Leitsatz (amtlich)
1. Die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss bei der Einbeziehung eines den angefochtenen Bescheid ändernden oder ersetzenden Bescheids im Wege einer zulässigen Klageänderung nicht eingehalten werden, wenn die nach der Änderung oder Ersetzung noch angefochtenen Regelungsbestandteile nach materiellem Recht unteilbar sind.
2. Regelungen über die Berechtigtenfeststellung nach § 2 Abs. 1 VermG und über die Verpflichtung zur Erlösauskehr an den Berechtigten nach § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG sind materiell-rechtlich nicht teilbar.
Verfahrensgang
VG Cottbus (Urteil vom 27.09.2018; Aktenzeichen 1 K 797/13) |
Tenor
Soweit der Kläger die Klage in der Revisionsverhandlung mit Zustimmung der Beklagten teilweise - bezüglich des Feststellungsantrags - zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 27. September 2018 wirkungslos.
Im Übrigen wird das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Verpflichtung zur Auskehr des Erlöses aus der Veräußerung des Grundstücks H. Straße... in S. (Flurstück... der Flur..., früher: Parzelle...) an die Beigeladenen.
Rz. 2
Das Grundstück stand im Eigentum von R. I., der Jude im Sinne der NS-Rassegesetze war. Er veräußerte es im Juli 1934 an die Großeltern des Klägers. Über R. I. Vermögen wurde 1939 eine vorläufige Sicherungsanordnung erlassen, 1943 wurde es zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen. R. I. wurde in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort umgebracht.
Rz. 3
1990 beantragten Mitglieder der Erbengemeinschaft nach den Eheleuten I. die Rückübertragung des Grundstücks. Der Kläger und seine Mutter veräußerten das inzwischen in ihrem Eigentum stehende Grundstück im April 1991 zu einem Kaufpreis von umgerechnet 81 806,70 €. Die Mutter des Klägers verstarb im Jahr 2000.
Rz. 4
Mit Teilbescheid vom 20. August 2013 stellte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen die vermögensrechtliche Berechtigung der Beigeladenen in ungeteilter Erbengemeinschaft hinsichtlich des Grundstücks fest. Es lehnte dessen Rückübertragung ab, erkannte den Beigeladenen einen Anspruch auf Erlösauskehr gegen den Kläger zu und verpflichtete sie zur Zahlung einer Gegenleistung. Der Kläger hat fristgerecht Klage gegen den Teilbescheid erhoben und angekündigt, dessen Aufhebung sowie die Feststellung zu beantragen, dass für den Eigentumsverlust an dem Grundstück ihm gegenüber kein Anspruch auf Erlösauskehr bestehe.
Rz. 5
Nachdem das Amtsgericht Bautzen 2014 festgestellt hatte, dass die Mutter des Klägers allein vom Freistaat Sachsen beerbt wurde, nahm das Bundesamt den Teilbescheid vom 20. August 2013 mit Teil-Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2015 hinsichtlich der Verpflichtung zur Erlösauskehr mit Wirkung für die Vergangenheit zurück, erkannte den Beigeladenen einen Anspruch auf Erlösauskehr nunmehr gegen die Erbengemeinschaft nach R. H. F. G., bestehend aus dem Kläger und dem Freistaat Sachsen, zu und sprach diesen in Erbengemeinschaft die Gegenleistung zu. Im Übrigen bleibe der Bescheid vom 20. August 2013 unberührt. Der Änderungsbescheid ist dem Kläger persönlich zugestellt und dem Verwaltungsgericht zur Kenntnis übersandt worden. Dieses hat ihn im November 2015 mit der Bitte um Kenntnisnahme und gegebenenfalls Stellungnahme an den Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt.
Rz. 6
Mit Schriftsatz vom 12. April 2018 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich gegen den Vortrag der Beklagten gewandt, der Änderungsbescheid sei bestandskräftig geworden, und darauf hingewiesen, dass der Kläger sich auch gegen den Änderungsbescheid wende und weiterhin jede Verpflichtung zur Erlösauskehr abwehre.
Rz. 7
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Feststellungsbegehren des Klägers sei unstatthaft und sein Anfechtungsbegehren unzulässig. Der Kläger habe den Änderungsbescheid zwar im Wege einer zulässigen Klageänderung in sein Anfechtungsbegehren einbezogen, damit jedoch die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht gewahrt. Werde ein Verwaltungsakt, der mehrere rechtlich selbstständige Regelungen oder eine inhaltlich teilbare Regelung enthalte, während eines Rechtsbehelfsverfahrens teilweise geändert, erwachse der Änderungsbescheid in Bestandskraft, wenn er nicht fristgerecht angegriffen werde. Seine Bestandskraft könne durch eine spätere Einbeziehung in ein anhängiges Klageverfahren nicht mehr beseitigt werden. Die Regelung über die Berechtigtenfeststellung im ursprünglichen Teilbescheid vom 20. August 2013 und die Regelung über die Verpflichtung zur Erlösauskehr im Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2015 seien selbstständige, jeweils der Bestandskraft fähige Teilentscheidungen. Letztere sei mangels rechtzeitiger Anfechtung bestandskräftig geworden. Damit sei das Anfechtungsbegehren auch im Übrigen unzulässig geworden. Dem Kläger fehle das Rechtsschutzbedürfnis für eine Aufhebung der Berechtigtenfeststellung nach Ziffer 1 des Teilbescheides vom 20. August 2013, weil sie ihm für sich genommen keinerlei rechtliche Vorteile mehr biete.
Rz. 8
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Revision vor, das verwaltungsgerichtliche Urteil verletze § 74 Abs. 1 VwGO. Aus § 96 SGG und § 68 FGO folge der allgemeine Rechtsgedanke, dass ändernde oder ersetzende Bescheide in ein laufendes gerichtliches Verfahren einbezogen werden könnten, ohne die Rechtssicherheit oder die Verwaltungseffizienz zu gefährden. Unterscheide sich der Regelungsgegenstand eines solchen Bescheides inhaltlich nicht grundlegend von dem ursprünglich angefochtenen Bescheid, sei bei seiner Einbeziehung in das Klageverfahren keine Klagefrist einzuhalten. Hier beträfen beide Bescheide denselben Gegenstand unabhängig davon, ob der Kläger allein oder als Teil einer Erbengemeinschaft zur Erlösauskehr in Anspruch genommen werde. Der Änderungsbescheid habe an dem mit der Klage geäußerten Willen des Klägers, die Verpflichtung zur Erlösauskehr abzuwehren, nichts geändert.
Rz. 9
In der mündlichen Revisionsverhandlung hat der Kläger seinen Feststellungsantrag zurückgenommen. Die Beklagte hat der Rücknahme zugestimmt.
Rz. 10
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 27. September 2018 zu ändern und Ziffer 1 des Teilbescheides der Beklagten vom 20. August 2013 und Ziffer 2 ihres Teil-Aufhebungs- und Änderungsbescheides vom 27. Oktober 2015 aufzuheben.
Rz. 11
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 12
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Rz. 13
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag und haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Rz. 14
Soweit der Kläger seine Klage - hinsichtlich des Feststellungsantrages - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO) und das vorinstanzliche Urteil für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Im Übrigen ist die Revision zulässig und begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer unrichtigen Anwendung von § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil es die Anfechtungsklage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen hat. Es stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 137 Abs. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Da seine Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen, war das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Rz. 15
1. Gegenstand der Anfechtungsklage sind, wie das Verwaltungsgericht in zutreffender Auslegung des Klageantrags gemäß § 88 VwGO angenommen hat, die Berechtigtenfeststellung in Ziffer 1 des Teilbescheides vom 20. August 2013 und die Verpflichtung des Klägers und des Freistaates Sachsen in Erbengemeinschaft zur Erlösauskehr nach Ziffer 2 des Teil-Aufhebungs- und Änderungsbescheides vom 27. Oktober 2015 (im Folgenden: Änderungsbescheid). Die geänderte Regelung zur Erlösauskehr stellt einen neuen Streitgegenstand dar, weil sie den Beigeladenen einen Anspruch gegen den Kläger und den Freistaat Sachsen in ungeteilter Erbengemeinschaft verleiht. Dieser unterliegt anderen zivilrechtlichen Regelungen als der ursprüngliche, allein gegen den Kläger gerichtete Anspruch auf Erlösauskehr. Der Kläger hat den Änderungsbescheid mit seiner aufgrund der Einwilligung des Beklagten zulässigen Klageänderung (§ 91 Abs. 1 und 2 VwGO) in das Verfahren einbezogen.
Rz. 16
2. Die Anfechtungsklage erweist sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich des Änderungsbescheides als zulässig. Zwar entbindet eine zulässige Klageänderung den Kläger grundsätzlich nicht von der Einhaltung sämtlicher Sachurteilsvoraussetzungen für die geänderte Klage und damit auch nicht von der Einhaltung der Klagefrist (a). Sind die ursprünglich angefochtene Regelung und die mit der Klageänderung einbezogene Regelung jedoch nach materiellem Recht unteilbar, bedarf es für die Anfechtung der nachträglich einbezogenen Regelung ausnahmsweise keiner erneuten Einhaltung der Klagefrist (b).
Rz. 17
a) Für einen im Wege einer zulässigen Klageänderung rechtshängig gemachten Klageantrag gelten grundsätzlich sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen (BVerwG, Urteile vom 23. März 1972 - 3 C 132.70 - BVerwGE 40, 25 ≪32≫ und vom 16. Januar 1986 - 5 C 36.84 - Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 5 S. 13; Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 91 Rn. 87). Ein Verzicht auf Sachurteilsvoraussetzungen liefe dem für die Zulässigkeit der Klageänderung maßgeblichen Grundgedanken der Prozessökonomie zuwider. Es wäre nicht prozessökonomisch, wenn das Gericht eine Sachentscheidung über einen nachträglich in das laufende Verfahren einbezogenen Streitgegenstand treffen würde, obwohl eine Klage gegen diesen als unzulässig abgewiesen werden müsste. Die Geltung von Verfahrensrecht steht überdies nicht zur Disposition der Beteiligten. Deshalb sind die Sachurteilsvoraussetzungen auch bei einer Einwilligung des Beklagten in die Klageänderung von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteile vom 23. März 1972 - 3 C 132.70 - BVerwGE 40, 25 ≪32≫ und vom 16. Januar 1986 - 5 C 36.84 - Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 5 S. 13).
Rz. 18
Somit ist auch die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der Einbeziehung eines Bescheides im Wege der Klageänderung grundsätzlich einzuhalten. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht für die klageändernde Einbeziehung der Ablehnung eines Verpflichtungsbegehrens bereits entschieden (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - BVerwGE 105, 288 ≪294 f., 296 f.≫, und vom 25. Juni 2009 - 3 C 18.08 - Buchholz 418.77 MinTVO Nr. 3 S. 3, sowie Beschluss vom 30. Juli 2010 - 8 B 125.09 - ZOV 2010, 231, Rn. 16 ff.). Für Anfechtungsklagen gilt nichts anderes. Auch ein Bescheid, der den Gegenstand eines bereits angefochtenen Bescheides ergänzt oder ändert, muss innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO selbstständig angefochten oder in die anhängige Anfechtungsklage einbezogen werden (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 23. März 1972 - 3 C 132.70 - BVerwGE 40, 25 ≪13 f.≫; offengelassen von BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - BVerwGE 105, 288 ≪296 f.≫ und amtlicher Leitsatz 3). Dafür sprechen neben systematischen Argumenten vor allem der Sinn und Zweck der Klagefrist, Rechtssicherheit für die von diesem Bescheid betroffenen Rechtssubjekte herzustellen.
Rz. 19
aa) Der Wortlaut des § 91 VwGO steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift regelt die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Klageänderung, ohne die geänderte Klage ausdrücklich an eine Frist zu binden oder sie von der Einhaltung der Klagefrist zu dispensieren. Allerdings führt die Klageänderung - ebenso wie die Klageerhebung nach § 90 Abs. 1 Satz 1 VwGO - die Rechtshängigkeit des durch sie einbezogenen Streitgegenstandes herbei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 2014 - 3 B 72.13 - Buchholz 300 § 17 GVG Nr. 6 S. 12; Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - BVerwGE 105, 288 ≪294 f.≫; Ortloff/Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 91 Rn. 79; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 35). Die Klageänderung steht deshalb für das neue Begehren rechtlich einer Klageerhebung gleich (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997, a.a.O., S. 294 f.). Für den Zivilprozess regelt § 261 Abs. 2 ZPO dies ausdrücklich. Der systematische Regelungszusammenhang in der Verwaltungsgerichtsordnung spricht deshalb dafür, das Erfordernis der Wahrung der Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO auf die geänderte Klage zu erstrecken.
Rz. 20
bb) Aus dem Sozialgerichtsgesetz und der Finanzgerichtsordnung ergibt sich nichts anderes. Anders als in der Verwaltungsgerichtsordnung hat der Gesetzgeber dort besondere Regelungen zur Einbeziehung von Änderungsbescheiden in ein laufendes Klageverfahren getroffen und sie mehrfach an die jeweiligen praktischen Erfordernisse angepasst.
Rz. 21
Nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Die Vorschrift führt zu einer Klageänderung kraft Gesetzes unmittelbar mit Ergehen eines Änderungsbescheides (vgl. Becker, in: Roos/Wahrendorf, SGG, Stand 1. September 2019, § 96 Rn. 5). Sie soll eine schnelle, erschöpfende Regelung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren ermöglichen, divergierende Entscheidungen vermeiden und den Kläger vor Rechtsnachteilen durch sein Unterlassen rechtlicher Schritte im Vertrauen auf den bereits eingelegten Rechtsbehelf schützen (vgl. die Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 11. Januar 2008 - BT-Drs. 16/7716, S. 18 f.). Damit erübrigt sich ein Antrag innerhalb der Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG (vgl. auch Becker, a.a.O. Rn. 54). § 96 Abs. 1 SGG dehnt die Einbeziehung von Änderungsbescheiden in zeitlicher Hinsicht auf nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides und vor Klageerhebung ergangene Bescheide aus (vgl. BT-Drs. 16/7716, 18 f.). Neben § 96 SGG enthält das Sozialgerichtsgesetz außerdem spezielle Regelungen über die Einbeziehung von ändernden oder ersetzenden Bescheiden in das Vorverfahren (§ 86 SGG) und von Änderungsbescheiden, die während des Revisionsverfahrens ergehen (§ 171 SGG).
Rz. 22
Gemäß § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der seit dem 1. April 2005 geltenden Fassung des Justizkommunikationsgesetzes vom 22. März 2005 (BGBl. I S. 837) wird ein Bescheid, der den angefochtenen Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ändert oder ersetzt, ohne Möglichkeit eines Einspruchsverfahrens Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens. Auch hierbei ist also keine Klagefrist zu wahren. Allerdings sahen vorhergehende Fassungen des § 68 FGO ein Antragserfordernis (vgl. § 68 in der ursprünglichen Fassung der FGO, BGBl. 1965 I S. 1477, 1486) und in seiner vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung auch eine einmonatige Antragsfrist für die Einbeziehung des ändernden oder ersetzenden Bescheides vor (BGBl. 1992 I S. 2109; zur Entwicklung der Norm vgl. von Groll, in: Gräber, FGO, 6. Aufl. 2006, § 68 Rn. 5; Herbert, in: Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 68 Rn. 5; Schallmoser, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand August 2020, § 68 FGO Rn. 1 ff.). Mit der aktuellen Fassung wurden sowohl das Antragserfordernis als auch die Antragsfrist zugunsten einer Einbeziehung des ändernden Bescheides in das Gerichtsverfahren kraft Gesetzes aufgegeben, weil die vorherige Regelung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten geführt habe (vgl. BT-Drs. 14/4061 S. 8).
Rz. 23
Die Unterschiede zwischen dem Regelungsgehalt und der Entwicklungsgeschichte des § 96 SGG und des § 68 FGO lassen es nicht zu, aus ihnen einen allgemeinen Rechtsgedanken der nicht fristgebundenen Einbeziehung von Änderungsbescheiden in ein anhängiges Klageverfahren abzuleiten. Sie sprechen dafür, dass der Gesetzgeber in den Bereichen der Sozialverwaltung und der Finanzverwaltung auf die dortigen praktischen Erfordernisse abgestimmte Verfahrenserleichterungen für Adressaten von Änderungsbescheiden schaffen wollte. Von einer Harmonisierung der Verwaltungsgerichtsordnung mit den beiden anderen öffentlich-rechtlichen Prozessordnungen hat der Gesetzgeber jedoch gerade abgesehen. Daher besteht keine planwidrige Regelungslücke in der Verwaltungsgerichtsordnung, die eine Übertragung eines Rechtsgedankens aus den genannten ausdrücklichen Regelungen rechtfertigen würde.
Rz. 24
cc) Schließlich entspricht es dem Sinn und Zweck des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Zulässigkeit eines durch Klageänderung rechtshängig gewordenen Anfechtungsbegehrens von der Einhaltung der Klagefrist abhängig zu machen. Die Fristbestimmung sichert das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Prinzip der Bestandskraft staatlicher Entscheidungen und soll für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit sorgen (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 - BVerfGE 60, 253 ≪267 bis 271≫; BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - BVerwGE 105, 288 ≪295≫; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 74 Rn. 2, 5). Sie stellt einen Ausgleich zwischen dem Interesse des Betroffenen an der gerichtlichen Kontrolle staatlicher Hoheitsakte und dem öffentlichen - sowie in mehrpoligen Verhältnissen auch dem privaten - Interesse am Bestand staatlicher Entscheidungen her, der nicht der Disposition der Beteiligten unterliegt. Das Erfordernis der Einhaltung der Klagefrist bei der Anfechtung klageändernd einbezogener Bescheide schützt das Interesse der Behörde und etwaiger Dritter, Rechtssicherheit zu erlangen, ob der Änderungsbescheid bestandskräftig geworden ist und vollzogen werden kann. Dem durch die neue Regelung belasteten Kläger obliegt es zu prüfen, ob er es mit ihr bewenden lassen oder ob er sie in sein anhängiges Anfechtungsbegehren einbeziehen will.
Rz. 25
b) Hinsichtlich des nachträglich in die Klage einbezogenen Bescheides muss eine Klagefrist allerdings dann nicht eingehalten werden, wenn die nach der Änderung oder Ersetzung verbleibenden Bestandteile des ursprünglich und fristgerecht angefochtenen Bescheides und die Regelungsbestandteile des Änderungs- oder Ersetzungsbescheides nach materiellem Recht unteilbar sind. In diesem Fall muss der Kläger die gesamte Regelung angreifen, um mit seinem fristgerecht anhängig gemachten ursprünglichen Anfechtungsbegehren Erfolg zu haben. Deshalb kann ungeachtet einer Überschreitung der Klagefrist bei der Einbeziehung des weiteren Bescheides angenommen werden, dass sich sein Abwehrwille unverändert auf die gesamte unteilbare Regelung erstreckt, sodass weder die Behörde noch etwa betroffene Dritte mit dem Eintritt der Bestandskraft des Änderungs- oder Ersetzungsbescheides rechnen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 2009 - 9 A 31.07 - Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 15 Rn. 21 ff., 23 f. m.w.N.; VGH Mannheim, Urteil vom 3. November 1982 - 3 S 1168/82 - VBlBW 1983, 266 ≪267 f.≫).
Rz. 26
Gemessen daran bedurfte es hier nicht der erneuten Einhaltung der Klagefrist. Die Regelungen der Berechtigtenfeststellung in dem Teilbescheid der Beklagten vom 20. August 2013 und zur Erlösauskehr in dem Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2015 sind entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts rechtlich und tatsächlich nicht voneinander unabhängig (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 2009 - 8 C 12.08 - BVerwGE 135, 272 Rn. 26) und deshalb materiell-rechtlich nicht teilbar. Die Berechtigtenfeststellung (§ 2 Abs. 1 VermG) ist eine der Bestandskraft fähige behördliche Feststellung einer Voraussetzung des Restitutionsanspruchs und damit auch des Anspruchs auf Erlösauskehr (§ 3 Abs. 4 Satz 3 VermG, stRspr vgl. nur BVerwG, Urteile vom 13. April 2000 - 7 C 84.99 - BVerwGE 111, 129 Rn. 11 und vom 25. April 2000 - 8 C 5.00 - Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 32 S. 25 sowie Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 8 B 38.18 - ZOV 2020, 66 Rn. 5). Deshalb muss der Kläger die Feststellung der vermögensrechtlichen Berechtigung der Beigeladenen anfechten, um der Regelung über die Erlösauskehr entgegenhalten zu können, der Grundstücksverkauf an seine Rechtsvorgänger im Jahre 1934 sei nicht verfolgungsbedingt gewesen. Dass die Behörde die Berechtigtenfeststellung als selbstständiges Teilelement des vermögensrechtlichen Anspruchs auf Erlösauskehr auch in einem gestuften Verfahren hätte vorab treffen und erst nach deren Bestandskraft eine Regelung zur Erlösauskehr erlassen können, begründet nicht die Teilbarkeit der vorliegend in einem einheitlichen Bescheid getroffenen Regelungen (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 25. November 2009 - 8 C 12.08 - BVerwGE 135, 272 Rn. 29 und vom 28. November 2012 - 8 C 21.11 - BVerwGE 145, 122 Rn. 16). Dem Verwaltungsgericht wäre es bei einer solchen einstufigen behördlichen Verfahrensgestaltung auch versagt, unabhängig von einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Berechtigtenfeststellung eine Teilentscheidung über die Rückübertragung oder Erlösauskehr zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. November 2012 - 8 C 21.11 - BVerwGE 145, 122 Rn. 16).
Rz. 27
3. Wegen der Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen die Regelung der Erlösauskehr im Änderungsbescheid der Beklagten ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage gegen die Berechtigtenfeststellung im Teilbescheid vom 20. August 2013 nicht entfallen.
Rz. 28
4. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf der festgestellten Verletzung des § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist auch nicht im Ergebnis richtig. Der Senat kann über die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Regelungen in der Sache nicht selbst entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründetheit der Anfechtung der Berechtigtenfeststellung und der Verpflichtung zur Erlösauskehr - aus seiner Sicht konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Tatsachenfeststellung und Entscheidung in der Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
BVerwGE 2021, 311 |
DÖV 2021, 504 |
JZ 2021, 244 |
LKV 2021, 119 |
BayVBl. 2021, 639 |
RÜ 2021, 318 |
GK/Bay 2021, 387 |