Entscheidungsstichwort (Thema)

Planfeststellung. Landesstraße. Ortsumgehung. Verkehrslärm. Lärmschutz. Vorkehrungen. Lärmschutzfenster. passiver Lärmschutz. Schutzvorkehrung. Wohnaußenbereich. Außenwohnbereich. Geldausgleich. Entschädigung. Lärmgrenzwerte. Grenzwerte. Zumutbarkeit. Unzumutbarkeit. Zweckbindung. Kostenerstattung. Kettenfahrzeug. Gelegenheitsverkehr. Militärverkehr

 

Leitsatz (amtlich)

Eine angemessene Entschädigung in Geld nach Art. 74 Abs. 2 S. 3 BayVwVfG kommt nur in Betracht, wenn technisch-reale Vorkehrungen zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen des Vorhabens untunlich oder mit ihm unvereinbar sind. Zu den technischrealen Vorkehrungen in diesem Sinn gehört auch der Einbau von Schallschutzfenstern auf Kosten des Vorhabenträgers.

 

Normenkette

BayStrWG Art. 38 Abs. 2; BayVwVfG Art. 74 Abs. 2; BImSchG § 41

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 26.11.1985)

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Kläger Brey und Fuchs wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. November 1985 aufgehoben, soweit darin über Ansprüche der Kläger auf Ergänzung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses wegen des zu erwartenden Verkehrslärms entschieden worden ist.

Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Kläger wohnen in eigenen Häusern an der Hohenburger Straße in Schmidmühlen. Die Straße soll im Zuge einer Teilortsumgehung der Staatsstraße 2235 verbreitert werden. Für das Straßenbauvorhaben wird ein Stück Vorgarten der Kläger zu 1 – 4 benötigt.

Die Straße rückt dann bis auf etwa 4 m an die Wohnhäuser heran. Alle Kläger haben im Planfeststellungsverfahren Einwendungen erhoben und dabei auch geltend gemacht, daß sie unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt sein würden. Im Planfeststellungsbeschluß der Regierung der Oberpfalz vom 6. August 1980 wurde bestimmt, daß zur Gewährleistung eines ausreichenden Lärmschutzes an den Wohnhäusern der Kläger Schallschutzmaßnahmen (schalldämmende Fenster) für die zur Straße hin gelegenen Wohn- und Ruheräume erforderlich seien. Die von den Betroffenen erbrachten notwendigen Aufwendungen habe die Straßenbauverwaltung zu erstatten. Nachträglich wurde die Regelung dahin ergänzt, daß Schallschutzfenster der Klasse 3 nach Maßgabe der Richtlinien für bauliche Maßnahmen zum Schutz gegen Außenlärm i.d.F. vom September 1975 (ergänzende Bestimmungen zu DIN 4109 – Schallschutz im Hochbau –) einzubauen seien. Insoweit werde eine Entschädigung in Geld gewährt. Im übrigen wurden die Einwendungen der Kläger zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht wies ihre Klagen ab. Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten, über das Begehren der Kläger auf Gewährung von Schallschutz neu zu entscheiden. Im übrigen wies es die Berufungen zurück. Der Beklagte hat Revision, die Kläger zu 3) und 4) haben Anschlußrevision eingelegt. Die Anschlußrevision ist auf die Bescheidung des Hilfsantrages zum Lärmschutz beschränkt.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung zu den Hilfsanträgen der Kläger wie folgt begründet:

Ein Anspruch auf Lärmschutz nach Art. 38 Abs. 2 BayStrWG (a.F.) setze eine „erhebliche Beeinträchtigung” des Anliegers voraus. Die Erheblichkeit richte sich nach der Schutzwürdigkeit der Umgebung. Die Anwesen der Kläger lägen in einem allgemeinen Wohngebiet, das durch die Hohenburger Straße vorbelastet sei.

Der zu erwartende Lärmpegel sei in einer Berechnung des Straßenbauamtes Amberg einwandfrei ermittelt worden, die der Beklagte während des anhängigen Streitverfahrens nachgereicht habe. Diese Berechnung entspreche dem nunmehr allgemein üblichen Verfahren der RLS 81. Danach ergäben sich für die Kläger Lärmimmissionen von 62,5 dB(A) bis 53.9 dB(A) am Tage. Die Nachtwerte lägen zwischen 51,5 und 53,0 dB(A). Bei Bestimmung der grundsätzlich zumutbaren Lärmgrenzwerte sei von den Werten des Entwurfs eines Verkehrslärmschutzgesetzes auszugehen. Sie könnten zwar nicht schematisch als „gesetzliche Grenzwerte” angewandt werden, sondern bedürften einer konkreten Bestimmung im Einzelfall. Eine solche Bestimmung führe aber bei den Klägern zu denselben Ergebnissen. Für die hier gegebene allgemeine Wohnlage seien danach Grenzwerte von 62 dB(A) tags und 52 dB(A) des Nachts anzunehmen. Tagsüber würden sie bei allen Klägern und nachts bei mehreren überschritten.

Im angefochtenen Beschluß seien deshalb richtigerweise Schallschutzmaßnahmen in der Form eines „passiven Lärmschutzes” zugebilligt worden. Aktive Schutzmaßnahmen seien nach Lage der Dinge nicht in Betracht gekommen. Die Kläger hätten somit einen Anspruch auf „angemessene Entschädigung” nach Art. 74 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG. Art. 38 Abs. 2 BayStrWG (a.F.) enthalte dafür keine Regelung.

Die entsprechenden Auflagen im Planfeststellungsbeschluß glichen jedoch die unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen nicht angemessen aus. Der Beklagte habe keine Entscheidung getroffen, ob und inwieweit den Klägern Anspruch auf angemessene Entschädigung nach Art. 74 Abs. 2 BayVwVfG für das „Wohnen im Außenbereich” und die Gartennutzung zustehe. Derartige Ansprüche, die sich aus einer wesentlich eingeschränkten Benutzbarkeit spezifisch für das „Wohnen im Freien” vorgesehener Gartenflächen ergäben, seien nach Lage der Dinge nicht von vornherein ausgeschlossen.

Unbewältigt geblieben sei auch die Lärmbetroffenheit durch den Einzelverkehr mit Kettenfahrzeugen. Eine Dauerbelastung durch Kettenfahrzeuge schließe der Planfeststellungsbeschluß aus, gelegentliche Belastungen bei Manövern seien nicht dem regelmäßigen Straßenaufkommen zuzurechnen. Es müsse aber darüber hinaus mit gelegentlichen Fahrten von Kettenfahrzeugen im Rahmen der üblichen Einzelbewegungen gerechnet werden, wenn die Ortsdurchfahrt Schmidmühlen nach Fertigstellung des Vorhabens auch von Panzern benutzt werden könne. Die davon ausgehenden sehr erheblichen Lärmeinwirkungen könnten die Zumutbarkeitsschwelle nach Art. 38 Abs. 2 BayStrWG (a.F.) überschreiten. Beeinträchtigungen durch solche Fahrten, die von Augenblicksentscheidungen der Einsatzleiter abhingen, möchten schwer zu erfassen sein. Sie seien deshalb vom Beklagten mit Recht bei der Ermittlung der allgemeinen Lärmbelastung unberücksichtigt geblieben. Insgesamt dürfe das Problem der Einzelfahrten mit Kettenfahrzeugen aber nicht zum Nachteil der Kläger ungelöst bleiben.

Über die Art und Weise des Ausgleichs für diese Beeinträchtigungen müsse der Beklagte im Rahmen seiner planerischen Gestaltungsfreiheit entscheiden. Soweit eine nähere Quantifizierung nicht möglich sei, biete sich ein Vorbehalt im Planfeststellungsbeschluß als Lösung an. Wenn der Beklagte den Lärm durch Einzelfahrten von Kettenfahrzeugen als nicht ausgleichsbedürftig einschätze, müsse das im Planfeststellungsbeschluß festgelegt werden, damit die Betroffenen ggf. Ansprüche auf nachträglichen Ausgleich wegen nicht voraussehbarer Wirkungen des Vorhabens stellen könnten (Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG).

Schließlich dürfe den Klägern eine angemessene Entschädigung in Geld nicht nur als Ersatz für bereits in der Form von Baumaßnahmen getätigte notwendige Aufwendungen bewilligt werden. Eine solche Bindung und Zahlungsweise möge zwar den Verwaltungsvorschriften und dem Sinn und Zweck der Entschädigung entsprechen. Sie finde jedoch weder im Wortlaut des Gesetzes noch in seiner Systematik eine Grundlage.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der beklagte Freistaat die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Kläger Brey und Fuchs haben Anschlußrevision eingelegt, mit der sie sich gegen die vom Berufungsgericht zugrundegelegten Grenzwerte für die Zumutbarkeit von Verkehrslärm wenden und Verfahrensverstöße geltend machen.

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er tritt für eine zweckgebundene Ausgleichszahlung ein, falls passiver Lärmschutz in Betracht kommt. Die Landesanwaltschaft Bayern, die sich als Vertreterin des öffentlichen Interesses ebenfalls am Revisionsverfahren beteiligt, weist besonders auf die Änderung der Berechnungsmethode zur Ermittlung von Lärmgrenzwerten hin.

 

Entscheidungsgründe

II.

Revision und Anschlußrevisionen führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Soweit das Berufungsgericht den Beklagten verpflichtet hat, über Lärmbeeinträchtigungen durch Gelegenheitsverkehr mit Kettenfahrzeugen und einen Geldausgleich für die Außenwohnbereiche neu zu entscheiden, beruht das Urteil auf unvollständiger Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO). Die Auffassung, daß anstelle von passivem Lärmschutz ein nicht zweckgebundener Ausgleich in Geld zu zahlen sei, steht mit revisiblem Recht nicht im Einklang.

Der Beklagte und die Kläger Brey und Fuchs rügen, das Berufungsgericht hätte selbst klären müssen, ob der Gelegenheitsverkehr mit Kettenfahrzeugen voraussichtlich ein solches Maß erreicht, daß ein physisch-realer oder finanzieller Ausgleich vorgesehen werden muß. Die Rügen sind begründet. Je nach Ausgang der von beiden Parteien geforderten Ermittlungen hätte das Berufungsgericht zu einer für die eine oder andere Seite günstigeren Entscheidung gelangen können.

In rechtlicher Hinsicht geht das Berufungsgericht davon aus, daß auch gelegentlicher Verkehr mit militärischen Kettenfahrzeugen auszugleichen sei, wenn er das Maß des Zumutbaren übersteige. Von diesem Standpunkt aus war es verpflichtet, selbst abschließend zu klären, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch vorlagen und ob technisch-reale Vorkehrungen in Betracht kamen oder nur ein Ausgleich in Geld. Das Berufungsgericht durfte es nicht der Planfeststellungsbehörde überlassen, darüber zu befinden, ob diese „sehr erheblichen Lärmbeeinträchtigungen, die die Zumutbarkeitsschwelle nach Art. 38 Abs. 2 BayStrWG (a.F.) durchaus überschreiten können” (BU, S. 35), die Schwelle wirklich überschreiten. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats steht die Entscheidung darüber, ob von einem Straßenbauvorhaben unzumutbare Beeinträchtigungen für die Bewohner ausgehen, nicht im Ermessen der Behörden (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 1975 – BVerwG 4 C 21.74 – BVerwGE 48, 56 ≪68 f.≫). Ist die Beeinträchtigung unzumutbar, darf die Behörde die Belange der Betroffenen nicht ohne Ausgleich überwinden. Diesen steht, wenn der Plan für das Vorhaben festgestellt wird ein Anspruch auf die im Gesetz vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen zu.

Gelegenheitsverkehr mit militärischen Kettenfahrzeugen ist auch nicht generell ungeeignet, ausgleichsbedürftige Beeinträchtigungen herbeizuführen. Zwar gehören Belästigungen durch den Lärm von Militärfahrzeugen zur allgemeinen Verteidigungslast. Das schließt aber nicht aus, einzelne, die davon in unzumutbarer Weise betroffen sind im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen zu schützen oder ihnen Ausgleichsansprüche für den Fall zuzubilligen daß realer Schutz nicht möglich ist. Ein solcher Ausgleich ist insbesondere dann sachgerecht, wenn die allgemeine Last sonst nicht gerecht verteilt werden kann.

Ebensowenig hindert die Tatsache, daß Lärmereignisse nur gelegentlich auftreten, daran, sie zum Anlaß für Schutzansprüche zu nehmen. Verkehrsgeräusche, die in größeren und ganz unregelmäßigen Zeitabständen auftreten und deswegen in einem Mittelungspegel nicht sinnvoll darzustellen sind, können gleichwohl erhebliche und unzumutbare Störungen verursachen und deshalb ausgleichsbedürftig sein. Dafür sind etwa die von einem Flughafen ausgehenden Geräusche ein Beispiel.

Bei erneuter Befassung mit der Sache wird sich das Berufungsgericht zunächst darüber klarwerden müssen, ob nach dem derzeit möglichen Erkenntnisstand Gelegenheitsverkehr mit militärischen Kettenfahrzeugen in einem Umfang zu erwarten ist daß er den Betroffenen nicht ohne Ausgleich zugemutet werden kann. Dabei kommt es nicht allein auf die Häufigkeit solcher Fahrten, sondern auch auf die Tageszeiten an, in denen mit derartigen Störungen zu rechnen ist. Des Nachts etwa können auch schon einzelne – in den Nächten wiederkehrende – Lärmereignisse die Anwohner aufwecken und damit empfindlich stören. Gegenüber Tagesgeräuschen ist die Störanfälligkeit erheblich geringer. Geräusche die nicht mit einiger Regelmäßigkeit, sondern nur aus bestimmten seltenen Anlässen (Manövern, Schwerlasttransporten, Bauarbeiten) auftreten, sind von vornherein nicht ausgieichsbedürftig. Bei ihnen besteht allenfalls ein ganz entfernter tatsächlicher Zusammenhang mit dem geplanten Vorhaben, dem der Vorhabenträger nicht Rechnung zu tragen braucht.

Lassen sich unzumutbare Belastungen durch Gelegenheitsverkehr mit Kettenfahrzeugen weder hinreichend zuverlässig voraussagen noch ausschließen, hat das Berufungsgericht den Beklagten zu verpflichten, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes – wenn nämlich entsprechende Erfahrungen vorliegen – über diese Frage erneut zu entscheiden. Auch insofern ist für einen Ermessensspielraum der Behörde nichts ersichtlich (Art. 74 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG). Ergeben die gerichtlichen Feststellungen hingegen, daß mit derartigen Belastungen derzeit nicht zu rechnen ist so sind die Hilfsanträge der Kläger insoweit zurückzuweisen. Erweist die Prognose sich später als falsch, so können diese nachträglich Ausgleichsansprüche stellen (Art. 75 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Mit der Rechtskraft des Urteils steht die Unvorhersehbarkeit der Beeinträchtigungen zwischen den Beteiligten fest.

Sind hingegen unzumutbare Beeinträchtigungen durch gelegentlich vorbeifahrende Kettenfahrzeuge bereits prognostisch erkennbar hat das Berufungsgericht selbst darüber zu befinden, ob Schutzvorkehrungen in Betracht kommen, die nach Art. 74 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG einem Geldausgleich vorgehen. Dazu gehören, wie noch darzulegen ist auch schalldämmende Maßnahmen auf den Grundstücken der Betroffenen. Hier kämen etwa verstärkte Schallschutzfenster in Betracht. Sind auch solche Vorkehrungen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar, so ist der Beklagte zu verpflichten, dem Baulastträger einen angemessenen Ausgleich in Geld aufzuerlegen. Das Berufungsgericht hat diese Verpflichtung dem Grunde nach festzustellen und gleichzeitig die Bemessungsgrundlagen für die Höhe anzugeben (BVerwG, Urteil vom 22. März 1985 – BVerwG 4 C 15.83 – BVerwGE 71, 166 ≪174≫). Als Bemessungsgrundlage wird in der Regel, wenn konkrete Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind, eine Verminderung des Verkehrswertes in Betracht kommen, wie sie durch die Beeinträchtigung oberhalb der Zumutbarkeitsgrenze eintritt. Das Berufungsgericht muß dann – ebenso wie die Planfeststellungsbehörde selbst – diese Berechnungsweise bezeichnen und die Grenze der ohne Ausgleich hinzunehmenden Belastung (etwa in der Form eines bestimmten Lärmpegels) angeben.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Beklagte dem Straßenbaulastträger auch einen Ausgleich für unzumutbare Beeinträchtigungen der für das Wohnen im Freien geeigneten und bestimmten Flächen durch Straßenlärm aufzuerlegen hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats (BVerwG. Urteil vom 21. Mai 1976 – BVerwG 4 C 80.74 – BVerwGE 51, 15 ≪33≫) und wird vom Beklagten auch grundsätzlich nicht in Frage gestellt. Auch in dieser Hinsicht hat das Berufungsgericht jedoch den Sachverhalt nicht in dem durch § 86 Abs. 1 VwGO gebotenen Umfang aufgeklärt. Es hätte sich nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, daß solche Ansprüche hier „nach Lage der Dinge” nicht ausgeschlossen seien. Vielmehr hätte abschließend geklärt werden müssen, ob die Vorgärten und Balkone der Kläger tatsächlich zum „Wohnen im Freien” dienen und wie ihre Schutzwürdigkeit konkret zu bestimmen ist.

Freiflächen sind nicht allein deswegen gegenüber Verkehrslärm schutzwürdig, weil sie zu Grundstücken gehören, für die wegen Überschreitung einer gebietsspezifischen Zumutbarkeitsschwelle an sich Ausgleichsansprüche gegeben sein können. Die Überschreitung einer solchen Zumutbarkeitsschwelle, wie sie für das Wohnen im Innern der Gebäude durch die Rechtsprechung herausgebildet worden ist (BVerwGE 51, 15 ≪29 ff.≫; BVerwGE 77, 285), führt bei den Freiflächen nicht ohne weiteres zu Ausgleichsansprüchen. Vielmehr ist deren Schutzbedürftigkeit je nach ihrer Lage und bestimmungsgemäßen Nutzung konkret festzustellen. Vorgärten etwa, die nur zum Schmuck des Anwesens bepflanzt werden, im übrigen aber nicht zum regelmäßigen Aufenthalt dienen, sind grundsätzlich nicht schutzwürdig. Dasselbe gilt für Balkone, wenn sie nicht zu einem dauernden Aufenthalt der Hausbewohner bestimmt sind.

Mit seiner Auffassung, den Klägern hätte hinsichtlich der ihnen zugebilligten schalldämmenden Fenster nur eine nicht zweckgebundene Entschädigung in Geld zugesprochen werden dürfen, verstößt das angefochtene Urteil gegen Art. 74 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG und damit gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Nach dieser Vorschrift ist ein angemessener Ausgleich in Geld nur zu zahlen, wenn Vorkehrungen oder Anlagen zum Schutz der Bewohner untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind. Gemeint sind damit – wie der Hinweis auf denselben Begriff im vorangehenden Absatz („solche Vorkehrungen”) erkennen läßt – technisch-reale Maßnahmen, die geeignet sind die schädlichen Auswirkungen des Straßenlärms auf die betroffenen Anliegergrundstücke zu mildern. Dazu gehören nach feststehender Rechtsprechung des Senats auch Schallschutzfenster, wie sie im angefochtenen Bescheid – ergänzt durch klarstellende Hinweise während des Verwaltungsstreitverfahrens – dem Straßenbaulastträger zur Auflage gemacht worden sind (BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 17 – 19.84 – BVerwGE 77, 295 ≪298≫; Beschluß vom 7. September 1988 – BVerwG 4 N 1.87 – DVBl. 1988, 1167). Daß diese Maßnahmen im Herrschaftsbereich des Betroffenen selbst zu treffen sind und demgemäß von seiner Zustimmung abhängen, ändert daran nichts. Leistungsverpflichtungen können häufig nur im Einvernehmen mit dem Leistungsempfänger erfüllt werden. Unüberwindbare Schwierigkeiten ergeben sich daraus weder für den Straßenbaulastträger noch für den zu schützenden Anlieger.

Deshalb sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen dafür, daß der Anspruch auf Schutzvorkehrungen mangels Erfüllbarkeit gemäß Art. 74 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG in einen Anspruch auf angemessene Entschädigung umschlägt, nicht gegeben. Der hier gewährte Aufwendungsersatz ist keine „Entschädigung” im Sinne des Art. 74 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG und mithin auch keine – möglicherweise unzulässige – „zweckgebundene” Entschädigung. Der Aufwendungsersatz ist vielmehr nur eine Modalität, in der der Anspruch auf reale Schutzvorkehrungen erfüllt wird (Art. 74 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG). Das Gesetz regelt nicht, wie dieser Anspruch zu erfüllen ist. Da einerseits die Art der einzubauenden Fenster durch den Hinweis auf bestimmte Richtlinien festgelegt worden ist, andererseits die Einzelheiten des Einbaus sinnvollerweise dem Grundstückseigentümer zu überlassen sind, ist auch sonst gegen diese Regelung unter den gegebenen Umständen nichts einzuwenden. Der Straßenbaulastträger kann sich seiner Pflicht durch das Angebot an den Grundstückseigentümer entledigen, die Kosten des Einbaus normgerechter Fenster durch einen Unternehmer zu übernehmen. Vorleistungen des Eigentümers können vermieden werden, indem der Straßenbaulastträger ihn dem Unternehmer gegenüber freistellt. Erweist sich später, daß eine Unterhaltung der eingebauten Schallschutzfenster teurer ist als die normaler Fenster, so hat der Straßenbaulastträger die Differenz zu erstatten. Auch insoweit brauchen die näheren Einzelheiten nicht im Planfeststellungsbeschluß geregelt zu werden, sondern können dem Straßenbaulastträger überlassen bleiben.

Zu der von den Klägern Brey und Fuchs mit ihren Anschlußrevisionen aufgeworfenen Frage nach der Bemessung der gebietsspezifischen Zumutbarkeitsschwelle für den Verkehrslärm wird auf folgendes hingewiesen:

Ob der von der Staatsstraße 2235 ausgehende Verkehrslärm den Anliegern „zumutbar” ist, ist aufgrund des Art. 38 Abs. 2 BayStrWG und daher nach irrevisiblem Landesrecht zu entscheiden (vgl. BVerwGE 77, 295 ≪299≫). Zu prüfen bleibt dem Revisionsgericht nur, ob die Mindestgewährleistungen des § 41 Bundes-Immissionsschutzgesetz erfüllt sind. Einen Verstoß gegen diese Vorschrift vermag der Senat nicht festzustellen. Die nach der Rechtsprechung des Senats (BVerwGE 77, 285 ≪287≫) ausschlaggebende „umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls” ist vorrangig Sache des Tatsachengerichts. Dem Revisionsgericht steht es nicht zu, das in seinem Bescheidungsurteil unzulängliche Berufungsurteil aufgrund eigener tatsächlicher Würdigungen durch ein präziseres Bescheidungsurteil zu ersetzen. Die hier insbesondere umstrittenen Bewertungen von gelegentlich auftretenden Lärmspitzen bei Kettenfahrzeugen, die Schutzwürdigkeit der Vorgärten und die Abrechnungsmodalitäten beim Einbau von Schallschutzfenstern hängen in besonderem Maße von den Umständen des Einzelfalls ab. Selbst wenn insofern auf generelle Maßstäbe oder allgemein zu verwertende Erkenntnisse von Sachverständigen zurückgegriffen werden könnte, bestehen jedenfalls keine wesentlichen Zusammenhänge mit den vom Senat (BVerwGE 51, 15 ≪29≫; 77, 285) gegebenen Hinweisen auf die allgemeine Schutzwürdigkeit des Wohnens innerhalb eines Gebäudes in einem nicht vorbelasteten Wohngebiet.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Schlichter, Dr. Niehues, Dr. Kühling, Sommer, Dr. Lemmel

 

Fundstellen

DVBl. 1989, 358

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