Entscheidungsstichwort (Thema)
Eisenbahn. Planfeststellung. Anhörungsverfahren. Änderung der Planung. Einwendungsfrist. Präklusion. Betriebssicherheit. anerkannte Regeln der Technik. Planrechtfertigung. Schutz des Ortsbildes. Lebensqualität. ästhetische Beeinträchtigung
Leitsatz (amtlich)
- Ein Planbetroffener, der bezweifelt, daß der bisher erreichte Stand der Sicherheitstechnik ausreicht, um die Gefahren des Eisenbahnverkehrs zu beherrschen, ist gehalten, mit seinen Sicherheitsbedenken als Einwender hervorzutreten. Anderenfalls muß er sich insoweit den Einwendungsausschluß nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG entgegenhalten lassen.
- Grundsätzlich kann in einem Planfeststellungsverfahren nicht entschieden werden, welche Beschaffenheit die auf der Eisenbahnstrecke verkehrenden Fahrzeuge aufweisen müssen, um als sicher zu gelten.
- Die Rechtsordnung erkennt dem Grundbesitz gegenüber ”ästhetischen” Beeinträchtigungen eines Ortsbildes durch den Ausbau einer Bahnstrecke keinen Schutz zu.
Normenkette
AEG § 4 Abs. 1 S. 1, § 18 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 2 S. 1; VwVfG §§ 32, 73 Abs. 8; Haftpflichtgesetz § 1; BHO § 7 Abs. 1; BNatSchG § 8 Abs. 2-3; BauGB § 1 Abs. 5 S. 2 Nr. 4; EBO § 2 Abs. 1 S. 2, § § 18 ff.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluß des Eisenbahnbundesamtes – Außenstelle Hamburg – vom 29. September 1997, soweit er der Beigeladenen ausgehend vom Haltepunkt Wohltorf in Richtung nach Hamburg den Neubau von zwei zusätzlichen S-Bahn-Gleisen neben der zweigleisigen Fernbahnstrecke Hamburg-Büchen-Berlin gestattet.
Das Planfeststellungsverfahren für den Streckenausbau im Bereich der Gemeinden Aumühle und Wohltorf sowie der Stadt Reinbek (Planfeststellungsbschnitt V b) wurde im August 1994 eingeleitet. Die Planungsunterlagen wurden nach entsprechender Bekanntmachung, die auf den Ablauf der Einwendungsfrist am 4. November 1994 und den Ausschluß verspäteter Einwendungen hinwies, in der Zeit vom 21. September 1994 bis einschließlich 21. Oktober 1994 öffentlich ausgelegt.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 1994 die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens. Ihr Haus in der Kastanienallee, das 1900 erbaut und 1920 erweitert worden sei, befinde sich in einem guten baulichen Zustand. Es bestehe die Gefahr, daß durch die Bauarbeiten an der Bahnstrecke oder durch eine Grundwasserabsenkung an dem Haus und der zugehörigen Brunnenanlage Schäden entstünden. Mit Schreiben vom 31. Oktober 1994 erhob die Klägerin sodann (ohne ihren Ehemann) Einwendungen gegen das Ausbauvorhaben. Im wesentlichen machte sie geltend, angesichts des geringen Verkehrsaufkommens wäre es ausreichend, wenn die S-Bahn zwischen Hamburg und Aumühle eingleisig ausgebaut würde. Außerdem sei nicht berücksichtigt worden, daß Reisende, die sich auf dem geplanten Mittelbahnsteig des Haltepunktes Wohltorf aufhielten, in eine gefährliche Situation geraten könnten, wenn sich auf den Fernbahngleisen Züge mit hoher Geschwindigkeit begegneten und dadurch Wirbel, Druck, Sog und plötzlicher Schall aufträten. Dem könne durch den Bau einer Schallschutzwand zwischen den Fernbahn- und den S-Bahn-Gleisen begegnet werden. Schließlich stehe ein Parkdeck am Haltepunkt Wohltorf im krassen Gegensatz zum dörflichen Charakter des Ortes.
Während des Planfeststellungsverfahrens hat die Beigeladene ihr Schallschutzkonzept mehrfach überarbeitet und außerdem ihre ursprüngliche Planung aufgegeben, die S-Bahn im gesamten Streckenabschnitt zweigleisig zu führen. Die letzte Fassung des Erläuterungsberichts und der übrigen Planunterlagen sehen zwischen dem Westkopf des Bahnhofs Aumühle und dem Haltepunkt Wohltorf nur einS-Bahn-Gleis vor. Erst von dort aus in Richtung Hamburg beginnt eine zweigleisige S-Bahn-Strecke. Die beim Haltepunkt Wohltorf an den Fernbahngleisen vorhandenen Außenbahnsteige werden zurückgebaut und durch einen Inselbahnsteig zwischen den beiden S-Bahn-Gleisen ersetzt, der über einen Fußgängertunnel erschlossen wird; dieser unterquert die gesamte Gleistrasse und endet auf der Nordseite an einem P+R-Gelände. Der benachbarte höhengleiche Bahnübergang “Eichenallee” (K 64) wird beseitigt. Als Ersatzmaßnahme wird die Eichenallee abgesenkt und unter der Bahntrasse kreuzungsfrei hindurchgeführt.
Durch Beschluß vom 29. September 1997 stellte das Eisenbahn-Bundesamt den Plan für das Vorhaben fest. Darin wird u.a. ausgeführt, der öffentliche Nahverkehr unterliege, solange er ebenfalls die vorhandenen zwei Gleise der Fernbahn nutzen müsse, großen Einschränkungen. Durch den geplanten Bau einer separaten Gleistrasse für die S-Bahn werde für diese eine hohe und ungehinderte Taktfrequenz ermöglicht, so daß das Angebot des Personennahverkehrs deutlich verbessert werden könne. Dem gesetzlichen Vermeidungs- und Minimierungsgebot sei durch den Verzicht auf das zweite S-Bahn-Gleis zwischen Wohltorf und Aumühle Rechnung getragen worden. Die Gestaltung des Bahnbetriebes und des Betriebsgeländes entspreche den technischen Regelwerken und stelle weder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit noch für die S-Bahn-Benutzer dar. Die Anordnung eines Beweissicherungsverfahrens lehnte der Planfeststellungsbeschluß mit der Begründung ab, daß unter Berücksichtigung der Bodenverhältnisse Schäden an Gebäuden, die weiter als 50 m von den Gleisen liegen, während der Bauphase auszuschließen seien.
Der Planfeststellungsbeschluß, dem eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, wurde durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt; die Auslegung erfolgte in der Zeit vom 17. Oktober bis zum 31. Oktober 1997.
Am 10. November 1997 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie beantragt,
den Planfeststellungsbeschluß vom 29. September 1997 insoweit aufzuheben, als er den zweigleisigen Neubau der S-Bahn-Trasse zwischen Reinbek und Wohltorf betrifft.
Die Klägerin wiederholt ihre Einwendungen gegen den zweigleisigen Ausbau der S-Bahn-Trasse und trägt ergänzend vor: Sie wohne in einer Entfernung von 75 m von dem Bahnkörper und sei durch die Baumaßnahme unmittelbar betroffen. Der zweigleisige Ausbau der S-Bahn bedeute einen schweren Eingriff in den gewachsenen Ort Wohltorf, der nur etwa 2 400 Einwohner habe. Die Unterführung der Kreisstraße unter der Bahntrasse erhalte unnötige Dimensionen und zerstöre den Ortskern. Die durch den zweigleisigen Ausbau erforderlichen Baumaßnahmen, die Größe der Unter- bzw. Überführung und die anfallenden Kosten stünden in keinem Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen. Das im Planfeststellungsbeschluß angesprochene Minimierungsgebot hätte nicht nur zwischen Wohltorf und Aumühle, sondern auch im restlichen Planfeststellungsbereich zu einem Verzicht auf eine zweigleisige S-Bahn-Trasse führen müssen. Durch die Einrichtung einer Langsamfahrstelle für die Fernbahn wäre es außerdem möglich gewesen, den Aufwand für die vorgesehenen Lärmschutzwände zu verringern. Das Naherholungsgebiet Wohltorf-Aumühle verliere durch den Streckenausbau seinen idyllischen Charme. Es sei unverständlich, warum nur die Lärmbelästigung berücksichtigt werde, während die optische Verunstaltung eines dörflichen Kerns zugelassen werde, dessen Erhaltung für die Lebensqualität wichtig sei.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Vorbringen der Klägerin in der Sache entgegen und halten ihre Klage für unzulässig oder zumindest für unbegründet. Die Klägerin mache nicht geltend, durch die Planfeststellung in eigenen Rechten verletzt zu werden.
Die Klägerin erwidert hierauf, von dem Ausbauvorhaben seien die Anwohner der Bahnstrecke, die Reisenden und die Personen betroffen, die auf den Bahnsteigen warteten. Sie gehöre zu allen drei genannten Personengruppen. Sie bemängele deswegen, daß die Bahn infolge des Ausbaus um mindestens 15 m an ihr Wohnhaus heranrücke. Selbst bei einem Abzug von 2 dB(A) für das “Besonders überwachte Gleis” – der im übrigen unzulässig sei – würden die Lärmgrenzwerte zu ihrem Nachteil überschritten. Schon jetzt träten im Gebäude auch Vibrationen auf. Sie weise außerdem auf Gefährdungen hin, denen sich weibliche Fahrgäste der S-Bahn ausgesetzt sähen, wenn sie zur Nachtzeit den Mittelbahnsteig über einen Tunnel verlassen müßten. Sie sei aus beruflichen Gründen darauf angewiesen, die S-Bahn auch nachts zu benutzen, so daß sie sich auch deshalb gegen den zweigleisigen Ausbau der S-Bahn wenden könne, der den Bau des Mittelbahnsteigs erst erforderlich mache. In diesem Zusammenhang rüge sie eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs. Die Möglichkeit einer eingleisigen Führung der S-Bahn sei in den ausgelegten Unterlagen nicht angesprochen worden. Auch in den Erörterungsterminen sei diese Möglichkeit nur am Rande erwähnt und nicht abschließend diskutiert worden. Insofern habe der Planfeststellungsbeschluß mit dem eingleisigen Ausbau zwischen Aumühle und Wohltorf ein aliud zur bisherigen Planung präsentiert, das den Betroffenen völlig neue Perspektiven eröffnet habe. Den Betroffenen hätte deswegen erneut Gelegenheit gegeben werden müssen, Einwendungen zu erheben. Schließlich zwinge die Katastrophe von Eschede dazu, die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs neu zu überdenken und die Streckenführung insgesamt auf Sicherheitsrisiken zu überprüfen. Der im Planfeststellungsbeschluß enthaltene Hinweis auf die Einhaltung der technischen Regelwerke sei ungeeignet, die aufgetretenen Sicherheitsbedenken auszuräumen.
Die Beklagte und die Beigeladene halten dem entgegen, daß die Klägerin mit ihrem weiteren Vortrag ausgeschlossen sei, weil die dort angesprochenen Fragen weder in ihrem Einwendungsschreiben vom 31. Oktober 1994 noch in ihrer Klagebegründung thematisiert worden seien.
Entscheidungsgründe
II.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Klägerin steht der von ihr geltend gemachte Anspruch auf teilweise Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses nicht zu. Soweit die Klägerin in ihren Schriftsätzen vom 11. Februar, 27. Mai und 22. Juni 1998 neue Klagegründe in das Verfahren einführt, muß sie sich die Präklusionswirkung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. Dezember 1993 – BGBl I S. 2378, 2396 – (AEG) entgegenhalten lassen (nachfolgend 1). Im übrigen stützt sie ihren gegen das Vorhaben geltend gemachten Abwehranspruch auf Klagegründe, für die sie eine drittschützende Norm nicht aufzeigen kann (nachfolgend 2).
1. § 20 Abs. 2 Satz 1 AEG bestimmt, daß Einwendungen, die nach Ablauf der Einwendungsfrist erhoben werden, ausgeschlossen sind. Dieser Einwendungsausschluß erstreckt sich auch auf das nachfolgende gerichtliche Verfahren, so daß dort ein Abwehranspruch gegen das planfestgestellte Vorhaben nicht mehr durchgesetzt werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 16. August 1995 – BVerwG 11 A 2.95 – Buchholz 407.3 § 3 VerkPBG Nr. 1; Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 38.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119). Die Voraussetzungen für eine Anwendung dieser Regelung sind im vorliegenden Fall mit der ordnungsmäßigen Durchführung des Anhörungsverfahrens nach § 73 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) geschaffen worden. Die Klägerin muß sich dies entgegenhalten lassen. Sie beruft sich ohne Erfolg auf eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren.
a) Die Änderungen, die der Träger des Vorhabens nach der Auslegung der Planunterlagen an seiner Planung vorgenommenen hat, sind für die “Identität” des Vorhabens unbeachtlich, so daß aus diesem Grunde eine erneute Durchführung des Anhörungsverfahrens nicht angezeigt war (vgl. BVerwG, Beschluß vom 2. Februar 1996 – BVerwG 4 A 42.95 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 108). Insbesondere die Entscheidung für die eingleisige Führung der S-Bahn zwischen Aumühle und Wohltorf stellt sich schon deswegen als eine “marginale Planänderung” dar, weil sie den Flächenverbrauch und die sonstigen Umweltauswirkungen des Vorhabens verringert. Der Klägerin war insoweit auch nicht nach § 73 Abs. 8 VwVfG eine neue Einwendungsfrist einzuräumen. Nach dieser Vorschrift sind Dritte nur dann erneut zu beteiligen, wenn sie durch die Planänderung (“dadurch”) in ihren Belangen erstmalig oder stärker als bisher berührt werden. Dabei brauchen nur die unmittelbaren Folgen der Planänderung selbst berücksichtigt zu werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 12. Juni 1989 – BVerwG 4 B 101.89 – Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 3). Die Klägerin behauptet selbst nicht, durch die genannte Planänderung erstmalig oder stärker als bisher in ihren Belangen berührt worden zu sein. Sie meint vielmehr lediglich, den Planbetroffenen seien dadurch “neue Perspektiven eröffnet” worden (Schriftsatz vom 27. Mai 1998, S. 3). Letztlich macht die Klägerin somit einen Anspruch auf einen ständigen Dialog mit der Planfeststellungsbehörde geltend, den die Rechtsordnung nicht kennt und der außerdem mit dem Vereinfachungszweck des § 73 Abs. 8 VwVfG unvereinbar wäre. Der Auffassung der Klägerin, im Verwaltungsverfahren sei der Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu ihrem Nachteil verletzt worden, ist aus diesem Grunde nicht zu folgen. Die Klägerin hat im übrigen ihre Forderung nach einer insgesamt nur eingleisigen Führung der S-Bahn-Strecke auch innerhalb der Einwendungsfrist vorgebracht.
b) Die Klägerin hat zwar fristwahrend Einwendungen erhobenen; diese korrespondieren aber inhaltlich überwiegend nicht mit ihrem späteren Klagevorbringen. Dort leitet die Klägerin ihre Rechtsbetroffenheit in erster Linie aus dem Lärm und den Erschütterungen her, die von dem Eisenbahnverkehr auf ihr Haus einwirken. Innerhalb der Einwendungsfrist, die am 4. November 1994 endete, hatte sie jedoch nicht zu erkennen gegeben, daß sie sich gegen verkehrsbedingte Immissionen zur Wehr setzen wollte. Gleiches gilt für die Gefährdung weiblicher Fahrgäste der S-Bahn, die die Klägerin erstmals in ihrem Schriftsatz vom 11. Februar 1998 als Problem bezeichnet hat. Mit diesem Vorbringen ist die Klägerin im Klageverfahren ausgeschlossen, wobei zu den Einwendungen im einzelnen folgendes zu bemerken ist:
In dem Schreiben vom 26. Oktober 1994, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann innerhalb der Einwendungsfrist an die Auslegungsstelle gerichtet hat, werden von der Klägerin nur Erschütterungen in der Bauphase angesprochen und geltend gemacht, diese könnten zu Schäden an dem Haus führen. Erschütterungen des Hauses durch den Eisenbahnverkehr sind kein Thema der klägerischen Einwendungen. In ihrem Schreiben vom 31. Oktober 1994 wird von der Klägerin zwar der “Bau der Schallmauer zwischen Ferngleisen und S-Bahngleisen” verlangt. Sie fordert damit aber erkennbar nicht den ihr als Anlieger der Eisenbahn zustehenden Verkehrslärmschutz ein, sondern beanstandet Unfallgefahren, die ihrer Ansicht nach den Benutzern der S-Bahn drohen, wenn sie sich auf dem geplanten Mittelbahnsteig aufhalten, während sich auf den benachbarten Fernbahngleisen Züge mit hoher Geschwindigkeit begegnen. Diese Unfallgefahren haben auch nichts mit den Risiken zu tun, auf die die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 11. Februar 1998 hinweist, wenn sie die nächtliche Benutzung des Fußgängertunnels durch weibliche Fahrgäste der S-Bahn als gefährlich bezeichnet.
c) Ausgeschlossen ist die Klägerin ferner mit ihrer Forderung, daß überprüft werden muß, “ob Güterzüge und Personenzüge mit den geplanten Geschwindigkeiten durch die enge Ortschaft Wohltorf fahren können, welche Abstände hier zur Bebauung eingehalten werden müssen, welche Hindernisse … an den Trassen stehen dürfen, insbesondere auch, ob die Trasse im Bereich des Ortes Wohltorf nicht abgesenkt werden muß” (Schriftsatz vom 22. Juni 1998, S. 2). Bei der Klägerin mögen “Zweifel an der Sicherheit des Zugverkehrs” erst durch den Unfall in Eschede ausgelöst worden sein. Die Klägerin war aber, wie noch auszuführen ist, nicht gehindert, derartige Zweifel bereits innerhalb der Einwendungsfrist vorzutragen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. § 32 VwVfG) kommt nicht in Betracht (vgl. BVerwGE 60, 297 ≪309≫). Es braucht deswegen nicht erörtert zu werden, ob der – auf eine Teilaufhebung beschränkte – Klageantrag überhaupt dem veränderten Klageziel gerecht werden könnte, das mit dem neuen Vortrag der Klägerin erkennbar wird.
Wenn die Möglichkeit, daß der Eisenbahnverkehr mit Gefahren für die Reisenden und im Einzelfall auch für die Anlieger der Trasse verbunden ist, der Klägerin erst durch den Unfall von Eschede bewußt geworden sein sollte, kann sie nicht für sich in Anspruch nehmen, die Einwendungsfrist unverschuldet versäumt zu haben. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AEG (i.d.F. des Gesetzes vom 11. Februar 1998 – BGBl I S. 342 –) sind die Eisenbahninfrastruktur, Fahrzeuge und Zubehör sicher zu bauen und in betriebssicherem Zustand zu halten. Diese Anforderungen gelten nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung vom 8. Mai 1967 – BGBl II S. 1563 – (EBO) als erfüllt, wenn die Bahnanlagen und Fahrzeuge den Vorschriften der genannten Verordnung und, soweit diese keine ausdrücklichen Vorschriften enthält, den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Dennoch ist ein Eisenbahnunglück kein unvorstellbares Ereignis. Es hat in der Geschichte der Eisenbahn schon vor Eschede Unfälle mit erheblichen Schadensfolgen gegeben, und es wird solche Unfälle auch in Zukunft geben. Verkehrssicherheit, die jede Gefahr ausschließt, ist nicht erreichbar (vgl. zum Unfall in Rheinweiler BGH, Urteil vom 10. Oktober 1978 – VI ZR 98 u. 99/77 – VersR 1978, 1163 ≪1164≫). Nicht zuletzt deswegen, weil der Eisenbahnverkehr ganz erhebliche Gefahren schafft, unterliegt die Beigeladene als Bahnbetriebsunternehmen nach § 1 des Haftpflichtgesetzes i.d.F. vom 4. Januar 1978 – BGBl I S. 145 – einer verschuldensunabhängigen Haftung. Die Tatsache, daß der Eisenbahnverkehr mit Gefahren verbunden ist und daß trotz moderner Sicherheitsvorkehrungen Unfälle nicht völlig auszuschließen sind, ist offensichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 1978, a.a.O.). Ein Planbetroffener, der bezweifelt, daß der bisher erreichte Stand der Sicherheitstechnik ausreicht, um die Gefahren des Eisenbahnverkehrs zu beherrschen, ist daher gehalten, mit seinen Sicherheitsbedenken als Einwender hervorzutreten. Dies stellt keine überspannten Anforderungen an die Mitwirkungslast, die durch die Einwendungsfrist im Planfeststellungsverfahren ausgelöst wird.
Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang, ob erst durch den Unfall in Eschede spezielle Sicherheitsrisiken des Hochgeschwindigkeitsverkehrs erkennbar geworden sind. Dem planfestgestellten Vorhaben liegt das Konzept zugrunde, die maximale Streckengeschwindigkeit von bisher 140 km/h auf 160 km/h anzuheben (vgl. einen anderen Planfeststellungsabschnitt der Strecke Hamburg – Büchen – Berlin betreffend BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 1997 – BVerwG 11 A 10.96 – UPR 1998, 147 ≪148≫). Ob und wann eine weitere Erhöhung auf 200 km/h, die die Beigeladene längerfristig wünscht, in Betracht kommt, ist offen und nicht Gegenstand dieser Planfeststellung. Die Frage, ob sich bei einem Hochgeschwindigkeitsverkehr spezielle sicherheitstechnische Anforderungen ergeben, brauchte die Planfeststellungsbehörde unter diesen Umständen nicht zu beantworten. Sie konnte vielmehr – wie geschehen – auf die Einhaltung der einschlägigen technischen Regelwerke verweisen, die das umfangreiche Erfahrungswissen in der Unfallverhütung für den Geschwindigkeitsbereich bis 160 km/h verarbeitet haben.
Ebensowenig brauchte die Planfeststellungsbehörde die Frage zu behandeln, welche Beschaffenheit die auf der Strecke verkehrenden Fahrzeuge aufweisen müssen, um als sicher zu gelten. Dies kann grundsätzlich in einem Planfeststellungsverfahren nicht entschieden werden. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AEG wird dort nur festgestellt, ob und wie der Schienenweg einschließlich der für seinen Betrieb notwendigen Anlagen gebaut oder geändert wird; zu diesen Betriebsanlagen der Bahn gehören nicht die Fahrzeuge (vgl. §§ 18 ff. EBO). Die in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin angesprochene Frage, wie sicher Räder mit Radreifen sind, wenn hiermit ausgerüstete Züge im S-Bahn-Verkehr eingesetzt werden, kann deswegen mit einer gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten Anfechtungsklage nicht einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden.
2. Auch soweit die Klägerin sich mit den Schreiben vom 26. und vom 31. Oktober 1994 rechtswirksam als Einwenderin am Planfeststellungsverfahren beteiligt hat, fehlt ihr die Möglichkeit, ihre Einwendungen mit einer gegen den Planfeststellungsbeschluß gerichteten Anfechtungsklage erfolgreich weiterzuverfolgen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erneut verdeutlicht, daß es ihr vorrangig darum geht, die “Zerstörung des Ortskernes” von Wohltorf zu verhindern, die sie als eine Folge des zweigleisigen Ausbaus der S-Bahn ansieht. Hierzu ist im einzelnen folgendes zu bemerken:
Hinsichtlich der Beeinträchtigung des Ortsbildes durch das “Parkdeck am Bahnhof Wohltorf”, die von der Klägerin am Schluß ihres Schreibens vom 31. Oktober 1994 gerügt wird, trifft der angefochte Planfeststellungsbeschluß keine Regelung. In den zu dem zum Erläuterungsbericht (Allgemeine Planunterlagen) gehörenden Plänen (Unterlage 4.7) ist zwar eine an den Haltepunkt Wohltorf angrenzende “P+R-Anlage” eingezeichnet. In dem Erläuterungsbericht (S. 11) selbst wird aber lediglich festgehalten, daß der Tunnel, der den Mittelbahnsteig des Haltepunkts erschließt, auf der Nordseite mittels Treppe und Rampe an das P+R-Gelände angeschlossen wird. Im Bauwerksverksverzeichnis erscheint die P+R-Anlage nicht. Auch der speziell die Aufhebung des Bahnübergangs “Eichenallee” in Wohltorf betreffende Erläuterungsbericht mit seinem Bauwerksverzeichnis und zugehörigen Plänen enthält keine Aussage zu der P+R-Anlage. Es ist deshalb davon auszugehen, daß sie nicht zu den planfestgestellten Eisenbahnanlagen zählt.
Im übrigen greift die Klägerin zwar in dem angefochten Planfeststellungsbeschluß enthaltene Regelungen an. Sie vermag als Klagegrund aber kein rechtlich geschütztes eigenes Interesse anzuführen. Dies gilt insbesondere für den von ihr – im Einklang mit ihrem Einwendungsschreiben vom 31. Oktober 1994 – geforderten Verzicht auf eine zweigleisige S-Bahntrasse. Wenn sie insoweit geltend macht, zur Befriedigung des vorhandenen Bedarfs für einen Nahverkehr reiche ein 20-Minuten-Takt aus, der – unstreitig – auf einer eingleisigen Strecke zu bewältigen sei, greift sie damit vorrangig die sog. Planrechtfertigung an; denn sie stellt in Frage, ob das Vorhaben einer zweigleisigen Trassenführung der S-Bahn “vernünftigerweise geboten” ist (vgl. z.B. BVerwGE 56, 110 ≪118 f.≫). Eine gerichtliche Überprüfung, ob eine Planfeststellung dem Gebot der Planrechtfertigung genügt, kann von der Klägerin – die von der Planung nicht enteignend betroffen ist – aber nicht verlangt werden. Denn im Anfechtungsprozeß gegen eine Planfeststellung sind in einem derartigen Fall nur rechtlich geschützte eigene Belange wehrfähig (vgl. z.B. BVerwG, Beschluß vom 13. März 1995 – BVerwG 11 VR 5.95 – Buchholz 445.5 § 17 WaStrG Nr. 3). Dies übersieht die Klägerin, wenn sie in diesem Zusammenhang – unter Bezugnahme auf ihre Eingabe an den Bundesrechnungshof vom 2. Dezember 1994 – die Unwirtschaftlichkeit der geplanten Maßnahme rügt. Damit wird eine eigene Rechtsbetroffenheit nicht aufgezeigt. Der in § 7 Abs. 1 der Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 – BGBl I S. 1284 – (BHO) niedergelegte Grundsatz der Wirtschaftlichkeit ist ein (ausschließlich) öffentlicher Belang; dem Privaten steht keine drittschützende Norm zur Verfügung, auf die er sich berufen könnte, um unter diesem Aspekt eine gerichtliche Überprüfung der Planrechtfertigung zu erzwingen. Nichts anderes gilt für das im Planfeststellungsbeschluß angesprochene Vermeidungs- und Minimierungsgebot, auf das sich nunmehr auch die Klägerin hinweist, um das Vorhaben zumindest teilweise zu verhindern. Damit ist nämlich die – ebenfalls (ausschließlich) im öffentlichen Interesse getroffene – naturschutzrechtliche Eingriffsregelung des § 8 Abs. 2 und 3 des Bundesnaturschutzgesetzes i.d.F vom 12. März 1987 – BGBl I S. 889 – (BNatSchG) – angesprochen. Auch hieraus kann der Klägerin ein Abwehrrecht gegen die Planung nicht erwachsen.
Soweit sich die Klägerin schließlich gegen die “optische Verunstaltung eines dörflichen Kerns” zur Wehr setzen möchte, ist ihr zuzugeben, daß sie damit zumindest einen Bezug zur eigenen “Lebensqualität” aufzeigt. Dieser private Belang ist aber nicht rechtlich geschützt, und zwar auch nicht, soweit die Klägerin als Eigentümerin und Bewohnerin eines Hauses, das zu diesem Ortskern zählt, ein gesteigertes Interesse an dessen unveränderter Erhaltung haben mag. Die Rechtsordnung erkennt dem Grundbesitz gegenüber ”ästhetischen” Auswirkungen der genannten Art keinen Schutz zu. Vielmehr überantwortet sie gemäß § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 des Baugesetzbuches i.d.F. vom 27. August 1997 – BGBl I S. 2141 – (BauGB) den Schutz eines Ortsbildes weitgehend der Planungshoheit der Gemeinde. Wenn die Gemeinde im Rahmen ihrer örtlichen “Verkehrspolitik” (vgl. dazu BVerwG, Beschluß vom 22. April 1997 – BVerwG 4 BN 1.97 – NVwZ-RR 1998, 217) eine Beeinträchtigung des Ortsbildes durch die überörtliche Fachplanung in Kauf nimmt, weil aus ihrer Sicht anderen öffentliche Belangen – hier dem Interesse an der Vermeidung unzumutbar langer Schrankenschließungszeiten an dem Bahnübergang “Eichenallee” – größeres Gewicht zukommt, eröffnet der Rechtsweg Privaten keine Möglichkeit zur Überprüfung dieser Entscheidung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Dr. Diefenbach, Dr. Storost, Kipp, Vallendar, Prof. Dr. Rubel
Fundstellen
Haufe-Index 1457405 |
NVwZ 1999, 70 |
DÖV 1999, 37 |
ZUR 1999, 173 |
ZUR 1999, 228 |
DVBl. 1998, 1191 |
UPR 1998, 455 |