Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtversicherungszeiten, vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wegen anrechnungsfähiger –. Ruhegehaltssatz, vorübergehende Erhöhung wegen anrechnungsfähiger Pflichtversicherungszeiten. Versorgung, vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes wegen anrechnungsfähiger Pflichtversicherungszeiten. Verfassungskonforme Auslegung des beamtenversorgungrechtlichen Begriffs „Pflichtversicherungszeiten”
Leitsatz (amtlich)
„Anrechnungsfähige Pflichtversicherungszeiten” im Sinne des § 14 a Abs. 2 BeamtVG sind bei verfassungskonformer Auslegung auch solche Zeiten, für die ursprünglich eine Pflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung bestanden hat und für die nach der sog. „Heiratserstattung” später freiwillig Beiträge nachgezahlt worden sind.
Normenkette
BeamtVG §§ 14a, 55, 88; SGB VI §§ 55, 232, 247, 262-263; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 08.06.1998; Aktenzeichen 6 A 4745/96) |
VG Arnsberg (Entscheidung vom 07.08.1996; Aktenzeichen 2 K 4225/95) |
Tenor
Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 1998 und des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 7. August 1996 werden aufgehoben. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 16. Februar 1995 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1995 verpflichtet, den Ruhegehaltssatz für die Versorgung der Klägerin unter Berücksichtigung des Zeitraumes April 1957 bis Juli 1964 ab dem 1. Januar 1995 vorübergehend zu erhöhen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Die im Jahre 1938 geborene Klägerin war in der Zeit vom 1. April 1957 bis 31. August 1964 zunächst als Auszubildende und danach als Angestellte rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Im August 1963 heiratete sie. Auf ihren Antrag wurde ihr die Hälfte der Beiträge zur Rentenversicherung erstattet (sogenannte „Heiratserstattung”). Nach einem Lehramtsstudium war sie ab August 1980 als Lehrerin – ab dem 4. November 1980 als Beamtin – im Schuldienst des beklagten Landes tätig.
Mit Ablauf des 31. Dezember 1994 wurde die Klägerin wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Nachdem sie beantragt hatte, den Ruhegehaltssatz vorübergehend zu erhöhen, setzte der Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 1995 den Ruhegehaltssatz mit Wirkung vom 1. Januar 1995 auf 41,44 v.H. (Erhöhung um 1 v.H.) fest. Als anrechenbare Pflichtversicherungszeiten komme nur der Zeitraum vom 1. August 1964 bis 31. Juli 1965 in Betracht, für die im Versicherungsverlauf der Klägerin Pflichtbeiträge für Kindererziehung ausgewiesen seien. Den Widerspruch mit der Begründung, die nachentrichteten Beiträge für die „Heiratserstattung” müßten wie Pflichtbeiträge behandelt werden, wies der Beklagte zurück.
Die Klage mit dem Ziel, bei der Bemessung des Ruhegehaltssatzes nach Maßgabe von § 14 a BeamtVG den Zeitraum vom April 1957 bis Juli 1964 zu berücksichtigen, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Der Zeitraum vom April 1957 bis Juli 1964 könne nicht zur vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes beitragen. Pflichtversicherungszeiten im Sinne des § 14 a Abs. 1 und 2 BeamtVG seien Pflichtbeitragszeiten gemäß §§ 55, 247 SGB VI. Die Pflichtbeitragszeiten könnten dem vom Träger der Rentenversicherung erstellten Versicherungsverlauf entnommen werden, der für die Versorgungsbehörde verbindlich sei. Der von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstellte Versicherungsverlauf verzeichne für den Zeitraum vom 1. April 1957 bis zum 31. Juli 1964 ausschließlich nachgezahlte freiwillige Beiträge.
Durch die Beschränkungen auf Pflichtbeitragszeiten habe der Gesetzgeber nicht nur in dem vergleichsweise kleinen Bereich der Nachzahlung bei Heiratserstattung, sondern auch in den praktisch bedeutsameren Fällen einer übertragenen bzw. begründeten Rentenanwartschaft beim Versorgungsausgleich durch das Familiengericht die Möglichkeit der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehalts ausgeschlossen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das europarechtliche Verbot der mittelbaren Diskriminierung liege darin nicht, weil Frauen seinerzeit die Wahl gehabt hätten, die sogenannte Heiratserstattung bei gleichzeitigem Verlust von Versorgungsanwartschaften aus Pflichtbeiträgen in Anspruch zu nehmen oder ihr Rentenkonto mit den Versorgungsanwartschaften weiter bestehen zu lassen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 1998 und des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 7. August 1996 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 16. Februar 1995 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1995 zu verpflichten, den Ruhegehaltssatz für die Versorgung der Klägerin unter Berücksichtigung des Zeitraumes April 1957 bis Juli 1964 ab dem 1. Januar 1995 vorübergehend zu erhöhen.
Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Der Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und tritt mit ergänzender Begründung der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt verteidigt ebenfalls das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat für die Zeit ab dem 1. Januar 1995 einen Anspruch auf vorübergehende Erhöhung des Ruhegehaltssatzes gemäß § 14 a BeamtVG unter Berücksichtigung des Zeitraumes April 1957 bis Juli 1964.
Gemäß § 14 a Abs. 1 BeamtVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Februar 1987 (BGBl I S. 570), geändert durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes und sonstiger dienst- und versorgungsrechtlichen Vorschriften vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2218) erhöht sich der nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz vorübergehend, wenn der Beamte vor Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand getreten ist und – wie im Falle der Klägerin – die übrigen Erfordernisse des § 14 a Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 BeamtVG erfüllt sind. Weitere tatbestandliche Voraussetzung ist nach Abs. 2, daß auf die Wartezeit nach Abs. 1 Nr. 1 „anrechnungsfähige Pflichtversicherungszeiten” entfallen. Hierzu zählen auch solche Zeiten, für die gemäß § 282 SGB VI, eingeführt durch Artikel 1 des Rentenreformgesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2261) und mit Wirkung ab dem 1. Januar 1998 aufgehoben durch Art. 1 Nr. 107 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998), oder vor dessen Inkrafttreten nach Art. 2 § 28 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG), Art. 2 § 27 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) i.d.F. des Art. 2 § 1 Nr. 4, § 2 Nr. 6 des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 28. Juli 1969 (BGBl I S. 956) freiwillige Beiträge nachgezahlt worden sind. Gemäß § 282 SGB VI durften Frauen, denen anläßlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden sind, auf Antrag für Zeiten, für die Beiträge erstattet worden sind, bis zum 1. Januar 1924 zurück freiwillige Beiträge nachzahlen, sofern die Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt waren. Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Gebrauch gemacht.
Daß der in § 14 a Abs. 2 BeamtVG verwendete Begriff „Pflichtversicherungszeiten” auch solche Zeiten umfaßt, für die freiwillige Beiträge nach Maßgabe des § 282 SGB VI oder dessen Vorgängervorschriften nachentrichtet worden sind, gebietet eine verfassungskonforme Auslegung. Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung sowie der Gesetzeszusammenhang legen dieses Ergebnis bereits nahe.
Begriffe des Rentenversicherungsrechts, die im Beamtenversorgungsrecht verwendet werden, sind mangels eigenständiger Regelung im Beamtenrecht nach Rentenrecht, seiner Terminologie und Praxis zu verstehen (Urteil vom 21. Februar 1991 – BVerwG 2 C 32.88 – ≪Buchholz 239.1 § 55 Nr. 10≫). Der Ausdruck „Pflichtversicherungszeiten” wird weder in § 14 a BeamtVG noch in anderen beamtenrechtlichen Bestimmungen näher erläutert. Er wird aber auch im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht näher gekennzeichnet. Vielmehr wird dort von „Pflichtbeitragszeiten” als Zeiten, für die Pflichtbeiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten, gesprochen (vgl. §§ 55, 247 SGB VI).
Der Terminus „Pflichtversicherungszeiten” ist schon dem Wortlaut nach kein Synonym für „Pflichtbeitragszeiten”. Zwar werden Zeiten, für die nach Rentenversicherungsrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind, „Pflichtversicherungszeiten” sein. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß „Pflichtversicherungszeiten” ausschließlich „Pflichtbeitragszeiten” sind. Dem Wortsinn des § 14 a Abs. 2 BeamtVG ist nicht mehr zu entnehmen, als daß während der in Betracht kommenden Zeit eine gesetzliche Pflicht zur Rentenversicherung bestanden haben muß. Das war bei der Klägerin in der Zeit vom 1. April 1957 bis zum 31. August 1964 der Fall. Daß die für diese Zeit entrichteten Beiträge erstattet worden sind, spricht nicht dagegen, daß es sich um „Pflichtversicherungszeiten” im Sinne des § 14 a Abs. 2 BeamtVG gehandelt hat.
Nach Sinn und Zweck des § 14 a BeamtVG sind solche Zeiten zu berücksichtigen, für die auf einer Versicherungspflicht beruhende Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden sind, ohne daß zeitgleich zu der beamtenrechtlichen Versorgung auch eine Leistungspflicht des Trägers der Rentenversicherung entstanden ist.
§ 14 a (ebenso § 14 b) BeamtVG a.F. ist vor dem Hintergrund vorangegangener Einschränkungen im Recht der Rentenversicherung geschaffen worden. Gemäß § 1246 Abs. 2 a, § 1247 Abs. 2 a RVO, § 23 Abs. 2 a, § 24 Abs. 2 a AVG i.d.F. des Art. 1 Nrn. 32, 33, Art. 2 Nr. 10 Haushaltsbegleitgesetz vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S. 1532) bestand ein Anspruch auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich nur noch dann, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit mindestens 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen belegt waren. In der Regel führte die – verfassungsrechtlich auch im Hinblick auf spätere Beamte nicht zu beanstandende (vgl. BVerfGE 75, 78 ff.) – Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen dazu, daß Beamte vor Vollendung des 65. Lebensjahres keinen Rentenanspruch erwerben konnten und bis zum Bezug der Altersrente ausschließlich auf Versorgungsbezüge angewiesen waren, die deshalb gering blieben, weil durch die späte Übernahme in ein Beamtenverhältnis und den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige Dienstjahre berücksichtigt werden konnten (vgl. BTDrucks 10/4225 S. 21).
§ 14 a BeamtVG greift über das System der Beamtenversorgung hinaus und gleicht versorgungsrechtlich diejenigen Nachteile aus, die wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen von Ansprüchen aus der Rentenversicherung und aus der Beamtenversorgung für die Zeit eintreten können, während der einerseits ein Besoldungsanspruch nicht mehr besteht und andererseits die für Invalidität und Alter vorgesehenen Leistungen entsprechend den erworbenen Anwartschaften nicht in vollem Umfange ausgeschöpft werden können.
Demnach soll § 14 a BeamtVG Nachteile ausgleichen, die durch einen „Statuswechsel” und den dadurch bedingten Wechsel des Systems der Alterssicherung eintreten. Die „Versorgungslücke”, die sich aus dem vorübergehenden Ausschluß des Beamten von einer gesetzlichen Rente bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand ergibt, wird dadurch geschlossen, daß für jeweils zwölf Kalendermonate einer Pflichtversicherung der Ruhegehaltssatz vorübergehend – in der Regel bis zum Bezug der Altersrente – um 1 v.H. erhöht wird.
Diese Zielsetzung erfaßt grundsätzlich auch Beamtinnen, die sich die Beiträge, die sie als pflichtversicherte Arbeitnehmerinnen entrichtet hatten, nach Heirat auf Antrag haben erstatten lassen und die danach gemäß § 282 SGB VI bzw. dessen Vorgängervorschriften die Möglichkeit genutzt haben, die Beiträge für die Zeit ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzuzahlen. Auch bei dieser Personengruppe tritt bei Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand regelmäßig zeitweise eine „Versorgungslücke” ein, wenn die frühere Berufstätigkeit bei der Festsetzung des Ruhegehaltssatzes unberücksichtigt bleibt und die Altersrente erst ab einem späteren Zeitpunkt gewährt wird.
Die Einschränkungen im Recht der Rentenversicherung vor Einführung des § 14 a BeamtVG rechtfertigen keine andere Sichtweise. Die Vorschrift ist keine Übergangsregelung zugunsten derjenigen, die vor der Änderung des Rentenversicherungsrechts im Jahre 1983 von einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in ein Beamtenverhältnis gewechselt sind. § 14 a BeamtVG kommt seinem Wortlaut nach auch nicht allein denjenigen zugute, deren Vordiensttätigkeit bei Begründung des Beamtenverhältnisses als „erwünscht” angesehen worden ist. Eine solche Intention berücksichtigen vielmehr bereits §§ 10 bis 12, insbesondere § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG.
Mit dem Begriff „Pflichtversicherungszeiten” in § 14 a Abs. 2 BeamtVG werden allgemein solche Versicherungszeiten ausgeschlossen, für die freiwillige Beiträge geleistet worden sind. Denn die Höhe der Versorgung des Beamten soll grundsätzlich nicht durch freiwillige Dispositionen beeinflußbar sein. Einer solchen „privaten Altersvorsorge” sind uneingeschränkt die Fälle des § 232 SGB VI (Selbstversicherung, Weiterversicherung und freiwillige Versicherung) zuzuordnen. Anders liegt es indessen bei den zunächst aus Anlaß der Heirat erstatteten und später nachgezahlten Beiträgen, die deshalb als „freiwillige” Beiträge ausgestaltet worden sind, weil keine Verpflichtung zur Nachzahlung begründet werden sollte. Zwar hatte nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Heiratserstattung für Frauen, die dieses Recht in Anspruch genommen hatten, die rückwirkende Auflösung des Versicherungsverhältnisses zur Folge. Die Nachzahlung nach § 282 SGB VI und dessen Vorgängerregelungen hob die Beitragserstattung nicht auf und führte zu keiner Wiederherstellung des früheren Versicherungsverhältnisses, sondern begründete einen neuen Versicherungsverlauf (BSGE 49, 63 ≪65, 66, 68≫; BSG, Urteil vom 5. Juni 1997 – 12 RK 4/97 – ≪SozR 3-2600 § 282 Nr. 6≫). Dennoch hatte das Nachentrichtungsrecht gemäß § 282 SGB VI u.a. nicht vorrangig den Sinn, aufgrund freier Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung beizutreten oder diese fortzuführen. Vielmehr sollte Frauen, deren Altersversorgung infolge der früheren Erstattung verkürzt war, ergänzend das Recht eingeräumt werden, die in der Vergangenheit entstandenen Beitragslücken durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zu schließen (BSGE 76, 250 ≪253≫). Die Möglichkeit der Nachentrichtung diente mithin der Korrektur einer früher getroffenen Entscheidung, die sich aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Veränderungen im nachhinein als unzweckmäßig und nachteilig herausgestellt hatte.
Darüber hinaus macht § 55 BeamtVG, insbesondere dessen Abs. 4, deutlich, daß Beiträge, die gemäß § 282 SGB VI und dessen Vorgängervorschriften nachentrichtet worden sind, nicht wie freiwillige Beiträge, sondern wie Pflichtbeiträge behandelt werden. Dies ist auch bei der Auslegung des § 14 a BeamtVG zu berücksichtigen. Gemäß § 55 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG bleiben in der Regel bei der Anrechnung von Renten auf Versorgungsbezüge die Teile der Rente außer Ansatz, die auf freiwilliger Weiterversicherung oder Selbstversicherung oder Höherversicherung beruhen, auch soweit auf „das Verhältnis der Werteinheiten für freiwillige Beiträge” abzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1991 – BVerwG 2 C 32.88 – a.a.O.). Die Nachentrichtung von Beiträgen gemäß § 282 SGB VI dient keiner freiwilligen Weiterversicherung, Selbstversicherung oder Höherversicherung. Wenn § 55 Abs. 4 BeamtVG die freiwillig nachentrichteten Beiträge nicht als „private Altersvorsorge” betrachtet, sondern darauf beruhende Rententeile den allgemein für Renten geltenden Grundsätzen unterwirft, wäre es systemwidrig, Rentenansprüche, die auf solchen Beiträgen beruhen, nach § 14 a BeamtVG unberücksichtigt zu lassen – also zweifach nachteilig zu behandeln.
Jedenfalls aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt zwingend, daß sich die nach der „Heiratserstattung” freiwillig nachentrichteten Beiträge zur Rentenversicherung versorgungserhöhend auswirken. Bei einer verfassungskonformen Auslegung sind die hierdurch belegten Zeiten „Pflichtversicherungszeiten” im Sinne des § 14 a Abs. BeamtVG. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das Grundrecht ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 ≪88≫; 74, 9 ≪24≫; 80, 1 ≪36≫). Zwar verlangt die Verfassung nicht, Frauen die Möglichkeit einzuräumen, ihre eigenen, autonom getroffenen versorgungsbezogenen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Eheschließung zu korrigieren. Erläßt der Gesetzgeber jedoch Vorschriften, die es den Frauen ermöglichen, früher getroffene Dispositionen ganz oder teilweise rückgängig zu machen, so müssen auch diese Bestimmungen dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG genügen (vgl. BVerfGE 98,1 ≪11 f.≫).
Wäre die Klägerin von der vorübergehenden Erhöhung des Ruhegehaltssatzes (§ 14 a BeamtVG) ausgeschlossen, so träte eine Benachteiligung im Vergleich mit anderen Gruppen von Erwerbstätigen ein, die nach einer „Heiratserstattung” bzw. „-abfindung” eine „Nachzahlung” erbracht haben. Die Klägerin wäre schlechter gestellt gegenüber denjenigen, die sich früher als Beamtinnen anläßlich ihrer Eheschließung eine – der „Heiratserstattung” in der Rentenversicherung vergleichbare – Abfindung (gemäß § 152 BBG a.F. und entsprechenden Landesregelungen) haben auszahlen lassen, diese Abfindung nach erneuter Berufung in ein Beamtenverhältnis gemäß § 88 Abs. 2 BeamtVG zurückgezahlt haben und wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand getreten sind. Denn unter diesen Voraussetzungen werden gemäß § 88 Abs. 2 Satz 5 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG die Zeiten in dem früheren Beamtenverhältnis uneingeschränkt als ruhegehaltfähig berücksichtigt. Die Klägerin wäre auch schlechter gestellt gegenüber ehemals und gegenwärtig Pflichtversicherten, die nach der „Heiratserstattung” für die davorliegende Zeit freiwillige Beiträge nachentrichtet haben, danach – der Dienstunfähigkeit im beamtenrechtlichen Sinne vergleichbar – berufs- oder erwerbsunfähig geworden sind und in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet haben (vgl. § 43 Abs. 1 Nr. 2, § 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Aufgrund der freiwilligen Beiträge erhöht sich auch die Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Klägerin wäre schließlich schlechter gestellt gegenüber ehemaligen Beamtinnen, die sich anläßlich ihrer Eheschließung eine Abfindung haben auszahlen lassen, danach gemäß (dem zwischenzeitlich ebenfalls aufgehobenen) § 283 SGB VI oder – für die Zeit vor dessen Inkrafttreten – nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 – 1 BvL 16/90 – (BVerfGE 98, 1 ff.) die Möglichkeit hatten, für die vor dem Ausscheiden liegenden Zeiträume freiwillige Beiträge in die Rentenversicherung nachzuentrichten. Auch in diesen Fällen erhöht sich eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit aufgrund der freiwilligen Beitragszahlungen, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt wurden.
Eine Benachteiligung allein der Gruppe von Frauen, die – wie die Klägerin – als früher Pflichtversicherte die „Heiratserstattung” in Anspruch genommen haben, später Beiträge gemäß § 282 SGB VI oder dessen Vorgängerregelungen nachentrichtet haben und sodann als Beamtinnen wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden, widerspräche dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot, da kein hinreichend gewichtiger Grund die Ungleichbehandlung legitimieren kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 8. April 1998 – 1 BvL 16/90 – ≪a.a.O.≫ eine unzulässige Ungleichbehandlung bereits darin erkannt, daß nach den vor 1992 geltenden gesetzlichen Regelungen sogenannte „Systemwechsler” (Gruppe der früheren Beamtinnen und späteren Arbeitnehmerinnen) von der Reaktivierung ihrer ursprünglich erworbenen Anwartschaft auf Altersversorgung ausgeschlossen waren. Ebensowenig läßt sich im Rahmen des § 14 a BeamtVG die Ungleichbehandlung einer weiteren Gruppe von „Systemwechslern” rechtfertigen – nämlich der Beamtinnen, die früher als Pflichtversicherte von der „Heiratserstattung” Gebrauch gemacht und später für diese Zeiten Beiträge nachentrichtet haben. Die Vergünstigungen gemäß § 88 BeamtVG und den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften privilegieren gerade die freiwilligen Nachzahlungen im Hinblick auf die Versorgung bei Dienstunfähigkeit oder auf die Rente bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, die durch freiwillige Beiträge gemäß § 282 SGB VI und dessen Vorgängerregelungen belegten Zeiten von der Begünstigung nach § 14 a BeamtVG auszuschließen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.04.2000 durch Rakotovao Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558226 |
BVerwGE, 93 |
FamRZ 2000, 1574 |
NVwZ-RR 2000, 692 |
NVwZ 2000, 1418 |
ZBR 2000, 381 |
DÖD 2001, 153 |
PersV 2001, 92 |
RiA 2001, 183 |
DVBl. 2001, 119 |
NWVBl. 2000, 418 |