Entscheidungsstichwort (Thema)
Lärmsanierung einer Fernstraße durch Bau einer (einseitigen) Schallschutzwand; Lärmumverteilung; Anspruch der durch Schallreflexion beeinträchtigten auf der anderen Straßenseite wohnenden Straßenanlieger auf Übernahme der Kosten für passiven Lärmschutz
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Errichtung einer Schallschutzwand zur Lärmsanierung an einer vorhandenen Bundesfernstraße ist - für sich genommen - keine "Änderung" im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG.
2. § 41 Abs. 1 BImSchG schließt, soweit es um Lärmschutz geht, grundsätzlich die Anwendung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG aus. Das gilt allerdings nicht, wenn eine zwecks Lärmsanierung an einer vorhandenen Straße einseitig errichtete Schallschutzwand durch Reflexion des vorhandenen Verkehrslärms zu einer zusätzlichen Lärmbeeinträchtigung von Anwohnern auf der gegenüberliegenden Straßenseite führt.
Orientierungssatz
1. (zu LS 1) Ein Änderung der Straße im Sinne des § 41 Abs. 1 BImSchG verlangt einen inneren Bezug der beabsichtigten Maßnahme zu der bereits vorhandenen Verkehrsfunktion der Straße. Die "Änderung der Straße" muß sich auf deren vorausgesetzte und planerisch gewollte Leistungsfähigkeit beziehen. Dazu ist notwendig, daß die vorgesehene Maßnahme zu einer vermehrten Aufnahme des Straßenverkehrs führt. In der beabsichtigten Steigerung der Leistung der Straße als aufnehmender Verkehrsweg liegt der gesetzgeberische Grund, nunmehr erneut sicherzustellen, daß durch die Änderung keine nach dem Stand der Technik vermeidbaren schädlichen Umwelteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden.
2. (zu LS 2) Neben dem durch §§ 41 ff. BImSchG normierten Lärmschutzsystem kommt ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG inhaltlich (materiell) nur nach Maßgabe des § 42 Abs. 2 Satz 2 BImSchG in Betracht. Das gilt auch dann, wenn § 41 Abs. 1 BImSchG nur deshalb nicht anzuwenden ist, weil seine tatbestandlichen Voraussetzungen zu verneinen sind. Der in §§ 41 ff. BImSchG enthaltene kodifikatorische Anspruch des Gesetzgebers ist auch in diesem Falle zu beachten.
3. Entscheidet sich die Planfeststellungsbehörde zu einer Lärmsanierung, so unterliegt sie hierbei dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung. Dieses Gebot läßt ihr einen erheblichen Spielraum. Sofern sie aus vernünftigen Gründen zu sachangemessenen Entscheidungen gelangt, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gebot der Gleichbehandlung würde aber verletzt werden, wenn die staatliche Maßnahme, die zum Vorteil des einen bestimmt ist, dem anderen zusätzliche Nachteile aufbürdet.
4. Kann der Träger der Straßenbaulast den zu Recht beanspruchten Lärmschutz aus technischen Gründen nur erreichen, wenn er hierzu Maßnahmen ergreift, deren Wirkung über das rechtlich gebotene Maß hinausgeht, so darf sich dies nicht zum Nachteil der Betroffenen in der Weise auswirken, daß diese sich an den Kosten zur Vermeidung des Eingriffs beteiligen müssen.
Normenkette
BImSchG § 41 Abs. 1; VwVfG § 74 Abs. 2 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 16.09.1993; Aktenzeichen 7 K 1875/92) |
Fundstellen
Haufe-Index 543898 |
BVerwGE, 367 |