes wichtiges Grundstück unabhängig von der Laufzeit eines Pachtvertrages in derselben Weise wie bisher auf Dauer nutzen zu können. Im vorliegenden Fall spricht viel dafür, daß der Antragsteller die von seiner Familie seit mehr als 70 Jahren bewirtschaftete Weidefläche auf unbestimmte Zeit weiter für seinen landwirtschaftlichen Betrieb nutzen könnte, wenn sie nicht durch die Bauleitplanung für bauliche oder gewerbliche Zwecke bestimmt würde. Solange das Grundstück im grundsätzlich nur für landwirtschaftliche Zwecke nutzbaren Außenbereich lag, konnte der Antragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß sein Pachtvertrag auch künftig immer wieder verlängert werden würde. Nachdem das Grundstück durch den Bebauungsplan in gewerbliches Bauland umgewandelt worden ist, kann er mit einer Vertragsverlängerung aber nicht mehr ohne weiteres rechnen.
Damit erledigt sich zugleich der Einwand der Antragsgegnerin, trotz der Festsetzung gewerblicher Nutzung bleibe die Möglichkeit erhalten, das fragliche Grundstück als Weideland weiter zu nutzen, zumal hier nach den Feststellungen des Normenkontrollgerichts weder mit dem Erlaß eines Bau- oder Pflanzgebotes noch mit einem Pachtaufhebungsverfahren nach § 182 Abs. 1 BauGB zu rechnen sei. Darauf kommt es nicht an. Es genügt, daß nach dem Willen der Gemeinde, wie er sich aus den Festsetzungen des Bebauungsplans ergibt, eine Änderung der baulichen Nutzung und damit gleichzeitig eine Herauslösung der Weidefläche aus dem landwirtschaftlichen Betrieb des Antragstellers angestrebt wird. Von einem solchen Willen der Gemeinde muß ausgegangen werden, weil der Plan andernfalls unwirksam wäre; denn gemäß § 1 Abs. 3 BauGB darf ein Bebauungsplan nur aufgestellt werden, wenn er nach der Konzeption der Gemeinde erforderlich ist. Dann aber mußte die Antragsgegnerin das gegenläufige Interesse des Antragstellers jedenfalls in ihre Überlegungen mit einbeziehen.
Ob der Normenkontrollantrag auch begründet ist, muß das Normenkontrollgericht nunmehr prüfen und entscheiden.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Heeren, Halama, Rojahn
Fundstellen
Haufe-Index 1392607 |
NJW 2000, 3658 |
BVerwGE |
BVerwGE, 36 |
BauR 2000, 689 |
NVwZ 2000, 806 |
ZfIR 2000, 640 |
AgrarR 2000, 379 |
DÖV 2000, 466 |
NuR 2000, 324 |
RdL 2000, 104 |
ZfBR 2000, 193 |
BRS 2000, 270 |
DVBl. 2000, 830 |
UPR 2000, 190 |
FuBW 2000, 662 |
JAR 2000, 94 |