Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 06.07.2020; Aktenzeichen OVG 3 B 3/20) |
VG Berlin (Urteil vom 11.07.2019; Aktenzeichen 31 K 462.17 A) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Juli 2020 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Juli 2019, soweit dieses nicht rechtskräftig ist, geändert. Die Klage wird auch in Bezug auf Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamts vom 15. August 2017 abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger wendet sich nach Ablehnung seines Asylantrags im Hinblick auf eine von ihm aufgenommene qualifizierte Berufsausbildung gegen die Befristung des unter der aufschiebenden Bedingung seiner Abschiebung ergangenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von 30 Monaten.
Rz. 2
Der Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Guinea und stellte im Bundesgebiet einen Asylantrag. Im August 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), die Anerkennung als Asylberechtigter (Ziff. 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziff. 3) ab, stellte es das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest (Ziff. 4), drohte es dem Kläger die Abschiebung primär in die Republik Guinea an (Ziff. 5) und befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6).
Rz. 3
Unter Abweisung der Klage im Übrigen hat das Verwaltungsgericht Ziffer 6 des Bescheides aufgehoben. Die standardmäßige Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate sei ermessensfehlerhaft. Der Kläger habe besondere Integrationserfolge erzielt. Er besitze gute Deutschkenntnisse, absolviere seit September 2017 eine qualifizierte Berufsausbildung und verfüge damit über Bindungen im Bundesgebiet, die über die standardmäßigen Bindungen hinausgingen.
Rz. 4
Das Oberverwaltungsgericht hat die gegen die Teilaufhebung des Bescheides gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Bundesamt habe von dem ihm in Bezug auf die Bestimmung der Sperrfrist durch § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Regelung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. In die Ermessensentscheidung grundsätzlich einzubeziehen seien insbesondere Integrationsleistungen des Ausländers, wie z.B. eine im Inland begonnene oder abgeschlossene Ausbildung und - schon im Hinblick darauf notwendigerweise vorhandene - gute Sprachkenntnisse, soweit der Ausländer diese während des Aufenthalts in Deutschland erlangt habe. Persönliche Belange des Ausländers seien nicht nur insoweit zu berücksichtigen, als sie eine baldige Wiedereinreise erforderlich machten. Für die Tragweite des Freiheitseingriffs könnten vielmehr auch Integrationsleistungen relevant sein, die unterhalb dieser Schwelle lägen. Eine begonnene und erst recht eine abgeschlossene Ausbildung könnten aus der Perspektive des Ausländers durchaus für eine möglichst baldige Wiedereinreise von Bedeutung sein. Das Bundesamt habe die Integrationsleistungen des Klägers insbesondere in Gestalt der von diesem begonnenen Ausbildung und der insoweit erworbenen Sprachkenntnisse nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in seine Ermessensentscheidung eingestellt und gewürdigt. Mit der Entscheidung, die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate festzusetzen, habe es zudem die gesetzlichen Grenzen des ihm nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens überschritten. Die Bestimmung der Sperrfrist verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesamt sei mit der hier streitigen Ermessensentscheidung seiner ständigen Verwaltungspraxis zu § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gefolgt, wonach in Fällen, in denen keine individuellen Gründe vorgebracht oder ersichtlich seien, generell aus Gründen der Gleichbehandlung eine Frist von 30 Monaten bestimmt und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß von fünf Jahren zur Hälfte ausgeschöpft werde. Das Bundesamt sei gehalten, bei wesentlichen Abweichungen vom "Normalfall" eine kürzere Sperrfrist zu bestimmen. Die von dem Kläger betriebene Ausbildung und die von ihm während dieser erworbenen Sprachkenntnisse stellten einen gewichtigen Bestandteil seiner durch Art. 7 GRC, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten sozialen Identität im Bundesgebiet dar. Das Aufenthalts- und Einreiseverbot treffe den Kläger härter als andere Ausländer, die ebenfalls erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen, aber während der Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland keine vergleichbaren Bindungen aufgebaut hätten. Auch unabhängig von einer konkreten Rückkehrperspektive des Klägers sei es mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn sich diese Bindungen in der Befristungsentscheidung der Beklagten nicht niederschlügen und der Kläger nicht anders behandelt werde, als er behandelt würde, wenn er die Ausbildung nicht begonnen und keine Sprachkenntnisse erlangt hätte.
Rz. 5
Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Revision führt die Beklagte aus, in die Ermessensentscheidung über die Befristung eines abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots seien nur solche persönlichen Belange des Ausländers einzustellen, die nach Verlassen des Bundesgebiets eine Wiedereinreise erforderlich machten oder die Beendigung des Aufenthalts überdauerten und damit Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise hätten. Im Unterschied zu einem ausweisungsbezogenen Einreise- und Aufenthaltsverbot trete die Sperrwirkung eines abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots nur nach tatsächlichem Vollzug der Abschiebung ein. Der Ausländer habe daher selbst Einfluss darauf, ob ihn das Verbot überhaupt treffe. Ein bei der Befristung abschiebungsbedingter Einreise- und Aufenthaltsverbote allein einzustellendes fortdauerndes Rückkehrinteresse ergebe sich nicht bereits deshalb, weil im Bundesgebiet eine Ausbildung begonnen oder abgeschlossen worden sei und Sprachkenntnisse erworben worden seien. Das Verlassen des Bundesgebiets überdauernde und damit zu berücksichtigende persönliche Belange könnten nicht bereits solche Aspekte umfassen, die aus Umständen resultierten, die allein in der Sphäre des Ausländers begründet seien. Vielmehr bedürfe es zusätzlich jeweils korrespondierend in tatsächlicher Hinsicht im Bundesgebiet über die Abschiebung hinaus fortbestehender Gegebenheiten, mithin eines tatsächlich fortbestehenden Anknüpfungspunkts im Inland.
Rz. 6
Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Einer im Inland begonnenen oder abgeschlossenen Ausbildung und währenddessen erworbenen Kenntnissen der deutschen Sprache komme maßgebliche Bedeutung für das Gewicht der Bindungen des Ausländers an das Bundesgebiet zu.
Rz. 7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, dass er sich nicht an dem Verfahren beteiligt.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), hat Erfolg. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, schon eine während des Asylverfahrens aufgenommene, aber im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt noch nicht erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung sowie in diesem Zusammenhang erworbene Kenntnisse der deutschen Sprache seien bei der im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesamts stehenden Bemessung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots zugunsten des Ausländers zu berücksichtigen, verletzt § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht im Sinne des § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Das Bundesverwaltungsgericht kann gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für diese Entscheidung ausreichen. Die Klage, die sich nach ihrer in Rechtskraft erwachsenen Abweisung im Übrigen nur noch gegen die Bemessung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots richtet, ist zulässig (1.), jedoch unbegründet (2.).
Rz. 9
1. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als Anfechtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft (in diesem Sinne bereits BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 42).
Rz. 10
Die Befristung eines in § 11 Abs. 1 AufenthG in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung noch vorgesehenen gesetzlichen Einreiseverbots für den Fall der Abschiebung, das mit der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger so nicht vereinbar war, ist nach der Rechtsprechung des Senats unionsrechtskonform regelmäßig als konstitutiver Erlass eines Einreiseverbots von bestimmter Dauer auszulegen (BVerwG, Urteil vom 21. August 2018 - 1 C 21.17 - BVerwGE 162, 382 Rn. 28; ferner BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2017 - 1 C 28.16 - BVerwGE 159, 270 Rn. 42 und Beschluss vom 13. Juli 2017 - 1 VR 3.17 - Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 5 Rn. 72). Damit handelt es sich um einen einheitlichen, auch in sich nicht teilbaren belastenden Verwaltungsakt (vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 6. Mai 2020 - 13 LB 190/19 - juris Rn. 54; VGH Mannheim, Beschluss vom 13. November 2019 - 11 S 2996/19 - InfAuslR 2020, 106 ≪111≫ und OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. März 2021 - 8 ME 146/20 - InfAuslR 2021, 238 ≪239≫; ferner Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 36 VwVfG Rn. 38), der mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Ein Ermessensfehler bei der Befristung führt zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots insgesamt, das dann im Regelfall ermessensfehlerfrei neu erlassen werden darf.
Rz. 11
2. Die Klage ist indes nicht begründet. Die in dem angegriffenen Bescheid des Bundesamts vorgenommene Festsetzung der Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate steht im Ergebnis im Einklang mit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Weder erweisen sich die im gerichtlichen Verfahren ergänzten Ermessenserwägungen im Ergebnis als fehlerhaft noch hat das Bundesamt mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des ihm nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eingeräumten Ermessens überschritten. Die Bestimmung der Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist insbesondere nicht unverhältnismäßig und verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Rz. 12
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 ≪2504≫), sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 9. Juli 2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters (BGBl. I S. 2467 ≪2502≫). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 21. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Gemäß § 83c AsylG gilt § 77 AsylG auch für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Bundesamts nach § 75 Nr. 12 AufenthG, dem zufolge das Bundesamt die Aufgabe hat, im Fall des Ergehens einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG anzuordnen. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Gericht in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung ab. Da es sich hier um eine asylrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 83c AsylG handelt, müsste das Tatsachengericht seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12).
Rz. 13
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 AufenthG soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung und spätestens mit der Abschiebung erlassen werden. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
Rz. 14
Das Bundesamt muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten vorzunehmenden Befristung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots einerseits Zweck und Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung oder Maßnahme und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen berücksichtigen (a). Schützenswert sind solche persönlichen Belange, die dem Ausländer eine aufenthaltsrechtlich beachtliche Rückkehrperspektive vermitteln (b). Die seitens des Bundesamts gegenüber dem Kläger für die Dauer von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (c).
Rz. 15
a) Die Befristung eines unter der aufschiebenden Bedingung einer Abschiebung des Ausländers erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbots vollzieht sich - der Bestimmung der Geltungsdauer eines an eine Ausweisung anknüpfenden Einreise- und Aufenthaltsverbots im Grundsatz vergleichbar (vgl. insoweit BVerwG, Urteile vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42 und vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 Rn. 23) - in zwei Schritten.
Rz. 16
In einem ersten Schritt bedarf es der prognostischen Einschätzung des Bundesamts, wie lange das Verhalten des Betroffenen, welches der die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots veranlassenden Abschiebung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an einer Gefahrenabwehr durch Fernhaltung des Ausländers von dem Bundesgebiet zu tragen vermag. Das Gewicht dieses gefahrenabwehrrechtlich geprägten öffentlichen Interesses an einem befristeten Fernhalten des abgeschobenen Ausländers wird maßgeblich durch den Zweck des § 11 Abs. 1 AufenthG geprägt. Mit diesem verfolgt der Gesetzgeber gewichtige spezial- und generalpräventive Zwecke, die im Übrigen für das ausweisungsbedingte und für das abschiebungsbedingte Einreiseverbot je gesondert zu bestimmen sind (vgl. bereits VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 - 11 S 59/03 - InfAuslR 2003, 333 ≪336 f.≫). Das hier betroffene unter der aufschiebenden Bedingung einer Abschiebung zu erlassende Einreise- und Aufenthaltsverbot ist zum einen in Bezug auf den betroffenen ausreisepflichtigen Ausländer der Durchsetzung des Vorrangs der freiwilligen Ausreise vor der Abschiebung und zum anderen auch in Bezug auf sonstige ausreisepflichtige Ausländer der Förderung der freiwilligen Ausreise zu dienen bestimmt. In spezialpräventiver Hinsicht soll der Ausländer aus dem Unionsgebiet ferngehalten werden, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass selbige bei einem künftigen Aufenthalt erneut erforderlich werden. Zugleich soll in generalpräventiver Hinsicht verhindert werden, dass sich andere Ausländer in dem Vorhaben, ebenfalls nicht freiwillig auszureisen, ohne ein an die erforderlich gewordene Vollstreckungsmaßnahme anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot bestärkt fühlen könnten.
Rz. 17
Dem gefahrenabwehrrechtlich geprägten öffentlichen Interesse sind in einem zweiten Schritt die Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die private Lebensführung des Ausländers gegenüberzustellen. Dieser zweite Prüfungsschritt zielt im Lichte von Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRC sowie des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf eine Begrenzung der einschneidenden Folgen eines Einreise- und Aufenthaltsverbots für das Familien- und Privatleben des Betroffenen. Er bezweckt zudem, dem Interesse des Ausländers an einer "angemessenen Rückkehrperspektive" bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Rechnung zu tragen (Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand August 2021, § 11 AufenthG Rn. 4), weshalb zwar weder die Gründe für die Beendigung eines vormals bestehenden Aufenthaltsrechts noch die Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung eines neuerlichen Aufenthaltstitels, wohl aber das Gewicht des individuellen Interesses, sich wieder im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, bei der Bemessung der Frist zu berücksichtigen ist (VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 - 11 S 59/03 - InfAuslR 2003, 333 ≪337 f.≫). Der Ausländer trägt im Lichte von § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Darlegungs- und Feststellungslast in Bezug auf seine persönlichen Belange. Das Bundesamt hat ihn im Rahmen der Anhörung zu seinem Asylantrag aufzufordern, diejenigen Tatsachen vorzutragen, die bei einer eventuellen Entscheidung zu der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots als im vorstehenden Sinne schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Das Bundesamt und nachfolgend die Tatsachengerichte haben die von dem Ausländer geltend gemachten Belange einzelfallbezogen festzustellen und zu gewichten und im Rahmen einer Gesamtbewertung abzuwägen.
Rz. 18
Sind in dem zu beurteilenden Einzelfall Umstände, die das gefahrenabwehrrechtlich geprägte Interesse an einem Fernhalten des Ausländers vom Bundesgebiet erhöhen, ebenso wenig erkennbar wie Umstände, die geeignet sind, das Gewicht dieses öffentlichen Interesses zu mindern, so begegnet es in einer Situation, die keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen aufweist, keinen Bedenken, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 30 Monaten zu befristen und damit den durch Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG und § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmen zur Hälfte auszuschöpfen (vgl. VGH München, Urteil vom 14. November 2019 - 13a B 19.31153 - juris Rn. 64 und Beschluss vom 28. November 2016 - 11 ZB 16.30463 - juris Rn. 4; OVG Greifswald, Beschluss vom 9. Mai 2017 - 1 LZ 254/17 - juris Rn. 14; OVG Schleswig, Beschluss vom 7. Januar 2019 - 3 LA 189/18 - juris Rn. 13 und OVG Koblenz, Beschluss vom 10. Januar 2019 - 6 A 10042/18 - AuAS 2019, 57 ≪58≫).
Rz. 19
b) Die Schutzwürdigkeit des Interesses des Ausländers an einer angemessenen Rückkehrperspektive wird insbesondere durch Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRC sowie durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt.
Rz. 20
aa) Einer angemessenen Rückkehrperspektive bedürfen im Lichte des Schutzes des Familienlebens im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 Var. 2 GRC insbesondere Ausländer, die im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft mit einem deutschen oder einem ausländischen langfristig aufenthaltsberechtigten Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährigen ledigen Kind leben oder eine sozial-familiäre Beziehung mit einem solchen minderjährigen ledigen Kind pflegen.
Rz. 21
bb) Entsprechendes gilt für Ausländer, die den verfassungs- und völkerrechtlichen Schutz sogenannter faktischer Inländer (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Oktober 2016 - 2 BvR 1943/16 - NVwZ 2017, 229 Rn. 19 ff.; EGMR, Urteile vom 20. Dezember 2018 - Nr. 18706/16, Cabucak -, vom 9. April 2019 - Nr. 23887/16, I.M. - und Entscheidung vom 20. November 2018 - Nr. 16711/15, Mohammad -; OVG Bremen, Urteil vom 15. November 2019 - 2 B 243/19 - juris Rn. 24 f.) genießen. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 Var. 2 GRC beschränken die Berücksichtigung der Gesamtheit der gewachsenen Bindungen zum Bundesgebiet, die das Privatleben des Ausländers ausmachen, aber nicht auf diese Fälle. Bei der Gewichtung einer an schutzwürdige Bindungen anknüpfenden Rückkehrperspektive sind dabei neben der Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen an das Bundesgebiet auch die Stärke der Bindungen an das Herkunftsland zu berücksichtigen (vgl. EGMR, Urteil vom 2. August 2001 - Nr. 54273/00, Boultif - Rn. 48; EGMR ≪GK≫, Urteile vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner - Rn. 57 f. und vom 23. Juni 2008 - Nr. 1638/03, Maslov - Rn. 71 und 73 und EGMR, Urteile vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag - Rn. 54 und vom 13. Oktober 2011 - Nr. 41548/06, Trabelsi - Rn. 55; ferner BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 - 1 C 40.07 - BVerwGE 133, 72 Rn. 20).
Rz. 22
Von diesen Grundsätzen geht auch das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung aus. Es nimmt insbesondere im Einklang mit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG an, dass persönliche Belange des Ausländers im Falle der Befristung eines abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht nur insoweit zu berücksichtigen sind, als sie "eine baldige Wiedereinreise erforderlich machen" oder als sie "die Beendigung des Aufenthalts überdauern und Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise haben" (so indes VGH München, Beschluss vom 6. April 2017 - 11 ZB 17.30317 - juris Rn. 13). In die Abwägung sind vielmehr auch solche Belange des Ausländers einzubeziehen, die nach einer nicht nur ganz kurzfristigen Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots weiterhin Bestand haben, sofern ihnen Bedeutung für einen späteren Anspruch auf Wiedereinreise zukommen kann. Die Verengung der zu berücksichtigenden, von Art. 8 EMRK geschützten Teilaspekte des Privatlebens auf Integrationsleistungen, an die eine legale Wiedereinreise realistisch anknüpfen kann, ist durch die Besonderheiten des abschiebungsbedingten Einreiseverbots nach § 75 Nr. 12 i.V.m. § 11 Abs. 1 AufenthG gerechtfertigt. Bei der Befristung eines solchen Einreiseverbots gebietet es der Schutz des Privatlebens jedenfalls in aller Regel nicht, bereits niederschwellige Integrationsleistungen zu berücksichtigen, die keine rechtliche Grundlage für eine legale Wiedereinreise legen. Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass es der Ausländer regelmäßig selbst in der Hand hat, an der Erfüllung seiner Ausreisepflicht mitzuwirken und hierdurch eine Abschiebung und somit schon die Entstehung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verhindern. Zum anderen werden solche niederschwelligen Integrationserfolge jedenfalls bei im Zusammenhang mit im Asylverfahren ergehenden Einreise- und Aufenthaltsverboten zumeist durch vielfältig fortbestehende Bindungen des Ausländers an sein Herkunftsland weitgehend relativiert. Hinzu kommt schließlich, dass den privaten, durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten Belangen abgelehnter Asylbewerber, die eine Ausbildung aufgenommen haben und einen Aufenthalt zur Beschäftigung anstreben, nach aktueller Rechtslage bereits durch weitreichende Gewährung von Bleiberechten Rechnung getragen ist (insbesondere §§ 60c, 19d Abs. 1a AufenthG); auch sie verhindern die Abschiebung und damit die Entstehung des Einreise- und Aufenthaltsverbots und kommen nach Ablehnung eines Asylantrags in Betracht, wenn über das Einreise- und Aufenthaltsverbot noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Ausgehend davon erscheint es jedenfalls nicht grundrechtlich geboten, dem - hier von vornherein nur betroffenen - Personenkreis, der diese Voraussetzungen nicht erfüllt und abgeschoben werden kann, einer kürzeren als der regelmäßig festgesetzten Sperre zu unterwerfen. Auch diesen Ausländern bleibt im Übrigen die Möglichkeit, im Falle der späteren Erfüllung eines Aufenthaltserlaubnistatbestands eine nachträgliche Fristverkürzung bei der Ausländerbehörde zu erwirken.
Rz. 23
Allerdings ist es nicht Zweck der Befristung, die Entscheidung über ein künftiges Aufenthaltsrecht vorwegzunehmen. Die Prüfung von dessen Aufenthaltsvoraussetzungen ist vielmehr dem nach Ablauf der Sperrfrist durchzuführenden Visum- bzw. Aufenthaltstitelverfahren vorzubehalten (VGH Mannheim, Urteil vom 26. März 2003 - 11 S 59/03 - InfAuslR 2003, 333 ≪337 f.≫). Für die Beachtlichkeit des individuellen Interesses des Ausländers, sich wieder im Bundesgebiet aufhalten zu dürfen, ist indes von maßgeblicher Bedeutung, ob dieser während seines asylverfahrensbezogenen Aufenthalts im Bundesgebiet das zentrale Merkmal einer in Abschnitt 4 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Anspruchsgrundlage für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt hat. Ein dieser Anforderung genügender Integrationserfolg begründet ein aufenthaltsrechtlich beachtliches Rückkehrinteresse, dem im Lichte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ungeachtet fortbestehender Bindungen des Ausländers an sein Herkunftsland Rechnung zu tragen ist.
Rz. 24
Der erfolgreiche Abschluss einer im Bundesgebiet durchgeführten qualifizierten Berufsausbildung vermittelt hiernach dem Ausländer eine im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu beachtende aufenthaltsrechtliche Rückkehrperspektive. So kann einer Fachkraft mit Berufsausbildung gemäß § 18a AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung erteilt werden, zu der ihre erworbene Qualifikation sie befähigt. Fachkraft mit Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes ist nach § 18 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG ein Ausländer, der eine inländische qualifizierte Berufsausbildung besitzt. Die Annahme einer entsprechenden Rückkehrperspektive setzt nicht voraus, dass dem Ausländer bereits eine die Wiedereinreise ermöglichende Stelle angeboten wurde; eines solchen Angebots bedarf es erst in einem späteren Visumverfahren. Hiervon geht auch § 20 Abs. 1 Satz 1 AufenthG aus, dem zufolge einer Fachkraft mit Berufsausbildung eine Aufenthaltserlaubnis für bis zu sechs Monate zur Suche nach einem Arbeitsplatz, zu dessen Ausübung ihre Qualifikation befähigt, erteilt werden kann, sofern die Fachkraft über der angestrebten Tätigkeit entsprechende deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Ebenso wenig setzt die Berücksichtigung des erfolgreichen Abschlusses einer qualifizierten Berufsausbildung im Rahmen der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots voraus, dass der Ausländer seinem Beruf nicht auch in dem Zielland der Abschiebung nachgehen könnte. Ein solches Erfordernis trüge den sich unter anderem in dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz widerspiegelnden Interesse an einer Ermöglichung von Zuwanderung ausgebildeter Fachkräfte nur unzureichend Rechnung. Der Abschluss einer qualifizierten Berufsausbildung bis zu dem nach § 83c i.V.m. § 77 Abs. 1 AsylG und § 75 Nr. 12 AufenthG maßgeblichen Zeitpunkt lässt es vorbehaltlich etwaiger Besonderheiten des Einzelfalles im Hinblick zum einen auf die hierdurch gefestigten wirtschaftlichen Bindungen des Ausländers an das Bundesgebiet und zum anderen auf das öffentliche Interesse an einer Deckung der Bedarfe des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der Fachkräftesicherung (BT-Drs. 19/8285 S. 1) angezeigt erscheinen, die Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Hälfte des in Fällen ohne erkennbare Besonderheiten bestimmten Wertes, bei ansonsten angesetzten 30 Monaten mithin auf die Dauer von 15 Monaten festzusetzen. Wird die qualifizierte Berufsausbildung erst nach dem vorbezeichneten für die Beurteilung der Sachlage im asylgerichtlichen Verfahren maßgeblichen Zeitpunkt abgeschlossen, so ist der Ausländer darauf verwiesen, nach Maßgabe des § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Verkürzung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots bei der dann zuständigen Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2018 - 1 C 7.17 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 16 Rn. 12) zu beantragen.
Rz. 25
Demgegenüber begründet allein die bloße Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung ohne deren erfolgreichen Abschluss zwar unter den Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG eine Bleibe-, jedoch entgegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts in aller Regel keine die Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots überdauernde Rückkehrperspektive. Die Erteilung einer Ausbildungsduldung hindert für die Dauer ihrer Geltung eine Abschiebung des Ausländers. Im Falle ihrer Erteilung und eines in der Folge realisierten erfolgreichen Abschlusses der qualifizierten Berufsausbildung ist dem Ausländer unter den Voraussetzungen des § 19d Abs. 1a AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Liegen indes die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nicht vor, so stehen die mit der Abschiebung des Ausländers gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG in Lauf gesetzten Sperrfristen des § 11 Abs. 1 AufenthG in aller Regel der Annahme einer realen Perspektive, in das Bundesgebiet zum Zwecke der Fortsetzung bzw. einer Wiederaufnahme der im Bundesgebiet begonnenen qualifizierten Berufsausbildung zurückzukehren, entgegen.
Rz. 26
Zu den eine aufenthaltsrechtlich begründete Rückkehrperspektive nicht vermittelnden niederschwelligen Integrationserfolgen zählen auch Kenntnisse der deutschen Sprache, die der Ausländer während seines Aufenthalts im Bundesgebiet erworben hat. Ebenso wie sonstige denkbare gelegentlich des asylverfahrensrechtlichen Aufenthalts erzielte niederschwellige Integrationserfolge wie etwa ein Schulbesuch, eine bestandene Integrations- oder Fördermaßnahme, die Ausübung einer kurzfristigen Aushilfstätigkeit, ehrenamtliches oder gesellschaftliches Engagement etc. sind entsprechende Sprachkenntnisse, mögen sie auch überdurchschnittlicher Art sein, allein kein Anknüpfungspunkt für eine legale Rückkehr in das Bundesgebiet zu einem im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Aufenthaltszweck. Auch neben einer erfolgreich absolvierten Ausbildung kommt ihnen grundsätzlich kein eigenständiger "Mehrwert" zu, der es rechtfertigte, die Befristung auf weniger als die Hälfte der in Fällen ohne erkennbare Besonderheiten veranlassten Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots vorzunehmen.
Rz. 27
c) Nach diesen Maßstäben ist die seitens des Bundesamts gegenüber dem Kläger für die Dauer von 30 Monaten ab dem Tag der Abschiebung festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 28
Umstände, die ein Fernhalten des Klägers von dem Bundesgebiet für die Dauer von mehr als 30 Monaten geböten, sind seitens des Oberverwaltungsgerichts nicht festgestellt worden. Eine Bemessung der Geltungsdauer des abschiebungsbedingten Einreise- und Aufenthaltsverbots auf einen Zeitraum von weniger als 30 Monaten war im Hinblick auf die von dem Kläger aufgenommene, aber bis zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht erfolgreich abgeschlossene qualifizierte Berufsausbildung sowie die während seines Aufenthalts im Bundesgebiet erworbenen Kenntnisse der deutschen Sprache nicht veranlasst.
Rz. 29
Ob der Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG erfüllte, ist nicht Gegenstand dieses asylgerichtlichen Rechtsstreits. Dessen allein auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot beschränkte Rechtshängigkeit hätte der Erteilung einer solchen mit Blick auf § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 6 AsylG jedoch nicht entgegengestanden. Ungeachtet dessen wird einem abgelehnten Asylbewerber, der während seines Asylverfahrens eine qualifizierte Berufsausbildung aufgenommen und abgeschlossen hat und die in § 60c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG geregelte Ausbildungsduldung wegen Nichterfüllung der Voraussetzung "nach Ablehnung des Asylantrags" nicht erhalten konnte, ein Anschlussaufenthalt nach Maßgabe der § 60c Abs. 6 Satz 2 bzw. § 19d Abs. 1a AufenthG nicht verwehrt werden dürfen, sofern alle sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung während der Ausbildung gegeben waren. Es verstieße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, demjenigen, dessen Asylverfahren seine Ausbildung überdauert hat, anders als demjenigen, dessen Asylverfahren vor Abschluss der Ausbildung beendet war, den "Spurwechsel" zu versagen, weil für eine derartige Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund nicht ersichtlich ist.
Rz. 30
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Fundstellen
JZ 2021, 595 |
NJ 2021, 7 |
DVBl. 2021, 3 |
FSt 2022, 33 |
GSZ 2021, 9 |