Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruchsüberleitung nach § 90 BSHG nach dem Tode des Hilfeempfängers
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch, den ein Hilfeempfänger für die Zeit der Hilfegewährung gegen einen anderen hat, kann auch nach dem Tode des Hilfeempfängers nach § 90 BSHG auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden.
Normenkette
BSHG § 90
Verfahrensgang
OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Urteil vom 08.06.1988; Aktenzeichen 4 OVG A 48/84) |
VG Oldenburg (Entscheidung vom 17.01.1984; Aktenzeichen 1 OS VG A 304/82/M) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 8. Juni 1988 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 17. Januar 1984 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die Stadt Osnabrück gewährte einer Schwester des Klägers im Auftrag des Beklagten Sozialhilfe. Sie übernahm die ungedeckten Kosten der Heimunterbringung der Hilfeempfängerin in der Zeit vom 8. August 1978 bis zu deren Tode am 11. Januar 1979 in Höhe von insgesamt 4.272,31 DM. Auf eine Verdachtsmitteilung vom Dezember 1978 ermittelte die Stadt, daß die Hilfeempfängerin dem Kläger im Juli 1978 ein Sparguthaben von über 30.000 DM geschenkt hat. Durch den an den Kläger gerichteten Bescheid vom 10. April 1980, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 23. August 1982, leitete die Stadt im Auftrag des Beklagten den Rückforderungsanspruch der Hilfeempfängerin gegen den Kläger aus § 528 BGB nach § 90 BSHG bis zur Höhe der geleisteten Sozialhilfekosten auf den Beklagten über. Der auf die Aufhebung dieser Bescheide gerichteten Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht (ZfF 1988, 253) zurückgewiesen: Ein Anspruch der Hilfeempfängerin könne nach deren Tod nicht auf den Träger der Sozialhilfe übergeleitet werden. Für die Überleitung eines Anspruchs des oder der Erben des Hilfeempfängers gebe § 90 BSHG keine Rechtsgrundlage.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten, mit der er beantragt, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts abzuändern und auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben; die Klage ist abzuweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 1 VwGO).
Das Berufungsgericht hat die angefochtene Überleitungsanzeige aufgehoben, weil es mit der Vorinstanz der Ansicht ist, nach dem Tode des Hilfeempfängers könne ein Anspruchsübergang nach § 90 BSHG nicht mehr bewirkt werden. Das verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). § 90 BSHG begrenzt die dem Träger der Sozialhilfe erteilte Ermächtigung, Ansprüche des Hilfeempfängers gegen einen anderen auf sich überzuleiten, wenn sie die gleiche Zeit betreffen, für die der Sozialhilfeträger Hilfe gewährt hat, nicht auf die Lebzeiten des Hilfeempfängers. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift.
§ 90 BSHG dient der Durchsetzung des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG), indem er dem Träger der Sozialhilfe ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung stellt, das diesen in die Lage setzt, durch Eintritt in die Gläubigerposition den vom Gesetz gewollten Vorrang der Verpflichtungen anderer, die dem Hilfeempfänger die erforderliche Hilfe hätten gewähren können, nachträglich wiederherzustellen. Die Überleitungsermächtigung zielt also ihrem Zweck nach auf die Herstellung derjenigen Haushaltslage beim Sozialhilfeträger, die bestünde, wenn der Anspruch des Hilfeempfängers schon früher erfüllt worden wäre. Dabei kommt dem Tatbestandsmerkmal „Hilfeempfänger” in § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG im Zusammenhang mit dem Prinzip der Gleichzeitigkeit, dem „Haben eines Anspruchs” „für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird”, die Funktion zu, den Anspruch zu identifizieren, dessen Erfüllung unter dem Aspekt der Gleichzeitigkeit Hilfegewährung entbehrlich gemacht hätte und der deshalb nunmehr zur Wiederherstellung des Nachranges der Sozialhilfe übergeleitet werden soll. Eine Aussage dahin, daß ein solcher Anspruch im Erbfall nicht übergeleitet werden könnte, läßt sich dem Tatbestandsmerkmal „Hilfeempfänger” nicht entnehmen. Denn aus dem Gesetz ergibt sich keinerlei Anhalt dafür, daß auf die nachträgliche Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe für den Todesfall zugunsten der Erben verzichtet werden sollte.
§ 92 c BSHG steht dieser Auslegung nicht entgegen. § 90 BSHG zur Überleitung und § 92 c BSHG zum Kostenersatz regeln Verschiedenes. § 92 c BSHG engt den Anwendungsbereich des § 90 BSHG nicht ein. Vielmehr normiert § 92 c BSHG einen Ersatzanspruch allein gegen den Erben mit der Konsequenz einer erst den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeit. Dagegen ist es Ziel und Aufgabe der Überleitung nach § 90 BSHG, den Nachrang der Sozialhilfe bereits dem Hilfeempfänger gegenüber herzustellen. Wie sich in Fällen, in denen noch zu Lebzeiten des Hilfeempfängers übergeleitet werden kann, zeigt, geht die Herstellung des Nachrangs durch Überleitung nach § 90 BSHG dem sozialhilferechtlichen Kostenersatzanspruch nach § 92 c BSHG vor; ist nämlich bereits zu Lebzeiten übergeleitet, gehört die übergeleitete Forderung nicht mehr zum Nachlaß als Verfügungsmasse für den Ersatzanspruch nach § 92 c BSHG. Dieses Rangverhältnis zwischen § 90 BSHG und § 92 c BSHG besteht nach dem Tode des Hilfeempfängers fort.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige hängt nicht davon ab, ob der in der Person der Hilfeempfängerin entstandene Rückgewähranspruch gegen den Kläger (§ 528 BGB) den Tod der Hilfeempfängerin rechtlich überdauert hat; dies ist im Streit vor den Zivilgerichten zu klären, weil es – von den Fällen der sog. Negativevidenz abgesehen (vgl. hierzu BVerwGE 49, 311 ≪315 f.≫) – nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, das Bestehen oder Nichtbestehen übergeleiteter bürgerlich-rechtlicher Ansprüche zu prüfen. Daß die Forderung der Hilfeempfängerin mit ihrem Tode unterging, ist in diesem Sinne jedenfalls nicht offensichtlich. Denn weder folgt aus dem Wesen des Anspruchs aus § 528 BGB notwendig, daß er mit dem Tode der Hilfeempfängerin erlosch (vgl. für den Fall der Überleitung noch zu Lebzeiten des Hilfeempfängers BGHZ 96, 380 ≪382 ff.≫), noch ist der Anspruch durch Konfusion untergegangen; denn der Kläger ist nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nur Miterbe neben seinen beiden anderen Schwestern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Zehner, Rotter, Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 1210916 |
BVerwGE, 136 |