Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens für Ausnahme von Veränderungssperre. maßgeblicher Zeitpunkt
Leitsatz (amtlich)
Klagt eine Gemeinde gegen die Verlängerung eines Bauvorbescheids, die unter Zulassung einer Ausnahme von einer Veränderungssperre und unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilt worden ist, beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des Bescheids nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses.
Normenkette
BauGB § 14 Abs. 3, 2 Sätze 1-2, § 36 Abs. 2 S. 3; VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 24.03.2015; Aktenzeichen 5 S 642/13) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 04.10.2012; Aktenzeichen 6 K 594/11) |
Tatbestand
Rz. 1
Die klagende Gemeinde wendet sich gegen die Verlängerung eines den Beigeladenen erteilten Bauvorbescheids, über die unter Zulassung einer Ausnahme von der von der Klägerin beschlossenen Veränderungssperre und Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens entschieden wurde.
Rz. 2
Die Beigeladenen sind Eigentümer eines Grundstücks auf der Insel Reichenau, das mit einem Wohnhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung "Insel Reichenau" vom 18. März 1954. Ein Bebauungsplan bestand ursprünglich nicht. Das zuständige Landratsamt erteilte den Beigeladenen im Einvernehmen mit der Klägerin bereits 1992 einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid zur Errichtung eines (weiteren) Wohngebäudes auf ihrem Grundstück und stellte gleichzeitig eine naturschutzrechtliche Befreiung in Aussicht. In der Folgezeit verlängerte das Landratsamt den Vorbescheid mehrfach mit Zustimmung der Klägerin, zuletzt bis zum 16. Oktober 2009.
Rz. 3
Im Oktober 2009 beantragten die Beigeladenen abermals die Verlängerung des Vorbescheids. Hiergegen wandte sich die Klägerin im Hinblick auf die Lage des Baugrundstücks im Landschaftsschutzgebiet. Am 30. November 2009 beschloss sie die Aufstellung eines Bebauungsplans und den Erlass einer Veränderungssperre. Aufstellungsbeschluss und Veränderungssperre wurden ortsüblich bekannt gemacht; das Landratsamt wurde hiervon in Kenntnis gesetzt. Einer Ausnahme von der Veränderungssperre stimmte die Klägerin nicht zu.
Rz. 4
Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid verlängerte das Landratsamt den Vorbescheid unter Gewährung einer Ausnahme von der Veränderungssperre bis zum 16. Oktober 2012. Gleichzeitig ersetzte es das von der Klägerin verweigerte Einvernehmen. Widerspruch und erstinstanzliche Klage der Gemeinde blieben erfolglos. Während des Klageverfahrens trat die Veränderungssperre am 3. Dezember 2011 außer Kraft. Am 8. Dezember 2011 machte die Klägerin erneut eine Veränderungssperre ortsüblich bekannt. Im Dezember 2012 stellten die Beigeladenen einen Bauantrag.
Rz. 5
Auf die Berufung der Klägerin änderte der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts und hob den Verlängerungs- sowie den Widerspruchsbescheid auf. Die Verlängerung sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens habe eine wirksame Veränderungssperre bestanden. Die rechtswidrige Verlängerung des Vorbescheids sei nicht dadurch rechtmäßig geworden, dass während des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens für einen kurzen Zeitraum keine wirksame Veränderungssperre bestanden habe. Aus § 14 Abs. 3 BauGB folge nichts anderes. Der Norm könne nicht entnommen werden, dass mit dem Wegfall einer Veränderungssperre ein rechtswidrig erteilter, noch nicht bestandskräftiger Vorbescheid rechtmäßig werde und nicht weiter mit Erfolg angefochten werden könne. Es verbleibe vielmehr bei seiner Rechtswidrigkeit. Daran ändere auch der im Nachbarrechtsstreit anerkannte Grundsatz nichts, dass eine im Laufe eines Rechtsmittelverfahrens eingetretene, dem Bauherrn günstige Rechtsänderung zu berücksichtigen sei. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB hätten nicht vorgelegen, die Klägerin habe ihr nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB erforderliches Einvernehmen in rechtmäßiger Weise versagt. Durch die Ersetzung des Einvernehmens werde die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Rz. 6
Die Beigeladenen haben die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie äußern Zweifel daran, ob die Veränderungssperre auch ihnen gegenüber wirksam geworden sei, und sind der Meinung, dass eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB zu Recht erteilt worden sei. Unabhängig davon sei der verlängerte Bauvorbescheid nicht durchgängig rechtswidrig gewesen. Mit Ablauf der Gültigkeit der ersten Veränderungssperre sei eine Rechtsänderung eingetreten, die zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sei; das spätere Inkrafttreten der (weiteren) Veränderungssperre sei dagegen unbeachtlich, weil Rechtsänderungen zulasten des Bauherrn außer Betracht zu bleiben hätten. Jedenfalls durch das Außerkrafttreten der Veränderungssperre sei eine möglicherweise rechtswidrige Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens rechtmäßig geworden. Das folge (auch) aus § 14 Abs. 3 BauGB.
Rz. 7
Der Beklagte unterstützt die Rechtsposition der Beigeladenen, die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Rz. 9
1. Die Revision ist zulässig, insbesondere besteht das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist die begrenzte Geltungsdauer des Verlängerungsbescheids bereits verstrichen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass sie aufgrund der Klage der Gemeinde unterbrochen (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29. Oktober 2013 - 3 S 2643/11 - juris Rn. 24 unter Hinweis auf VGH Mannheim, Urteil vom 25. März 1999 - 8 S 218/99 - VBlBW 1999, 269) oder zumindest gehemmt worden ist und der Bescheid deshalb noch Rechtswirkungen, insbesondere im Hinblick auf den im Dezember 2012 von den Beigeladenen gestellten Bauantrag, entfalten kann.
Rz. 10
2. Die Revision ist jedoch unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Rz. 11
Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verlängerungsbescheids im Hinblick auf das ersetzte Einvernehmen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Ergehens beurteilt (a). Bundesrechtlich nicht zu beanstanden sind ferner die Annahmen, dass die Veränderungssperre im maßgeblichen Zeitpunkt wirksam gewesen sei (b) und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nicht vorgelegen hätten (c), weshalb die Klägerin ihr Einvernehmen in rechtmäßiger Weise verweigert habe.
Rz. 12
a) Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Verlängerung des Vorbescheids unter Ersetzung des nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB erforderlichen und von der Klägerin verweigerten Einvernehmens zu Recht erfolgt ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung.
Rz. 13
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beurteilt sich die Frage, ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger i.S.v. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt, nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1969 - 8 C 112.67, 8 C 115.67 - BVerwGE 34, 155 ≪157 f.≫, vom 21. Mai 1976 - 4 C 80.74 - BVerwGE 51, 15 ≪24≫, vom 3. November 1987 - 9 C 254.86 - BVerwGE 78, 243 ≪244≫, vom 17. Oktober 1989 - 9 C 58.88 - NVwZ 1990, 654 und vom 31. März 2004 - 8 C 5.03 - BVerwGE 120, 246 ≪250≫). Vorliegend ist die Verlängerung eines Vorbescheids unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zu einer Ausnahme von einer Veränderungssperre streitgegenständlich. Der materiell-rechtliche Bezugspunkt zur Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts ist das aus der gemeindlichen Planungshoheit folgende Recht der Bauleitplanung (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113 Rn. 10) und deren Sicherung durch eine Veränderungssperre, die in § 14 BauGB bundesrechtlich geregelt ist. Hiervon ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgegangen (UA S. 8).
Rz. 14
Bei der Klage einer Gemeinde gegen eine Genehmigung, die unter Ersetzung des nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB erforderlichen Einvernehmens erteilt wurde, ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids abzustellen; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen müssen unberücksichtigt bleiben. Das hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt (UA S. 9 f.). Insoweit kann auf die zu § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ergangene Rechtsprechung des Senats zurückgegriffen werden. Nach dieser Vorschrift kann die nach Landesrecht zuständige Behörde das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen ersetzen, wenn es von der Gemeinde rechtswidrig verweigert worden ist. Da die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB genannten Gründen versagen darf, sind die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen (BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2010 - 4 C 4.08 - BVerwGE 137, 247 Rn. 32). Für diese Prüfung ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids abzustellen (BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2010 a.a.O. Rn. 17). Erweist sich danach die Ersetzung als rechtswidrig, hat die Anfechtungsklage der Gemeinde Erfolg. Ob der Bauherr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Baugenehmigung hat, ist dagegen irrelevant. Denn der Gesetzgeber hat in dem Konflikt zwischen Planungshoheit und Baufreiheit eine eindeutige Regelung getroffen, der zufolge gegen den Willen der Gemeinde in den Fällen des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zu einer gerichtlichen Klärung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens auf die Verpflichtungsklage des Bauherrn hin keine Baugenehmigung erteilt werden darf (BVerwG, Urteile vom 10. August 1988 - 4 C 20.84 - ≪insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 406.11 § 36 BBauG/BauGB Nr. 40≫ = juris Rn. 22 und vom 26. März 2015 - 4 C 1.14 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 60 Rn. 17 m.w.N.). Der Bundesgesetzgeber wollte mit der Einvernehmensregelung erreichen, dass die Gemeinde sich mit ihren Vorstellungen auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetzt (BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 62.98 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 54 = juris Rn. 13). Diese Rechtsprechung ist auf das Einvernehmenserfordernis nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB übertragbar, denn § 14 BauGB dient - wie die Überschrift des Ersten Kapitels, Zweiter Teil des Baugesetzbuchs belegt - der Sicherung der Bauleitplanung (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2016, § 14 Rn. 1 und 106) und damit ebenfalls der Wahrung der gemeindlichen Planungshoheit (vgl. zu § 36 BauGB z.B. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2010 - 4 C 4.08 - BVerwGE 137, 247 Rn. 32).
Rz. 15
Die Beigeladenen können sich nicht darauf berufen, dass der angefochtene Bescheid nicht durchgängig rechtswidrig gewesen sei. Die Vorstellung, für einen Aufhebungsanspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sei es erforderlich, dass der angefochtene Verwaltungsakt während seiner gesamten Wirksamkeit rechtswidrig ist, ist rechtsirrig; sie setzt voraus, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt durch eine nachträgliche Sach- und/oder Rechtslagenänderung rechtmäßig werden kann. Davon ist für Verwaltungsakte, die - wie hier - keine sogenannten Dauerverwaltungsakte darstellen, grundsätzlich nicht auszugehen (vgl. etwa Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 97). Ändert sich die Rechtslage und führt dies dazu, dass der Verwaltungsakt nunmehr ergehen darf, bleibt der Verwaltung nur die Möglichkeit, ihn unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids und gegebenenfalls unter Wiederholung der Beteiligung der Gemeinde neu zu erlassen (vgl. Schenke, NVwZ 1986, 522 ≪530≫). Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Rechtsänderung ausdrücklich Rückwirkung beigemessen wird (Wolff, in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 113 Rn. 108) und der Verwaltungsakt auf der Grundlage des geänderten Rechts nunmehr rechtmäßig ist (BVerwG, Urteile vom 25. November 1981 - 8 C 14.81 - BVerwGE 64, 218 ≪223≫ und vom 27. April 1990 - 8 C 87.88 - NVwZ 1991, 360 ≪360, 361≫). Dies ist beim Außerkrafttreten einer Veränderungssperre wegen Ablaufs ihrer Geltungsdauer nicht der Fall. Aus § 14 Abs. 3 BauGB, auf den sich die Beigeladenen berufen, folgt nichts anderes. Da vorliegend die Veränderungssperre zeitlich der Verlängerung des Vorbescheids vorausging, greift § 14 Abs. 3 BauGB schon tatbestandlich nicht ein.
Rz. 16
Keiner Klärung bedarf, ob Rechtsänderungen, die nach Ergehen der Ersetzungsentscheidung, aber vor Erlass des Widerspruchsbescheids eintreten, von der Widerspruchsbehörde nach Maßgabe des Landesrechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Februar 1986 - 4 C 43.83 - Buchholz 406.11 § 36 BBauG Nr. 35 = juris Rn. 23 f.) berücksichtigt werden können. Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Rz. 17
Die Beigeladenen können sich schließlich auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sog. Nachbarrechtsbehelfen berufen, wonach Änderungen zu Lasten des Bauherrn, die nach der Genehmigungserteilung eintreten, außer Betracht bleiben, nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten dagegen Berücksichtigung finden (z.B. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 - NVwZ 1998, 1179). Der dahinter stehende Gedanke ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est") führt nicht zur nachträglichen Rechtmäßigkeit eines im maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrigen Bescheids. Es handelt sich vielmehr um eine Fallgruppe des auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211 Rn. 29). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit der nach Maßgabe des einschlägigen Rechts gewährleisteten Baufreiheit nicht zu vereinbaren wäre, eine im Zeitpunkt des Erlasses rechtswidrige Baugenehmigung aufzuheben, die sogleich nach der Aufhebung wieder erteilt werden müsste (BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 - NVwZ 1998, 1179). Darum geht es hier aber nicht. Denn bei der Klage einer Gemeinde gegen eine unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Genehmigung kommt es nicht darauf an, ob der Bauherr einen Anspruch auf deren Erteilung besitzt. Der Gesetzgeber wollte mit den Einvernehmensregelungen den Gemeinden eine Rechtsposition einräumen, die sich auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetzen kann. Anders als im Verhältnis zweier benachbarter Grundstückseigentümer, welche bei der Verwirklichung eines Bauvorhabens wechselseitig Rücksicht zu nehmen und die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben zu beachten haben, wird die Rechtsstellung der Gemeinde von anderen, nämlich von öffentlichen Interessen geprägt. Insoweit nimmt die Gemeinde mit § 36 Abs. 1 BauGB oder § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB eine ihr kompetenzmäßig zugewiesene Befugnis wahr, die es ihr gestattet, jene planerischen Ziele wirksam zu verfolgen, deren Erfüllung sie aus städtebaulichen Gründen für geboten erachtet (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1991 - 4 C 31.89 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 46 S. 12 f.). Dabei folgt aus der gemeindlichen Planungshoheit das - bereits im Anfechtungsprozess zu beachtende - Recht der Gemeinde, bis zu dem Zeitpunkt, in dem eine Baugenehmigung erteilt - oder wie hier ein Vorbescheid verlängert - wird, die planungsrechtlichen Voraussetzungen zu Lasten des Bauherrn im Wege der Bauleitplanung zu ändern. Erst die erteilte Genehmigung setzt der gemeindlichen Planungshoheit eine Grenze (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 4 C 9.07 - BVerwGE 130, 113 Rn. 10). Damit markiert der Erlass der Baugenehmigung bzw. hier der Erlass des Verlängerungsbescheids zugleich den Zeitpunkt für die Frage, ob die Gemeinde ihr Einvernehmen zu Recht versagt hat. Für die Berücksichtigung von danach eintretenden Rechtsänderungen, auch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, ist kein Raum. Die Gemeinde hat vielmehr ein Recht zu erfahren, ob die planungsrechtlichen Schritte, die sie bis zum Erlass der Baugenehmigung unternommen hat, ausreichend waren, um auf das streitige Vorhaben Einfluss zu nehmen.
Rz. 18
b) Ohne Bundesrechtsverstoß ist der Verwaltungsgerichtshof von der Wirksamkeit der Veränderungssperre im maßgeblichen Zeitpunkt ausgegangen.
Rz. 19
Nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt erlassen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Eine Veränderungssperre darf erst erlassen werden, wenn die Planung, die sie sichern soll, ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (stRspr; BVerwG, Beschlüsse vom 1. Oktober 2009 - 4 BN 34.09 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 29 und vom 21. Oktober 2010 - 4 BN 26.10 - BRS 76 Nr. 108; Urteil vom 19. Februar 2004 - 4 CN 16.03 - BVerwGE 120, 138 ≪146 f.≫). Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat (BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1990 - 4 B 191.89 - Buchholz 406.11 § 15 BBauG/BauGB Nr. 6). Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus. Denn wenn Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundflächen fehlen, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans noch offen. Die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären - auch vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG - nicht erträglich, wenn sie zur Sicherung einer Planung dienen sollte, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 - 4 CN 13.03 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 26 S. 10). Die Veränderungssperre schützt die künftige Planung, nicht aber lediglich die abstrakte Planungshoheit (BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 4 C 1.11 - BVerwGE 144, 82 Rn. 10; Beschluss vom 19. Mai 2004 - 4 BN 22.04 - BRS 67 Nr. 119). Insofern ist es grundsätzlich erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre zumindest Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung besitzt, sei es, dass sie einen bestimmten Baugebietstyp, sei es, dass sie nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzungen ins Auge gefasst hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2012 - 4 C 1.11 - BVerwGE 144, 82 Rn. 12; Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - 4 BN 26.10 - BRS 76 Nr. 108 und vom 5. Februar 1990 - 4 B 191.89 - Buchholz 406.11 § 15 BBauG/BauGB Nr. 6).
Rz. 20
Von diesen rechtlichen Maßstäben hat sich der Verwaltungsgerichtshof leiten lassen. Nach seinen mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) diente die mit dem Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans "Mittelzell-Nord" begonnene Planung der Steuerung der Nachverdichtung im Plangebiet, in dem auch das Grundstück der Beigeladenen liegt. Denn nach der Begründung zum Aufstellungsbeschluss habe der Bebauungsplan der Umsetzung des Entwicklungskonzepts gedient, dem der Gemeinderat im Jahr 2008 zugestimmt habe. Im Entwicklungskonzept sei das Grundstück der Beigeladenen aber nicht als künftiger Siedlungsbereich vorgesehen gewesen (UA S. 11). Das für den Erlass der Veränderungssperre erforderliche Sicherungsinteresse liegt damit vor, insbesondere lässt sich hieraus ableiten, dass das Grundstück der Beigeladenen zukünftig nach den Vorstellungen der Klägerin keiner weiteren Bebauung zugeführt werden sollte; dass die Beigeladenen die Konkretisierung der gemeindlichen Planungsabsichten anders sehen, führt auf keinen Bundesrechtsverstoß.
Rz. 21
c) In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat das Berufungsgericht schließlich angenommen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht vorlagen.
Rz. 22
Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann von einer Veränderungssperre eine Ausnahme zugelassen werden, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Die Norm bietet ein Mittel, um im Wege der Einzelfallprüfung auf der Grundlage der sich konkretisierenden Planungen zugunsten des Bauherrn Ausnahmen zulassen zu können (BVerwG, Beschluss vom 9. August 1991 - 4 B 135.91 - Buchholz 406.11 § 14 BauGB Nr. 17 = juris Rn. 4). Der praktisch wichtigste öffentliche Belang ist die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung. Maßgeblich ist damit der konkrete Sicherungszweck der Veränderungssperre. Ein Vorhaben, das mit diesem nicht vereinbar ist, insbesondere der beabsichtigten Planung widerspricht oder sie wesentlich erschweren würde, darf im Wege der Ausnahme nicht zugelassen werden. Andernfalls würde die Veränderungssperre ihre Aufgabe nicht erfüllen können (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1989 - 4 B 236.88 - NVwZ 1989, 661 = juris Rn. 7).
Rz. 23
Der Verwaltungsgerichtshof hat - für den Senat bindend - festgestellt, dass das Grundstück der Beigeladenen im Entwicklungskonzept der Klägerin, dessen Umsetzung der Bebauungsplan dient, nicht als künftiger Siedlungsbereich vorgesehen sei (UA S. 11). Die Zulassung einer Ausnahme war folglich mit dem Sicherungszweck der Veränderungssperre nicht vereinbar. Damit schied eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB bereits tatbestandlich aus. Die Klägerin hat ihr Einvernehmen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB zu Recht verweigert.
Rz. 24
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 9834887 |
BVerwGE 2017, 1 |
BauR 2017, 96 |
ZfIR 2016, 5 |
DÖV 2017, 37 |
JZ 2017, 7 |
VR 2017, 71 |
ZfBR 2017, 62 |
DVBl. 2016, 1543 |
DVBl. 2016, 4 |
UPR 2017, 29 |
BBB 2017, 60 |
FSt 2017, 818 |
SächsVBl. 2016, 3 |