Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylrechtlicher Abschiebungsschutz. Anerkennung als politischer Flüchtling. rechtskräftiges Verpflichtungsurteil. Widerruf wegen nachträglicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Heimatstaat (hier: Jugoslawien/Kosovo). maßgeblicher Zeitpunkt. Jahresfrist für Widerruf. Vollstreckungsabwehrklage. Vollstreckungsgegenklage
Leitsatz (amtlich)
- Maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asylanerkennungen, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, ist nicht der Zeitpunkt des Ergehens des Anerkennungsbescheids, sondern des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils.
- Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ist bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage (hier: durch das Ende des Kosovo-Konflikts im Juni 1999) an einem Widerruf der Asylanerkennung nicht gehindert, wenn es das zur Asylanerkennung verpflichtende Urteil nicht mit einer Vollstreckungsabwehrklage angegriffen, sondern zunächst die Anerkennung ausgesprochen hat.
Normenkette
AsylVfG § 73 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1; VwGO § 167; VwVfG § 48 Abs. 4, § 49 Abs. 2; ZPO § 767
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 21.02.2002; Aktenzeichen 8 LB 13/02) |
VG Osnabrück (Entscheidung vom 23.01.2001; Aktenzeichen 5 A 329/00) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Februar 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als politischer Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG.
Der 1980 geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Republik Serbien und Montenegro (früher Jugoslawien), er ist albanischer Volkszugehöriger und stammt aus dem Kosovo. Er reiste im Juli 1998 auf dem Landweg nach Deutschland ein und beantragte zunächst erfolglos die Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Urteil vom 14. Mai 1999 verpflichtete das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, weil albanische Volkszugehörige im Kosovo einer ethnischen Gruppenverfolgung unterlägen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) ließ die Entscheidung unanfechtbar werden und erteilte dem Kläger am 22. Juni 1999 unter Hinweis auf das rechtskräftige Verpflichtungsurteil einen Anerkennungsbescheid nach § 51 Abs. 1 AuslG. Im Februar 2000 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger hierzu an. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Juni 2000 widerrief das Bundesamt die Anerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen. Bei einer Rückkehr in den Kosovo müsse der Kläger derzeit nicht mehr mit Verfolgung rechnen.
Mit der hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger vor allem geltend gemacht, eine zum Widerruf berechtigende Änderung der Sachlage sei seit dem Erlass des Anerkennungsbescheids nicht eingetreten. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (AuAS 2002, 90) hat sie als unbegründet angesehen, weil für die Änderung der Sachlage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Verurteilung zur Anerkennung abzustellen sei. Dafür spreche, dass die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG getroffen worden sei aufgrund der Verhältnisse, die bei Erlass des Verpflichtungsurteils bestanden hätten. Außerdem stehe mit Erlass des Verpflichtungsurteils zwischen den Beteiligten rechtskräftig fest, dass nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Feststellung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bestanden habe. Die gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs München (AuAS 2001, 23 f.) berücksichtige nicht hinreichend, dass das Bundesamt den Feststellungsbescheid in Vollzug des Verpflichtungsurteils erlassen und nicht geprüft habe, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch vorliegen. Ausgehend vom Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsentscheidung hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Einmarsch der KFOR-Friedenstruppen im Kosovo geändert.
Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter. Er hält daran fest, dass für die Beurteilung einer nachträglichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG der Zeitpunkt des Erlasses des Bundesamtsbescheids auch dann maßgeblich sei, wenn die Anerkennung wie hier auf einem Verpflichtungsurteil beruhe. Das Bundesamt dürfe dem Ausländer nichts geben, was es sofort wieder zurücknehmen müsse. Außerdem stehe dem Widerruf die Rechtskraft des Verpflichtungsurteils entgegen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen und verweist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim, nach der das Bundesamt nicht – jedenfalls nicht gegenüber dem Kläger – verpflichtet gewesen sei, das rechtskräftige Verpflichtungsurteil mit einer Vollstreckungsgegenklage anzugreifen. Außerdem sei nicht festgestellt und äußerst zweifelhaft, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Anerkennungsbescheids überhaupt schon alle tatsächlichen Voraussetzungen für eine Ablehnung vorgelegen hätten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet. Sie bezieht sich nur auf den Widerruf der Asylanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, zu der der Senat die Revision zugelassen hat. Die im Widerrufsbescheid ferner enthaltene negative Feststellung zu § 53 AuslG ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens; insoweit hat die Revision Einwände auch nicht erhoben. Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerruf in Übereinstimmung mit Bundesrecht als rechtmäßig angesehen.
1. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen, also insbesondere dann, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Widerrufsbescheid diesen Anforderungen entspricht und rechtmäßig ist. Auch die Revision behauptet nicht, dass dem Kläger als albanischem Volkszugehörigen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsentscheidung im Kosovo (immer noch) die Gefahr einer ethnischen Gruppenverfolgung gedroht hat. Sie wendet sich vielmehr dagegen, dass die Vorinstanzen eine den Widerruf legitimierende Änderung der Sachlage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheids angenommen haben, obwohl sich die tatsächlichen Verhältnisse im Kosovo nach dem Ende des Kosovo-Konflikts ab etwa 10. Juni 1999 und seit dem Erlass des Anerkennungsbescheids am 22. Juni 1999 durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) nicht mehr wesentlich verändert hätten. Mit diesem Vorbringen verkennt die Revision, dass für die rechtliche Beurteilung, ob ein Widerrufsgrund nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Gestalt einer Änderung der Sachlage vorliegt, nicht von der bei Erlass des Anerkennungsbescheids am 22. Juni 1999 bestehenden, sondern von der in dem zur Asylanerkennung verpflichtenden Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 1999 zugrunde gelegten Sachlage auszugehen ist.
a) Auf welchen Zeitpunkt bei der Prüfung der Frage abzustellen ist, ob eine zum Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG berechtigende und verpflichtende Änderung der Sachlage eingetreten ist, hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 19. September 2000 (– BVerwG 9 C 12.00 – BVerwGE 112, 80) nicht generell, sondern lediglich für die damalige Fallkonstellation entschieden. Die Revision und der von ihr angeführte Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs München vom 16. November 2000 (– 20 ZBH 00.32237 – AuAS 2001, 23 = BayVBl 2001, 534) können sich zur Begründung ihrer Rechtsansicht auf diese Entscheidung des früher für das Asylrecht zuständigen 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts nicht berufen. Nur wenn das Bundesamt die Anerkennung von sich aus ausgesprochen hat, kommt es im Widerrufsverfahren darauf an, ob sich “die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach Ergehen des bestandskräftigen Anerkennungsbescheids erheblich geändert haben … und die Anerkennung als Asylberechtigter oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG deswegen nunmehr ausgeschlossen ist” (BVerwG a.a.O. S. 84). Für den Widerruf solcher Anerkennungsbescheide, die – wie hier – in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils erlassen worden sind, ist dagegen auf den Zeitpunkt zurückzugreifen, zu dem das zur Anerkennung verpflichtende Urteil ergangen ist (vgl. außer den Berufungsentscheidungen des OVG Lüneburg im Ausgangsverfahren und in den Parallelverfahren BVerwG 1 C 16.02 und 36.02 auch VGH Mannheim, Urteil vom 19. September 2002 – A 14 S 457/02 – ≪juris≫). Maßgeblich für die Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs von Asylanerkennungen, die in Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils ergangen sind, ist mithin nicht der Zeitpunkt des Ergehens des Anerkennungsbescheids, sondern des rechtskräftig gewordenen Verpflichtungsurteils. Abzustellen ist danach auf die für das rechtskräftig gewordene Verpflichtungsurteil maßgeblichen Verhältnisse, d.h. auf die Sach-und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts bzw. – bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung – des Fällens seiner Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und Urteil vom 18. September 2001 – BVerwG 1 C 7.01 – BVerwGE 115, 118 ≪120 f.≫). Alle späteren Tatsachenlagen sind von dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil und demzufolge auch von dem in Erfüllung eines solchen Urteils ergehenden Bescheids regelmäßig nicht erfasst. Dem entspricht im Übrigen die Begründung des hier widerrufenen Anerkennungsbescheids, die ausschließlich darauf abstellt, dass die Anerkennung in Erfüllung des rechtskräftigen Urteils ergehe. Mit diesem Erklärungsinhalt ist der Anerkennungsbescheid bestandskräftig geworden. Auch daher ist es nur folgerichtig, für den Widerruf von den tatsächlichen Verhältnissen in dem Zeitpunkt auszugehen, der schon der Anerkennung durch das Bundesamt zugrunde lag.
b) Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob sich die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Verpflichtung zur Anerkennung als politischer Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG für die Prüfung der Widerrufsvoraussetzungen in Fällen wie dem vorliegenden auch daraus ergibt, dass der Gesetzgeber den Eintritt wesentlicher Rechtswirkungen der Flüchtlingsanerkennung auf den Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit eines zur Anerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils vorgezogen hat (vgl. § 3 und § 70 Abs. 1 AsylVfG in der ab 1. Juli 1992 geltenden Fassung).
c) Dass eine erhebliche Sachlagenänderung nach dem Ende des Kosovo-Konflikts (durch das Militärabkommen zwischen Jugoslawien und der NATO vom 9. Juni 1999, die nachfolgende UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 und den danach beginnenden Einmarsch der KFOR-Truppen) anzunehmen ist, stellt auch die Revision nicht in Abrede. Auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist mithin nicht zweifelhaft, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für den Widerruf vorgelegen haben. Dabei bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob – wie die Revision meint – zum Zeitpunkt des Erlasses des widerrufenen Anerkennungsbescheids am 22. Juni 1999 die tatsächlichen Verhältnisse bereits so waren, dass schon damals ein Widerruf möglich und geboten gewesen wäre. Dazu fehlen hinreichende Feststellungen des Berufungsgerichts, worauf die Beklagte in der Revisionsverhandlung zutreffend hingewiesen hat. Sie sind entbehrlich, weil es hierauf nicht ankommt. Die Beklagte wäre nämlich zum einen, wie noch auszuführen ist, selbst dann grundsätzlich nicht verpflichtet gewesen, die rechtskräftige Verpflichtung zur Anerkennung des Klägers aus dem verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 14. Mai 1999 durch die Inanspruchnahme der Gerichte wieder aufheben zu lassen. Zum anderen ist auch auszuschließen, dass die hier angefochtene Widerrufsverfügung etwa noch deshalb rechtswidrig sein könnte, weil das Bundesamt – unterstellt, die Widerrufsvoraussetzungen hätten bereits bei Erlass des Anerkennungsbescheids am 22. Juni 1999 vorgelegen – bei Erlass des Widerrufsbescheids am 27. Juni 2000 die Jahresfrist für einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt hätte. Das folgt schon daraus, dass die Jahresfrist frühestens nach einer Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen begonnen hätte (vgl. Urteil vom 20. September 2001 – BVerwG 7 C 6.01 – Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103 = NVwZ 2002, 485). Davon abgesehen kann offen bleiben, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 Satz 2, § 48 Abs. 4 VwVfG bei einem Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG überhaupt anwendbar ist (vgl. bisher nur Urteil vom 19. September 2000 – BVerwG 9 C 12.00 – BVerwGE 112, 80).
2. Der Widerrufsbescheid ist auch nicht aus anderen Gründen zum Nachteil des Klägers rechtswidrig. Namentlich war die Beklagte entgegen der Ansicht der Revision nicht verpflichtet, eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 167 VwGO, § 767 ZPO zu erheben, um die Vollstreckbarkeit des rechtskräftigen Verpflichtungsurteils zu beseitigen, anstatt diese Entscheidung zu vollziehen und den Kläger nach § 51 Abs. 1 AuslG als politischen Flüchtling anzuerkennen. Ziel der in § 767 ZPO geregelten Klage ist es zwar, Veränderungen Rechnung zu tragen, die die Vollstreckbarkeit des Titels betreffen, sofern Umstände geltend gemacht werden, die den durch das Urteil festgestellten sachlich-rechtlichen Anspruch als solchen erfassen und geeignet sind, den rechtskräftig zuerkannten Anspruch nachträglich zu vernichten oder in seiner Durchsetzbarkeit zu hemmen (vgl. zuletzt das Urteil vom 19. September 2002 – BVerwG 4 C 10.01 – Buchholz 303 § 767 ZPO Nr. 5 = DVBl 2003, 201). Dagegen ist die Verwaltung nicht befugt, die Erfüllung eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils allein unter Berufung auf eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zu unterlassen, ohne die Aufhebung des unbedingten Leistungsbefehls durch eine Vollstreckungsabwehrklage zu betreiben. Damit würde die Rechtskraftwirkung von Leistungsurteilen verkannt und unnötig ausgehöhlt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil vom 23. November 1999 (– BVerwG 9 C 16.99 – BVerwGE 110, 111). Es ist zur Frage der Überwindung der Rechtskraft eines Feststellungsurteils – und zwar einer fehlerhaft selbst Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG feststellenden erstinstanzlichen Entscheidung – ergangen. Die vom Senat in jener Entscheidung betonte zeitliche Grenze der Rechtskraft gilt auch für Verpflichtungsurteile. Entfällt die materielle Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils durch nachträgliche Änderung der Sachlage, so folgt daraus allerdings – mit Wirkung für die Zukunft – nur, dass der mit dem Urteil zugesprochene Anspruch auf Erlass des Verwaltungsakts nicht mehr als bestehend anzusehen ist; das entbindet die Behörde aber nicht von der im rechtskräftigen Urteil ausgesprochenen Verpflichtung zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts. Die Behörde ist befugt, die Rechtsfolge der zeitlichen Überholung der Rechtskraft selbst festzustellen und ihrem weiteren Handeln – auch einem Widerruf (vgl. Urteil vom 18. September 2001 – BVerwG 1 C 7.01 – BVerwGE 115, 118 ≪121≫; ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 14. Februar 2001 – A 9 S 2007/99 – ESVGH 51, 186 = InfAuslR 2001, 406 und OVG Münster, Urteil vom 20. Februar 2002 – 21 A 613/02 A – ≪juris≫) – zugrunde zu legen; insoweit ist die Rechtslage mit derjenigen im Urteil des Senats vom 23. November 1999 a.a.O. vergleichbar (zu Leistungsurteilen im Zivilprozess vgl. Münzberg in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 767 Rn. 3). Ein unerfüllter Verpflichtungsausspruch bleibt jedoch vollstreckbar, wenn und solange nicht eine Vollstreckungsabwehrklage erfolgreich durchgeführt wird. Grundsätzlich ist aber niemand verpflichtet, Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen einzulegen und rechtskräftige Urteile wegen nachträglich eintretender Änderungen mit der Vollstreckungsabwehrklage anzufechten. Ob es Sonderfälle geben mag, in denen eine Behörde nach Treu und Glauben verpflichtet sein kann, Rechtsmittel auszuschöpfen und auch eine Vollstreckungsgegenklage zu erheben, um irreversiblen Schaden von der Allgemeinheit oder von Einzelnen abzuwenden, kann dahinstehen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 19. September 2002 a.a.O. mit Erwägungen zur Entstehung irreparabel rechtswidriger Zustände im Baurecht). Anhaltspunkte für eine ausnahmsweise bestehende Verpflichtung der Beklagten zu einem solchen Vorgehen sind hier nicht erkennbar, weder im öffentlichen noch im privaten Interesse des Klägers. In Fällen wie dem vorliegenden liegt es vielmehr gerade im Interesse des Asylbewerbers, dass das Bundesamt zu seinen Gunsten zunächst die konstitutiv wirkende (vgl. § 3 AsylVfG und zum Asylgrundrecht BVerfG, Urteil vom 4. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ≪199≫) Anerkennung ausspricht. Nur dann kommt er nämlich in den Genuss sämtlicher Rechtswirkungen der Flüchtlingsanerkennung, die über die erwähnten Begünstigungen durch die gerichtliche Entscheidung weit hinausgehen und ihm auch bei einem späteren Widerruf durch die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln (§ 75 AsylVfG) oder im Falle der Anordnung sofortiger Vollziehung durch die erfolgreiche Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig erhalten bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Hund, Richter, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
DÖV 2003, 997 |
AuAS 2004, 56 |
BayVBl. 2004, 184 |
DVBl. 2003, 1280 |