Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 04.08.2011; Aktenzeichen 2 S 83/11) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. August 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger begehrt die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen für das ihm ärztlich verordnete Arzneimittel “Sortis 40 mg Filmtabletten No. 100”.
Rz. 2
Als Berufssoldat im Ruhestand ist er Versorgungsempfänger der Beklagten mit einem Beihilfebemessungssatz von 70 v.H.
Rz. 3
Anfang März 2009 beantragte er die Gewährung einer Beihilfe für die am 14. Februar 2009 erfolgte Beschaffung einer Packung des vorbezeichneten Medikaments zu einem Apothekenverkaufspreis von 193,52 €. Mit Bescheid vom 19. März 2009 setzte die Beklagte die Beihilfe insoweit auf einen Betrag von 31,49 € fest. Hierbei erkannte sie einen Festbetrag von 49,99 € abzüglich eines Eigenbehalts in Höhe von 5 € an. Widerspruch und Klage des Klägers blieben erfolglos.
Rz. 4
Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung des Klägers stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger für die Beschaffung des Medikaments “Sortis” eine weitere Beihilfe in Höhe von 91,02 € zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: § 22 Abs. 3 Satz 1 Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) bestimme selbst keine konkreten Festbeträge. Die Vorschrift lasse sich insbesondere nicht als dynamische Verweisung auf die Vorschrift des § 35 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und die auf dieser Grundlage getroffenen Festbetragsregelungen für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung auslegen. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV müssten die Festbeträge vielmehr eigenständig in Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern bestimmt werden. Dies sei nicht geschehen. Die in Nr. 22.3.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung (VwV-BBhV) enthaltene Regelung treffe lediglich allgemeine Vorgaben, wie die Festbeträge abstrakt zu ermitteln seien, und wiederhole hierbei nur einen Teil des Wortlauts von § 35 SGB V. Nr. 22.3.2 VwV-BBhV regele lediglich, auf welcher Grundlage die Festbeträge zu ermitteln seien, ohne diese selbst festzusetzen. Zudem sehe Nr. 22.3.2. VwV-BBhV eine allgemeine Delegation der Bestimmung konkreter Festbeträge auf die einzelnen Beihilfestellen vor, was von § 22 Abs. 3 BBhV nicht gedeckt sei. Daher komme es auf die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine solche Festbetragsregelung im Rahmen des Beihilferechts überhaupt getroffen werden könne, nicht an.
Rz. 5
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs. 3 BBhV i.V.m. Nummer 22.3 VwV-BBhV.
Rz. 6
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Rz. 7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht führt aus, generell verstießen Festbeträge nicht gegen die Fürsorgepflicht des Dienstherrn.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, das bis zum Ablauf des 19. September 2012 geltende Beihilferecht des Bundes enthalte keine Rechtsgrundlage, welche die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel auf Festbeträge beschränke, steht mit Bundesrecht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Rz. 9
1. Der Kläger hat einen Anspruch auf die von ihm begehrte weitere Beihilfe für das Arzneimittel “Sortis” aus § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 und § 22 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV) vom 13. Februar 2009 (BGBl I S. 326). Diese Normen finden hier Anwendung, da die maßgeblichen Aufwendungen mit dem Erwerb des Arzneimittels am 14. Februar 2009, dem Tag des Inkrafttretens der Bundesbeihilfeverordnung, entstanden sind. Beihilferechtliche Streitigkeiten sind grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen, für die Beihilfen verlangt werden, zu beurteilen (stRspr, vgl. Urteile vom 28. Juni 1965 – BVerwG 8 C 80.64 – BVerwGE 21, 264 ≪265 ff.≫ = Buchholz 238.91 Nr. 12 Abs. 1 BhV Nr. 1 S. 2 ff., vom 24. März 1982 – BVerwG 6 C 95.79 – BVerwGE 65, 184 ≪187≫ = Buchholz 238.4 § 30 SG Nr. 6 S. 10 und vom 30. April 2009 – BVerwG 2 C 127.07 – Buchholz 270 § 12 BhV Nr. 3 Rn. 7).
Rz. 10
a) Der Kläger ist als Soldat im Ruhestand Versorgungsempfänger und damit beihilfeberechtigt (§ 31 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten – Soldatengesetz – SG – i.d.F. der Bekanntmachung vom 30. Mai 2005 – BGBl I S. 1482 –, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Februar 2009 – BGBl I S. 160 – i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 des Bundesbeamtengesetzes – BBG – i.d.F. des Gesetzes vom 5. Februar 2009 – BGBl I S. 160 –, § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 BBhV).
Rz. 11
b) Die Aufwendungen des Klägers sind auch beihilfefähig gemäß § 80 Abs. 2 BBG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBhV. Die Beihilfefähigkeit erstreckt sich danach grundsätzlich nur auf notwendige und wirtschaftlich angemessene Aufwendungen.
Rz. 12
Aufwendungen in Krankheitsfällen sind dem Grunde nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden oder der Beseitigung oder dem Ausgleich physischer oder psychischer Beeinträchtigungen dient. Der Höhe nach wirtschaftlich angemessen sind Aufwendungen, wenn und soweit keine gleich wirksame preisgünstigere Behandlung zur Verfügung steht (Urteil vom 17. Oktober 2011 – BVerwG 2 C 14.10 – BVerwGE 141, 69 = Buchholz 271 LBeihilfeR Nr. 41, jeweils Rn. 14 m.w.N.).
Rz. 13
Die Notwendigkeit der Aufwendungen für das dem Kläger schriftlich verordnete (vgl. § 22 Abs. 1 BBhV a.F.) und von den Ausschlusstatbeständen des § 22 Abs. 2 BBhV (a.F.) nicht erfasste Medikament “Sortis 40 mg Filmtabletten No. 100” sowie die wirtschaftliche Angemessenheit dieser Aufwendungen stehen zwischen den Beteiligten – wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bekräftigt hat – nicht im Streit. Dies in Zweifel zu ziehen, sieht der Senat auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) keinen Anlass.
Rz. 14
c) Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen des Klägers ist nicht durch Festbeträge beschränkt. Festbeträge bedürfen, wenn sie als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen den Grundsatz einschränken, dass Beihilfe gewährt wird, soweit die Aufwendungen für Arzneimittel notwendig und angemessen sind, einer wirksamen Rechtsgrundlage (Urteil vom 28. Mai 2009 – BVerwG 2 C 28.08 – Buchholz 270 § 6 BhV Nr. 19 Rn. 14). Eine solche findet sich weder in der Bundesbeihilfeverordnung (aa) noch in den hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften (bb).
Rz. 15
aa) Obgleich es nicht an einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung fehlt (1), hat der Verordnungsgeber in § 22 Abs. 3 BBhV (a.F.) keine Festbetragsregelung normiert (2). Nichts anderes folgt aus § 7 BBhV (3).
Rz. 16
(1) Eine hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung, die den Verordnungsgeber dazu ermächtigt, eine Begrenzung der Beihilfefähigkeit für Arzneimittel auf Festbeträge zu normieren, findet sich in § 80 Abs. 4 BBG. Danach regelt das Bundesministerium des Innern im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium der Finanzen, dem Bundesministerium der Verteidigung und dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung die Einzelheiten der Beihilfegewährung, insbesondere der Höchstbeträge, des völligen oder teilweisen Ausschlusses von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln in Anlehnung an das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch und der Berücksichtigung von Kindern.
Rz. 17
Die Vorschrift erfasst auch Festbeträge, obgleich diese – anders als die ausdrücklich genannten Höchstbeträge sowie der vollständige und partielle Ausschluss von Arzneimitteln – nicht ebenfalls beispielhaft aufgeführt sind. Dabei bedarf es keiner vertieften Betrachtung, ob Festbeträge nicht bereits als Unterfall der Höchstbeträge begriffen werden können. Mit der Änderung des § 80 Abs. 4 BBG durch das Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts (Dienstrechtsneuordnungsgesetz – DNeuG) vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) bezweckte der Gesetzgeber die wirkungsgleiche Übertragung von Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Beihilferecht (BRDrucks 720/07 S. 218 f.). § 35 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB V – vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) i.d.F. des Gesetzes vom 15. Dezember 2008 (BGBl I S. 2426) enthielt bereits eine Regelung zur Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 80 Abs. 4 BBG beabsichtigte, dieses bedeutsame Instrument zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Gesundheitswesen von der Übertragung auszunehmen, bestehen nicht.
Rz. 18
(2) § 22 Abs. 3 BBhV (a.F.) bestimmt – wie auch der Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt hat – jedoch weder selbst Festbeträge, noch enthält diese Norm eine bindende (dynamische) Verweisung auf die Vorschrift des § 35 SGB V und die auf dieser Grundlage für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung getroffene Festbetragsregelung (so zutreffend auch VGH Kassel, Urteil vom 8. September 2011 – 1 A 2556/10 – DVBl 2011, 1498; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2012 – OVG 6 B 13.11 – juris Rn. 14). Dies folgt bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BBhV (a.F.) bestimmt das Bundesministerium des Innern in Verwaltungsvorschriften Festbeträge im Sinne von § 35 SGB V. Damit bleiben diese ausdrücklich einer Regelung in Verwaltungsvorschriften vorbehalten. Für ihre Bestimmung verweist § 22 Abs. 3 Satz 2 BBhV (a.F.) auf die Grundsätze des § 35 SGB V, ohne deren unmittelbare und verbindliche Anwendung anzuordnen. § 22 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 1 BBhV (a.F.) sieht eine Orientierung an den in § 35 SGB V getroffenen Entscheidungen und Bewertungen vor, ohne Inhalt und Ausmaß dieser Orientierung zu konkretisieren. § 22 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2 BBhV (a.F.) erlegt dem Bundesministerium des Innern die Berücksichtigung der Fürsorgepflicht des § 78 BBG auf, ohne insoweit Näheres zu regeln. Auch die Entscheidung, nach welchen Maßstäben über das Entfallen des Eigenbehaltes nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 BBhV zu entscheiden ist, bleibt in § 22 Abs. 3 Satz 5 BBhV (a.F.) einer näheren Bestimmung in Verwaltungsvorschriften vorbehalten.
Rz. 19
(3) § 7 Satz 2 BBhV greift das Konzept einer wirkungsgleichen Übertragung von Änderungen im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung auf und hält die Rechtsanwendung an, sich unter Berücksichtigung des Fürsorgegrundsatzes nach § 78 BBG an Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuches zu orientieren. § 7 Satz 3 BBhV erstreckt dieses Gebot zwar auch auf § 22 BBhV (a.F.). Die Vorgabe des § 7 Satz 2 BBhV steht aber unter der Prämisse einer verbindlichen Verweisung auf die betreffenden sozialgesetzlichen Regelungen. Eine solche Verweisung sieht § 22 Abs. 3 BBhV (a.F.) – anders etwa als § 22 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 oder Abs. 5 Satz 2 BBhV (a.F.) – nicht vor.
Rz. 20
bb) Eine Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel vermitteln auch nicht die Verwaltungsvorschriften des Bundesministeriums des Innern. Unabhängig davon, ob Festbeträge als Obergrenzen für die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für Arzneimittel vor dem Hintergrund des Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes überhaupt wirksam in Verwaltungsvorschriften bestimmt werden könnten (vgl. Urteile vom 17. Juni 2004 – BVerwG 2 C 50.02 – BVerwGE 121, 103 ≪107≫ = Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 123 S. 11, vom 20. März 2008 – BVerwG 2 C 49.07 – BVerwGE 131, 20 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 94, jeweils Rn. 12, und vom 28. Mai 2009 a.a.O. Rn. 19), ist jedenfalls eine entsprechende Bestimmung in Nr. 22.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Bundesbeihilfeverordnung (BBhV-VwV) vom 14. Februar 2009 (GMBl S. 138) nicht getroffen worden.
Rz. 21
Nr. 22.3.1 BBhV-VwV enthält lediglich Richtlinien für die Ermittlung der beihilfefähigen Festbeträge. Festbeträge werden damit in dieser Verwaltungsvorschrift nicht selbst niedergelegt, sondern ihre Festsetzung wird mit der Maßgabe, dass der Fürsorgegrundsatz zu berücksichtigen ist, der rechtsanwendenden Verwaltung überantwortet. Eine (dynamische) Verweisung, die die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellte Übersicht für unmittelbar anwendbar erklärt, enthält die Verwaltungsvorschrift ebenfalls nicht. Die in Nr. 22.3.2 BBhVVwV in Bezug genommene Übersicht über sämtliche Festbeträge und die betroffenen Arzneimittel wird nur als “Grundlage” für eine noch vorzunehmende beihilfespezifische “Ermittlung des beihilfefähigen Festbetrages” herangezogen.
Rz. 22
Für eine Bestimmung von Festbeträgen genügt es schließlich auch nicht, wenn – wie teilweise geltend gemacht worden ist – entsprechende Daten in ein behördeninternes Datenverarbeitungssystem eingegeben werden. Ungeachtet der Frage der genauen rechtlichen Einordnung dieses Vorgangs liegt darin weder eine von § 22 Abs. 3 BBhV (a.F.) vorgesehene (schriftliche) Niederlegung in Verwaltungsvorschriften, noch könnte die bloße Eingabe in ein Datenverarbeitungssystem den rechtsstaatlichen Publizitätsanforderungen gerecht werden (vgl. Urteil vom 25. November 2004 – BVerwG 5 CN 1.03 – BVerwGE 122, 264 ≪268 ff.≫ m.w.N.).
Rz. 23
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Vormeier, Stengelhofen, Dr. Störmer, Dr. Häußler, Dr. Fleuß
Fundstellen