Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsaussiedlung, Rechtsstaatswidrigkeit der –. Bodenreformeigentum, Vererblichkeit von –

 

Leitsatz (amtlich)

Die Aufhebung von rechtsstaatswidrigen Maßnahmen der DDR zur Zwangsaussiedlung aus Bodenreformeigentum im Wege der Rehabilitierung nach § 1 VwRehaG wegen Eingriffs in Vermögensrechte setzt den Verlust nach § 2 Abs. 2 VermG berücksichtigungsfähiger Vermögensrechte voraus.

Der frühere Eigentümer einer Bodenreformwirtschaft, der sein Eigentum infolge einer Zwangsaussiedlung innerhalb der DDR verloren hatte und später dort verstarb, kann nicht auf Antrag des Erben wegen Eingriffs in Vermögenswerte nach § 1 Abs. 1 VwRehaG rehabilitiert werden.

 

Normenkette

VwRehaG § 1

 

Verfahrensgang

VG Schwerin (Urteil vom 18.09.1996; Aktenzeichen 1 A 1432/95)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 18. September 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen des Verlustes einer Neubauernstelle seines Vaters im früheren Grenzgebiet der DDR, weil er Folgeansprüche aus eigenem und ererbtem Recht geltend machen will.

Der Vater des Klägers wurde im April 1947 Eigentümer der im Grundbuch von Hof Schlagsdorf, Band III, Blatt 114 eingetragenen Neubauernstelle (6 ha 8 A). In Abteilung 2 II des Grundbuchs wurde der sogenannte Bodenreformvermerk nach Art. VI Ziff. 1 der Verordnung über die Bodenreform vom 5. September 1945 eingetragen. Der Kläger war auf der Neubauernwirtschaft seines Vaters als landwirtschaftlicher Gehilfe tätig.

Im Sommer 1952 wurden der Kläger und der Vater mit seiner Familie aus dem an der Grenze zur Bundesrepublik gelegenen Wohnbereich zwangsausgesiedelt. Der Vater erhielt eine Entschädigung, bei der die Werte des „bebauten und unbebauten Grundstücks” nicht berücksichtigt wurden. Im Oktober 1959 wurde ein anderer Neubauer als Eigentümer der Neubauernstelle in das Grundbuch eingetragen.

Der Kläger siedelte 1953, seine Eltern 1964 nach Westdeutschland über. Der Vater verstarb 1970 und wurde von der Mutter des Klägers zu 1/2 sowie vom Kläger und seinen Schwestern zu je 1/6 beerbt. Die Mutter des Klägers verstarb 1981 und wurde vom Kläger und seinen Schwestern zu je 1/3 beerbt.

Der 1994 gestellte Antrag des Klägers auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wurde von der Beklagten zurückgewiesen.

Gegen den Zurückweisungsbescheid hat der Kläger Klage mit dem Begehren erhoben, den Beklagten zur Aufhebung der Zwangsaussiedlungsmaßnahme zu verpflichten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei sowohl für den Kläger als Zwangsausgesiedelten selbst als auch in seiner Eigenschaft als (Mit-)Erbe seines zwangsausgesiedelten Vaters unbegründet. Der Kläger selbst sei von der Zwangsaussiedlung im Sommer 1952 als Familienmitglied seines Vaters betroffen gewesen. Es habe sich bei dieser Zwangsaussiedlung schon gesetzlich um eine Maßnahme gehandelt, die mit den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar war. Allerdings habe die Zwangsaussiedlung des Klägers selbst nicht zu einem Eingriff in Vermögenswerte geführt, wie sie § 1 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsrechtliches Rehabilitationsgesetz (VwRehaG) für eine positive Rehabilitierungsentscheidung verlange. An einem Vermögenswert gemäß § 2 Abs. 2 VermG sei der Kläger selbst nicht beeinträchtigt. Seine eigenen finanziellen Mittel zur Wertverbesserung der Neubauernstelle und sein Arbeitseinsatz ließen sich nicht unter dem Begriff des Vermögenswertes im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG subsumieren.

Die Eigenschaft als Miterbe gebe dem Kläger auch nicht den Anspruch, die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung des Vaters zu erreichen. Das Bodenreformeigentum stelle zwar einen Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG dar. § 1 VwRehaG setze aber neben den hier gegebenen Tatbestandsmerkmalen voraus, daß die Folge der rechtsstaatswidrigen Verwaltungsentscheidung (hier: Verlust der Neubauernstelle) in der Person des Klägers noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirke. Denke man den im Zusammenhang mit der rechtsstaatswidrigen Maßnahme stehenden Verlust der Neubauernstelle hinweg, müsse hinreichend gesichert sein, daß dem jeweiligen Erben nach dem Tod des Neubauern das Bodenreformeigentum übertragen worden wäre, so daß er im Jahre 1990 aufgrund des Art. 233 § 11 EGBGB Volleigentümer des Grundstücks geworden wäre. Das sei nicht der Fall. Nach der Besitzwechselverordnung vom 23. August 1956 sei die Hofstelle grundsätzlich in den Bodenfonds zurückgefallen. Dem Erben des verstorbenen Neubauern sei dabei lediglich eine tatsächliche Chance auf Übertragung im Rahmen der Neuvergabe eingeräumt worden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führt er aus, das Verwaltungsgericht nehme zu Unrecht an, daß der Begriff des „Vermögenswertes” in § 7 VwRehaG dem des § 2 VermG entspreche. Seine finanzielle Aufwendung zum Ausbau des väterlichen Hofes und der Einsatz seiner Arbeitskraft seien im Sinne von § 7 VwRehaG als Vermögenswerte zu verstehen. Das gebiete die Interessenlage. Auch bei dem Rehabilitierungsanspruch als Erbe des verstorbenen Vaters gehe das Verwaltungsgericht von einer unrichtigen Rechtslage aus. Zum Todeszeitpunkt des Vaters 1970 habe in der DDR noch das Erbrecht des BGB gegolten; also seien auch die zum persönlichen und vererblichen Eigentum zugewiesenen Neubauernstellen auf die Erben übergegangen. Andere Schlüsse aus der erst 5 Jahre später ergangenen Besitzwechselverordnung 1975 seien nicht gerechtfertigt. Der hypothetische Geschehensablauf führe über Art. 233 § 11 EGBGB zu einer noch heute schweren und unzumutbaren Fortwirkung der Zwangsaussiedlung in seiner – des Klägers – Person.

Das beklagte Ministerium verteidigt das angegriffene Urteil. Zum Zeitpunkt der Zwangsaussiedlung im Sommer 1952 habe der Kläger keinen entziehungsfähigen Vermögenswert im Sinne des Vermögensgesetzes gehabt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, daß dem Kläger der geltend gemachte verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsanspruch nicht zusteht, verletzt kein Bundesrecht.

Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Aufhebung rechtstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz – VwRehaG –) vom 23. Juni 1994 (BGBl I, S. 1311) sind hoheitliche Maßnahmen einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalles in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis 20. Oktober 1990, die zu u.a. einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) geführt haben, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sind und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken.

1.1 Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, daß sich die streitbefangene Zwangsaussiedlungsmaßnahme nicht nur gegen den Vater des Klägers als im Grundbuch eingetragenen Hofstelleninhaber, sondern gegen die ganze Familie (einschließlich des damals 26jährigen auf dem Hof beschäftigten Klägers) richtete. Diese Zwangsaussiedlungsmaßnahme ist 1952 aufgrund des Befehls Nr. 38/52 vom 26. Mai 1952 des Ministeriums des Innern der Deutschen Demokratischen Republik erfolgt. Dieser Befehl beruhte auf der Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands (GBl Nr. 65, S. 405) vom gleichen Tage. Die Rechtsstaatswidrigkeit dieser Maßnahme und der mit der Zwangsaussiedlung im Zusammenhang stehenden Eingriffe in Vermögenswerte ist in § 1 Abs. 3 VwRehaG ausdrücklich festgelegt.

1.2 Nach § 1 Abs. 1 VwRehaG wird die Aufhebung einer rechtsstaatswidrigen Maßnahme von der weiteren Voraussetzung abhängig gemacht, daß sie zu einer Rechtsgutschädigung – hier zum Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) – geführt hat. Im Sinne des Rehabilitierungsgesetzes berücksichtigungsfähige Vermögenswerte sind durch die Bezugnahme auf § 7 VwRehaG und dessen Verweisung auf § 2 Abs. 2 VermG definiert. Die Meinung der Revision, es müsse im Rehabilitierungsverfahren ein erweiterter Vermögensbegriff gelten, entbehrt der gesetzlichen Grundlage.

2. Soweit der Kläger aus seiner eigenen Stellung als Zwangsausgesiedelter die Rehabilitierung begehrt, beruft er sich auf die von ihm in die väterliche Hofstelle eingebrachten Investitionsmittel sowie auf seine eingesetzte Arbeitskraft. Das Verwaltungsgericht hat richtig erkannt, daß die vom Kläger geltend gemachten Forderungen nicht unter § 2 Abs. 2 VermG fallen. Dingliche Ansprüche an Grundstücken sind dadurch nicht entstanden; etwaige obligatorische Ansprüche aus Investitionen und Arbeitseinsatz wären gegen den Vater gerichtet. Gegen ihn als Hofstelleninhaber oder Arbeitgeber entstandene Forderungen sind weder durch die Zwangsaussiedlung untergegangen noch werden sie von dem Katalog in § 2 Abs. 2 VermG erfaßt.

3. Soweit der Kläger die Rehabilitierung aus abgeleitetem (Erb-)Recht in Hinblick auf die Zwangsaussiedlungsmaßnahme gegen seinen Vater begehrt, hat das Verwaltungsgericht die Klage ebenfalls zu Recht abgewiesen.

Zwar erfüllte der Vater des Klägers selbst die Rehabilitierungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 VwRehaG. Als Zwangsausgesiedelter war er Opfer einer rechtsstaatswidrigen behördlichen Einzelmaßnahme. Diese führte in seiner Person auch zu einem Eingriff in einen Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG, denn er verlor damit sein Bodenreformeigentum. Dieses stellte ein besonders ausgestaltetes Nutzungsrecht an einem Grundstück dar und hatte trotz der ihm innewohnenden rechtlichen Beschränkungen einen Vermögenswerten Inhalt (vgl. Urteil vom 27. Juli 1995 – BVerwG 7 C 12.94 – BVerwGE 99, 82 ≪84≫).

Dieser Vermögensverlust rechtfertigt jedoch einen Rehabilitierungsantrag zugunsten des Vaters nicht, da mit seinem Tod die Auswirkungen der Zwangsmaßnahme auf das Bodenreformeigentum endeten. Durch dieses Ereignis realisierte sich die immanente Beschränkung der Rechtsstellung des Bodenreformeigentümers. Sein Bodenreformeigentum verlor die Eigenschaft als Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG.

Es kann dahinstehen, ob das Bodenreformeigentum der DDR überhaupt Gegenstand des Erbrechts war und beim Tode des Erblassers in den Nachlaß fiel oder ob es unmittelbar in den Bodenfonds zurückfiel. Wie der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 25. Februar 1994 (BVerwG 7 C 32.92 – BVerwGE 95, 170 ≪174≫) ausführlich dargelegt hat, war das Bodenreformeigentum lediglich persönliches Arbeitseigentum des Neubauern, dem die Belastung innewohnte, bei Aufgabe der Bodenreformwirtschaft in den Bodenfonds zurückzufallen; dieses Eigentum konnte nur mit staatlicher Genehmigung auf einen entsprechend qualifizierten Erben oder sonstigen Dritten übergehen. Selbst dem qualifizierten Erben, der alle Voraussetzungen für die Weiterführung der Hofstelle erfüllte, wuchs daher mit Eintritt des Erbfalls lediglich eine tatsächliche Chance auf Übertragung des Bodenreformeigentums zu (ebenso Urteil vom 19. März 1996 – BVerwG 7 C 30.95 – DtZ 1996, 223). Eine solche bloße Chance stellt keinen Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG dar.

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an. Die Einwendungen des Klägers geben keine Veranlassung, davon abzugehen. Sie vermögen nicht die in allen Fassungen der Besitzwechselverordnung ausdrücklich enthaltene und auch vom Obersten Gericht der DDR (vgl. OG, Urteil vom 12. März 1953 – 2 Zz 3.53 – NJ 1953, 498) bestätigte Regelung auszuräumen, daß der endgültige Übergang einer Bodenreformstelle auf einen Erben zwingend einen staatlichen Zuteilungsakt voraussetzte.

Auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14. Februar 1997 – 5 ZR 32.96 –) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Dieses Urteil betrifft auf der Grundlage des Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB die Frage, wie nach dem Eintritt der Wiedervereinigung das frühere Bodenreformeigentum fortzuschreiben ist. Zu der hier interessierenden Frage, welche Rechtsstellung der Erbe eines Bodenreformeigentümers im Jahre 1973 hatte, verhält es sich nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Pagenkopf, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1210904

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