Entscheidungsstichwort (Thema)
Beachtlichkeit einer verfahrensfehlerhaften Einzelrichterübertragung im Rechtsmittelverfahren. Anhörungspflicht vor Einzelrichterübertragung. Heilbarkeit einer Gehörsverletzung. Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Urteilsniederlegung. Hinausschiebung der Altersgrenze bei ungenehmigtem Auslandsaufenthalt eines Wehrpflichtigen. Freizügigkeitsgarantie nach Europäischem Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verstoß gegen § 6 VwGO ist im Rechtsmittelverfahren nur beachtlich, wenn er zugleich eine Verletzung einer prozessualen Gewährleistung der Verfassung (rechtliches Gehör, gesetzlicher Richter) darstellt. Ein Gehörsverstoß, welcher der ohne die erforderliche Anhörung erfolgten Einzelrichterübertragung anhaftet, ist bis zur Endentscheidung – insbesondere im Zusammenhang mit einer etwaigen Entscheidung über die beantragte Rückübertragung auf die Kammer – heilbar.
2. Ein Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO beinhaltet nicht stets zugleich eine Verletzung rechtlichen Gehörs und hindert daher – bei Verneinung einer Gehörsverletzung – nicht die Bestätigung des angefochtenen Urteils durch das Revisionsgericht gemäß § 144 Abs. 4 VwGO.
Wer nach Vollendung des 25. Lebensjahres als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird, ist zur Ableistung des Zivildienstes verpflichtet, wenn in der Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres die Heranziehung zum Wehrdienst aus Gründen unterblieben ist, welche die Hinausschiebung der Altersgrenze nach § 5 Abs. 1 WPflG rechtfertigen.
3. Die Hinausschiebung der Altersgrenze in den Fällen des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b WPflG setzt voraus, daß der Wehrpflichtige wegen seines ungenehmigten Auslandsaufenthalts nicht mehr rechtzeitig vor der Regelaltersgrenze einberufen werden konnte. An der erforderlichen Kausalität fehlt es nur dann, wenn der Wehrpflichtige den ungenehmigten Auslandsaufenthalt noch so rechtzeitig vor Vollendung des 25. Lebensjahres beendet hat, daß er noch vor diesem Zeitpunkt einberufen werden konnte.
4. Die in § 3 Abs. 2 WPflG getroffene Regelung über die Genehmigungspflicht von Auslandsaufenthalten Wehrpflichtiger ist mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit der Freizügigkeitsgarantie des Art. 18 Abs. 1 EG, vereinbar.
Normenkette
VwGO §§ 6, 116 Abs. 2; WPflG § 3 Abs. 2, § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Buchst. b; EG Art. 18; ZDG §§ 23-24
Verfahrensgang
VG Karlsruhe (Entscheidung vom 30.04.1998; Aktenzeichen 9 K 3193/97) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. April 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für den zu Promotionszwecken verlängerten Aufenthalt in Großbritannien der Genehmigung der Wehrersatzbehörde bedurfte und mangels Genehmigung die Altersgrenze für die Heranziehung zum Zivildienst hinausgeschoben werden durfte.
Der am 20. Februar 1970 geborene Kläger erwarb im Mai 1989 das Abitur. Am 1. Oktober 1989 nahm er an der Universität London ein Physikstudium auf, welches er im Sommer 1992 erfolgreich abschloß. Im Oktober 1992 begann er an der Universität Oxford auf dem Gebiet der Computerwissenschaft ein Promotionsverfahren.
Durch Musterungsbescheid vom 22. November 1988 hatte der Musterungsausschuß beim Kreiswehrersatzamt Frankfurt entschieden, daß der Kläger wehrdienstfähig und verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten sei, und ihn bis einschließlich 31. Mai 1989 vom Wehrdienst zurückgestellt. Mit Bescheid vom 16. April 1991 erteilte das Kreiswehrersatzamt Frankfurt am Main dem Kläger mit Rücksicht auf das in Großbritannien betriebene Physikstudium die Genehmigung zum Verlassen des Geltungsbereiches des Wehrpflichtgesetzes vorerst bis zum 30. September 1993. Der Kläger wurde gebeten, eine vorzeitige Beendigung des Studiums unverzüglich anzuzeigen. Er wurde darauf hingewiesen, daß eine die Dauer der Promotion umfassende Zurückstellung vom Wehrdienst zur Zeit wegen des zunächst zu erwerbenden Diploms nicht möglich sei. Auf die Ankündigung der Einberufung zeigte der Kläger mit Schreiben vom 4. Februar 1994 dem mittlerweile zuständigen Kreiswehrersatzamt Karlsruhe den Studienabschluß sowie den Beginn des Promotionsverfahrens an und beantragte, ihn unter Verlängerung der Genehmigung zum Verlassen des Bundesgebietes bis Ende 1996 vom Wehrdienst zurückzustellen. Dies lehnte das Kreiswehrersatzamt mit Bescheid vom 3. März 1994 ab. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Januar 1995 – 10 K 1487/94 – ab. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 26. Juli 1996 – BVerwG 8 C 4.95 – im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, das Promotionsverfahren an der Universität Oxford habe deshalb keinen Anspruch auf Zurückstellung vom Wehrdienst begründen können, weil der Kläger es ohne die erforderliche wehrdienstbehördliche Genehmigung begonnen und keinen Anspruch auf nachträgliche Erteilung dieser Genehmigung habe. Die Verfassungsbeschwerde des Klägers wurde durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Januar 1997 – 2 BvR 1948/96 – nicht zur Entscheidung angenommen.
Am 12. Februar 1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, dem der Ausschuß für Kriegsdienstverweigerung beim Kreiswehrersatzamt Karlsruhe mit Bescheid vom 18. Februar 1997 entsprach. Durch Einberufungsbescheid vom 11. Juli 1997 berief das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) den Kläger zur Ableistung des Zivildienstes für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 31. Dezember 1998 ein. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies das BAZ mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 1997 zurück.
Die daraufhin erhobene Klage hat der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts durch das angefochtene Urteil abgewiesen. Das Urteil, dessen Zustellung anstelle der Verkündung in der mündlichen Verhandlung vom 30. April 1998 beschlossen wurde, wurde den Beteiligten am 24. bzw. 27. Juli 1998 zugestellt. Zur Begründung seiner klageabweisenden Entscheidung hat das Verwaltungsgericht im wesentlichen ausgeführt: Bedenken gegen die Entscheidung durch den Einzelrichter bestünden nicht. Die im Laufe des Verfahrens erfolgte Übertragung sei unanfechtbar. Für eine Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer fehle es an den prozeßrechtlichen Voraussetzungen. Der angefochtene Einberufungsbescheid sei formell und materiell rechtmäßig. Dem Kläger stehe ein Zurückstellungsgrund nicht zur Seite. Er halte sich seit dem 1. Oktober 1993 ohne die erforderliche wehrrechtliche Genehmigung im Ausland auf. Der Zivildienstpflichtige könne sich nicht mit Erfolg auf einen Zurückstellungsgrund berufen, den er rechtsmißbräuchlich selbst herbeigeführt habe. Davon sei im Fall des Klägers auszugehen, wie sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 1996 – BVerwG 8 C 4.95 – ergebe. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers gegen die Wehrpflicht im allgemeinen und gegen § 3 Abs. 2 WPflG im besonderen griffen nicht durch. Ebensowenig verstoße die in § 3 Abs. 2 WPflG normierte Genehmigungspflicht für einen Auslandsaufenthalt gegen europarechtliche Vorschriften.
Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision trägt der Kläger vor: Bereits die einfachrechtlichen Voraussetzungen für die Heranziehung zum Zivildienst hätten nicht vorgelegen. Zu dem für den Dienstbeginn festgesetzten Zeitpunkt habe er das 25. Lebensjahr bereits vollendet gehabt. Die Hinausschiebung der Altersgrenze nach § 24 Abs. 1 Satz 2 ZDG sei nicht in Betracht gekommen, weil er erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden sei. § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZDG sei im übrigen nicht einschlägig, weil der Auslandsaufenthalt die Beklagte nicht an der Einberufung gehindert habe. Die Einberufung zum Zivildienst sei auch deswegen rechtswidrig gewesen, weil es an einer vollziehbaren Verfügbarkeitsentscheidung im Gestellungstermin gefehlt habe. Der Musterungsbescheid vom 22. November 1988 sei keine ausreichende Grundlage mehr gewesen, nachdem er, der Kläger, eine Tauglichkeitsüberprüfung beantragt habe. Diese habe die Beklagte nicht durchgeführt, ohne daß ihm, dem Kläger, insoweit vorwerfbares Verhalten zur Last falle. § 3 Abs. 2 WPflG und § 23 Abs. 4 ZDG verstießen gegen Bestimmungen des Bundesverfassungsrechts, des Europäischen Gemeinschaftsrechts sowie des Völkerrechts. Das Festhalten an der allgemeinen Wehrpflicht verstoße gegen den Grundsatz der Wehrgerechtigkeit und sei unter dem Gesichtspunkt der Landesverteidigung nicht mehr zu rechtfertigen. Art. 12 a GG sei verfassungswidrig, weil er unter Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz Männer gegenüber Frauen benachteilige.
Im übrigen sei das angefochtene Urteil verfahrensfehlerhaft ergangen. Da die vorliegende Sache schwierige Rechtsfragen aufwerfe, sei die Kammer des Verwaltungsgerichts nicht befugt gewesen, den Rechtsstreit auf den Einzelrichter zu übertragen. Zudem sei die Übertragung ohne Anhörung erfolgt. Das Verwaltungsgericht habe ferner rechtliches Gehör und die Begründungspflicht verletzt, indem es zu den aufgeworfenen völkerrechtlichen Fragen der in Rede stehenden wehrrechtlichen Genehmigungspflicht nicht Stellung genommen habe. Nicht mit Gründen versehen sei das angefochtene Urteil auch deswegen, weil es entgegen § 116 Abs. 2 VwGO nicht binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben worden sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und festzustellen, daß der Einberufungsbescheid des Bundesamtes für den Zivildienst vom 11. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juli 1997 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Oberbundesanwalt, der sich am Verfahren beteiligt, trägt vor: Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 WPflG sowie des § 23 Abs. 4 ZDG unterliege mit Blick auf europarechtliche Regelungen keiner Einschränkung, weil verteidigungspolitische Angelegenheiten nicht zum Regelungsbereich des EG-Vertrages und des auf seiner Grundlage erlassenen sekundären Gemeinschaftsrechts gehörten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Allerdings verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es leidet unter einem Verfahrensmangel.
a) Ein vom Revisionsgericht zu beachtender Verstoß gegen § 6 VwGO liegt freilich nicht vor. Der Beschluß vom 30. März 1998, durch welchen die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO dem Einzelrichter übertragen hat, ist gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO unanfechtbar. Ein derartiger unanfechtbarer Beschluß entzieht sich grundsätzlich der Überprüfung durch das Revisionsgericht (§ 173 VwGO i.V.m. § 548 ZPO). Ein Fall, in welchem ausnahmsweise ein Verstoß gegen § 6 VwGO zum Erfolg der Revision führt, liegt hier nicht vor.
Nach der gemäß § 173 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 548 ZPO unterliegen der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht die dem Endurteil vorausgegangenen unanfechtbaren Entscheidungen. Der Anwendungsbereich jener Vorschrift ist in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: Sie erfaßt einmal nicht diejenigen Vorentscheidungen, die zwar nach allgemeinem Prozeßrecht typischerweise anfechtbar sind, wegen eines spezialgesetzlich normierten Rechtsmittelausschusses aber nicht angegriffen werden können. Sodann wird durch § 548 ZPO die Rüge von solchen Verfahrensmängeln nicht ausgeschlossen, die als Folgen der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaften (Beschluß vom 8. März 1999 – BVerwG 6 B 121.98 – NVwZ-RR 1999, 587, 588 m.w.N.). Die erstgenannte Einschränkung greift hier nicht ein. Denn die Unanfechtbarkeit des Beschlusses, durch welchen der Rechtsstreit von der Kammer des Verwaltungsgerichts auf den Einzelrichter übertragen wurde, ergibt sich aus § 6 Abs. 4 Satz 1 VwGO und damit aus einer Vorschrift des allgemeinen Verwaltungsprozeßrechts. Die zweite oben formulierte Einschränkung ist ihrem Wortlaut nach gegeben. Denn die fehlerhafte Übertragung auf den Einzelrichter haftet naturgemäß dem nachfolgenden, vom Einzelrichter erlassenen Urteil an. Eine darauf gestützte Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 548 ZPO trägt jedoch dem erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers der Verwaltungsgerichtsordnung nicht hinreichend Rechnung. Aus der in § 6 Abs. 4 VwGO getroffenen Gesamtregelung, wonach die Übertragung auf den Einzelrichter ebenso wie die Rückübertragung auf die Kammer unanfechtbar ist (Satz 1) und auf eine unterlassene Übertragung ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden kann (Satz 2), ist ersichtlich, daß nach dem Willen des Gesetzgebers Verstöße gegen § 6 VwGO allein nicht zum Erfolg eines Rechtsmittels führen sollen. Dieses bereits durch Auslegung des Gesetzestextes gewonnene Ergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien ausdrücklich bestätigt (BTDrucks 12/1217 S. 54; BTDrucks 13/1433 S. 14; vgl. ferner Stelkens, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 6 Rn. 29). Angesichts dessen ist ein Verstoß gegen § 6 VwGO im Rechtsmittelverfahren nur beachtlich, wenn er zugleich eine Verletzung der prozessualen Gewährleistungen der Verfassung darstellt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl. 1998 § 6 Rn. 28 f.; Eyermann/Geiger, VwGO, 10. Aufl. 1998 § 6 Rn. 21). Um derartige auch verfassungsrechtlich relevante Verfahrensmängel handelte es sich durchweg, wenn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz § 548 ZPO die Beachtlichkeit im Revisionsverfahren bejaht wurde (vgl. die Nachweise im Senatsbeschluß vom 8. März 1999 a.a.O. S. 588). Die im vorliegenden Zusammenhang zu erwägenden Verstöße gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) sowie gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. § 138 Nr. 1 VwGO) liegen im Ergebnis nicht vor.
aa) Soweit der Kläger vor Ergehen des Übertragungsbeschlusses vom 30. März 1998 nicht angehört wurde, ist diese Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs inzwischen geheilt.
§ 6 Abs. 1 VwGO sieht nach seinem Wortlaut eine Anhörung vor Übertragung der Sache von der Kammer auf den Einzelrichter nicht vor. Aus § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach vor der Rückübertragung auf die Kammer eine Anhörung der Beteiligten zu erfolgen hat, könnte man sogar den Umkehrschluß ziehen, daß bei der erstmaligen Übertragung eine Anhörung entbehrlich ist. Eine derartige Sichtweise würde jedoch der Bedeutung der Maßnahme, welche über die Zusammensetzung der Richterbank entscheidet und damit das verfassungsmäßige Recht auf den gesetzlichen Richter beeinflußt, nicht gerecht. Angesichts dessen gebietet es der Grundsatz rechtlichen Gehörs, den Beteiligten vor der Übertragung auf den Einzelrichter Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (Eyermann/Geiger a.a.O. § 6 Rn. 12; Kopp/Schenke a.a.O. § 6 Rn. 19; Stelkens a.a.O. § 6 Rn. 13; Redeker/von Oertzen, VwGO, 12. Aufl. 1997, § 6 Rn. 4).
Ein wegen unterbliebener Anhörung festzustellender Gehörsverstoß ist jedoch in der Zeit zwischen Übertragung und Endentscheidung heilbar. So können die Beteiligten durch rügelose Einlassung zu verstehen geben, daß sie gegen die erfolgte Übertragung keine Bedenken haben (§ 295 Abs. 1 ZPO). Heilbarkeit ist jedoch auch gegeben, wenn wie im vorliegenden Fall nach der Übertragung ein Beteiligter widerspricht. In diesem Fall bietet § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO die Möglichkeit, den Gehörsverstoß zu korrigieren. Allerdings ist nach der vorbezeichneten Vorschrift die Rückübertragung von einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage und damit von engeren Voraussetzungen abhängig als die erstmalige Übertragung nach § 6 Abs. 1 VwGO. Unter einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage im Sinne von § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO wird für gewöhnlich die objektive Änderung der Sach- oder Rechtslage zu verstehen sein (vgl. Eyermann/Geiger a.a.O. § 6 Rn. 19; Stelkens a.a.O. § 6 Rn. 30; Kopp/Schenke a.a.O. § 6 Rn. 22). Geht es jedoch um die Korrektur eines Gehörsverstoßes, so ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO geboten. In solchen Fällen ist eine die Zurückübertragung berechtigende Änderung der Prozeßlage auch dann anzunehmen, wenn der Einzelrichter aufgrund der nachgeholten Anhörung zum Ergebnis gelangt, daß die Rechtssache entgegen der ursprünglichen Annahme der Kammer doch grundsätzliche Bedeutung hat oder besondere Schwierigkeiten aufweist. Andernfalls zwänge man den Einzelrichter, quasi sehenden Auges eine unter dem Makel der Gehörsverletzung stehende Endentscheidung zu erlassen.
Im vorliegenden Fall hat der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts die schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Bedenken gegen die Übertragung zur Kenntnis genommen und im Urteil gewürdigt. Dessen Entscheidungsgründe geben – sowohl in seinem auf § 6 VwGO bezogenen Teil als auch im übrigen – hinreichend deutlich zu erkennen, daß der Einzelrichter im Zeitpunkt seiner Entscheidung auch in Anbetracht der gegenteiligen Ausführungen des Klägers die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 VwGO nach wie vor als gegeben angesehen hat, womit zugleich eine Rückübertragung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausschied. Dadurch wurde der dem Übertragungsbeschluß anhaftende Gehörsverstoß geheilt.
bb) Die Rüge nach § 138 Nr. 1 VwGO greift nicht durch, weil in dem geltend gemachten Verfahrensmangel nicht zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt. Dies ist nur der Fall, wenn willkürliche oder manipulative Erwägungen für die Fehlerhaftigkeit des gerügten Mangels bestimmend gewesen sind (Urteil vom 3. Mai 1982 – BVerwG 6 C 60.79 – BVerwGE 65, 287, 291; Beschluß vom 31. Oktober 1994 – BVerwG 8 B 112.94 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 51; Beschluß vom 21. Dezember 1994 – BVerwG 1 B 176.93 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 32). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar waren die Voraussetzungen für die Übertragung auf den Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht gegeben, wenn man die Beurteilung des Senats bei der Revisionszulassung zugrunde legt. Von willkürlichen oder manipulativen Erwägungen des Verwaltungsgerichts kann hier jedoch keine Rede sein. Vielmehr ist nachvollziehbar, daß das Verwaltungsgericht mit Blick auf das den Vorprozeß abschließende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 1996 – BVerwG 8 C 4.95 – in der uneingeschränkten Anwendung des § 3 Abs. 2 WPflG kein nennenswertes Problem gesehen hat. Denn in diesem Urteil ist die Vereinbarkeit des § 3 Abs. 2 WPflG mit höherrangigem Recht nicht für erörterungsbedürftig gehalten worden.
b) Das angefochtene Urteil verstößt gegen § 116 Abs. 2 VwGO. In der mündlichen Verhandlung vom 30. April 1998 hatte das Verwaltungsgericht beschlossen, daß die Entscheidung den Beteiligten zugestellt wird. Das Urteil hätte daher innerhalb von zwei Wochen der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Zur Wahrung der Zweiwochenfrist hätte in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO die Übergabe der vom Richter unterschriebenen Urteilsformel genügt (Urteil vom 25. Januar 1985 – BVerwG 4 C 34.81 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 16; Beschluß vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 –; Beschluß vom 20. April 1999 – BVerwG 11 BN 1.99 –). Ausweislich der Gerichtsakte hat hier der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts weder das vollständige Urteil noch den unterschriebenen Urteilstenor innerhalb von zwei Wochen nach dem Termin der Geschäftsstelle übergeben.
aa) Daraus kann freilich nicht gefolgert werden, daß das angefochtene Urteil nicht mit Gründen versehen ist (§ 138 Nr. 6 VwGO). Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil ist im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluß vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367, 371). Im Falle des § 116 Abs. 2 VwGO beginnt die Fünfmonatsfrist mit der Niederlegung des Urteilstenors bei der Geschäftsstelle (Beschluß vom 20. September 1993 – BVerwG 6 B 18.93 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 21; Beschluß vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 –). Im vorliegenden Fall ist der Urteilstenor nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO der Geschäftsstelle übergeben worden. Ob in einem solchen Fall die mit Blick auf § 138 Nr. 6 VwGO maßgebliche Fünfmonatsfrist bereits mit der mündlichen Verhandlung oder erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO zu laufen beginnt, kann hier auf sich beruhen. Denn das angefochtene Urteil ist ausweislich der Gerichtsakte am 21. Juli 1998 und damit weniger als drei Monate nach der mündlichen Verhandlung vom 30. April 1998 vollständig der Geschäftsstelle übergeben worden.
bb) Der festzustellende Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO stellt nicht zugleich eine Verletzung rechtlichen Gehörs dar (§ 138 Nr. 3 VwGO).
Freilich soll die fristgerechte Entscheidungsfindung, die § 116 Abs. 2 VwGO gebietet, den Beteiligten gewährleisten, daß ihr schriftliches und mündliches Vorbringen vom Gericht nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern bei der Entscheidungsfindung auch tatsächlich in Erwägung gezogen worden ist. § 116 Abs. 2 VwGO dient somit der Sicherung des Anspruchs der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Urteil vom 25. Januar 1985 – BVerwG 4 C 34.81 – a.a.O.; Beschluß vom 6. Mai 1998 – BVerwG 7 B 437.97 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 22). Damit ist jedoch nicht ausgesagt, daß jede Verletzung von § 116 Abs. 2 VwGO automatisch einen Gehörsverstoß beinhaltet. Vielmehr wird sich dies nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei dem Ausmaß der Fristüberschreitung eine wichtige Indizfunktion zukommt (vgl. Urteil vom 25. Januar 1985 – BVerwG 4 C 34.81 – a.a.O.; gegen eine Automatik offenbar auch: BVerfG, Beschluß vom 14. März 1990 – 2 BvR 930/89 – NVwZ 1990, 651).
Im übrigen knüpft § 116 Abs. 2 VwGO nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie an das richterliche Erinnerungsvermögen an. Die Vorschrift gebietet vielmehr, daß der Richter sich unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung, spätestens aber zwei Wochen danach im Ergebnis festlegt. Insofern liegt bereits ein Verstoß vor, wenn die Zweiwochenfrist des § 116 Abs. 2 VwGO auch nur um einen Tag überschritten wird (vgl. Beschluß vom 7. Juli 1998 – BVerwG 9 B 931.97: Fristüberschreitung um 13 Tage). Es ist aber grundsätzlich nicht anzunehmen, daß ein Richter sich bereits 15 Tage nach der mündlichen Verhandlung nicht mehr hinreichend an das dortige Beteiligtenvorbringen erinnern kann. Dies zeigt wiederum, daß es zwischen der Verletzung von § 116 Abs. 2 VwGO und einem Gehörsverstoß keine Automatik gibt. Der Richter handelt verfahrensfehlerhaft, wenn er sich erst nach Ablauf der genannten Zweiwochenfrist festlegt. Wenn er dabei das gesamte schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und bedenkt, liegt nicht zugleich auch ein Gehörsverstoß vor.
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, daß das Verwaltungsgericht bei der Entscheidungsfindung Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht bedacht hätte. Es ist noch nicht einmal vorgetragen, daß der in der mündlichen Verhandlung anwesende Vater des Klägers dort rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte vorgetragen hat, die sich nicht bereits in seinen umfangreichen Schriftsätzen fanden.
cc) Eine Verletzung von § 116 Abs. 2 VwGO kann, wenn sich daraus in Verbindung mit den konkreten Umständen des Einzelfalls nicht zugleich ein Gehörsverstoß ableiten läßt, nicht wie ein absoluter Revisionsgrund behandelt werden. Denn die Aufzählung in § 138 VwGO ist abschließend. Die Vorschrift wird in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eher restriktiv gehandhabt. So führt selbst ein ursprünglich von § 138 Nr. 3 VwGO erfaßter Gehörsverstoß nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, wenn er eine sich als rechtlich unerheblich erweisende Tatsachenfeststellung der Vorinstanz betrifft (Urteil vom 16. März 1994 – BVerwG 11 C 48.92 – Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 10 S. 5; Urteil vom 20. November 1995 – BVerwG 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 24 f.; Urteil vom 29. April 1998 – BVerwG 11 C 6.97 – BVerwGE 106, 345, 350). Wie jeder andere nicht von § 138 VwGO erfaßte Verfahrensfehler hindert daher ein Verstoß gegen § 116 Abs. 2 VwGO nicht die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung nach § 144 Abs. 4 VwGO (vgl. Beschluß vom 21. März 1986 – BVerwG 3 CB 30.84 – Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 46; Beschluß vom 12. September 1994 – BVerwG 8 B 150.94 –; Beschluß vom 22. August 1996 – BVerwG 8 B 100.96 –; Beschluß vom 5. Februar 1998 – BVerwG 2 B 56.97 –).
c) Eine Gehörsverletzung liegt nicht darin, daß das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil auf die vom Kläger angeführten völkerrechtlichen Bestimmungen (Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 12 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte) nicht gesondert eingegangen ist. Ein Gericht verletzt nicht immer schon dann rechtliches Gehör, wenn es in seiner Entscheidung nicht auf jeden von den Beteiligten vorgebrachten Gesichtspunkt eingeht. Dies gilt namentlich dann, wenn das entsprechende Vorbringen offensichtlich ungeeignet ist, den geltend gemachten Anspruch zu tragen. So liegt es hier bezüglich der vorbezeichneten völkerrechtlichen Bestimmungen, wie unten auszuführen sein wird. Angesichts dessen durfte sich das Verwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs darauf beschränken, auf die vom Kläger aufgeworfene verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Problematik einzugehen. Auf die Behandlung der dahinter an Bedeutung erheblich zurücktretenden völkerrechtlichen Fragen durfte es dagegen verzichten.
d) Eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter ist dem Verwaltungsgericht nicht deswegen anzulasten, weil es davon abgesehen hat, die Frage nach der Vereinbarkeit des § 3 Abs. 2 WPflG mit Europäischem Gemeinschaftsrecht dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Ein nicht in letzter Instanz entscheidendes Gericht ist nach Art. 234 Unterabsatz 2 EG (früher Art. 177 Unterabsatz 2) zur Vorlage an den EuGH nur berechtigt, aber nicht verpflichtet. Die Nichtvorlage durch ein Instanzgericht stellt daher keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (BVerfG, Beschluß vom 31. Mai 1990 – 2 BvL 12/88 u.a. – BVerfGE 82, 159, 196).
e) Schließlich greift die vom Kläger im Zusammenhang mit seinen verfassungsrechtlichen Angriffen gegen die allgemeine Wehrpflicht vorsorglich erhobene Aufklärungsrüge (S. 16 der Revisionsbegründung vom 18. Februar 1999) nicht durch. Dem Verwaltungsgericht mußte sich nicht aufdrängen, den Tatsachenbehauptungen des Klägers im Schriftsatz vom 31. August 1997 nachzugehen. Dies ist allein auf Grundlage der vom Gericht zur materiellen Rechtslage vertretenen Auffassung zu beurteilen. Die maßgeblichen Ausführungen des angefochtenen Urteils (UA S. 6) geben hinreichend deutlich zu erkennen, daß es dem Verwaltungsgericht im Hinblick auf seine Überzeugung von der Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht auf jene Tatsachenangaben des Klägers nicht ankam.
2. Trotz des festzustellenden Verstoßes gegen § 116 Abs. 2 VwGO ist das angefochtene Urteil gemäß § 144 Abs. 4 VwGO im Ergebnis zu bestätigen. Denn auf der Grundlage der nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts muß die Klage abgewiesen werden.
Bedenken gegen die Zulässigkeit des nunmehr gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrages bestehen allerdings nicht. Die insoweit in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO normierten Voraussetzungen liegen vor. Die angefochtenen Bescheide haben sich mit dem Ablauf des dort festgesetzten Zivildienstendes (31. Dezember 1998) erledigt. Das Feststellungsinteresse läßt sich zwar nicht mit dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr rechtfertigen. Da der Kläger das 28. Lebensjahr vollendet hat und in seiner Person ein Fall des § 24 Abs. 1 Satz 3 ZDG nicht vorliegt, scheidet eine erneute Zivildiensteinberufung aus. Doch ist das Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitation zu bejahen, denn gegen den Kläger ist gegenwärtig vor dem Amtsgericht Karlsruhe ein Strafverfahren wegen Dienstflucht (§ 53 Abs. 1 ZDG) anhängig.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide waren rechtmäßig.
a) Gegen die auf § 19 Abs. 1 Satz 1 ZDG gestützte Heranziehung des Klägers zum Zivildienst kann zunächst nicht eingewandt werden, er habe zu dem für den Dienstbeginn festgesetzten Zeitpunkt (1. Dezember 1997) das 25. Lebensjahr bereits beendet (§ 24 Abs. 1 Satz 1 ZDG). Von den in § 24 Abs. 1 Satz 2 ZDG normierten Tatbeständen, die zur Hinausschiebung der Altersgrenze auf die Vollendung des 28. Lebensjahres führen, greift allerdings hier keiner ein. Denn jene Tatbestände setzen sämtlich voraus, daß die Zivildienstpflicht bereits vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Dies war beim Kläger nicht der Fall, da er erst nach Überschreiten der allgemeinen Altersgrenze als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden ist. Daraus folgt einerseits nicht, daß der Kläger ohne Rücksicht auf die inzwischen überschrittene Altersgrenze voraussetzungslos zum Zivildienst herangezogen werden konnte. Andererseits scheidet die Einberufung zum Zivildienst auch nicht von vornherein aus, wenn erst nach Vollendung des 25. Lebensjahres der Kriegsdienst verweigert wird. In einem solchen Fall kommt es vielmehr darauf an, ob in der Zeit vor Vollendung des 25. Lebensjahres die Heranziehung zum Wehrdienst aus Gründen unterblieben ist, welche die Hinausschiebung der Altersgrenze nach § 5 Abs. 1 WPflG rechtfertigen. Auf diese Weise wird die Gleichbehandlung mit Wehrpflichtigen und solchen Zivildienstpflichtigen, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres den Kriegsdienst verweigert haben, hergestellt.
Im Falle des Klägers war die Hinausschiebung der Altersgrenze auf die Vollendung des 28. Lebensjahres nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b WPflG erfolgt. Der Kläger hielt sich spätestens ab 1. Oktober 1993 ohne die nach § 3 Abs. 2 WPflG erforderliche Genehmigung in Großbritannien auf, und er hätte die erforderliche Genehmigung auch nicht nachträglich erhalten dürfen, wie sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juli 1996 – BVerwG 8 C 4.95 – (Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 18) ergibt. Allerdings verschiebt sich das Einberufungshöchstalter nur dann, wenn der Wehrpflichtige wegen seines ungenehmigten Auslandsaufenthaltes nicht mehr rechtzeitig vor der Regelaltersgrenze einberufen werden konnte (Urteil vom 12. April 1991 – BVerwG 8 C 45.90 – Buchholz 448.0 § 8 a WPflG Nr. 53, S. 32 f.; Urteil vom 8. November 1991 – BVerwG 8 C 53.90 – BVerwGE 89, 183, 186 f.). An der erforderlichen Kausalität fehlt es jedoch nur dann, wenn der Wehrpflichtige den ungenehmigten Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland noch so rechtzeitig vor Vollendung des 25. Lebensjahres beendet hat, daß er noch vor diesem Zeitpunkt einberufen werden konnte (Johlen, Wehrpflichtrecht in der Praxis, 4. Aufl. 1996 Rn. 254; Brecht, Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, 4. Aufl. 1999, § 24 ZDG Anmerk. 1; Steinlechner, WPflG, § 5 Rn. 20). Es kommt somit auf die tatsächliche Möglichkeit der Heranziehung an. Allein der Umstand, daß ein Einberufungsbescheid ergehen und im Ausland zugestellt werden konnte, führt nicht zur Verneinung der Kausalität. § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b WPflG knüpft nicht an die Unmöglichkeit einer Zustellung des Einberufungsbescheides an, sondern ausschließlich an die Tatsache des ungenehmigten Auslandsaufenthalts. Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, daß Einberufungsbescheide nicht vollstreckt werden können, solange sich der Wehrpflichtige im Ausland aufhält. Folgerichtig kann eine Unterbrechung der Kausalität nur über eine rechtzeitige Beendigung dieser faktischen Verhältnisse eintreten. Da der Kläger sich seit Auslaufen der ihm erteilten wehrrechtlichen Genehmigung zum 1. Oktober 1993 fortlaufend in Großbritannien aufgehalten hat, ist der Tatbestand nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b WPflG in seiner Person erfüllt.
b) Entgegen der Annahme des Klägers hat das Verwaltungsgericht nicht verkannt, daß die Rechtmäßigkeit der Einberufung davon abhängt, daß zum Gestellungszeitpunkt eine vollziehbare Verfügbarkeitsentscheidung vorliegt. Indem das Verwaltungsgericht den angefochtenen Einberufungsbescheid vom 11. Juli 1997 bestätigt hat, hat es sich zugleich die dort insoweit getroffene Feststellung zu eigen gemacht. Danach lag im Fall des Klägers ein vollziehbarer Musterungsbescheid vor. Tatsachen, aus denen sich insoweit Zweifel ergäben, hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil nicht festgestellt. Insoweit handelt es sich bei der Darstellung in Abschnitt 3 der Revisionsbegründung um einen neuen Sachverhalt, der nicht Gegenstand der Revisionsentscheidung sein kann, zumal es an darauf bezogenen Verfahrensrügen des Klägers fehlt.
Abweichendes kann nicht in der Erwägung angenommen werden, der fragliche Sachverhalt ergebe sich aus den vom Verwaltungsgericht beigezogenen Akten. Der grundsätzliche Unterschied zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz, wie er in § 137 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommt, wäre aufgehoben, wenn das Revisionsgericht gehalten wäre, anhand des von den Vorinstanzen beigezogenen Aktenbestandes neue Tatsachenfeststellungen zu treffen. Anders kann es aus Gründen der Prozeßökonomie dann liegen, wenn sich aus den von der Vorinstanz in Bezug genommenen Beiakten ohne weiteres lediglich ergänzende Feststellungen treffen lassen (Urteil vom 20. Oktober 1992 – BVerwG 9 C 77.91 – BVerwGE 91, 104, 107). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt. Es handelt sich hier nicht lediglich um einzelne ergänzende Tatsachen, deren Richtigkeit sich anhand des beigezogenen Aktenmaterials ohne weiteres ergibt. Vielmehr geht es, wie sich aus der Darstellung in Abschnitt 3 der Revisionsbegründung ergibt, um einen neuen, im angefochtenen Urteil nicht bereits angesprochenen Sachverhaltskomplex, den im Wege der Beweisaufnahme festzustellen, typische Aufgabe der Tatsacheninstanz ist.
c) Die angefochtenen Bescheide waren ferner nicht deswegen rechtswidrig, weil durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die allgemeine Wehrpflicht bestehen, deren einfachgesetzlicher Konkretisierung auch § 3 WPflG dient. Von der Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht gehen Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus. Auf veränderte Sicherheitsbedürfnisse zu reagieren, ist Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, zumal bei dem Übergang von der Wehrpflicht zu einer Freiwilligen-Armee auch sozial- und gesellschaftspolitische Erwägungen (etwa im Hinblick auf das Konzept vom „Bürger in Uniform”) einfließen. Zur Klärung auch damit zusammenhängender Fragen ist eine Wehrstrukturkommission berufen worden. Es besteht keine Veranlassung, der hiernach zu erwartenden parlamentarischen Entscheidung aus verfassungsrechtlichen Gründen vorzugreifen (Beschluß vom 20. Juli 1999 – BVerwG 6 B 49.99 –).
aa) Zu einer abweichenden Beurteilung nötigen nicht die Darlegungen des Klägers zur Wehrgerechtigkeit. Für seinen Vortrag, wonach mehr als ein Drittel aller Wehrpflichtigen zu keinem Dienst mehr herangezogen würden, hatte der Kläger erstinstanzlich auf den Jahresbericht 1994 des Wehrbeauftragten (BTDrucks 13/700, S. 5) verwiesen. Aus dem Bericht ergibt sich jedoch, daß nahezu alle wehrdienstfähig gemusterten Wehrpflichtigen, bei denen keine gesetzlichen Wehrdienstausnahmen vorliegen, zu einem staatlichen Dienst herangezogen werden. Wenn in dem Bericht gleichwohl „mangelnde Dienstgerechtigkeit” beklagt wird, so liegt dem die am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Vorstellung zugrunde, der Gesetzgeber solle dafür sorgen, daß künftig ein noch größerer Teil junger Männer zu einem Dienst für die Gemeinschaft herangezogen werde. Diesem Anliegen hat der Gesetzgeber – worauf in dem Bericht des Wehrbeauftragten bereits hingewiesen wird – immerhin insoweit Rechnung getragen, als er durch Einführung des Verwendungsgrades „verwendungsfähig für bestimmte Tätigkeiten des Grundwehrdienstes unter Freistellung von der Grundausbildung” zum 1. Januar 1995 den Kreis der Auszumusternden weiter begrenzt hat. Danach besteht auch unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit derzeit kein Anlaß, der Entscheidung des Gesetzgebers zur künftigen Wehrstruktur vorzugreifen.
bb) Daß Frauen – anders als Männer – in Friedenszeiten nicht zu einem Pflichtdienst herangezogen werden, beruht auf der Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers in Art. 12 a GG. Diese Vorschrift hat gleichen verfassungsrechtlichen Rang mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG; sie wäre somit – selbst als Ausnahmeregelung – gerechtfertigt, wenn man in der Dienstpflicht für Männer eine „Benachteiligung” im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG zu sehen hätte (BVerfG, Beschluß vom 20. Dezember 1960 – 1 BvL 21/60 – BVerfGE 12, 45, 52 f.). Die vom Kläger angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Nachtarbeitsverbots für Frauen (Urteil vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. – BVerfGE 85, 191) sowie der Beschränkung der Feuerwehrdienstpflicht auf Männer (Beschluß vom 24. Januar 1995 – 1 BvL 18/93 u.a. – BVerfGE 92, 91) betreffen Fallgestaltungen, in denen Männer und Frauen aufgrund einfachrechtlicher Bestimmungen ungleich behandelt wurden.
d) Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide kann nicht aus der Erwägung hergeleitet werden, § 3 Abs. 2 WPflG sei wegen Widerspruchs zu höherrangigem Recht hier nicht anwendbar. Letzteres ist nämlich nicht der Fall.
aa) Die Regelung in § 3 Abs. 2 WPflG steht mit dem Grundgesetz im Einklang (Urteil vom 7. Juni 1972 – BVerwG 8 C 191.70 – BVerwGE 40, 116, 122 f.).
bb) Der Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 WPflG ist nicht durch die Freizügigkeitsbestimmungen des Europäischen Gemeinschaftsrechts eingeschränkt.
Nach Art. 18 Abs. 1 EG (konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 – früher Art. 8 a Abs. 1 EGV) hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Vorschrift begründet ein subjektiv-öffentliches Recht, das dem Unionsbürger unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme unmittelbar zusteht. Es handelt sich um eine politische Grundfreiheit, welche das aus den wirtschaftlich motivierten Verkehrsfreiheiten folgende Aufenthaltsrecht überlagert (Hilf, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art. 8 a EGV Rn. 1; Haag, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-, EG-Vertrag, 5. Aufl. 1997 Art. 8 a Rn. 4). Art. 18 Abs. 1 EG gewährleistet das Recht, aus einem Mitgliedstaat auszureisen, in einen anderen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort ohne zeitliche und grundsätzlich ohne inhaltliche Begrenzung aufzuhalten. Die Vorschrift macht keinen Unterschied zwischen dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit ein Unionsbürger besitzt, und anderen Mitgliedstaaten. Das Recht aus § 18 EG gilt deshalb auch im Verhältnis zwischen einem Unionsbürger und dem Mitgliedstaat, dessen Angehöriger er ist (Hilf a.a.O. Rn. 7; Haag a.a.O. Rn. 5).
(1) Art. 18 Abs. 1 EG findet jedoch keine Anwendung auf solche Beschränkungen der Ausreisefreiheit, die ausschließlich verteidigungspolitischer Natur sind.
Da bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Einberufungsbescheides auf die Sach- und Rechtslage im Gestellungstermin abzustellen ist, ist im vorliegenden Fall das am 1. Dezember 1997 geltende Europäische Gemeinschaftsrecht anzuwenden. Dazu gehören noch nicht die Änderungen durch den Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997, BGBl 1998 II S. 386, der am 1. Mai 1999 in der Bundesrepublik in Kraft getreten ist (Bekanntmachung vom 6. April 1999, BGBl II S. 296).
Zur Verteidigungspolitik traf der Vertrag über die Europäische Union („Vertrag von Maastricht”) vom 7. Februar 1992, BGBl II S. 1253, folgende Aussagen: Lt. Erwägungsgrund 9 der Präambel zeigten sich die Vertragschließenden entschlossen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu verfolgen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehöre, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte. Nach Art. B Unter-Abs. 1 Spiegelstrich 2 EU-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 2 Unter-Abs. 1 Spiegelstrich 2 EU) setzte sich die Union unter anderem die Behauptung ihrer Identität auf internationaler Ebene zum Ziel, insbesondere durch eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, wozu auf längerer Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gerechnet wurde, die zu gegebener Zeit eine gemeinsame Verteidigung nicht ausschloß. Nach Art. J.4 EU-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 17 Abs. 1 Unter-Abs. 1 EU) umfaßte die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ebenso sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betrafen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehörte, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.
Daraus ergibt sich, daß nach der hier maßgeblichen Fassung des Vertrages die nationale Verteidigungspolitik als Teilbereich der Sicherheitspolitik von den Vertragsstaaten nicht in die supranationale Zuständigkeitsordnung der Europäischen Gemeinschaften eingegliedert worden ist. Hier wie auch sonst im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik bleibt die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten intergouvernemental (BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 – 2 BvR 2134/92 u.a. – BVerfGE 89, 155, 176, 190; Hilf/Pache, in: Grabitz/Hilf a.a.O. Präambel zum EUV Rn. 31). Hinzu kommt, daß von den vertragschließenden Staaten im Bereich der Verteidigungspolitik im Sinne einer militärischen Sicherheitspolitik noch weniger an Integration gewollt war als sonst im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Dies machen die in eine unbestimmte Zukunft weisenden („auf längerer Sicht”, „zu gegebener Zeit”) und überdies konjunktivisch abgefaßten Formulierungen in den zitierten Bestimmungen deutlich. Dem entsprach das sich aus Art. J.4 Abs. 3 ergebende strikte Konsensprinzip für verteidigungspolitische Beschlüsse (vgl. Kaufmann/Bühler, in: Grabitz/Hilf a.a.O. EUV Art. J.4 Rn. 3) sowie die Klarstellung in Art. J.4 Abs. 4, wonach die Politik der Union nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten berührte. Demnach gehörten Fragen der nationalen Sicherheit und Angelegenheiten der Landesverteidigung, damit auch Fragen der Funktionsfähigkeit und Struktur der Streitkräfte, zu den in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbliebenen Bereichen (BVerwG, Beschluß vom 20. Mai 1999 – BVerwG 1 WB 94.98 – NZWehrr 1999, 161, 164 = DÖV 1999, 914).
Dieses Ergebnis folgt dem für das Recht der Europäischen Gemeinschaften prägenden Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission und der Gerichtshof dürfen nach Art. E EU-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 5 EU) nur tätig werden, wenn und soweit eine vertragliche Ermächtigungsnorm ihnen Kompetenzen und Befugnisse verleiht (BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 a.a.O. S. 192). Ebenso bekräftigt Art. 5 Unter-Abs. 1 EG (früher Art. 3 b Unter-Abs. 1), daß die Gemeinschaft nur innerhalb der Grenzen der ihr im Vertrag zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig wird. Verteidigungspolitische Aufgaben gehören – wie dargelegt – nicht zum supranationalen Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft.
In Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87 a und 115 b GG hat der Verfassungsgeber der Bundesrepublik Deutschland eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung getroffen. Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben in diesem Umfang verfassungsrechtlichen Rang. Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht in Art. 12 a Abs. 1 GG folgt, daß die diese konkretisierenden Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes eine in der Verfassung enthaltene Grundentscheidung aktualisieren. Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens. Ihre Durchführung steht unter der Herrschaft des Art. 3 Abs. 1 GG; ihre Erfüllung ist demokratische Normalität (BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 – 2 BvF 1/77 u.a. – BVerfGE 48, 127, 161 f.; Urteil vom 24. April 1985 – 2 BvF 2/83 u.a. – BVerfGE 69, 1, 21 f.). Notwendige Folge ihrer Verwirklichung ist eine Beschränkung der Ausreisefreiheit der Wehrpflichtigen (BVerwG, Urteil vom 7. Juni 1972 a.a.O. S. 122).
Würde man Art. 18 Abs. 1 EG (früher Art. 8 a Abs. 1 EGV) in der vom Kläger gewünschten Weise verstehen, so könnte sich jeder Wehrpflichtige der Erfüllung der Wehrpflicht durch Verlegung seines Aufenthalts in einen anderen EU-Mitgliedstaat sanktionslos entziehen. Damit würde nicht nur die verfassungsrechtlich verankerte Entscheidung des Gesetzgebers, den Auftrag des Grundgesetzes zu einer effektiven Landesverteidigung durch eine Wehrpflichtigen-Armee zu erfüllen, in Frage gestellt. Darüber hinaus würde der in Art. 3 Abs. 1 GG wurzelnde Grundsatz der Wehrgerechtigkeit zu Lasten der in Deutschland verbleibenden Wehrpflichtigen verletzt. Daß derartige mit Art. 8 a EG-Vertrag verbundene Folgen bei Abschluß des Maastricht-Vertrages oder bei Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes überhaupt zur Sprache gekommen wären, ist nicht ansatzweise ersichtlich. Dagegen spricht der durchgehend geäußerte Wille der Vertragsparteien, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung vertraglich festzuschreiben, sowie die bewußte Entscheidung der Mitgliedstaaten, die Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Verteidigungspolitik nicht in die supranationale Entscheidungsstruktur einzugliedern (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 a.a.O. S. 195 f.). Angesichts dessen verbietet es sich, die vom Kläger gewünschte Handhabung der Regelung in Art. 18 Abs. 1 EG (früher Art. 8 a EGV) mit einer solchen Auslegung dieser Vertragsbestimmung zu rechtfertigen. Insofern wäre vielmehr eine Vertragsergänzung erforderlich, für deren innerstaatliche Wirksamkeit die Voraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GG erfüllt sein müßten (vgl. BVerfG, Urteil vom 12. Oktober 1993 a.a.O. S. 199).
Die vorstehenden Ausführungen stehen nicht im Widerspruch zum jüngst ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Oktober 1999 – Rechtssache C-273/97 –. Zwar heißt es dort, Entscheidungen der Mitgliedstaaten über die Organisation ihrer Streitkräfte seien nicht vollständig der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzogen (Rn. 15) bzw. Entscheidungen der Mitgliedstaaten, die den Zugang zur Beschäftigung, die Berufsbildung und die Arbeitsbedingungen in den Streitkräften beträfen, sei nicht allgemein vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts ausgenommen (Rn. 20). Dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall liegen jedoch tatsächliche Umstände zugrunde, die wesensverschieden sind von denjenigen, die für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles erheblich sind. Dort ging es um die Bewerbung um eine Stelle als Köchin bei einer Einheit der britischen Streitkräfte. Da diese als Berufsarmee organisiert sind, tritt neben dem militärischen der wirtschaftlich-soziale Aspekt des Falles und damit der Berührungspunkt mit den klassischen Regelungsbereichen des Europäischen Gemeinschaftsrechts klar zu Tage. Ähnliches mag gelten, wenn es darum geht, ob und inwieweit in Deutschland Frauen als Freiwilligen ein Anspruch auf Zugang zu den Einheiten der Bundeswehr einzuräumen ist. Von einem vergleichbaren Berührungspunkt mit den Regelungsmaterien des EG-Vertrages kann indes im vorliegenden Fall, in welchem die Genehmigungspflicht für Auslandsaufenthalte als Instrument zur Durchsetzung der allgemeinen Wehr pflicht in Frage steht, keine Rede sein.
(2) Selbst wenn man jedoch im vorliegenden wehrpflichtrechtlichen Zusammenhang den Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 1 EG als eröffnet ansieht, ändert sich nichts am Ergebnis. Nach der vorbezeichneten Bestimmung besteht das Recht auf Freizügigkeit „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen”. Insofern kann auf den hinsichtlich der Verkehrsfreiheiten normierten Vorbehalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit nach Art. 39 Abs. 3, 46 Abs. 1 EG (früher Art. 48 Abs. 3, 56 Abs. 1) zurückgegriffen werden (Beschluß vom 16. November 1992 – BVerwG 1 B 197.92 – Buchholz 402.26 § 12 Aufenthalt G/EWG Nr. 8; Beschluß vom 8. März 1994 – BVerwG 1 B 32.94 – a.a.O. Nr. 10; Haag a.a.O. Art. 8 a Rn. 8). Ein derartiger Vorbehalt findet sich zudem durchweg in den die Freizügigkeit konkretisierenden Bestimmungen des sekundären Gemeinschaftsrechts (Art. 10 der Richtlinie 68/360/EWG des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer, ABl Nr. L 257, S. 13; Art. 8 der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs, ABl Nr. L 172, S. 14; Art. 2 Abs. 2 Unter-Abs. 3 der Richtlinie 90/364/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht, ABl Nr. L 180, S. 26; Art. 2 Abs. 2 Unter-Abs. 3 der Richtlinie 90/365/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständigen Erwerbstätigen, ABl Nr. L 180, S. 28; Art. 2 Abs. 2 Unter-Abs. 3 der Richtlinie 93/96/EWG des Rates vom 29. Oktober 1993 über das Aufenthaltsrecht der Studenten, ABl Nr. L 317, S. 59).
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne der genannten Artikel des EG-Vertrages umfaßt auch die äußere Sicherheit. Die zu deren Gewährleistung geeigneten und erforderlichen Maßnahmen zu treffen, steht im Ermessen der Mitgliedstaaten, die dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten haben (EuGH, Urteil vom 26. Oktober 1999 – Rechtssache C-273/97 – Rn. 15, 17, 26, 27).
Demnach akzeptiert das Gemeinschaftsrecht die Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, die Aufgabe der militärischen Landesverteidigung einer Wehrpflichtigen-Armee zu übertragen. Zur Sicherung der allgemeinen Wehrpflicht durfte der deutsche Gesetzgeber eine Genehmigungspflicht für die Auslandsaufenthalte von Wehrpflichtigen für geeignet und erforderlich halten. Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß auch § 3 Abs. 2 WPflG einen Wehrpflichtigen letztlich nicht daran hindern kann, sich der Erfüllung der Wehrpflicht durch Verlegung des Aufenthalts ins Ausland faktisch zu entziehen. Es macht nämlich einen wesentlichen Unterschied, ob solches – bei Entfallen der Genehmigungspflicht – legal geschehen kann oder ob der Betreffende – bei Eingreifen der Genehmigungspflicht – im Falle ihrer Verletzung mit Sanktionen bis hin zu solchen strafrechtlicher Art (wegen Wehrdienstentziehung) rechnen muß. Der deutsche Gesetzgeber darf davon ausgehen, daß die Wehrpflichtigen sich in aller Regel gesetzestreu verhalten und längere Auslandsaufenthalte nur im Benehmen mit den Wehrersatzbehörden realisieren. Seine Annahme, die Genehmigungspflicht sei ein geeignetes und erforderliches Instrument zur Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, ist nicht von der Hand zu weisen.
Ebensowenig begegnet die in § 3 Abs. 2 WPflG getroffene Detailregelung unter dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Bedenken. Die Genehmigungspflicht ist zeitlich begrenzt durch die Dauer der Wehrüberwachung, die bei Mannschaften sowie ungedienten Wehrpflichtigen mit der Vollendung des 32. Lebensjahres endet (§ 24 Abs. 1 Satz 2 WPflG). Zudem hat der Wehrpflichtige einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung, solange er für eine Einberufung zum Wehrdienst nicht heransteht und wenn ein Härtefall vorliegt (§ 3 Abs. 2 Sätze 3 und 4 WPflG). Die in § 3 Abs. 2 WPflG getroffene Gesamtregelung stellt demnach sicher, daß die Versagung der Genehmigung nur in dem für die Durchsetzung der Wehrpflicht erforderlichen Maße und dies auch nur dann erfolgt, wenn anerkennenswerte Belange des Wehrpflichtigen nicht überwiegen.
cc) Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt § 3 Abs. 2 WPflG nicht gegen Art. 12 Unter-Abs. 1 EG (früher Art. 6), der im Anwendungsbereich des EG-Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Fragen des Wehrpflichtrechts werden vom Anwendungsbereich des EG-Vertrages nicht erfaßt, wie bereits oben im Zusammenhang mit der Freizügigkeitsgarantie erörtert wurde. Abgesehen davon ist es sachlich gerechtfertigt, daß Personen, welche – wie z.B. Frauen, Ausländer, Wehrdienstunfähige – nicht wehrpflichtig sind oder nicht der Wehrüberwachung unterliegen, von der Genehmigungspflicht ausgenommen sind. Auch ist die Lage deutscher Wehrpflichtiger nicht mit derjenigen junger Männer in anderen EU-Mitgliedstaaten vergleichbar, die über eine Berufsarmee verfügen. In allen diesen Fällen liegen objektive Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor, die eine Ungleichbehandlung sowohl aus Gründen der Staatsangehörigkeit als auch aus anderen Gründen rechtfertigen (vgl. Urteil vom 16. Oktober 1980 – Rechtssache 147/79 – Slg. 1980, 3005, 3019; Urteil vom 10. Februar 1994 – Rechtssache C-398/92 – Slg. 1994, I 467, 479).
dd) Die Genehmigungspflicht nach § 3 Abs. 2 WPflG verstößt nicht gegen die vom Kläger angeführten völkerrechtlichen Bestimmungen.
(1) Nach Art. 2 Abs. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht es jeder Person frei, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen. Nach Art. 2 Abs. 3 Protokoll Nr. 4 EMRK darf die Ausübung dieses Rechtes jedoch Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit notwendig sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Rechtmäßigkeit von Eingriffen in Freiheitsrechte ist der Begriff „notwendig” einerseits nicht gleichbedeutend mit „unentbehrlich”, „absolut erforderlich” oder „unbedingt erforderlich”, hat aber andererseits auch nicht die Flexibilität von Begriffen wie „berechtigt”, „normal”, „nützlich”, „angemessen” oder „angebracht”. Insofern billigt der Gerichtshof den Behörden, Gerichten und Gesetzgebungsorganen der Vertragsstaaten einen Ermessensspielraum zu (Urteil vom 7. Dezember 1976 – Fall Handyside – EuGRZ 1977, 38, 41 f.; Urteil vom 25. März 1985 – Fall Dr. Barthold – EuGRZ 1985, 170, 174 f.). Es kann danach nicht zweifelhaft sein, daß die in § 3 Abs. 2 WPflG getroffene Gesamtregelung, wonach ein Genehmigungsanspruch im Falle des Nichtheranstehens zum Wehrdienst sowie darüber hinaus in Härtefällen besteht, aus denselben Gründen mit Protokoll Nr. 4 EMRK im Einklang steht, aus denen sie sich als grundgesetz- und gemeinschaftsrechtskonform erweist.
Hinzu kommt, daß nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. b EMRK Militärdienst und ziviler Ersatzdienst nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EMRK gelten. Damit werden Wehrpflicht und Pflicht zum Ersatzdienst ausdrücklich als mit der EMRK vereinbar bezeichnet (vgl. Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1996 Art. 4 Rn. 14).
(2) Nach Art. 12 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte steht es jedermann frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen. Nach Art. 12 Abs. 3 IPbürgR darf dieses Recht jedoch eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendig ist. Auf die Ausführungen zu Protokoll Nr. 4 EMRK kann Bezug genommen werden.
3. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 Unter-Abs. 3 EG (früher Art. 177 Unter-Abs. 3 EGV) scheidet aus. Eine Vorlagepflicht ist zu verneinen, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 – Rechtssache 283/81 – Slg. 1982, 3415, 3430). Daran, daß die der Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland dienende Bestimmung des § 3 Abs. 2 WPflG mit Europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, können aber ernsthafte Zweifel nicht bestehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Niehues, Albers, Eckertz-Höfer, Büge, Graulich
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.11.1999 durch Klebba Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558320 |
EuGRZ 2000, 177 |
BVerwGE, 40 |
NVwZ 2000, 1290 |
NVwZ 2000, 294 |
JA 2000, 555 |
PersR 2000, 1 |
SGb 2000, 625 |