Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrerlaubnis. EU-Fahrerlaubnis. Führerschein. EU-Führerschein. Anerkennung. Anerkennungsgrundsatz. ordentlicher Wohnsitz. Fahreignung. Kraftfahreignung. fehlende Eignung. Eignungszweifel. Überprüfung der Eignung. Alkoholmissbrauch. Entziehung der Fahrerlaubnis. Aberkennung des Rechts von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. medizinisch-psychologisches Gutachten. Missbrauch. Umgehung. Führerscheintourismus
Leitsatz (amtlich)
Dem Inhaber eines Führerscheins, der in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach einer Fahrerlaubnisentziehung in Deutschland ausgestellt wurde, kann bei weiterhin fehlender Fahreignung das Recht aberkannt werden, von seiner neuen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein feststeht, dass sein Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte.
– wie Urteil vom selben Tage in der Sache BVerwG 3 C 26.07 –
Normenkette
StVG § 3 Abs. 1; FeV § 11 Abs. 8, § 28 Abs. 1, 4, § 46 Abs. 1, 3; RL Nr. 91/439/EWG Art. 1 Abs. 2; RL Nr. 91/439/EWG Art. 7 Abs. 1; RL Nr. 91/439/EWG Art. 7 Abs. 5; RL Nr. 91/439/EWG Art. 8 Abs. 2; RL Nr. 91/439/EWG Art. 8 Abs. 4; RL Nr. 91/439/EWG Art. 9
Verfahrensgang
VG Darmstadt (Urteil vom 20.09.2007; Aktenzeichen 2 E 463/07(2)) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 20. September 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen eine Verfügung des Beklagten, mit der ihm das Recht entzogen wurde, von der ihm in der Tschechischen Republik erteilten Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.
Der Kläger, der im Oktober 1997 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erhalten hatte, verursachte im November 1997 durch grob verkehrswidrige Fahrweise einen Verkehrsunfall. Er wurde deshalb durch rechtskräftiges Urteil vom 2. Juni 1998 wegen fahrlässiger Körperverletzung verwarnt; außerdem wurde ihm für die Dauer von zwei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.
Bei einer Verkehrskontrolle im Juni 1999 geriet der Kläger in den Verdacht, Betäubungsmittel zu konsumieren. Eine toxikologische Untersuchung wies auf die vorangegangene Aufnahme von Cannabisprodukten hin. Ein im Januar 2000 zu seiner Fahreignung erstelltes medizinisch-psychologisches Gutachten ergab, derzeit sei noch zu erwarten, dass der Kläger zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit ein Fahrzeug unter Betäubungsmitteleinfluss oder unter deren Nachwirkungen führen werde. Im Februar 2000 verzichtete der Kläger, nachdem ihn der Beklagte zu der wegen des Ergebnisses der Begutachtung beabsichtigten kostenpflichtigen Fahrerlaubnisentziehung angehört hatte, auf seine Fahrerlaubnis.
Am 27. Dezember 2004 erwarb der Kläger in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis der Klasse B; im dort ausgestellten Führerschein ist sein Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland angegeben.
Nachdem sich aus einem gegen den Kläger ergangenen Strafurteil Hinweise auf Alkoholmissbrauch ergeben hatten, ordnete der Beklagte am 29. März 2006 die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu seiner Fahreignung an. Ein solches Gutachten legte der Kläger nicht vor.
Daraufhin entzog ihm der Beklagte mit Bescheid vom 5. Oktober 2006 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und gab ihm auf, binnen einer Woche nach Zustellung der Verfügung den Führerschein zur Eintragung eines Vermerks über die Aberkennung vorzulegen. Zur Begründung heißt es: Wegen der Weigerung, sich der angeordneten Begutachtung zu unterziehen, sei gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 29. April 2004 lasse keine andere Entscheidung zu, da dort die Besonderheiten im Falle gefahrenabwehrrechtlich relevanter Eignungsmängel nicht erörtert würden. Nach Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der EU-Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG könne die Anerkennung eines von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abgelehnt werden. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte zurück.
Die Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. September 2007 abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt: Es lägen hinreichende Anhaltspunkte vor, die beträchtliche Zweifel an der Kraftfahreignung des Klägers begründeten. Die im Zusammenhang mit seinen strafgerichtlichen Verurteilungen zu Tage getretenen Promillewerte ließen den Schluss zu, dass er alkoholabhängig sei. Nachdem er der Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen sei, habe der Beklagte rechtsfehlerfrei auf seine mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen. Nach Art. 8 Abs. 4 der EU-Führerscheinrichtlinie könne es ein Mitgliedstaat ablehnen, die von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Fahrerlaubnis anzuerkennen.
Mit seiner Sprungrevision macht der Kläger geltend: Der Bescheid habe nicht darauf gestützt werden können, dass er sich geweigert habe, das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten vorzulegen. Dies habe er wegen des in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG festgelegten Anerkennungsgrundsatzes zu Recht verweigert. Mit der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis sei ihm die Fahreignung bestätigt worden; seitdem habe er sich nichts zu Schulden kommen lassen, so dass auch Eignungszweifel nicht berechtigt seien. Die neue Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG sei auf seinen Fall nicht anwendbar. Der Europäische Gerichtshof habe in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass der Aufnahmemitgliedstaat darauf beschränkt sei, den Ausstellermitgliedstaat auf etwaige Eignungsbedenken oder das Fehlen eines dortigen Wohnsitzes hinzuweisen; dagegen sei es ihm verwehrt, das Vorliegen der Mindestvoraussetzungen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis nachzuprüfen. Dies habe der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 bestätigt. Damit sei er zugleich dem Argument entgegengetreten, eine Überprüfung der Fahreignung und eine Entziehung der Fahrerlaubnis seien bei einem fortwirkenden Eignungsmangel oder bei Rechtsmissbrauch gleichwohl möglich. Zwar habe der Gerichtshof das Wohnsitzerfordernis in diesen Entscheidungen wieder etwas in den Vordergrund gerückt, doch sei die Nichtanerkennung der Fahrerlaubnis bei Fehlen eines Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat eine Ermessensentscheidung. Dieses Ermessen habe der Beklagte nicht ordnungsgemäß ausgeübt, sondern geglaubt, sich im Rahmen gebundener Verwaltung zu bewegen.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält das Urteil des Verwaltungsgerichts ebenfalls für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, und gegen die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins bei der Fahrerlaubnisbehörde im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
1. Die Klage ist, soweit die Aberkennung angefochten wird, nicht wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig (so aber in Parallelfällen VGH München, Beschlüsse vom 7. August 2008 – 11 ZB 07.1259 – DAR 2008, 662 und vom 11. August 2008 – 11 CS 08.832 –).
Ein Rechtsschutzinteresse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann. Die Nutzlosigkeit muss also eindeutig sein. Im Zweifel ist das Rechtsschutzinteresse zu bejahen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 29. April 2004 – BVerwG 3 C 25.03 – BVerwGE 121, 1 ≪3≫ = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9 m.w.N.). Hier ergibt es sich jedenfalls daraus, dass dem Kläger die Aberkennungsentscheidung, ließe er sie bestandskräftig werden, als eigenständiger Rechtsgrund entgegengehalten werden könnte. Er wäre damit an einem Gebrauchmachen von seiner tschechischen Fahrerlaubnis gehindert, ohne dass es noch darauf ankäme, ob ein solches Recht möglicherweise schon von vornherein nach § 28 Abs. 4 Nr. 2 und 3 FeV nicht bestand.
2. Die Klage ist aber unbegründet.
a) Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung (vgl. u.a. Urteile vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 ≪250≫ = Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 24 und vom 5. Juli 2001 – BVerwG 3 C 13.01 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 = NJW 2002, 78 m.w.N.). Zugrunde zu legen sind danach das Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, ber. S. 919), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 14. August 2005 (BGBl I S. 2412), und die Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214), zuletzt geändert durch Art. 5 der Verordnung vom 22. Dezember 2005 (BGBl I S. 3716). Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein 91/439/EWG (ABl L 237 vom 24. August 1991 S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl L 284 vom 31. Oktober 2003 S. 1). Dagegen ist die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl L 403 S. 18), sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, nicht anwendbar. Nach ihrem Art. 18 gilt Art. 11 Absätze 1 und 3 bis 6 mit den Regelungen über den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung von Führerscheinen erst ab dem 19. Januar 2009.
b) Die Rechtsgrundlage für die Aberkennung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 und 2 StVG sowie § 46 Abs. 1 und 3 i.V.m § 11 Abs. 8 FeV.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung, wie sich aus § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV ergibt, die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen; das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland erlischt.
Der Beklagte konnte hier nach § 11 Abs. 8 FeV von der fehlenden Kraftfahreignung des Klägers ausgehen. Nach Satz 1 dieser Regelung darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Dies setzt allerdings voraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Anforderung eines solchen Gutachtens vorlagen (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 9. Juni 2005 – BVerwG 3 C 21.04 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 11 m.w.N.) und dass der Betroffene bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens auf die Folgen einer Nichtvorlage hingewiesen wurde (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Beides war hier der Fall.
Die Voraussetzungen für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens waren erfüllt. Gemäß § 46 Abs. 3 FeV sind die §§ 11 bis 14 entsprechend anzuwenden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder bedingt geeignet ist. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht. Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch von Betäubungsmitteln abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt. Beim Kläger war 1999 der Genuss von Cannabisprodukten festgestellt worden, zudem war im Januar 2000 ein Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass zu befürchten sei, der Kläger werde zukünftig ein Fahrzeug unter Betäubungsmitteleinfluss oder deren Nachwirkungen führen. Danach konnte der Beklagte von einem Klärungsbedarf ausgehen. Ob auch die Voraussetzungen von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e FeV erfüllt waren, kann danach dahinstehen. Die vom Beklagten ausgesprochene Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wurde den inhaltlichen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV gerecht. Auf die sich aus § 11 Abs. 8 FeV ergebenden Folgen einer Nichtbeibringung ist der Kläger ebenfalls hingewiesen worden.
c) Der Beklagte war an einer förmlichen Aberkennung des Rechts, von der EU-Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, nicht dadurch gehindert, dass im Falle des Klägers deren Geltung im Inland möglicherweise bereits nach § 28 Abs. 4 FeV ausgeschlossen war.
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Gemäß Absatz 4 Nr. 2 gilt die Berechtigung nach Absatz 1 nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Nach Absatz 4 Nr. 3 gilt die Berechtigung nach Absatz 1 ferner nicht für Fahrerlaubnisinhaber, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben.
Im Hinblick auf die Auslegung, die der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz bis dahin in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gefunden hatte (vgl. unten Abschnitt d), konnte der Beklagte nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass er dem Kläger die in § 28 Abs. 4 FeV geregelten Ausnahmen von der Geltung einer EU-Fahrerlaubnis entgegenhalten durfte. Gleichwohl musste er sicherstellen, dass der Kläger, sollte sich seine fehlende Eignung erweisen, in Deutschland kein Kraftfahrzeug würde führen dürfen. Ausgehend davon war es dem Beklagten nicht verwehrt, in Übereinstimmung mit dem Kläger die Geltung der tschechischen Fahrerlaubnis im Inland zu unterstellen und ein förmliches Aberkennungsverfahren durchzuführen. Dabei war er an die rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Verfahrens gebunden, zu denen insbesondere der Nachweis fehlender Eignung gehört. Demgegenüber kann der Kläger sich nicht darauf berufen, dass die Klärung von Eignungszweifeln mit von ihm zu tragenden Kosten verbunden ist; denn er ist es, der sich der Geltung seiner tschechischen Fahrerlaubnis auch im Inland berühmt.
War dem Beklagten somit der Weg zu einem förmlichen Aberkennungsverfahren eröffnet, bedarf es keiner Umdeutung der angefochtenen Verfügung in einen feststellenden Verwaltungsakt des Inhalts, dass die tschechische Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtige (vgl. dazu VGH Mannheim, Urteile vom 9. September 2008 – 10 S 994/07 – DAR 2008, 660 und vom 16. September 2008 – 10 S 2925/06 –).
d) Der Aberkennung des Rechts des Klägers, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, stand der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz nicht entgegen. Die Maßnahme war gemeinschaftsrechtlich zulässig, obwohl die sie auslösenden Eignungszweifel an ein Verhalten anknüpften, das zeitlich vor der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis lag.
aa) Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Dabei regelt das europäische Gemeinschaftsrecht selbst zugleich die Mindestvoraussetzungen, die für die Erteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. So muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439/EWG die Fahreignung durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden, außerdem hängt die Ausstellung des Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat ab (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie). Als ordentlicher Wohnsitz im Sinne dieser Richtlinie gilt nach deren Art. 9 der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.
bb) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist es Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung – gegebenenfalls die Neuerteilung – einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaates einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen zu prüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber des Führerscheins am Tag der Erteilung diese Voraussetzungen erfüllte. Dies hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 erneut bekräftigt (Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – NJW 2008, 2403, Rn. 52 f. und – Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. – Rn. 49 f., unter Bezugnahme auf die Beschlüsse vom 6. April 2006 – Rs. C-227/05, Halbritter – Slg. I-49 Rn. 34 und vom 28. September 2006 – Rs. C-340/05, Kremer – Slg. I-98 Rn. 27).
Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof die Befugnisse der Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG einschränkend ausgelegt. Gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kann er diese Befugnis aber nur aufgrund eines Verhaltens des Betroffenen nach Erwerb des von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ausüben (vgl. in diesem Sinne die Beschlüsse vom 6. April 2006 – Rs. C-227/05, Halbritter – a.a.O. Rn. 38 und vom 28. September 2006 – Rs. C-340/05, Kremer – a.a.O. Rn. 35). Gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG kann es ein Mitgliedstaat ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass weder das Recht, von einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein Gebrauch zu machen, von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht werden darf (Urteil vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – a.a.O. Rn. 61 f., unter Bezugnahme auf seinen Beschluss vom 28. September 2006 – Rs. C-340/05, Kremer – a.a.O. Rn. 37) noch der Mitgliedstaat berechtigt ist, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern, etwa dann, wenn seine Vorschriften strengere Erteilungsvoraussetzungen enthalten (Urteil vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06 – Wiedemann u.a. – a.a.O. Rn. 63 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 29. April 2004 – Rs. C-476/01, Kapper – Slg. I-5205 Rn. 77 und die Beschlüsse vom 6. April 2006 – Rs. C-227/05, Halbritter – Rn. 28 und vom 28. September 2006 – Rs. C-340/05, Kremer – Rn. 30, jeweils a.a.O.). Vielmehr sind die genannten Vorschriften als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Anerkennung der Führerscheine eng auszulegen.
cc) Ein Zugriffsrecht des Mitgliedstaats besteht jedoch dann, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der von der Richtlinie aufgestellten Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist. In seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 hat der Europäische Gerichtshof klargestellt, dass es nach Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs der früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte. Der Europäische Gerichtshof verweist zur Begründung auf den Beitrag, den die Wohnsitzvoraussetzung zur Bekämpfung des Führerscheintourismus zu leisten habe, nachdem eine vollständige Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Regelungen zu den Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung bislang fehle. Zudem sei diese Voraussetzung unerlässlich, um die Kraftfahreignung zu überprüfen. Auch im Hinblick auf Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG, wonach jede Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sein kann, komme der Wohnsitzvoraussetzung, nach der sich der Ausstellermitgliedstaat bestimme, eine besondere Bedeutung im Verhältnis zu den übrigen in der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen zu (Urteile vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – a.a.O. Rn. 68 ff. sowie – Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. – a.a.O. Rn. 65 ff.).
dd) Die in den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes vom 26. Juni 2008 genannten Voraussetzungen für eine nach dem Gemeinschaftsrecht zulässige Nichtanerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten EU-Fahrerlaubnis lagen hier vor. Aus dem Führerschein, der dem Kläger am 27. Dezember 2004 in der Tschechischen Republik ausgestellt wurde, ergab sich, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte.
Die in diesen Urteilen aufgestellten Grundsätze sind ungeachtet dessen anwendbar, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung – wie ausgeführt – der ihres Erlasses ist. Die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Europäische Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Art. 234 Buchst. a EG verliehenen Befugnis vornimmt, erläutert und verdeutlicht die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie sie seit ihrem In-Kraft-Treten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Dementsprechend ist die Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse anzuwenden, die vor Erlass des auf das Auslegungsersuchen ergangenen Urteils entstanden sind (vgl. u.a. Urteil vom 15. Dezember 1995 – Rs. C-415/93, Bosman – Slg. I-4921 Rn. 141). Eine unzulässige Rückwirkung liegt darin nicht.
Ebenso ist es unerheblich, dass im Recht der Tschechischen Republik zu dem Zeitpunkt, als dem Kläger dort sein neuer Führerschein ausgestellt wurde, das in der Führerscheinrichtlinie aufgestellte Wohnsitzerfordernis noch nicht umgesetzt war, sondern es erst mit Wirkung zum 1. Juli 2006 in die tschechische Rechtsordnung eingefügt wurde. Es kommt allein darauf an, dass gegen das durch die Richtlinie selbst vorgegebene Wohnsitzerfordernis verstoßen wurde. Davon geht auch der Europäische Gerichtshof ohne Weiteres aus. Die ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Verfahren, die der Ausgangspunkt für seine neue Rechtsprechung waren, betrafen gerade solche tschechischen Fahrerlaubnisse, die dort vor dem 1. Juli 2006 erteilt worden waren (vgl. Urteil vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – a.a.O. Rn. 67).
Schließlich steht außer Zweifel, dass die den Mitgliedstaaten vom Europäischen Gerichtshof zuerkannte Befugnis zur Nichtanerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten neuen EU-Fahrerlaubnis auch in Fällen besteht, in denen der Mitgliedstaat die erste Fahrerlaubnis nur deshalb nicht wegen mangelnder Eignung entzogen hatte, weil der Betroffene – wie hier – der kostenpflichtigen Entziehung durch den Verzicht auf die Fahrerlaubnis zuvorgekommen war.
ee) Soweit der Kläger die Rechtswidrigkeit der Aberkennung damit begründen will, dass der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt und dieses Ermessen unzureichend ausgeübt habe, verkennt er die Systematik des Gemeinschaftsrechts.
Bei dem den Mitgliedstaaten vom Europäischen Gerichtshof zugestandenen Recht, in ihrem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrberechtigung unter den genannten Voraussetzungen abzulehnen (“kann”), handelt es sich um eine rechtliche Befugnis der Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Gestaltung ihres innerstaatlichen Rechts und nicht etwa um die Begründung eines Ermessensspielraums der Verwaltungsbehörden. Das folgt schon daraus, dass der Europäische Gerichtshof hier Regelungen einer Richtlinie ausgelegt hat, also eines Instruments des sekundären Gemeinschaftsrechts, das, wie Art. 249 EG zu entnehmen ist, gerade auf die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten angelegt ist und sich an sie richtet.
e) Neben der Aberkennung des Rechts des Klägers, von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, sind auch die weiteren vom Beklagten getroffenen Regelungen nicht zu beanstanden. Die Anordnung, den tschechischen Führerschein zur Anbringung eines Sperrvermerks vorzulegen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 2 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FeV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Kley, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert, Buchheister
Fundstellen
VRS 2010, 222 |
ZfS 2009, 233 |
BayVBl. 2009, 374 |