Leitsatz (amtlich)
1. Die Ertüchtigung der Bestandsstrecke einer Eisenbahn zu dem Zweck, eine Mitbenutzung durch Fahrzeuge der Straßenbahn zu ermöglichen, kann im eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren zugelassen werden.
2. Ein nach § 3e UVPG a.F. der Vorprüfung unterliegendes Vorhaben ist nicht allein deshalb UVP-pflichtig, weil die Vorprüfung nachteilige Umweltauswirkungen ergeben hat, die im einschlägigen materiellen Zulassungsrecht festgelegte Schädlichkeitsgrenzen (hier nach der 16. BImSchV) überschreiten. Können diese Umweltauswirkungen allenfalls zu einer Ergänzung der Planung um weitere Schutzauflagen auf der Grundlage strikten Rechts führen, in der konkreten Planungssituation nach Einschätzung der zuständigen Behörde nachvollziehbar aber nicht das Abwägungsergebnis beeinflussen, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung allein ihretwegen nicht erforderlich.
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 26.08.2016; Aktenzeichen 7 KS 42/13) |
Tatbestand
Rz. 1
Die Beteiligten streiten um die Ertüchtigung der Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn in den Gemeinden Stuhr und Weyhe für die Benutzung der Strecke durch eine Straßenbahn.
Rz. 2
Die südlich von Bremen gelegenen Gemeinden Stuhr und Weyhe sind mit der Bremer Innenstadt im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bisher nur mit Bussen verbunden. Künftig soll auch eine Verbindung durch die Stadtbahn Linie 8, eine bislang nur in Bremen verkehrende Straßenbahn, hergestellt werden, für die täglich 96 Fahrten im 20- bis 30-Minuten-Takt vorgesehen sind. Um eine umsteigefreie Direktverbindung zu ermöglichen, wird die Stadtbahn auf einer neuen Trasse an die Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn (BTE) herangeführt und mit dieser verknüpft (Planfeststellungsbeschluss der Stadt Bremen vom 1. Juni 2016). Die Betriebsanlagen der BTE werden durch den streitgegenständlichen Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 25. März 2013 auf einem etwa 9 km langen niedersächsischen Abschnitt (Bahn-km 3,4+14 bis Bahn-km 12,6+06) so ergänzt, dass die Strecke in den Gemeinden Stuhr und Weyhe von den Fahrzeugen der B. S. AG benutzt werden kann. Dazu sieht der auf § 18 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) gestützte Planfeststellungsbeschluss insbesondere die Elektrifizierung der Strecke mit der für Straßenbahnfahrzeuge erforderlichen Gleichstromfahrleitung (750 V) vor, ferner in Haltestellenbereichen ein zweites Gleis als Ausweichmöglichkeit für entgegenkommende Züge sowie den Neubau bzw. die Anpassung von 12 Haltepunkten und eine Wendeschleife am Endpunkt der Stadtbahnlinie. Der eingleisige Ausbau und die Trassenführung bleiben erhalten. Die BTE wurde Anfang des 20. Jahrhunderts für Personen- und Güterverkehr gebaut. Sie führt vom Süden Bremens durch die Gemeinden Stuhr und Weyhe nach Thedinghausen und wird von der Beigeladenen betrieben. Auf der eingleisigen Strecke verkehren nur noch eine Museumsbahn, der so genannte "Pingelheini", und ein Güterzug. Der Schienenpersonenverkehr wurde 1955 eingestellt.
Rz. 3
Die Kläger sind Streckenanlieger und wenden sich im Wesentlichen gegen zusätzliche Belastungen durch Geräusche und Erschütterungen. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom 25. März 2013 mit Urteil vom 26. August 2016 aufgehoben. Das planfestgestellte Vorhaben könne nicht auf der Grundlage von § 18 AEG zugelassen werden. Dieses Gesetz gelte nur für Eisenbahnen und ausdrücklich nicht für Straßenbahnen; für diese gelte das Personenbeförderungsgesetz. Die Abgrenzung zwischen Eisenbahn und Straßenbahn sei auf der Grundlage der intendierten Verkehrsfunktion vorzunehmen. Maßgeblich sei, welche Verkehrsfunktion schwerpunktmäßig im Vordergrund stehe. Es sei eindeutig, dass der geplante Ausbau der BTE-Trasse allein darauf ziele, die technischen Voraussetzungen für die Aufnahme von Schienenfahrzeugen der Bremer Straßenbahn zu schaffen. Es handele sich der Sache nach um den Umbau der Trasse zu einer Straßenbahnstrecke, die die Mitbenutzung durch Güterzugverkehr zulasse. Ein spezifisch eisenbahnrechtlicher Bedarf sei nicht zu erkennen. Deshalb fehle auch die erforderliche Planrechtfertigung nach dem Allgemeinen Eisenbahngesetz. Außerdem sei die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt worden. Die Vorprüfung habe ergeben, dass erhebliche nachteilige Umwelteinwirkungen zu erwarten seien. Das Vorhaben rufe bei einer Reihe von Gebäuden Lärmbelastungen hervor, die nah an die fachplanerische Zumutbarkeitsschwelle heranreichten oder diese überschritten.
Rz. 4
Mit ihren Revisionen machen die Beklagte und die Beigeladene geltend, § 18 AEG sei eine taugliche Rechtsgrundlage für die Planfeststellung. Die Anlagen der BTE seien Betriebsanlagen einer Eisenbahn, die planfestgestellten Baumaßnahmen Änderungen des Bestandes. Die Identität der Betriebsanlagen bleibe gewahrt. Auf die eingesetzten Fahrzeuge komme es nicht an, weil sie nicht zur Anlage gehörten; der Fahrplan sei nicht relevant. Im Übrigen seien die einzusetzenden Straßenbahnfahrzeuge sowohl nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung als auch nach der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung zugelassen und damit Eisenbahnen. Dementsprechend sei die künftige Verkehrsdienstleisterin ein Eisenbahnverkehrsunternehmen. Halte man hingegen das Personenbeförderungsgesetz für einschlägig, müsse der Planfeststellungsbeschluss nach § 47 VwVfG umgedeutet werden.
Rz. 5
Auch eine Planrechtfertigung für das Vorhaben sei gegeben. Die Argumentation des Oberverwaltungsgerichts sei insofern nicht selbstständig tragend, sondern eine Folge der unzutreffenden Sichtweise zur Rechtsgrundlage. Aufgrund der im angefochtenen Urteil festgestellten Zielsetzungen des Vorhabens stehe fest, dass das Vorhaben gemessen an § 1 Abs. 1 AEG vernünftigerweise geboten sei. Der Verkehr der Linie 8 sei richtigerweise als Eisenbahnverkehr anzusehen, mit dem ein Bedarf im Sinne des Allgemeinen Eisenbahngesetzes erfüllt werde. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung habe nicht durchgeführt werden müssen. Es sei nach der bisherigen Rechtsprechung nicht gesagt, dass bereits jede abwägungserhebliche Auswirkung des Vorhabens eine Pflicht zu einer UVP nach sich ziehe. Im vorliegenden Fall sei eine Auswirkung der festgestellten Betroffenheiten auf die Planung ausgeschlossen, weil nur einzelne verstreut liegende Grundstücke belastet seien.
Rz. 6
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht erklärt in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Es liege im gesamtstaatlichen Interesse, dass eine Schieneninfrastruktur nur einem Rechtsregime unterliege. Werde eine nicht oder nur mäßig betriebene Eisenbahnstrecke für Straßenbahnverkehr ertüchtigt, deuteten Sinn und Zweck des Vorhabens auf die Geltung des Personenbeförderungsgesetzes und der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung hin. Letztere lasse keinen Güterverkehr zu, weshalb eine Festlegung über die Zukunft der bisherigen Nutzung für den Güterverkehr notwendig sei. Solle weiterhin Eisenbahnverkehr in Gestalt von Güterverkehr stattfinden, so spreche dies für die Beibehaltung des eisenbahnrechtlichen Regimes.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen sind begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Es erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht Fehler angenommen hat, die zur Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses oder zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führen. Hingegen kann der Senat anhand der tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht beurteilen, ob der Planfeststellungsbeschluss um weitere Schutzvorkehrungen zugunsten der Kläger zu ergänzen ist; das zwingt insoweit zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 8
1. Die Beklagte hat den Planfeststellungsbeschluss zu Recht auf § 18 Satz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) gestützt (PFB S. 11 zu Nr. 2.2.1.2). Die Ertüchtigung der Bestandsstrecke einer Eisenbahn zu dem Zweck, eine Mitbenutzung durch Fahrzeuge der Straßenbahn zu ermöglichen, kann im eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsverfahren zugelassen werden.
Rz. 9
Anzuwenden ist das Allgemeine Eisenbahngesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396; 1994 I S. 2439), für den hier maßgebenden Zeitpunkt der Planfeststellung (25. März 2013) zuletzt geändert durch das Gesetz vom 12. September 2012 (BGBl. I S. 1884). Gemäß § 18 Satz 1 AEG dürfen Betriebsanlagen einer Eisenbahn einschließlich der Bahnfernstromleitungen gebaut oder geändert werden, wenn der Plan vorher festgestellt ist. Die planfestgestellten Maßnahmen ändern die bestehenden Bahnbetriebsanlagen der Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn.
Rz. 10
a) Dass es sich bei dem Schienenweg der Bremen-Thedinghauser-Eisenbahn um eine bestehende Eisenbahninfrastruktur im Sinne des § 18 Satz 1, § 2 Abs. 3 AEG handelte, ist von den Beteiligten zu Recht nicht bezweifelt worden. Maßgeblich ist insofern, dass die ursprünglich für Personen- und Güterverkehr genehmigte Eisenbahnstrecke im Zeitpunkt der Planfeststellung weiterhin zur Nutzung jedenfalls für Güterverkehr bestimmt war. Auf den geringen Umfang der tatsächlichen Nutzung durch Güterzüge kommt es insoweit nicht an.
Rz. 11
b) Die Betriebsanlagen der BTE haben die Eigenschaft als Eisenbahnbetriebsanlagen im Zuge der planfestgestellten Maßnahmen nicht verloren. Auf ihr soll Güterverkehr weiterhin stattfinden können, und eine Nutzung durch dieselgetriebene Güterzüge bleibt tatsächlich wie rechtlich dauerhaft möglich. Das eisenbahnrechtliche Regime, dem die BTE unterliegt, würde erst durch ein Stilllegungsverfahren nach § 11 AEG bzw. eine Entwidmung nach § 23 AEG enden. Ohne diese rechtlichen Schritte, die von der angefochtenen Planfeststellung weder verdrängt werden noch (stillschweigend) ersetzt werden können, gilt die Betriebspflicht der Beigeladenen als Betreiberin des Schienenweges fort. Sie ist dadurch zur Instandhaltung und Unterhaltung der Strecke, insbesondere zur Nutzung für Güterverkehr verpflichtet.
Rz. 12
c) Dass die Strecke der BTE mithilfe der planfestgestellten Maßnahmen technisch in den Stand gesetzt wird, um darüber hinaus den Betrieb von Straßenbahnfahrzeugen zu ermöglichen, ändert die rechtliche Einordnung der Strecke nicht. Straßenbahnen sind nach § 4 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes nur solche Schienenbahnen, die sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen (Nr. 1). Dies gilt auch dann, wenn sie nicht den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen, sondern einen besonderen Bahnkörper haben (Nr. 2). Die Fahrzeuge der Stadtbahnlinie 8 unterliegen im Abschnitt der BTE dem fortbestehenden Regime des Eisenbahnrechts. Sie verkehren mithin dort als Eisenbahnen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 AEG nach den Regeln der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. Wegen der dadurch gebotenen Änderung ihrer Betriebsweise verlieren sie ihren Charakter als Straßenbahnen. Der Wechsel des Rechtsregimes verhindert, dass es zu dem vom Vertreter des Bundesinteresses befürchteten "Mischverkehr" kommen kann, der sich teils nach Eisenbahn-, teils nach Personenbeförderungsrecht zu richten hätte.
Rz. 13
2. Eine Planrechtfertigung ist dem Vorhaben nicht abzusprechen. Die Streckenertüchtigung wird von einem Planungsziel getragen, das von den Zielen des Allgemeinen Eisenbahngesetzes gedeckt ist.
Rz. 14
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dient das Erfordernis einer Planrechtfertigung dem Zweck, Vorhaben, die nicht mit den Zielen des jeweiligen Fachplanungsrechts in Einklang stehen, bereits auf einer der Abwägung vorgelagerten Stufe auszuscheiden. Es handelt sich um eine praktisch nur bei groben und offensichtlichen Missgriffen wirksame Schranke der Planungshoheit. Bestand hat eine Planung daher nicht erst bei Unausweichlichkeit des Vorhabens, sondern schon dann, wenn dieses vernünftigerweise geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 4. September 2018 - 9 B 24.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:040918B9B24.17.0] - juris Rn. 3 m.w.N.).
Rz. 15
b) Nach diesem Maßstab ist nicht fraglich, dass das Vorhaben vernünftigerweise geboten ist. Es bewirkt im planfestgestellten Abschnitt - und darüber hinaus - eine Verbesserung des Verkehrsangebotes, die mit den in § 1 Abs. 1 Satz 1 AEG niedergelegten Zielen übereinstimmt. Der Planfeststellungsbeschluss stellt als Planungsziel heraus, zusätzlich zur vorhandenen Busverbindung eine pünktliche, umsteigefreie und schnelle Direktverbindung zwischen den Gemeinden Stuhr und Weyhe und der Bremer Innenstadt zu schaffen, die unabhängig vom Individualverkehr ist. Neben der Verkürzung der Reisezeiten weist die Stadtbahn hohe Beförderungskapazitäten auf und ist weniger störanfällig, da sie auf einer eigenen Trasse geführt wird (PFB S. 12 zu Nr. 2.2.2.1.1 und S. 17 zu Nr. 2.2.2.3). Damit geht eine signifikante und umweltschonende Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im ÖPNV einher, die das Vorhaben aus sich heraus sinnvoll erscheinen lässt.
Rz. 16
c) Die Einwände der Kläger hiergegen überzeugen nicht. Der Bedarf für eine solche Direktverbindung kann nicht in Abrede gestellt werden. Es ist der Beklagten nicht verwehrt, mit Blick auf eine erwünschte Entwicklung der Verkehrsverhältnisse das Angebot an Verkehrsverbindungen im ÖPNV objektiv zu verbessern und dadurch eine Lenkungswirkung zu erzielen, indem Verkehrsströme stimuliert, vereinfacht oder umgelenkt werden, wie es hier beabsichtigt ist (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. April 2005 - 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 ≪270 ff.≫; Beschluss vom 2. April 2009 - 7 VR 1.09 - juris Rn. 8). Dies ist gerechtfertigt, ohne dass eine Nachfrage schon konkret und mit belastbaren Zahlen belegt sein müsste. Allerdings darf die Nachfrage, die zusätzliche Belastungen der betroffenen Bevölkerung rechtfertigen soll, auch nicht fiktiv sein. Es genügt aber, dass sie bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann (BVerwG, Urteil vom 20. April 2005 - 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 ≪272≫). Davon ist die Beklagte ohne Rechtsfehler ausgegangen. Ihre Bedarfsprognose ist schon im Hinblick auf die räumlichen Verhältnisse und die sich daraus ergebenden Pendlerströme zwischen dem Bremer Verdichtungsraum und den anzubindenden peripheren Siedlungsbereichen (PFB S. 13 f. zu Nr. 2.2.2.1.2) plausibel. Ob in der Standardisierten Bewertung, auf deren Ergebnisse der Planfeststellungsbeschluss (S. 14) ergänzend abstellt, das Aufkommen an Passagieren auf der Strecke zutreffend beziffert ist, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
Rz. 17
3. Das planfestgestellte Vorhaben unterliegt keiner Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Das ergibt sich aus der zu dem Vorhaben erstellten Vorprüfung des Einzelfalls.
Rz. 18
a) Anwendbar ist insoweit das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung noch in der vor dem 16. Mai 2017 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94; im Folgenden UVPG a.F.). Das ergibt sich aus § 74 Abs. 1 UVPG i.d.F. von Art. 1 Nr. 36 Buchst. a des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2808). Diese Übergangsregelung greift hier ein, weil das Verfahren zur Feststellung der UVP-Pflicht vor dem 16. Mai 2017 eingeleitet wurde.
Rz. 19
b) Die Kläger sind mit dem Vortrag, eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei zu Unrecht unterblieben, nicht ausgeschlossen. Ungeachtet der Frage, ob diese Rüge sachlich überhaupt vom Einwendungsausschluss nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG erfasst wird (offengelassen in BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:240518U4C4.17.0] - BVerwGE 162, 114 Rn. 13), findet diese Bestimmung nach § 7 Abs. 4 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. August 2017 (BGBl. I S. 3290) keine Anwendung.
Rz. 20
c) Für die Änderung eines Vorhabens, für das als solches bereits eine UVP-Pflicht besteht, ordnet § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG a.F. eine Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3c Satz 1 und 3 UVPG a.F. an. Die BTE-Strecke als solche ist im Ergebnis unstreitig ein UVP-pflichtiges Vorhaben (Nr. 14.7 der Anlage 1 des UVPG a.F., PFB S. 10 zu Nr. 14.10). Nach § 3c Satz 1 UVPG a.F. ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn die Änderung nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung der in der Anlage 2 zum UVPG a.F. aufgeführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 UVPG a.F. zu berücksichtigen wären. Bei der Vorprüfung ist zu berücksichtigen, inwieweit durch die vorgesehenen Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen Umweltauswirkungen offensichtlich ausgeschlossen werden. Gemäß § 3a Satz 4 UVPG a.F. unterliegt die aufgrund der Vorprüfung getroffene behördliche Beurteilung der UVP-Pflicht nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben des § 3c UVPG a.F. durchgeführt und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2014 - 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 16).
Rz. 21
Gemessen hieran ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auf der Grundlage ihrer Vorprüfung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen im Sinne dieser Vorschriften und damit die Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die Streckenertüchtigung verneint hat.
Rz. 22
aa) Maßgeblich für diese Bewertung ist die Unterlage "Prüfung der UVP-Pflicht" K. & T. vom 23. Februar 2009 (Anlage 16 der Planunterlagen). Darin wird eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht für erforderlich gehalten, weil erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen "nur in geringem Umfang" zu erwarten seien. Diese Bewertung, der die Beklagte im Planfeststellungsbeschluss gefolgt ist (PFB S. 10 zu Nr. 2.1.3), hat im Ergebnis Bestand. Das gilt auch, wenn man das spätere schalltechnische Gutachten der T. GmbH vom 7. Juli 2009 (Anlage 12 der Planunterlagen) berücksichtigt, wie es das Oberverwaltungsgericht (UA S. 29) getan hat. Im Ergebnis nicht wesentlich voneinander abweichend, ermitteln diese Untersuchungen für eine Reihe von (48 bzw. 47) Wohngebäuden Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV in der Nacht, davon an zwei Wohngebäuden um 1 dB(A) auch am Tag. Durch eine Lärmschutzwand im Bereich der L. sollen 11 Wohngebäude geschützt werden; bei 36 Wohngebäuden verbleibe es bei einer Überschreitung der Nachtgrenzwerte um 1 bis 2 dB(A) (OVG UA S. 29, PFB S. 23 f. zu Nr. 2.2.2.4.1). Das Oberverwaltungsgericht schließt bereits daraus auf vorhabenbedingte erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen im Sinne von § 3c Satz 1 UVPG a.F. Das ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.
Rz. 23
bb) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind nachteilige vorhabenbedingte Umweltauswirkungen nicht allein deshalb erheblich im Sinne des § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG a.F., weil sie mehr als geringfügig und damit abwägungserheblich sind (überholt insoweit BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 2007 - 4 C 9.06 - BVerwGE 130, 83 Rn. 34 und vom 16. Oktober 2008 - 4 C 5.07 - BVerwGE 132, 123 Rn. 32). Dies stünde im Widerspruch zur Konzeption des UVP-Gesetzes, weil praktisch nie auszuschließen ist, dass ein Vorhaben abwägungserhebliche Umweltauswirkungen hat (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2014 - 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 22). Andererseits ist die Erheblichkeit auch nicht erst dann zu bejahen, wenn die Umweltauswirkungen nach dem jeweils einschlägigen materiellen Zulassungsrecht so gewichtig sind, dass sie zu einer Versagung der Zulassung führen können (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 37). Es bedarf bereits im Rahmen der Vorprüfung einer Gewichtung der abwägungserheblichen Belange unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 zum UVPG a.F. aufgeführten vorhaben- und standortbezogenen Kriterien (BVerwG, Urteile vom 25. Juni 2014 - 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 22 und vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - BVerwGE 162, 114 Rn. 25). Diese Gewichtung hat sich an dem Zweck der Umweltverträglichkeitsprüfung zu orientieren, die Abwägung der Planfeststellungsbehörde vorzubereiten (vgl. Wysk, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl. 2019, § 63 Rn. 19 m.w.N.). Die Umweltverträglichkeitsprüfung soll die Umweltbelange so herausarbeiten, dass sie in die Abwägung in gebündelter Form eingehen (BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 37). Von daher führt die Feststellung selbst solcher nachteiligen Umweltauswirkungen, die im einschlägigen materiellen Zulassungsrecht festgelegte Schädlichkeitsgrenzen (hier nach der 16. BImSchV) überschreiten, nicht automatisch zu einer UVP-Pflicht; vielmehr sind auch derartige Umweltauswirkungen mit Blick auf die spätere Abwägung und ihren Einfluss auf das Abwägungsergebnis in der konkreten Planungssituation zu gewichten. Können sie allenfalls zu einer Ergänzung der Planung um weitere Schutzauflagen auf der Grundlage strikten Rechts führen, in der konkreten Planungssituation nach Einschätzung der zuständigen Behörde nachvollziehbar aber nicht das Abwägungsergebnis beeinflussen, ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung allein wegen dieser Umweltauswirkungen nicht erforderlich. So liegen die Dinge im vorliegenden Fall.
Rz. 24
cc) Auf der Grundlage der nicht angegriffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil (UA S. 29) werden die Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte durch die im Planfeststellungsbeschluss nach §§ 41 ff. BImSchG getroffenen aktiven Schallschutzanordnungen nur teilweise vermieden. Für die verbleibenden 36 Wohngebäude sieht der Planfeststellungsbeschluss einen Anspruch auf Ersatz notwendiger Aufwendungen für passive Schallschutzmaßnahmen vor (OVG UA S. 29; PFB S. 6 f. zu Nr. 1.1.3.2.1 i.V.m. Anlage 12.4 Seite 4-14). Für 6 Wohngebäude an einem Bahnübergang sei aktiver Schallschutz nicht möglich. Im Übrigen seien Schallschutzmaßnahmen unverhältnismäßig im Sinne des § 41 Abs. 2 BImSchG.
Rz. 25
Ob die Einwände der Kläger gegen die schalltechnische Untersuchung berechtigt sind und ihnen auf der Grundlage von § 41 Abs. 1 BImSchG i.V.m. der 16. BImSchV ein Anspruch auf weitergehenden Schutz vor Schienenverkehrsgeräuschen zusteht, ist im Rahmen ihres auf Planergänzung gerichteten Hilfsantrags zu prüfen. Die Einschätzung der Beklagten, dass die Schienenverkehrsgeräusche in der vorliegenden Planungssituation das Abwägungsergebnis nicht beeinflussen können, ist nicht zu beanstanden. Die Belastungen könnten sich nur im Rahmen der Alternativenprüfung auswirken. Eine vorzugswürdige Alternative zur Ertüchtigung der BTE-Strecke ist aber weder ersichtlich noch von den Klägern aufgezeigt worden.
Rz. 26
Die Beklagte ist der Frage vorzugswürdiger Alternativen bzw. Varianten eingehend nachgegangen und hat dem beantragten Vorhaben nach Herausarbeitung der Vor- und Nachteile der Varianten unter wirtschaftlichen und verkehrlichen Gesichtspunkten den Vorzug gegeben (PFB S. 17-21 zu Nr. 2.2.2.3). Beanstanden kann ein Gericht die Alternativenprüfung nur dann, wenn der Behörde bei der Auswahl infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist oder wenn sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eine andere als die gewählte Variante eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere hätte aufdrängen müssen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 3 A 1.16 [ECLI:DE:BVerwG:2017:290617U3A1.16.0] - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 77 Rn. 129). Das ist hier nicht der Fall. Die Beklagte hat darauf abgestellt, dass das Planungsziel (vgl. oben 2. b), auf das es maßgeblich ankommt, durch die in Betracht kommenden Alternativen nicht besser verwirklicht würde. Diese Einschätzung leuchtet schon deshalb ein, weil die planfestgestellte Variante die Mitbenutzung einer vorhandenen Eisenbahninfrastruktur ermöglicht und dadurch hinsichtlich der Kosten, der Beanspruchung der Umwelt und des Grunderwerbs deutlich günstiger ist als ein Streckenneubau (Verlängerung der Linie 5). Die Nutzung der bereits bestehenden DB-Strecke Bremen - Osnabrück würde die Gemeinden Stuhr und Weye nicht umsteigefrei an die Bremer Innenstadt anbinden. Die Kläger haben nichts vorgebracht, was diese Erwägungen zweifelhaft machen könnte.
Rz. 27
dd) Andere Umweltauswirkungen, die eine UVP-Pflicht begründen könnten, sind weder festgestellt noch ersichtlich.
Rz. 28
d) Die Vorprüfung entspricht auch sonst den Vorgaben von § 3c UVPG a.F.
Rz. 29
Gemäß § 3c Satz 6 UVPG a.F. sind die Durchführung und das Ergebnis der Vorprüfung zu dokumentieren. Die insoweit bestehenden Anforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 3 C 2.15 [ECLI:DE:BVerwG:2016:250516U3C2.15.0] - BVerwGE 155, 218 Rn. 32) werden durch den Planfeststellungsbeschluss (S. 10 f. zu Nr. 2.1.3) und die Unterlage "Prüfung der UVP-Pflicht" (Anlage 16 der Planunterlagen) jedenfalls in Verbindung mit der ergänzenden Prozesserklärung, die der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht abgegeben hat, erfüllt.
Rz. 30
e) Schließlich führt auch der Umstand, dass die Beklagte erst im Planfeststellungsbeschluss entschieden und nicht gesondert bekannt gegeben hat, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben soll, nicht zu einer Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Feststellung, dass er rechtswidrig und nicht vollziehbar ist.
Rz. 31
Nach § 3a Satz 1 UVPG a.F. hat die Planfeststellungsbehörde unverzüglich festzustellen, ob für das Vorhaben eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht. Soll eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben, ist dies bekannt zu geben (§ 3a Satz 2 Halbs. 2 UVPG a.F.). Diese Pflichten gehören nicht zu den Vorgaben nach § 3c UVPG a.F., auf deren Kontrolle das Gericht gemäß § 3a Satz 4 UVPG a.F. beschränkt ist. Wie dargelegt, genügt die Vorprüfung dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG a.F. i.V.m. § 3c UVPG a.F. Sie steht deshalb wegen der verzögerten Feststellung zur UVP-Pflicht und der unterbliebenen Bekanntmachung auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG einer nicht durchgeführten Vorprüfung gleich. Selbst wenn man darin "andere Verfahrensfehler" im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG sähe (und nicht Verfahrensfehler, die - weil nicht unter Absatz 1 fallend - nach § 4 Abs. 1a UmwRG zu beurteilen sind), wären sie mit den in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 UmwRG genannten Fällen nach Art und Schwere nicht vergleichbar (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. b UmwRG). Überdies ist der betroffenen Öffentlichkeit nicht die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen worden (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. c UmwRG).
Rz. 32
Im Hinblick auf die Ausführungen unter V. des angefochtenen Urteils (UA S. 31) ist darauf hinzuweisen, dass Fehler der Vorprüfung nach § 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG grundsätzlich nicht zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses führen, weil sie durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2018 - 4 C 4.17 - BVerwGE 162, 114 Rn. 29 ff.).
Rz. 33
4. Auf der Grundlage der Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht beurteilen kann der Senat, ob die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche auf Planergänzung zugunsten der Kläger begründet sind. Das Oberverwaltungsgericht ist dem - von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend - nicht weiter nachgegangen und hat keine Tatsachenfeststellungen getroffen, die den Senat in den Stand setzen würden, diese selbstständig zu prüfen. Die Kläger haben insoweit aber Rügen (etwa gegen die Berechnung ihrer Belastung durch Geräusche und Erschütterungen) erhoben, die nicht als offensichtlich irrelevant oder unberechtigt angesehen werden können. Das Oberverwaltungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob sich die Einwände der Kläger, soweit sie sich nach dem Revisionsurteil noch als entscheidungserheblich erweisen können, zutreffen, namentlich also festzustellen haben, ob den Klägern im Planfeststellungsbeschluss Schutzansprüche im gesetzlich gebotenen Umfang gewährt worden sind. Die Berücksichtigung des so genannten Schienenbonus für Altverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt gebilligt (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018 - 3 A 17.15 [ECLI:DE:BVerwG:2018:131218U3A17.15.0] - BVerwGE 164, 127 Rn. 25).
Fundstellen
DÖV 2020, 591 |
JZ 2020, 318 |
VRS 2020, 34 |
VR 2020, 216 |
DVBl. 2019, 4 |