Entscheidungsstichwort (Thema)
Beamter auf Probe: Entlassung wegen Tätigkeit für das MfS. Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Tätigkeit für das MfS. Ministerium für Staatssicherheit, Entlassung eines Beamten auf Probe wegen Tätigkeit für das –. Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Beamtenverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Im Sinne der Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 des Einigungsvertrages war jemand „für” das Ministerium für Staatssicherheit tätig, wenn er bewußt und final diese Organisation unterstützt hat.
2. Ob das Festhalten am Beamtenverhältnis wegen Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit unzumutbar ist, unterliegt in vollem Umfang verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (wie Urteile vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 2 C 26.97 – ≪BVerwGE 108, 64≫ und vom 27. April 1999 – BVerwG 2 C 26.98 – ≪BVerwGE 109, 59≫).
Normenkette
EV Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Nr. 2; Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts F. 1991, Anlage 2, Abschn. VI Nr. 10 Buchst. c S. 1
Verfahrensgang
OVG Berlin (Entscheidung vom 30.06.1998; Aktenzeichen 4 B 73.95) |
VG Berlin (Entscheidung vom 31.08.1995; Aktenzeichen 7 A 270.94) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 30. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der 1954 in Querfurt geborene Kläger wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Er trat 1975 in den Dienst der Deutschen Volkspolizei der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und war seit 1985 Abschnittsbevollmächtigter, zuletzt im Rang eines Oberleutnants. Zum 1. Oktober 1990 wurde er vom Beklagten als Angestellter im Streifendienst übernommen.
Im Personalfragebogen für Angehörige der ehemaligen Volkspolizei verneinte der Kläger, für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen zu sein oder sich zur Zusammenarbeit verpflichtet zu haben. Die Frage, ob er vom Ministerium für Staatssicherheit dienstlich oder privat kontaktiert worden sei, bejahte er mit dem handschriftlichen Zusatz: „lt. Dienstvorschrift ABV”.
Mit Wirkung vom 1. Juni 1992 ernannte der Beklagte den Kläger unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiobermeister.
Aus einem Bericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ergibt sich, daß der Kläger vom Ministerium für Staatssicherheit wegen seiner politischen Überzeugung angeworben und vom 9. Mai bis 6. Dezember 1989 als inoffizieller Mitarbeiter unter dem Decknamen „Hans-Dieter” geführt worden ist. Er sollte den „Stützpunkt”, über den er als Abschnittsbevollmächtigter verfügte, für konspirative Treffs zur Verfügung stellen und über Vorkommnisse im Volkspolizeirevier 173 berichten. Die genannten Unterlagen enthalten u.a. eine Verpflichtungserklärung, die die Unterschrift des Klägers trägt, und zwei mit dem Decknamen „Hans-Dieter” unterzeichnete Berichte. In dem Bericht vom 10. Juli 1989 wird mitgeteilt, daß ein anderer Abschnittsbevollmächtigter an einer privaten Vorführung eines Pornofilms teilgenommen hat. In dem Bericht vom 2. August 1989 beschreibt der Kläger die familiären, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eines Kollegen. Ferner ergibt sich aus den Unterlagen, daß das Ministerium für Staatssicherheit die Zusammenarbeit mit dem Kläger wegen „Perspektivlosigkeit infolge der politischen Lage” beendet und daß der Kläger seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit auch mit dem Amt für Nationale Sicherheit erklärt hat.
Unter Hinweis auf diese Unterlagen entließ der Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 22. April 1994 fristlos aus dem Beamtenverhältnis auf Probe. Den Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Inneres zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids sei das Gesetz über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28. September 1990 in der Fassung des Artikels I § 2 Nr. 1 Lit. b des Dritten Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 19. Dezember 1991 in Verbindung mit dem Einigungsvertrag. Der Kläger habe sich zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet und bewußt und zielgerichtet unter dem Decknamen „Hans-Dieter” zweimal über andere Personen berichtet. Seine Weiterbeschäftigung erscheine deshalb unzumutbar. Insbesondere durch den Bericht vom 10. Juli 1989 habe der Kläger die ausgespähten Personen der Gefahr ausgesetzt, daß das Ministerium für Staatssicherheit die Informationen bei sich bietender Gelegenheit als Druckmittel gegen sie verwenden werde. Der Bericht vom 2. August 1989 habe die Privatsphäre Dritter verletzt. Beide Berichte seien über die dienstlichen Obliegenheiten eines Abschnittsbevollmächtigten hinausgegangen. Es entlaste den Kläger nicht, nur relativ kurz für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen zu sein. Denn dieses habe die Zusammenarbeit mit dem Kläger aufgrund der politischen Lage beendet. Der Kläger sei im Zeitpunkt seiner Verpflichtung mit 35 Jahren in einem Alter gewesen, in dem sein Verhalten längst nicht mehr jugendlicher Unreife zugeschrieben werden könne. Zu seinen Lasten müsse es sich auswirken, daß er nach seiner Übernahme in den Polizeidienst seinem Dienstherrn über seine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 30. Juni 1998 und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. August 1995 sowie den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 22. April 1994 und den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Inneres vom 8. September 1994 aufzuheben.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält jede Tätigkeit eines Beamten für das frühere Ministerium für Staatssicherheit für geeignet, Zweifel an der Verfassungstreue des Beamten auszulösen. Dies gelte in besonderem Maße für Polizeivollzugsbeamte, die im Kernbereich staatlicher Hoheitsverwaltung tätig seien. Die Zeitspanne, während der der Kläger für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war, sei zwar relativ kurz, doch falle seine konspirative Tätigkeit in eine Zeit, in der sich die Bevölkerung mit hohem Risiko bereits gegen das DDR-Regime aufgelehnt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist Anlage 2, Abschnitt VI Nr. 10 Buchst. c Satz 1 des Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 28. September 1990 (GVBl S. 2119) in der Fassung des Artikels I § 2 Nr. 1 Lit. b des Dritten Gesetzes über die Vereinheitlichung des Berliner Landesrechts vom 19. Dezember 1991 in Verbindung mit dem Einigungsvertrag. Danach kann ein Beamter auf Probe, wie der Kläger, auch entlassen werden, wenn Voraussetzungen vorliegen, die bei einem Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 und 5 des Einigungsvertrages rechtfertigen würde. Nach Abs. 5 Ziff. 2 dieser Bestimmung ist ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung insbesondere dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer für das frühere Ministerium für Staatssicherheit tätig war und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Diese Regelung ist als besonderer Entlassungstatbestand mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 2 GG vereinbar und widerspricht nicht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪66≫).
Die Voraussetzungen des angeführten Entlassungstatbestandes sind gegeben. Das Berufungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger „für” das Ministerium für Staatssicherheit tätig war. Er hat dieses bewußt und final aktiv unterstützt (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪67≫ m.w.N.; 109, 59 ≪66≫). Das Berufungsgericht hat dies in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise daraus hergeleitet, daß der Kläger zwei konspirative Berichte gefertigt und unterzeichnet hat, die dem Ministerium für Staatssicherheit dienten, weil sie einen finalen Bezug zu dessen Arbeit hatten.
Das Berufungsgericht hat ferner beachtet, daß eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nicht automatisch zur Entlassung des Beamten auf Probe führt. Zusätzlich ist erforderlich, daß deshalb ein Festhalten am Beamtenverhältnis unzumutbar erscheint. Während das Merkmal der Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit an ein früheres Verhalten des Beamten anknüpft, bezieht sich die Frage, ob das Beamtenverhältnis fortgesetzt oder beendet werden soll, auf die Zukunft. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, daß Unzumutbarkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, dessen Anwendung in vollem Umfang verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegt. Maßgebend ist, ob die frühere Tätigkeit des Beamten auf Probe für das Ministerium für Staatssicherheit – auch unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BVerfGE 96, 189 ≪199≫) – das Dienstverhältnis derart belastet, daß eine Fortsetzung ausgeschlossen ist. Dies ist nach einem objektiven Maßstab zu beurteilen und verlangt eine einzelfallbezogene, auf die Eignung des Beamten abstellende Würdigung, bei der neben der konkreten Belastung für den Dienstherrn auch das Maß der Verstrickung des Betroffenen zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪68 f.≫; 109, 59 ≪65≫ sowie Urteil vom 27. April 1999 – BVerwG 2 C 33.98 – ≪ZBR 2000, 36≫).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist das Berufungsgericht ohne Verstoß gegen revisibles Recht zu der Beurteilung gelangt, daß die festgestellte konspirative Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit über dessen allgemeine dienstliche Verpflichtung hinausgegangen ist, als Abschnittsbevollmächtigter mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenzuarbeiten und daß deshalb seine Weiterbeschäftigung im Polizeivollzugsdienst, einem Kernbereich hoheitlicher Aufgaben, unzumutbar erscheint. Nach der nicht zu beanstandenden Würdigung dieses Sachverhalts in dem angefochtenen Urteil hat der Kläger auch in der Erkenntnis gehandelt, außerhalb seiner dienstlichen Aufgaben inoffiziell Informationen an das Ministerium für Staatssicherheit zu liefern (vgl. die Ausführungen auf S. 13 und 14 des Urteilsabdrucks).
Das Berufungsgericht hat ferner in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BVerwGE 108, 64 ≪69≫, 109, 59 ≪65≫) beachtet, daß von Bedeutung ist, zu welcher Zeit und in welchem Alter der Beamte für das Ministerium für Staatssicherheit tätig war und für welche Laufbahn er vorgesehen ist. Die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts ist auch insoweit nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß sich der Kläger nicht auf eine unbeanstandete Tätigkeit im Beamtenverhältnis auf Probe berufen kann. Denn er hat die Frage nach seiner Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit unrichtig beantwortet. Dadurch ist bei dem Beklagten der unzutreffende Eindruck entstanden, daß es keine Zusammenarbeit des Klägers mit dem Ministerium für Staatssicherheit gegeben habe, die auf einer besonderen Verpflichtungserklärung beruhte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Franke, Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.04.2000 durch Rakotovao Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
NVwZ 2001, 209 |
ZAP-Ost 2000, 496 |
ZBR 2000, 383 |
DÖD 2001, 40 |
LKV 2000, 538 |
NJ 2000, 552 |
ZfPR 2001, 84 |
Polizei 2000, 330 |