Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung, Reihenfolge und Ausmaß von - gleichartiger Leistungen auf Pflegegeld und von Kürzung des Pflegegeldes wegen teilstationärer Betreuung. Kürzung, Reihenfolge und Ausmaß der - von Pflegegeld wegen teilstationärer Betreuung und der Anrechnung gleichartiger Leistungen. Sozialhilfe, Reihenfolge und Ausmaß von Anrechnung gleichartiger Leistungen auf Pflegegeld und Kürzung des Pflegegeldes wegen teilstationärer Betreuung
Leitsatz (amtlich)
Ein vom Sozialhilfeträger sachgerecht auf 20 v.H. des Pflegegeldes nach § 69 Abs. 4 Satz 1 BSHG (F. 1991) festgesetzter Kürzungsbetrag im Sinne von § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG (F. 1991) verringert sich nicht dadurch, daß der Pflegebedürftige anderweitige, gleichfalls auf den Pflegebedarf erbrachte Leistungen erhält, die nach § 69 Abs. 3 Satz 3 BSHG (F. 1991) anzurechnen sind (wie Urteil vom 15. Dezember 1995 – BVerwG 5 C 3.94 –, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).
Normenkette
BSHG (F. 1991) § 69 Abs. 3 S. 3; BSHG (F. 1991) § 69 Abs. 4 S. 3; SGB V § 57
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 13.10.1994; Aktenzeichen 24 A 3895/92) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.09.1992; Aktenzeichen 22 K 4978/91) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist geistig und körperlich behindert. Der beklagte Sozialhilfeträger gewährt ihr seit Jahren Pflegegeld nach § 69 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG, gekürzt um 20 v.H. wegen teilstationärer Unterbringung in einer beschützenden Werkstatt im Rahmen der Eingliederungshilfe.
Ab Januar 1991 erhält die Klägerin von ihrer Krankenkasse häusliche Pflegehilfe nach § 57 SGB V in Höhe von 400 DM monatlich. Mit Wirkung ab April 1991 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21. März 1991 die Gewährung von Pflegegeld mit der Begründung ein, die Geldleistung nach § 57 SGB V sei in voller Höhe auf das Pflegegeld anzurechnen, so daß sich ein Pflegegeldanspruch nicht mehr ergebe. Nachdem die Klägerin hiergegen erfolglos Widerspruch eingelegt (Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 1991) und Klage erhoben hatte, gewährte ihr die Beklagte für die Zeit ab April 1991 ein “wegen Krankenkassenleistung” gekürztes pauschaliertes Pflegegeld.
Die Beteiligten sind – nachdem der Rechtsstreit sich hinsichtlich einer Anrechnung der Geldleistungen nach § 57 SGB V in Höhe von 200 DM auf das Pflegegeld in der Hauptsache teilweise erledigt hat – noch uneinig darüber, in welcher Reihenfolge die Anrechnung der halben Krankenkassenleistung und die – hinsichtlich des Vomhundertsatzes von der Klägerin nicht angegriffene – 20 %ige Kürzung nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG zu erfolgen hat. Die Beklagte meint, die Kürzung sei vor der Anrechnung vorzunehmen. Nach Auffassung der Klägerin hat die Anrechnung vor der Kürzung zu erfolgen; nach ihrer Berechnungsweise beläuft sich der nach Anrechnung der Krankenkassenleistung sich ergebende monatliche Kürzungsbetrag auf (≪ 325 DM bzw. 341 DM – 200 DM =≫ 125 DM bzw. 141 DM × 20 : 100 =) 25 bzw. 28,20 DM und verbleibt ihr damit ein monatlich um 40 DM höherer Pflegegeldanspruch als nach der Berechnungsweise der Beklagten.
Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht mit ihrer Klage auf Bewilligung eines um insgesamt 520 DM höheren Pflegegeldes für die Zeit von April 1991 bis April 1992 obsiegt. Das Oberverwaltungsgericht dagegen hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen, und zwar im wesentlichen aus folgenden Gründen:
Bei teilstationärer Betreuung des Pflegebedürftigen könne nur das sich nach § 69 Abs. 4 Satz 1 oder 2 BSHG ergebende pauschale Pflegegeld gekürzt werden; hierauf seien nicht zuvor Geldleistungen nach § 57 SGB V anzurechnen. Dies ergebe sich unter Beachtung des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes und des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus dem Sinn und Zweck des Pflegegeldes und der Kürzungsmöglichkeit wegen teilstationärer Betreuung nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG. Dem werde die Berechnungsmethode der Klägerin und des Verwaltungsgerichts nicht gerecht, weil sie zu gleichheitswidrigen und den sozialhilferechtlichen Pflegegeldbedarf des Pflegebedürftigen übersteigenden Pflegegeldgewährungen führe.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 69 BSHG.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Auffassung der Klägerin.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 in Verbindung mit § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht der Berufung der Beklagten stattgegeben und das Klagebegehren auf Bewilligung einer (um monatlich 40 DM) höheren Pflegegeldleistung abgewiesen.
Bei teilstationärer Unterbringung des Pflegebedürftigen kann nur das Pflegegeld nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG (in der hier noch maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 ≪BGBl I S. 94, 808≫) gekürzt werden, das der Träger der Sozialhilfe ohne die Kürzung zu leisten hätte, hier das Pflegegeld nach Anrechnung der Krankenkassenleistung. Das ergibt sich zum einen aus dem Begriff und dem Wesen der Kürzung und zum anderen aus dem Sinn und Zweck des § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG, der Doppelleistungen von Sozialhilfe vermeiden helfen soll. Wird einem Behinderten mit einem entsprechenden Kostenaufwand einerseits Eingliederungshilfe dadurch zuteil, daß er in einer Einrichtung teilstationär betreut wird, dann soll dieser Umstand die Kürzung der andererseits wegen desselben Zustandes gewährten Sozialhilfeleistung “Pflegegeld” rechtfertigen können (BVerwGE 88, 86 ≪87≫). Gegenstand einer Kürzung nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG kann demnach nur das ohne die Kürzung zu leistende Pflegegeld sein, also nicht ein Pflegegeld, das wegen der Anrechnung einer anderen Leistung (hier eines Teils der Krankenkassenleistung; vgl. dazu BVerwGE 92, 220 ≪224 ff.≫) nicht zu leisten ist.
Das Berufungsurteil erweist sich mit seiner Auffassung, die Kürzungsquote von 20 v.H. sei auf den von der Beklagten gewählten Ausgangsbetrag des vollen, nicht anrechnungsgeminderten Pflegegeldes zu beziehen, im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Der Umstand, daß Gegenstand einer Kürzung nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG neben einer Anrechnung nur das von der Anrechnung nicht betroffene Pflegegeld sein kann, steht einer Berechnung zum Ausmaß der Kürzung nicht entgegen, die den Kürzungsbetrag durch einen auf das volle, d.h. noch nicht gekürzte und noch nicht anrechnungsgeminderte Pflegegeld bezogenen Prozentsatz bestimmt. Zwar kann der Kürzungsbetrag nicht das den Gegenstand der Kürzung bildende Pflegegeld übersteigen, aber er kann prozentual nach einem höheren Pflegegeldbetrag berechnet werden.
Zur Bestimmung der angemessenen Kürzung, also zum Ausmaß der Kürzung, ist wiederum vom Sinn der Kürzungsermächtigung auszugehen. Danach gilt es festzustellen, inwieweit bei dem Zusammentreffen von Eingliederungshilfe für teilstationäre Betreuung und Hilfe zur Pflege in Form von Pflegegeld “doppelt” geleistet wird. Dabei ist auf die Bedarfslagen der beiden Sozialhilfeleistungen zurückzugehen, wobei entscheidend ist, daß der Pflegebedürftige im Rahmen der teilstationären Betreuung in einem solchen Umfang betreut wird, daß in dieser Zeit ein Bedarf an häuslicher Pflege und Pflegegeld nicht besteht. Eine Pflegegeldleistung auch für diese Zeit wäre eine Doppelleistung. Die Beklagte hat den sich beim Zusammentreffen von Eingliederungshilfe für teilstationäre Betreuung und ungekürztem Pflegegeld ergebenden Überschneidungsbereich mit 20 v.H. bestimmt. Die Angemessenheit dieser Einschätzung wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt und bietet auch aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Anhaltspunkte für Beanstandungen. Da dieser Prozentsatz den Überschneidungsbereich bezeichnet, ist seine Bezugsgröße der Gesamtbedarf an (häuslicher Pflege und) Pflegegeld (§ 69 Abs. 4 Satz 1 BSHG), wie er ohne die geleistete Eingliederungshilfe für teilstationäre Betreuung bestünde.
Der Umfang der Bedarfsminderung durch die Eingliederungshilfe für teilstationäre Betreuung und damit der Überschneidungsbereich mit dem Pflegegeld im Umfang von 20 v.H. des vollen Pflegegeldes nach § 69 Abs. 4 Satz 1 BSHG ändert sich nicht dadurch, daß zum Pflegegeld noch eine weitere Sozialleistung hinzutritt, die als gleichartige Leistung wie das Pflegegeld der Sicherstellung der benötigten Pflege dient und deshalb auf das Pflegegeld anzurechnen ist. Denn der Kürzungsgrund (nach § 69 Abs. 4 Satz 3 BSHG) einerseits und der Anrechnungsgrund (nach § 69 Abs. 3 Satz 3 BSHG) andererseits sind unterschiedliche, voneinander unabhängige Gründe, die jeder für sich eine nach Anlaß und Ausmaß eigenständige Verringerung des Pflegegeldes rechtfertigen. Die Berechnung des Ausmaßes von Kürzung und Anrechnung ist deshalb nicht von der Reihenfolge – Kürzung vor Anrechnung oder Anrechnung vor Kürzung – abhängig; vielmehr sind das Ausmaß der Kürzung und das Ausmaß der Anrechnung je eigenständig, also unabhängig voneinander, zu berechnen. Bei absoluten Größen, wie bei der Anrechnung von 200 DM Krankenkassenleistungen, ist die Unabhängigkeit des Anrechnungsbetrages von der zusätzlichen Kürzung ohne weiteres gewahrt. Bei einer relativen Größe, wie hier bei der prozentualen Angabe (20 v.H.) des Kürzungsbetrages, ist die Unabhängigkeit des Kürzungsbetrages von der zusätzlichen Anrechnung nur gewahrt, wenn die Bezugsgröße für die prozentuale Kürzung nicht durch die zusätzliche Anrechnung verändert wird.
Der von der Beklagten angesetzte Kürzungsbetrag muß bei der Ermittlung des der Klägerin nach Anrechnung noch zustehenden Pflegegeldes folglich auch dann in unveränderter Höhe beibehalten werden, wenn zuvor die Krankenkassenleistung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 BSHG angerechnet worden ist. Dem entspricht die Berechnungsweise der Beklagten.
Die Revision der Klägerin muß demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückgewiesen werden. Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen