Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 02.04.2003; Aktenzeichen 8 S 259/03) |
VG Stuttgart (Urteil vom 29.06.2002) |
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. April 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine Baugenehmigung, die der Beklagte den Beigeladenen für die Erweiterung eines bestehenden Stalles und für den Neubau eines Schweinestalles erteilt hat. Seine Klage ist vom Verwaltungsgericht als unbegründet abgewiesen worden.
Der Kläger hat beantragt, die Berufung zuzulassen. Zur Begründung hat er insbesondere gerügt, dass das Verwaltungsgericht dem Gutachten des TÜV gefolgt sei, ohne sich mit dem von ihm – dem Kläger – vorgelegten Gegengutachten des Sachverständigen Dr. K.… auseinander zu setzen. Hierzu hat er nähere Ausführungen gemacht und vorgetragen, im Berufungsverfahren sei darzulegen, dass er bereits jetzt einer unzumutbaren Geruchsbeeinträchtigung ausgesetzt sei. Schließlich hat er angekündigt, er werde im Berufungsverfahren die Aufhebung der streitigen Baugenehmigung beantragen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung mit Beschluss vom 6. Februar 2003 zugelassen, weil ernstliche Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beständen. Denn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ergebe sich aus dem von den Beigeladenen eingeholten Gutachten des TÜV nicht, dass das Vorhaben die vorhandene Immissionsbelastung nicht merklich erhöhe; und auch die Schlüsse, die das Verwaltungsgericht aus dem Gutachten Dr. K.… gezogen habe, begegneten Bedenken.
Der Beschluss des Berufungsgerichts enthält eine Belehrung über das zugelassene Rechtsmittel. In ihr wird unter anderem ausgeführt, die Berufung sei innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses zu begründen. Die Begründung müsse einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
Der Beschluss ist dem Kläger am 12. Februar 2003 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 3. März 2003 hat der Kläger beantragt, den Sachverständigen Dr. K.… zur Richtigkeit seiner gutachterlichen Ausführungen und zur etwaigen Befragung durch den Senat zu laden und zu vernehmen. Weitere Ausführungen enthält das am 5. März 2003 beim Berufungsgericht eingegangene Schreiben nicht.
Mit Beschluss vom 2. April 2003 hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers verworfen, weil sie nicht binnen eines Monats ordnungsgemäß begründet worden sei. Ein Schriftsatz, mit dem der Kläger lediglich beantrage, einen im erstinstanzlichen Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen zu laden und zu vernehmen, stelle keine den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO genügende Berufungsbegründung dar.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend: Ein gesonderter Schriftsatz zur Berufungsbegründung sei entbehrlich, wenn sich das Berufungsbegehren und die dafür wesentlichen Gründe bereits aus dem Zulassungsantrag entnehmen ließen. Der Berufungsbegründung sei jedenfalls Genüge getan, wenn er in einem gesonderten Schriftsatz zu erkennen gebe, dass er weiterhin die Durchführung des Berufungsverfahrens erstrebe und auf sein Vorbringen im Zulassungsverfahren Bezug nehme. Auch eine konkludente Bezugnahme reiche aus. Diesen Erfordernissen genüge der Schriftsatz vom 3. März 2003. Die Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO wäre selbst dann nicht versäumt, wenn man strengere Anforderungen an die Berufungsbegründung stellen würde. Denn der Zulassungsbeschluss habe keine ausreichende Rechtsmittelbelehrung enthalten. Die Belehrung müsse nämlich konkret auf den jeweiligen Einzelfall zugeschnitten werden. Es hätte deshalb ausdrücklich dargelegt werden müssen, dass die Antragstellung und Begründung im Zulassungsverfahren für das Berufungsverfahren nicht ausreiche, sondern dass in einem Schriftsatz ausdrücklich auf die Begründung Bezug genommen werden müsse. Die Berufung sei begründet, weil die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verletze.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. April 2003 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen,
hilfsweise,
den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. April 2003, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. Juli 2002 sowie die Baugenehmigung des Beklagten vom 28. August 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 8. Februar 2001 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, der Schriftsatz vom 3. März 2003 enthalte weder eine schlüssige Berufungsbegründung noch könne er in eine solche umgedeutet werden. Der Kläger habe die Berufung nicht begründen, sondern einen Beweisantrag stellen wollen. Ferner fehle der Berufungsantrag. Der Zweck der Berufungsbegründungspflicht bestehe darin, durch klare prozessuale Kriterien zu einer Verkürzung und Beschleunigung des Berufungsverfahrens beizutragen. Hierfür reiche der Schriftsatz vom 3. März 2003 nicht aus. Die Rechtsmittelbelehrung im Zulassungsbeschluss sei nicht zu beanstanden.
Auch die Beigeladenen sind der Auffassung, dass der Schriftsatz des Klägers vom 3. März 2003 den Anforderungen an eine Berufungsbegründung nicht genüge.
Entscheidungsgründe
II.
Über die Revision des Klägers entscheidet der Senat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren, weil die Verfahrensbeteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
Die zulässige Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Berufung des Klägers verworfen. Denn der von ihm angenommene Verstoß gegen die Begründungspflicht liegt nicht vor.
1. Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Berufung gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses durch einen gesonderten Schriftsatz innerhalb eines Monats begründet werden muss. Mit der Einreichung der Begründungsschrift nach Zulassung der Berufung soll der Berufungskläger nämlich eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor an der Durchführung des Berufungsverfahrens interessiert ist (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117 ≪121≫ = NVwZ 1998, 1311 – zu § 124a Abs. 3 VwGO 1996; Beschluss vom 3. Dezember 2002 – BVerwG 1 B 429.02 – NVwZ 2003, 868 – zum wortgleichen § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO 2001; stRspr). Entgegen der Rechtsauffassung der Revision genügt es deshalb nicht, dass die Anträge und die Begründung der Berufung schon im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten waren. Die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 1997 – BVerwG 9 B 690.97 – (DVBl 1997, 1325) geäußerte gegenteilige Auffassung ist bereits im Urteil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – (a.a.O.) ausdrücklich aufgegeben worden.
2. Zu Unrecht macht die Revision ferner geltend, der Kläger habe die Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO zur Berufungsbegründung nicht versäumt, weil der Zulassungsbeschluss vom 6. Februar 2003 keine ausreichende Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, so dass er die Berufung wegen der unrichtig erteilten Belehrung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres habe begründen können und die in seinem Schriftsatz vom 10. Juni 2003 enthaltene Begründung noch rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen sei. Dem ist nicht zu folgen. Die dem Kläger erteilte Rechtsmittelbelehrung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere wird in ihr in Übereinstimmung mit § 124a Abs. 6 Satz 1 und 3, Abs. 3 Satz 4 VwGO zutreffend darauf hingewiesen, dass die Berufung nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen sei und dass die Begründung einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten müsse. Eine auf die Besonderheiten des Einzelfalles eingehende Belehrung, wie sie die Revision wünscht, ist nicht erforderlich.
3. Der innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO beim Berufungsgericht eingegangene Schriftsatz des Klägers vom 3. März 2003 genügt jedoch den Mindestanforderungen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an eine Berufungsbegründung zu stellen sind.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will (BVerwG, Beschluss vom 1. Dezember 2000 – BVerwG 9 B 549.00 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 60). Im Übrigen kommt es wesentlich auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 1999 – BVerwG 9 B 499.99 – NVwZ 2000, 315). Eine Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen im Begründungsschriftsatz ist zulässig und kann – je nach den Umständen des Einzelfalles – für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ausreichen (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117 ≪122≫). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann es zur Berufungsbegründung auch genügen, dass der Berufungsführer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist durch einen gesonderten Schriftsatz erkennbar zum Ausdruck bringt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält. Einer ausdrücklichen Bezugnahme auf das bereits im Antrag auf Zulassung der Berufung enthaltene Begehren und die dort genannten Gründe bedarf es insbesondere nicht, wenn sich beides aus dem Gesamtzusammenhang (Urteil erster Instanz, Antrag auf Zulassung der Berufung und Zulassungsbeschluss) hinreichend deutlich ergibt. Ein solcher Fall liegt hier vor.
Allerdings ist der Schriftsatz des Klägers vom 3. März 2003 nicht als Berufungsbegründung gekennzeichnet. Er dürfte nicht einmal als Berufungsbegründung gedacht gewesen sein. Allem Anschein nach ist der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter davon ausgegangen, dass eine Begründung nach Zulassung der Berufung nicht nötig sei, und hat in Ergänzung seiner Begründung im Zulassungsverfahren nur noch einen Beweisantrag für das Berufungsverfahren stellen wollen. Gleichwohl ergibt sich aus diesem Beweisantrag, dass das Berufungsverfahren durchgeführt werden soll. Das stellt auch das Berufungsgericht nicht in Frage. Der Schriftsatz enthält ferner die stillschweigende Mitteilung, dass der Kläger jedenfalls insoweit an seinem bisherigen Vortrag aus dem Zulassungsverfahren festhalte, als er sich wegen seines Antrags, die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung aufzuheben, auf den Sachverständigen Dr. K.… berufen hat. Geht man – in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – mit dem Berufungsgericht davon aus, dass im vorliegenden Fall eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren oder auf den Zulassungsbeschluss des Berufungsgerichts als Begründung im Sinne von § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ausgereicht hätte, so erscheint es als unangemessen, die in dem Beweisantrag enthaltene stillschweigende Bezugnahme auf die Begründung im Zulassungsverfahren nicht ausreichen zu lassen. Dies gilt hier umso mehr, weil das Berufungsgericht selbst in seinem ausführlich begründeten Zulassungsbeschluss Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geäußert und deutlich gemacht hatte, dass es im Berufungsverfahren um die Begutachtung der von den Stallanlagen ausgehenden Gerüche und damit auch und vor allem um eine Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen des TÜV und des Sachverständigen Dr. K.… gehen werde. Der Zweck der Begründungspflicht nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO besteht zwar, wie der Beklagte zutreffend geltend macht, darin, dass der Berufungskläger eindeutig klarstellt, dass er die Berufung durchführen will und weshalb er sie für begründet hält (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2001 – BVerwG 1 C 33.00 – BVerwGE 114, 155 ≪158≫). Deshalb verbietet es sich, in jedem innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingehenden Schriftsatz des Berufungsklägers eine stillschweigende Berufungsbegründung zu sehen. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch weder Zweifel am Willen des Klägers, das Berufungsverfahren durchzuführen, noch an seiner Begründung und am Ziel des Verfahrens.
An die Berufungsbegründung dürfen auch nicht deshalb erhöhte Anforderungen gestellt werden, weil der Kläger in seinem Zulassungsantrag weiteren Vortrag für das Berufungsverfahren angekündigt hatte. Denn eine Verpflichtung hierzu begründet diese Ankündigung nicht.
4. Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers deshalb nicht als unzulässig verwerfen dürfen. In der Sache kann das Revisionsgericht nicht entscheiden, weil das Berufungsgericht – von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent – keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, die eine abschließende Beurteilung ermöglichen. Daher ist das Berufungsurteil gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO nur aufzuheben; die Sache ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Lemmel, Halama, Prof. Dr. Rojahn, Dr. Jannasch
Fundstellen