Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigungsberechtigung. Schädigungstatbestand als Teil der Berechtigtenfeststellung. Regelungsinhalt des Feststellungsbescheids. In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze nach der Berechtigtenfeststellung. Entschädigung nach dem NS-VEntschG. nachträglicher Eintritt der Beschwer. Änderung der Berechtigtenfeststellung. Klagefrist. Jahresfrist. Wiederaufgreifen des Verfahrens
Leitsatz (amtlich)
Hat die Vermögensbehörde eine Restitutionsberechtigung wegen der Schädigung eines Vermögenswertes festgestellt, setzt eine Feststellung der Berechtigung wegen einer anderen Schädigung desselben Vermögenswertes auch dann die Aufhebung des früheren Bescheides voraus, wenn der jeweilige Berechtigte ein und dieselbe Person ist (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 – BVerwG 7 C 4.00 – Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 26).
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 6, § 2 Abs. 1 S. 1; EntSchG § 4; NS-VEntschG § 1 Abs. 1 S. 1, § 2 S. 2; VwVfG §§ 48-49, 51
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 07.09.2000; Aktenzeichen 7 K 319/99) |
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 7. September 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Revisionsverfahrens als Gesamtschuldnerinnen.
Tatbestand
I.
Die Klägerinnen begehren die Feststellung, dass sie aufgrund einer zwangsweisen Veräußerung ihrer Unternehmen im Mai 1939 zur Entschädigung berechtigt sind; sie möchten dadurch eine Entschädigung für den Verlust der Unternehmen nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG) erreichen. Der Beklagte hatte mit Bescheiden aus dem Jahr 1992 die (Restitutions-)Berechtigung der Klägerinnen festgestellt, diese aber auf die Überführung der Unternehmen in Volkseigentum im Jahre 1953 gestützt.
Die beiden Unternehmen, die „Habege” Hochspannungsapparatebaugesellschaft OHG und die „Rheostat” Specialfabrik elektrotechnischer Apparate E. K. GmbH, gehörten jüdischen Eigentümern. Am 6. Mai 1939 wurden die Unternehmen zum Gesamtpreis von 880 000 RM veräußert. Die OHG wurde von dem Erwerber in die „Rheostat-Habege Dr. Ing. H. H. KG” umgewandelt; die GmbH blieb ohne den Zusatz „E. K.” bestehen. Mit Bescheid des Oberbürgermeisters der Stadt D. vom 20. Juni 1945 wurde die Firma Rheostat-Habege Dr. Ing. H. H. KG in D. „mit sämtlichen Aktiven und Passiven” auf W. K., einen Sohn des Firmengründers E. K., übertragen. Der Bescheid wurde vom Rat der Stadt D. am 2. Juli 1945 dahin ergänzt, dass auch sämtliche Anteile an der „Rheostat” Specialfabrik elektrotechnischer Apparate GmbH auf W. K. übertragen wurden. Nach den im Jahr 1946 geschlossenen Gesellschaftsverträgen waren W. K. mit 60 % und F. S. mit 40 % an den Unternehmen „Rheostat-Habege Dr. Ing. W. F. K.” und „Rheostat Spezialfabrik elektrotechnischer Apparate GmbH” beteiligt. Beide Gesellschafter verließen die DDR im Jahr 1953. Die Vermögenswerte wurden daraufhin auf der Grundlage der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 beschlagnahmt und in Volkseigentum überführt.
Mit Schreiben vom 26. September 1990 meldete der Bevollmächtigte T. für W. K. und für F. Ste. als Erbin des früheren Mitgesellschafters S. Ansprüche auf Rückübertragung des Betriebsvermögens der beiden Firmen an. In dem Verwaltungsverfahren der Rheostat-Habege Dr. Ing. W. F. K. i.L. erließ das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (Landesamt) am 26. November 1992 einen Feststellungsbescheid mit folgendem Verfügungssatz:
- „Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin zur Unternehmensrückübertragung der ehemaligen Rheostat-Habege Dr. Ing. W. F. K. OHG berechtigt ist.
- Das 1953 in Volkseigentum überführte Unternehmen ist heute ein Produktionsbereich der Regler und Schaltgeräte D. GmbH i.L. Eigentümer der Grundstücke G. Straße 132 und S.straße 40 … war zum Zeitpunkt der Schädigung Dr. W. K. …”.
In Gründen dieses Bescheides ist ausgeführt:
„Die im Jahre 1939 erfolgte Arisierung des ehemaligen Unternehmens wurde 1945 rückgängig gemacht. Entscheidend für die Feststellung, dass die Antragstellerin gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 n.F. und § 6 Abs. 1 a Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 a VermG Berechtigte ist, ist jedoch, dass das ehemalige Unternehmen 1953 beschlagnahmt und in Volkseigentum übergeleitet wurde.”
Ein im Wesentlichen gleich lautender Bescheid erging in dem Verwaltungsverfahren der Klägerin zu 2.
In zwei Entschädigungsgrundlagenbescheiden des Landesamtes vom 26. August 1994 ist in dem jeweiligen Verfügungssatz ausgeführt, dass die Antragstellerin dem Grunde nach berechtigt sei, bezüglich des im Jahr 1953 entschädigungslos enteigneten und in Volkseigentum überführten Unternehmens die Rückübertragung geltend zu machen. In den Gründen der Bescheide weist das Landesamt darauf hin, dass die Berechtigung zur Rückgabe der ehemaligen Unternehmen bereits mit bestandskräftigen Bescheiden vom 26. November 1992 festgestellt worden sei.
Die Klägerinnen beantragten mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 6. März 1998 bei der Oberfinanzdirektion B. Entschädigung nach dem NS-VEntschG. Die Oberfinanzdirektion lehnte die Durchführung eines Verfahrens nach dem NS-VEntschG ab, nachdem das Landesamt auf ihre Anfrage mitgeteilt hatte, dass die Enteignung aus rassischen Gründen nach dem 8. Mai 1945 wieder rückgängig gemacht worden und die Unternehmensschädigung erst im Jahr 1953 eingetreten sei. Mit Schreiben vom 3. April 1998 stellten die Klägerinnen daraufhin beim Landesamt den Antrag, in den Bescheiden vom 26. November 1992 und vom 26. August 1994 die jeweilige Nr. 1 des Bescheidtenors dahin zu korrigieren, dass eine entschädigungslose Enteignung der beiden Firmen in der NS-Zeit aus rassischen Gründen erfolgt sei. Den Antrag lehnte das Landesamt mit Schreiben vom 27. April 1998 unter Hinweis darauf ab, dass die Unternehmensschädigung erst im Jahr 1953 eingetreten sei. Dies sei in den Bescheiden vom 26. November 1992 bestandskräftig festgestellt worden. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1998 beantragten die Klägerinnen – unter Änderung ihres Antrags vom 3. April 1998 – den Erlass eines (erstmaligen) Bescheids darüber, dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG erfüllt sei; hierüber sei bisher nicht entschieden worden. Das Landesamt teilte mit Schreiben vom 14. Dezember 1998 mit, dass es die Verfahren zu den vermögensrechtlichen Anträgen auf Rückübertragung der beiden ehemaligen Unternehmen nach dem Vermögensgesetz als abgeschlossen ansehe. Die weitere Bearbeitung der Anträge erfolge nach dem Entschädigungsgesetz.
Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage haben die Klägerinnen jeweils beantragt, den Beklagten zur Feststellung zu verpflichten, dass sie aufgrund des durch Arisierung am 6. Mai 1939 erfolgten Vermögensverlustes zur Entschädigung nach dem NS-VEntschG berechtigt seien. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen als unzulässig abgewiesen, weil über die von den Klägerinnen geltend gemachten Ansprüche bereits durch die Bescheide vom 26. November 1992 und vom 26. August 1994 bestandskräftig entschieden worden sei und für ihre Klagen deshalb das Rechtsschutzbedürfnis fehle. In den Gründen der genannten Bescheide sei festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG nicht gegeben seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerinnen, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgen. Zur Begründung führen sie aus: Sie hätten wegen der unterschiedlichen Art und Bemessung der Entschädigung im Entschädigungsgesetz und im NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz einen Anspruch darauf, dass über die Schädigung im Jahr 1939 erstmals oder neu entschieden wird. In den Bescheiden vom 26. November 1992 sei keine Feststellung zu der Schädigungsmaßnahme (1939 oder 1953) getroffen worden. Jedenfalls enthalte der allein maßgebliche Bescheidtenor keine Regelung, dass eine Berechtigung aufgrund des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 VermG ausgeschlossen sei. Entsprechendes gelte für die Entschädigungsgrundlagenbescheide vom 26. August 1994. Das Entschädigungsgesetz und das NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz könnten auch kumulativ Anwendung finden, wenn es von 1933 bis 1945 zu einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG und anschließend zu Vermögensverlusten nach § 1 Abs. 1 VermG gekommen sei. Die Frist für ihre Klage sei nicht abgelaufen; vor In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze hätten sie nicht erkennen können, dass es für die Art und die Bemessung der Entschädigung auf den Schädigungstatbestand ankomme.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zur Begründung verweist er auf die Bestandskraft der Entschädigungsgrundlagenbescheide vom 26. August 1994 und der Bescheide vom 26. November 1992. Darin sei auch zur Schädigung im Sinne des § 1 Abs. 6 VermG eine Regelung getroffen worden.
Der Vertreter des Bundesinteresses hebt hervor, dass die Zweistufigkeit des Verfahrens es ausschließe, die bei In-Kraft-Treten des NS-VEntschG bereits bestandskräftigen Berechtigtenfeststellungen generell auf übersehene oder verkannte Fälle des § 1 Abs. 6 VermG hin zu überprüfen. Ob die Voraussetzungen für eine Überwindung der Bestandskraft der Bescheide nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorlägen, sei eine Frage des Einzelfalles.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Zwar verstößt das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit gegen Bundesrecht, als es die Klage insgesamt als unzulässig abgewiesen hat. Dies führt jedoch nicht zum Erfolg der Revision, weil die Klage, soweit sie zulässig ist, unbegründet ist und sich deshalb die Klageabweisung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit zu Recht als unzulässig abgewiesen, als die Klägerinnen begehren, dass über ihre vermögensrechtliche Berechtigung aufgrund des Vermögensverlustes im Jahr 1939 „erstmals” entschieden wird. Der Zulässigkeit der Klage steht die Bestandskraft der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 entgegen, die nicht nur zur Schädigung im Jahr 1953, sondern auch zu dem Vermögensverlust im Jahr 1939 eine Regelung treffen (1). Der Klageantrag umfasst aber auch, was das Verwaltungsgericht verkannt hat, das Begehren der Klägerinnen, dass über den Schädigungstatbestand und damit den Grund der Berechtigtenfeststellung neu entschieden wird, falls die Feststellungsbescheide auch zu dem Vermögensverlust im Jahr 1939 eine Regelung getroffen haben. Der Antrag ist auf das Wiederaufgreifen des Verfahrens wegen der durch die Entschädigungsgesetze nachträglich geänderten Rechtslage und eine neue Sachentscheidung unter Aufhebung der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 gerichtet. Insoweit ist die Klage unbegründet, weil die Klägerinnen keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens haben und dieses vom Landesamt ohne Ermessensfehler abgelehnt worden ist. Der Senat kann in der Sache entscheiden, da es hierzu keiner weiteren Tatsachenfeststellungen durch das Verwaltungsgericht bedarf (2).
1. Die Auffassung der Revision, dass die Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 keine Regelung zum Schädigungstatbestand enthielten, auf den sich die Berechtigtenfeststellung stützt, geht ebenso fehl wie die Annahme, dass durch die genannten Bescheide jedenfalls nur über den Vermögensverlust im Jahr 1953, nicht aber über denjenigen im Jahr 1939 entschieden worden sei (a). Beide Bescheide sind spätestens mit Ablauf eines Jahres nach dem In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze am 1. Dezember 1994 bestandskräftig geworden (b).
a) Zwar stellt Nr. 1 des Verfügungssatzes der beiden Bescheide vom 26. November 1992 lediglich die Berechtigung der Klägerinnen zur Rückübertragung des jeweiligen Unternehmens fest, ohne anzugeben, auf welchen Schädigungstatbestand sich die Berechtigung nach dem Vermögensgesetz (VermG) stützt. Die Auslegung darf sich jedoch nicht allein auf den Wortlaut dieses Teils des Verfügungssatzes beschränken, sondern hat auch den weiteren Inhalt des Verfügungssatzes und die Begründung des Bescheids zu berücksichtigen. Entsprechend dem in § 133 BGB enthaltenen Rechtsgedanken kommt es darauf an, welcher Regelungsinhalt den Bescheiden nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt aus der Sicht des oder der Adressaten zukommt (zur entsprechenden Anwendung des § 133 BGB vgl. Urteil vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 4 C 6.97 – BVerwGE 107, 264 ≪267≫; Urteil vom 15. Dezember 1989 – BVerwG 7 C 35.87 – BVerwGE 84, 220 ≪229≫). Danach konnten die Klägerinnen die Feststellungsbescheide nur dahin verstehen, dass sie allein aufgrund der Schädigung im Jahr 1953 zur Rückübertragung der Unternehmen berechtigt sind und der Vermögensverlust im Jahr 1939 keine Berechtigung begründet.
Dies ergibt sich aus der Begründung der beiden Bescheide, in der ausgeführt ist, dass die im Jahr 1939 erfolgte „Arisierung” der ehemaligen Unternehmen im Jahr 1945 rückgängig gemacht worden sei. „Entscheidend” für die Feststellung der Berechtigung gemäß § 6 Abs. 1 a Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG sei, dass die ehemaligen Unternehmen 1953 beschlagnahmt und in Volkseigentum übergeleitet worden seien. Hieraus geht deutlich hervor, dass das Landesamt eine Berechtigung wegen des Vermögensverlustes im Jahr 1939 abgelehnt hat, weil es insoweit an einer fortbestehenden Schädigung fehle. Die Ablehnung war Voraussetzung für die Annahme des Landesamtes, dass Grundlage der Berechtigung erst die Unternehmensschädigung im Jahr 1953 sei. Feststellungen, die in den Gründen eines Verwaltungsaktes enthalten sind, kann Regelungscharakter zukommen, wenn sich aus dem weiteren Inhalt des Bescheids hinreichende Anhaltspunkte für einen dahin gehenden Regelungswillen ergeben (vgl. Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1988, S. 320 f.). Dies ist hier der Fall. Solche Anhaltspunkte sind darin zu sehen, dass im unmittelbaren Anschluss an die Berechtigtenfeststellung in Nr. 2 des Verfügungssatzes von den im Jahr 1953 jeweils in Volkseigentum überführten Unternehmen gesprochen und im folgenden Satz darauf verwiesen wird, dass Eigentümer der dort aufgeführten Grundstücke „zum Zeitpunkt der Schädigung” W. K. gewesen sei, was sich nur auf dessen Alleineigentum im Jahr 1953 beziehen kann. Auch wenn sich die Nr. 2 des Verfügungssatzes nicht unmittelbar mit der Berechtigtenfeststellung befasst, wird aus der ausdrücklichen Erwähnung des Schädigungsvorgangs im Verfügungssatz deutlich, dass das Landesamt die Schädigung erst im Jahr 1953 gesehen hat und dass sich hierauf auch der Regelungswille erstreckte. Bestätigt wird dies durch die Entschädigungsgrundlagenbescheide des Landesamtes vom 26. August 1994, die zwar selbst keine Regelung zur Berechtigung enthalten, aber als Inhalt der Bescheide vom 26. November 1992 wiedergeben, dass die Klägerinnen jeweils „bezüglich des im Jahre 1953 … in Volkseigentum überführten Unternehmens” zur Unternehmensrückgabe berechtigt sind.
Dass der Regelungswille des Landesamtes die Ablehnung einer Restitutionsberechtigung wegen der Unternehmensschädigung im Jahr 1939 umfasste, erschließt sich auch aus der rechtlichen Bedeutung, die der Feststellung eines bestimmten Schädigungstatbestandes nach den Vorschriften des Vermögensgesetzes – auch in der zum Zeitpunkt des Erlasses der Feststellungen geltenden Fassung vom 3. August 1992 (BGBl I S. 1446) – zukommt. Nach dem Vermögensgesetz kann die Behörde nicht offen lassen, auf welchen Schädigungstatbestand sich die Berechtigtenfeststellung stützt, sondern muss, wenn nach der Anmeldung – wie hier – mehrere Sachverhalte in Betracht kommen, festlegen, welcher Schädigungsvorgang die Berechtigung begründet. Dies folgt daraus, dass das Vermögensgesetz Rechtsfolgen an den Schädigungsvorgang und damit auch den Schädigungszeitpunkt knüpft. So kommt es für die Beurteilung der Vergleichbarkeit des zurückzuübertragenden Unternehmens mit dem enteigneten Unternehmen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VermG und den Ausgleich einer wesentlichen Verbesserung oder Verschlechterung der Vermögens- oder Ertragslage des Unternehmens (§ 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 4 VermG) auf den Zeitpunkt der Enteignung des Unternehmens an. Rechtliche Relevanz besitzt der Schädigungstatbestand ferner für den Anspruch des geschädigten Gesellschafters auf Einräumung von Bruchteilseigentum an einem Vermögensgegenstand, der im Zeitpunkt der Unternehmensrückgabe nicht mehr zum Vermögen des Unternehmens gehörte; nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG kommt ein solcher Anspruch nur im Fall der Unternehmensschädigung nach § 1 Abs. 6 i.V.m. § 6 VermG in Betracht. Der Zeitpunkt der Schädigung ist auch für den Prioritätsgrundsatz des § 3 Abs. 2 VermG maßgebend. Ebenso stellt § 7 a Abs. 2 VermG im Fall der Singularrestitution für den Herausgabeanspruch des Verfügungsberechtigten darauf ab, welche Gegenleistung oder Entschädigung dem Berechtigten „aus Anlass des Vermögensverlustes” zugeflossen ist; insoweit bedarf es der Feststellung, worin der Vermögensverlust zu sehen ist (vgl. auch die später in Kraft getretenen Regelungen des § 6 Abs. 6 a Satz 1 VermG, § 4 Abs. 1 Satz 1 EntschG: „vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswertes”, § 2 Abs. 1 Satz 2 NS-VEntschG).
Mit diesen Regelungen ist die Vorstellung der Klägerinnen nicht vereinbar, dass eine festgestellte Berechtigung zur Rückübertragung der Unternehmen durch eine andere, auf eine zeitlich frühere Schädigung der Unternehmen bezogene Berechtigung desselben Geschädigten ergänzt oder ersetzt werden könne. Hat die Behörde die Restitutionsberechtigung des Geschädigten festgestellt, setzt eine Feststellung der Berechtigung aufgrund einer anderen Schädigung des Vermögensgegenstandes vielmehr selbst dann regelmäßig die Aufhebung des früheren Bescheides voraus, wenn davon dieselbe Person betroffen ist (für den Fall der Feststellung der Restitutionsberechtigung eines Zweitgeschädigten vgl. Urteil vom 21. Juni 2001 – BVerwG 7 C 4.00 – Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 26).
b) Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht von der Bestandskraft der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 ausgegangen. Die Bescheide sind nicht mehr anfechtbar; zum Zeitpunkt der Erhebung der Verpflichtungsklage im Jahr 1999 war die Klagefrist abgelaufen. Dies gilt für die Monatsfrist des § 74 VwGO. An der Bestandskraft der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 würde sich aber auch nichts ändern, wenn die durch sie begründete Beschwer der Klägerinnen erst mit dem In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze am 1. Dezember 1994 hervorgetreten wäre (vgl. auch BVerfGE 77, 170 ≪221≫ zu einer nach Ablauf der Jahresfrist des § 93 Abs. 2 BVerfGG a.F. eingetretenen Beschwer). Die Klägerinnen berufen sich darauf, dass sie erst aufgrund des In-Kraft-Tretens der Entschädigungsgesetze im Jahr 1994 hätten erkennen können, dass es für die Art und die Bemessung der Entschädigung auf den Schädigungsvorgang ankommt. Auch wenn man von diesem Vorbringen ausginge, würde trotz Ablaufs der Frist des § 74 VwGO eine Klagemöglichkeit, für die sich die Klägerinnen der Sache nach auf den Rechtsgedanken der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nicht zurechenbarer Versäumung der Klagefrist berufen, nicht unbefristet bestehen. Sie wäre jedenfalls ein Jahr nach In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze entfallen. Diese Frist haben die Klägerinnen nicht eingehalten. Denn sie haben erst im Jahr 1998 ihr Anliegen wieder aufgegriffen, obwohl sie mit dem In-Kraft-Treten der Entschädigungsgesetze am 1. Dezember 1994 die unterschiedliche Art und Bemessung der Entschädigung hätten erkennen können.
Durch die Frist von einem Jahr wird der Rechtsschutz nicht in unzumutbarer und mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbarer Weise erschwert (vgl. Urteil vom 11. Mai 1979 – BVerwG 6 C 70.78 – BVerwGE 58, 100 ≪104 f.≫). Eine Jahresfrist als Ausschlussfrist hat der Gesetzgeber in § 60 Abs. 3 VwGO für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestimmt, sofern der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist nicht infolge höherer Gewalt unmöglich war. Ebenso hat der Gesetzgeber in § 58 Abs. 2 VwGO bei unterbliebener oder unrichtiger Erteilung der Rechtsbehelfsbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung des Verwaltungsaktes als zulässig angesehen (Ausnahme: höhere Gewalt oder schriftliche Belehrung dahin, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei). Sofern nicht unmittelbar § 60 Abs. 3 VwGO Anwendung findet, kann auf den in diesen Vorschriften zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken zurückgegriffen werden. Denn die Jahresfrist trägt dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen Rechnung, indem sie diesem eine ausreichende Zeit einräumt, von einer eingetretenen Rechtsänderung Kenntnis zu nehmen und die aus seiner Sicht erforderlichen rechtlichen Schritte zu ergreifen, und bewirkt andererseits, dass die Bestandskraft der Bescheide nicht auf zu lange Zeit in der Schwebe bleibt und Rechtssicherheit innerhalb einer angemessenen Frist erreicht wird. Dass die Jahresfrist ausreichend ist, um von einer eingetretenen Gesetzesänderung Kenntnis zu nehmen und sich über die rechtlichen Konsequenzen schlüssig zu werden, lässt sich auch aus § 93 Abs. 3 BVerfGG entnehmen. Nach dieser Vorschrift kann eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen ein Gesetz richtet, nur binnen eines Jahres seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes erhoben werden.
2. Sind damit die Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 unanfechtbar, kann eine neue Sachentscheidung nur in der Weise erreicht werden, dass das Landesamt das Verfahren wieder aufgreift und unter Aufhebung der Bescheide eine neue Sachentscheidung trifft. Der Antrag der Klägerinnen umfasst ein solches Begehren. Einen entsprechenden Anspruch haben sie jedoch nicht (a); die Weigerung der Behörde, sich erneut mit der Sache zu befassen, war auch nicht ermessensfehlerhaft (b).
a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Voraussetzung hierfür ist, wie die Formulierung „die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtslage” verdeutlicht, dass nachträglich die für den Verwaltungsakt maßgeblichen Rechtsnormen, also dessen entscheidungserhebliche rechtliche Grundlagen, geändert werden (OVG Münster, NVwZ 2000, 89). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die im Jahr 1994 in Kraft getretenen Entschädigungsgesetze regeln lediglich die Rechtsfolgen, die sich an die Berechtigtenfeststellung im Fall der Unmöglichkeit der Restitution oder der Wahl für eine Entschädigung knüpfen. Die für den Erlass der Berechtigtenfeststellung maßgeblichen Vorschriften des Vermögensgesetzes sind dagegen nicht geändert worden.
b) Ebenso wenig können die Klägerinnen die Rücknahme oder den Widerruf der Feststellungsbescheide nach § 48 Abs. 1 Satz 1 oder § 49 Abs. 1 VwVfG verlangen, deren Anwendbarkeit nach § 51 Abs. 5 VwVfG von den – besonderen – Bestimmungen über das Wiederaufgreifen des Verfahrens unberührt bleibt. Die Weigerung der Behörde, erneut in eine Prüfung der Sache einzutreten, war vor dem Hintergrund dieser Vorschriften nicht ermessensfehlerhaft. Im Hinblick darauf, dass die Klägerinnen ihren Antrag lediglich damit begründet haben, über den Antrag nach § 1 Abs. 6 VermG sei noch nicht entschieden worden, konnte das Landesamt sich für seine ablehnende Entscheidung auf den Hinweis beschränken, dass in den Feststellungsbescheiden vom 26. November 1992 eine Berechtigung aufgrund des Schädigungsvorgangs im Jahr 1939 wegen der im Jahr 1945 erfolgten Wiedergutmachung abgelehnt worden sei und die Feststellungsbescheide inzwischen bestandskräftig seien. Auch war das Ermessen nicht in der Weise reduziert, dass allein eine Aufhebung der Feststellungsbescheide hinsichtlich der Berechtigtenfeststellung und als Folge davon eine neue Berechtigtenfeststellung aufgrund der Schädigung im Jahr 1939 in Betracht gekommen wäre. Auch wenn die Auffassung des Landesamtes, dass die Schädigung durch den Zwangsverkauf im Jahr 1939 mit der Übergabe des Vermögens der beiden Unternehmen im Jahr 1945 wieder rückgängig gemacht worden sei, rechtsfehlerhaft wäre, ist die Aufrechterhaltung der Feststellungsbescheide vom 26. November 1992 weder schlechthin unerträglich noch sind Umstände erkennbar, die die Berufung des Landesamtes auf die Bestandskraft dieser Bescheide als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen (zu den Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 – BVerwG 2 C 12.92 – BVerwGE 95, 86 ≪92 f.≫).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Gödel, Kley, Herbert, Golze, Neumann
Fundstellen
VIZ 2002, 568 |
NJ 2002, 495 |