Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 09.10.2008; Aktenzeichen 12 B 6.08) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Oktober 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die am 28. Oktober 1990 bzw. am 18. November 1991 geborenen Klägerinnen sind mazedonische Staatsangehörige und begehren die Erteilung von Visa zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem in Deutschland lebenden Vater.
Rz. 2
Die Ehe der Eltern der Klägerinnen wurde 1997 in Mazedonien geschieden. In dem Scheidungsurteil wurde das Sorgerecht für beide Klägerinnen der Mutter übertragen. Der Vater heiratete im August 1999 eine deutsche Staatsangehörige aus Berlin und kam 2001 im Wege des Ehegattennachzugs zu dieser nach Deutschland. Im November 2004 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Im Mai 2005 erwirkten die Eltern der Klägerinnen beim Amtsgericht in Tetovo/Mazedonien eine Änderung der ursprünglichen Sorgerechtsentscheidung. Die elterliche Sorge für die Klägerinnen wurde nunmehr auf deren Vater übertragen.
Rz. 3
Im August 2005 beantragten die Klägerinnen bei der deutschen Botschaft in Skopje Visa zum Familiennachzug zu ihrem Vater. Die Botschaft lehnte die Anträge zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 24. Juli 2006 ab, nachdem die Ausländerbehörde in Berlin ihre Zustimmung verweigert hatte. Die Klägerinnen hätten keinen Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG, da eine vollständige Übertragung des Sorgerechts auf ihren Vater nicht vorliege. Über den Nachzug sei deshalb (nach § 20 AuslG i.V.m. § 104 Abs. 3 AufenthG) im Wege des Ermessens zu entscheiden. Dieses Ermessen werde unter Berücksichtigung des Kindeswohls zu Lasten der Klägerinnen ausgeübt. Ihr Lebensalter und ihre ausschließliche Prägung durch die Verhältnisse im Heimatland seien so weit fortgeschritten, dass ihre Integration in die deutschen Lebensverhältnisse nicht aussichtsreich sei. Der Vater werde hierzu kaum beitragen können, da er seinen Wohnsitz in Berlin habe, aber in Leverkusen arbeite. Die Kinder hätten bislang mit der leiblichen Mutter zusammengelebt. Dass diese wieder verheiratet sein solle, sei durch nichts belegt. Auch eine besondere Härte im Sinne von § 32 Abs. 4 AufenthG sei weder vorgetragen noch ersichtlich.
Rz. 4
Dagegen haben die Klägerinnen Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben. Während des Klageverfahrens ist ihr Vater im November 2007 von seiner deutschen Ehefrau geschieden worden. Er hat bereits seit einiger Zeit in Leverkusen gewohnt, wohin die Klägerinnen nunmehr auch nachziehen wollen. Das Verwaltungsgericht hat dementsprechend anstelle des Landes Berlin die Stadt Leverkusen zu dem Rechtsstreit beigeladen.
Rz. 5
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zur Erteilung von Visa an die Klägerinnen verpflichtet. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 9. Oktober 2008 zurückgewiesen. Es hat einen Nachzugsanspruch der Klägerinnen aufgrund einer entsprechenden Anwendung von § 32 Abs. 3 AufenthG bejaht und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Es spreche zwar Einiges dafür, dass der Vater der Klägerinnen nach mazedonischem Familienrecht trotz der durch das Urteil des Amtsgerichts Tetovo erfolgten Sorgerechtsübertragung nicht einem personensorgeberechtigten Elternteil im Sinne von § 1631 BGB gleichzustellen sei, weil dem mazedonischen Recht die Ausübung der Personensorge durch nur einen Elternteil grundsätzlich fremd sei. Letztlich brauche diese Frage aber nicht abschließend geklärt zu werden. Selbst wenn ein alleiniges Personensorgerecht aus im mazedonischen Recht liegenden Gründen zu verneinen sein sollte, sei § 32 Abs. 3 AufenthG jedenfalls entsprechend anwendbar. Es stelle eine vom Gesetzgeber weder gesehene noch gewollte Regelungslücke dar, alle einem bestimmten Staat angehörenden Kinder von einem Anspruch auf Nachzug zu einem im Bundesgebiet lebenden Elternteil auszuschließen, wenn dies allein darauf beruhe, dass das Recht des Heimatstaates nur eine partielle und keine vollständige Sorgerechtsübertragung auf einen Elternteil kenne. Das Gesetzgebungsverfahren lege nahe, dass sich der Gesetzgeber bei der Formulierung in § 32 Abs. 3 AufenthG von der deutschen Rechtslage habe leiten lassen. Danach könne das Personensorgerecht vollständig auf einen Elternteil übertragen werden, während dem anderen Elternteil in der Regel lediglich ein Umgangsrecht zustehe. Der Gesetzgeber habe nicht in Erwägung gezogen, dass er damit ganze Nationen ohne eine vergleichbare Regelung von einem Anspruch auf Kindernachzug ausschließe. Bei Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG habe er zwar bewusst von der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und d der Richtlinie eingeräumten Möglichkeit, den Zuzug minderjähriger Kinder auch im Fall eines geteilten Sorgerechts bei Zustimmung des anderen Elternteils zuzulassen, keinen Gebrauch gemacht. Dies rechtfertige jedoch nicht den zwingenden Schluss, er habe damit auch die Fälle, in denen das maßgebliche ausländische Familienrecht eine alleinige Ausübung der Personensorge nicht vorsehe, in den Blick genommen und vom Kindernachzug ausschließen wollen. Nach den vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern müsse der hier lebende Elternteil ausnahmsweise nicht sorgeberechtigt sein, wenn die Sorgerechtsübertragung insbesondere wegen der Rechtsordnung des Herkunftsstaates aussichtslos erscheine. In diesen Fällen auf die Härteregelung in § 32 Abs. 4 AufenthG zurückzugreifen, sei nicht sachgerecht. Die hier in Rede stehende Fallkonstellation sei jedenfalls mit dem in § 32 Abs. 3 AufenthG geregelten Sachverhalt vergleichbar, wenn dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil das Sorgerecht im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei. Die Klägerinnen erfüllten schließlich auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung der Visa. Insbesondere sei die Sicherung des Lebensunterhalts gewährleistet, und es stehe ausreichender Wohnraum zur Verfügung.
Rz. 6
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG auf Fälle, in denen nach der Rechtsordnung des Heimatstaates eine vollständige Übertragung des Sorgerechts nicht möglich ist.
Rz. 7
Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil und machen geltend, dass sich aus den von ihnen während des Gerichtsverfahrens vorgelegten zwei Bestätigungen des Zentrums für Soziale Angelegenheiten Tetovo vom 24. Dezember 2007 eindeutig ergebe, dass der Vater für sie der einzige personensorgeberechtigte Elternteil sei. Unabhängig davon hätten sie auch einen Anspruch auf Erteilung von Visa nach der Härteregelung in § 32 Abs. 4 AufenthG. Sie hätten keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter. Auch die Großeltern, in deren Haus in Mazedonien sie zurzeit lebten, hielten sich größtenteils in Deutschland auf. Mit Blick auf Art. 6 GG sei deshalb nicht ersichtlich, warum ein Verbleib in Mazedonien dem Kindeswohl entsprechen solle.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerinnen auf Erteilung von Visa zum Zwecke des Familiennachzugs zu ihrem hier lebenden Vater mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält. Seine Annahme, ein Nachzugsanspruch der Klägerinnen ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 32 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 9
1. Nach § 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis – und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ein Visum – zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Außerdem müssen zusätzlich die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels erfüllt sein (§§ 5, 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
Rz. 10
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Nachzugsbegehren der Klägerinnen zunächst nach § 32 Abs. 3 AufenthG und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz (AuslG) zu prüfen ist. Der Vater der Klägerinnen hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, und die Klägerinnen selbst sind vor diesem Zeitpunkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (vgl. Urteil vom 26. August 2008 – BVerwG 1 C 32.07 – NVwZ 2009, 248, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 14 f.).
Rz. 11
b) Das Berufungsgericht hat auch zu Recht geprüft, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Nachzugsanspruch sowohl im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerinnen als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung vorlagen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich insoweit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen, als es um die Frage geht, ob schon aus Rechtsgründen eine Erlaubnis erteilt oder versagt werden muss (vgl. Urteil vom 16. Juni 2004 – BVerwG 1 C 20.03 – BVerwGE 121, 86 ≪88≫ m.w.N.; zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung vergleiche nachfolgend zu 3. b)). Dies gilt im Grundsatz auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Sofern diese Ansprüche allerdings an eine Altersgrenze geknüpft sind – wie hier die Vollendung des 16. Lebensjahres –, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (stRspr, zuletzt Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 16 f. m.w.N.). Wenn die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten wird, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung (vgl. ebenfalls Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 17).
Rz. 12
c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein Nachzugsanspruch der Klägerinnen allerdings nicht auf die entsprechende Anwendung von § 32 Abs. 3 AufenthG gestützt werden. Zwar ist die in der Vorschrift vorgeschriebene Altersgrenze von 16 Jahren eingehalten, weil die Klägerinnen zum Zeitpunkt der Antragstellung im August 2005 das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Auch verfügte der Vater der Klägerinnen zu den nach den vorstehenden Ausführungen maßgeblichen Zeitpunkten über die erforderliche Niederlassungserlaubnis. Ferner war nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgericht in den maßgeblichen Zeitpunkten der Lebensunterhalt gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und ausreichender Wohnraum vorhanden (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht festgestellt, dass der Vater der Klägerinnen – wie nach § 32 Abs. 3 AufenthG erforderlich – der allein personensorgeberechtigte Elternteil war. Es hat die Frage, ob dem insoweit maßgeblichen mazedonischen Recht die Ausübung der Personensorge durch nur einen Elternteil grundsätzlich fremd ist, vielmehr ausdrücklich offen gelassen, weil nach seiner Auffassung die Vorschrift in diesem Fall jedenfalls entsprechend anzuwenden ist, wenn dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil nach dem Recht des Heimatstaates des Kindes das Sorgerecht in dem größtmöglichen Umfang übertragen worden ist. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.
Rz. 13
Für eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG in diesen Fällen fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik, dass das Recht einzelner Herkunftsstaaten eine vollständige Übertragung der Personensorge auf einen Elternteil nicht kennt, ist dem Gesetzgeber spätestens bei der Novellierung des Aufenthaltsgesetzes durch das Richtlinienumsetzungsgesetz im August 2007 bekannt gewesen, er hat jedoch wegen der bestehenden Möglichkeit, in Härtefällen einen Nachzug im Ermessenswege zu gestatten, keinen Handlungsbedarf gesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird insoweit auf das Urteil des Senats vom gleichen Tag in dem zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 Bezug genommen.
Rz. 14
2. Das Berufungsurteil erweist sich aufgrund der darin getroffenen Feststellungen auch nicht bereits aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Rz. 15
a) Ein Nachzugsanspruch der Klägerinnen in unmittelbarer Anwendung von § 32 Abs. 3 AufenthG kann aufgrund dieser Feststellungen nicht bejaht werden. Denn es kann nicht abschließend beurteilt werden, ob der Vater der Klägerinnen allein personensorgeberechtigt im Sinne dieser Bestimmung ist. Dieser Begriff ist mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl EG Nr. L 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) – sog. Familienzusammenführungsrichtlinie – gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser Bestimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er “allein” sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substanziellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Wegen der Einzelheiten dieser Auslegung wird ebenfalls auf das Urteil in dem Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 verwiesen.
Rz. 16
Ob der Vater der Klägerinnen – gemessen an diesen Maßstäben – die wesentlichen Entscheidungsrechte in Bezug auf die Person der Klägerinnen allein und ungeteilt besitzt, lässt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts über die insoweit maßgebliche Rechtslage in Mazedonien – anders als in dem die kosovarische Rechtslage betreffenden Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 – nicht entnehmen. Da die Ermittlung des ausländischen Rechts den Tatsachengerichten vorbehalten ist, kann der Senat insoweit nicht zu einer abschließenden Entscheidung gelangen.
Rz. 17
b) Ein Anspruch auf Erteilung von Visa kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts auch nicht aus § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG (i.V.m. § 104 Abs. 3 AufenthG) hergeleitet werden. Die besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind zwar erfüllt. Die Erteilung eines Visums nach dieser Bestimmung liegt aber im Ermessen der Behörde. Ein Nachzugsanspruch würde deshalb nur im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null bestehen. Ob eine solche Ermessensreduzierung vorliegt, ist anhand der Sachlage im maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerinnen und in dem außerdem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verhandlung oder Entscheidung der Tatsacheninstanz zu beurteilen. Mangels jeglicher Feststellungen des Berufungsgerichts insbesondere zu der Betreuungssituation der Klägerinnen in Mazedonien und in Deutschland kann der Senat eine solche Ermessensreduzierung entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen nicht abschließend prüfen oder gar bejahen.
Rz. 18
c) Entsprechendes gilt für die fernerliegenden, aber auch noch nicht vom Berufungsgericht geprüften Anspruchsgrundlagen nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 und 2 AuslG (i.V.m. § 104 Abs. 3 AufenthG), bei denen es schon hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts fehlt. Auch insoweit kommt daher nur eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht in Betracht.
Rz. 19
3. a) In dem erneuten Berufungsverfahren wird zunächst zu prüfen sein, ob dem Vater der Klägerinnen nach mazedonischem Recht die alleinige Personensorge für die Klägerinnen im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie übertragen worden ist. Hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Auslegung dieses Begriffs sind dabei die im Urteil des Parallelverfahrens BVerwG 1 C 17.08 aufgeführten Grundsätze zu beachten. Bei der Ermittlung und Feststellung des mazedonischen Familienrechts wird das Berufungsgericht auch die Bedeutung der von den Klägerinnen vorgelegten Bestätigungen des Zentrums für Soziale Angelegenheiten Tetovo vom 24. Dezember 2007 prüfen und – gegebenenfalls unter Heranziehung von Sachverständigengutachten – bewerten müssen. Falls danach ein alleiniges Sorgerecht des Vaters der Klägerinnen zu bejahen ist, müsste weiter geprüft werden, ob die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung und das Erfordernis ausreichenden Wohnraums auch noch im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung erfüllt sind. Gegebenenfalls wird bei mangelnder Sicherung des Lebensunterhalts auch zu entscheiden sein, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Absehen von der Regel nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gebietet.
Rz. 20
b) Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Nachzugsanspruch der Klägerinnen in direkter Anwendung von § 32 Abs. 3 AufenthG nicht besteht, wird es weiter prüfen müssen, ob die Klägerinnen einen Anspruch auf Erteilung von Visa oder zumindest einen Anspruch auf erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihre Visumsanträge nach § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG oder § 20 Abs. 4 AuslG haben.
Rz. 21
Dies erfordert, dass die Klägerinnen die jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums erfüllen, zu denen u.a. auch die Sicherung des Lebensunterhalts und das Vorhandensein ausreichenden Wohnraums gehören, und dass das Ermessen der Beklagten entweder zugunsten der Klägerinnen auf Null reduziert ist oder die Beklagte ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, so dass insoweit zumindest ein Neubescheidungsanspruch besteht.
Rz. 22
Bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass diese sowohl im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts als auch im Zeitpunkt des Erreichens der jeweils maßgeblichen Altersgrenze erfüllt sein müssen. Dies ist bei § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG der Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres, bei § 20 Abs. 4 AuslG der Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres.
Rz. 23
Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens ist ebenfalls die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist, zugrunde zu legen. Der Senat hält insoweit an seiner Rechtsprechung, wonach bei Klagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der Ermessensentscheidung regelmäßig der Zeitpunkt des Erlasses der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblich war (vgl. Urteil vom 24. Januar 1995 – BVerwG 1 C 2.94 – BVerwGE 97, 301 ≪310≫ m.w.N.) nicht weiter fest. In Anlehnung an seine Rechtsprechung zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung im Falle der gerichtlichen Anfechtung einer Ausweisung (vgl. Urteil vom 15. November 2007 – BVerwG 1 C 45.06 – BVerwGE 130, 20 ≪22 ff.≫) geht er davon aus, dass nunmehr auch bei Klagen auf Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung auf den Zeitpunkt abzustellen ist, der für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist. Wegen der Einzelheiten wird auch insoweit auf das bereits zitierte Urteil in dem Parallelverfahren BVerwG 1 C 17.08 Bezug genommen.
Rz. 24
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Unterschriften
Prof. Dr. Dörig, Richter, Beck, Prof. Dr. Kraft, Fricke
Fundstellen