Entscheidungsstichwort (Thema)
NS-Schädigung. Anteilsschädigung. Unternehmensschädigung. Einzelrestitution. ausgeschlossene Unternehmensrestitution. Bemessungsgrundlage für die Entschädigung eines Unternehmens. Entschädigung für “zugeschwommenes” Betriebsgrundstück. später angeschafftes Betriebsgrundstück. Entschädigung für Grundvermögen. Anrechnung langfristiger Verbindlichkeiten. vor der Schädigung zuletzt festgestellter Einheitswert
Leitsatz (amtlich)
Die Festsetzung einer gesonderten Entschädigung für ein Betriebsgrundstück ist nicht durch § 2 Satz 4 NS-VEntschG der Höhe nach ausgeschlossen, wenn es sich um ein sog. “zugeschwommenes” (i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG später angeschafftes) Grundstück handelt, das vor einer in der NS-Zeit erfolgten Anteilsschädigung – als des maßgeblichen Zeitpunkts für die Bemessung der Unternehmensentschädigung – noch nicht Bestandteil des Unternehmensvermögens war.
Normenkette
EntschG § 3; EntSchG § 4; NS-VEntschG §§ 1-2; VermG § 1 Abs. 6, § 3 Abs. 1 S. 4 ff.
Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 28.02.2007; Aktenzeichen 4 K 2449/05) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 28. Februar 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Dresden zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Die Verfahrensbeteiligten streiten darüber, ob die Beklagte trotz rechtskräftig festgestellter Entschädigungsberechtigung zugunsten der Klägerin die Festsetzung der Höhe der Entschädigung für ein Betriebsgrundstück mit der Begründung verweigern darf, das Grundstück werde in der Bemessensgrundlage für die Entschädigung eines Unternehmens berücksichtigt.
Das seit 1962 als Zahnklinik genutzte Grundstück war im Jahre 1939 von einer Wohnungsbaugesellschaft mbH (GEWOG) erworben worden. Diese Gesellschaft war Tochter einer Aktiengesellschaft (DEWOG), deren Aktionäre verschiedene Gewerkschaften waren, bis deren Anteile im Mai 1933 beschlagnahmt wurden. 1940 und 1941 wurde das Grundstück mit mehreren Hypotheken belastet.
Mit rechtskräftigem Urteil vom 14. Mai 2004 hatte das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, zugunsten der Klägerin eine Entschädigung für das Grundstück in Höhe einer konkreten Bruchteilsquote festzusetzen. Es war dabei davon ausgegangen, dass aufgrund des insoweit unangefochtenen diesbezüglichen Bescheides vom 19. September 2001 sowohl die (anteilige) Rückgabeberechtigung hinsichtlich des Grundstücks dem Grunde nach als auch der vermögensrechtliche Ausschluss der Rückgabe feststünden. Darüber hinaus stehe der von der Klägerin beanspruchten Entschädigung kein rechtliches Hindernis entgegen. Im Einzelnen führte das Verwaltungsgericht zur Begründung aus, die Anteile der Gewerkschaften und gewerkschaftseigenen Unternehmen an der Aktiengesellschaft (DEWOG) und – über diese vermittelt – die mittelbare Beteiligung der Gewerkschaften an der Tochtergesellschaft (GEWOG) hätten einer Schädigung nach § 1 Abs. 6 Vermögensgesetz (VermG) durch die Verdrängung der gewerkschaftlichen Aktionäre aus ihrer Gesellschafterstellung im Mai 1933 unterlegen. Die Klägerin sei Rechtsnachfolgerin der Aktiengesellschaft (DEWOG) in der festgestellten – und nicht angefochtenen – Quote. Für das streitgegenständliche Grundstück sei eine Entschädigung zu leisten, da die Restitution aufgrund der Nutzung des Grundstücks als Zahnklinik gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG ausgeschlossen sei und das Grundstück nicht in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt werde. Denn es sei erst im Januar 1939 und damit nach der Schädigung des Unternehmens von der NS-Nachfolgegesellschaft mbH “Neue Heimat” erworben worden. Eine Beschwerde der seinerzeitigen Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 29. Juni 2005 (BVerwG 3 B 101.04) zurückgewiesen, weil die aufgeworfenen Fragen, deren grundsätzliche Bedeutung geltend gemacht war, die Voraussetzungen für den Ausschluss einer gesonderten Entschädigung für das Grundstück nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG beträfen, die Entscheidung hierüber jedoch erst bei der noch ausstehenden Festsetzung der Höhe des Entschädigungsanspruchs für die Anteile am Unternehmen und das Grundstück zu treffen sei, während es in jenem Verfahren allein um die Frage gegangen sei, ob die Klägerin dem Grunde nach einen gesonderten Entschädigungsanspruch für das Grundstück geltend machen könne.
In der Folgezeit stellte sich die Beklagte – vor allem in einem Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2005 – auf den Standpunkt, die Klägerin dürfe keine gesonderte Entschädigung für das Grundstück beanspruchen; die Entschädigung erfolge nach Maßgabe des § 2 Satz 4 NS-VEntschG in einem eventuellen Verfahren zur Berechnung der Unternehmensentschädigung.
Der auf Verpflichtung zur Festsetzung des Entschädigungsbetrages auf 24 317,04 € gerichteten Klage vom 18. November 2005 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 28. Februar 2007 in vollem Umfang stattgegeben. Eine Berücksichtigung in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens vermöge das Gericht nicht festzustellen, weil das Grundstück zum maßgeblichen Schädigungszeitpunkt (Mai 1933) noch nicht Bestandteil des Unternehmensvermögens gewesen sei. Auf die von der Beklagten für entscheidungserheblich gehaltene Frage, ob das später angeschaffte Grundstück ein Surrogat schon bei der Schädigung vorhandener Mittel sein könnte, komme es nicht an, weil § 2 Satz 4 NS-VEntschG nicht auf Surrogate abstelle. Was die Höhe der Entschädigung angehe, so müsse von dem erstmals im Jahre 1941 für das Grundstück ermittelten Einheitswert ausgegangen werden, welcher zu vervierfachen sei. Ein Abzug nach § 2 Satz 5 (Halbs. 3) NS-VEntschG finde nicht statt. Die Grundpfandrechte seien nach dem 15. September 1935 von der nationalsozialistischen Nachfolgegesellschaft – und ohne Einwilligung der Geschädigten – begründet worden, worin sich eine nationalsozialistische Verfolgung ausdrücke.
Die Revision wiederholt und vertieft ihr Vorbringen vor dem Tatsachengericht. Insbesondere habe das Verwaltungsgericht aus dem Umstand, dass das in Rede stehende Betriebsgrundstück zum Zeitpunkt der Unternehmensschädigung (noch) nicht zum Unternehmen gehört habe, unzutreffende rechtliche Konsequenzen gezogen. In erster Linie blende das angefochtene Urteil unzulässig aus, dass das Grundstück der Sache nach für die Bemessung der Unternehmensentschädigung (zwar nicht als solches, aber) seinem Wert nach berücksichtigt werde. Denn der unzutreffende Grundansatz des Verwaltungsgerichts betreffe auch den zugrunde zu legenden Einheitswert sowie die anzurechnenden (langfristigen) Verbindlichkeiten.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist mit der Maßgabe begründet, dass das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf grundstücksbezogene Entschädigung zusteht (§ 1 NS-VEntschG i. V. m. § 3 EntschG), der nicht gemäß § 2 Satz 4 NS-VEntschG ausgeschlossen ist (1.). Die Entscheidung ist aber insoweit mit Bundesrecht nicht vereinbar, als das Verwaltungsgericht nicht den Wert dieses Grundstücks zum Zeitpunkt seines Erwerbs im Jahre 1939 ermittelt, sondern für die Bemessung der Entschädigungshöhe auf den im Jahre 1941 ermittelten Einheitswert zurückgegriffen hat. Ob sich die vom Verwaltungsgericht festgesetzte Höhe der Entschädigung im Ergebnis als richtig darstellt, lässt sich derzeit nicht abschließend beurteilen. Insoweit fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen, dass der Grundstückswert im konkreten Erwerbszeitpunkt im Wesentlichen dem Einheitswert des Jahres 1941 entspricht (2.).
1. Der der Klägerin dem Grunde nach zustehende Anspruch auf Entschädigung für das streitbefangene ehemalige Betriebsgrundstück (1.1) ist nicht gemäß § 2 Satz 4 NS-VEntschG der Höhe nach ausgeschlossen (1.2). Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten weder aus § 2 Satz 2 NS-VEntschG (1.3) noch aus § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG (1.4).
1.1 Mit den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2004 und des diesem zugrunde liegenden Bescheids vom 19. September 2001 dem Grunde nach gemäß § 1 NS-VEntschG beanspruchen kann, als anerkannte Rechtsnachfolgerin der gewerkschaftlichen Anteilseigner der DEWOG, einer Aktiengesellschaft, für den Entzug deren im Mai 1933 verfolgungsbedingt entzogener Anteile dadurch entschädigt zu werden, dass sie – anstelle der Einräumung von Bruchteilseigentum an einem Betriebsgrundstück (§ 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG), was unstreitig aus vermögensrechtlichen Gründen ausgeschlossen ist – für das Grundstück in Geld abgefunden wird.
1.2 Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis richtig erkannt, dass der Ausschlussgrund des § 2 Satz 4 NS-VEntschG nicht eingreift. Nach dieser Vorschrift wird, sofern die Restitution von Bruchteilseigentum (bzw. – hier nicht in Betracht kommend – die Zahlung des anteiligen Verkehrswertes oder die Einräumung einer entsprechenden Beteiligung an dem Unternehmen) ausgeschlossen ist, zu der Entschädigung für das Unternehmen keine gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück gewährt, wenn dieses in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. Zwar ist hier die von § 2 Satz 4 NS-VEntschG vorausgesetzte Konstellation des Aufeinandertreffens von Unternehmens- und Grundstücksentschädigung gegeben (a). Allerdings ist die Entschädigung für ein sog. “zugeschwommenes” Betriebsgrundstück nicht in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens zu berücksichtigen (b).
a) § 2 Satz 4 NS-VEntschG regelt, wie das Zusammentreffen eines Anspruchs auf (Unternehmens-)Anteilsentschädigung einerseits und auf grundstücksbezogene Entschädigung (als Folge einer sog. erweiterten Singularrestitution) andererseits zu lösen ist. Die Vorschrift setzt voraus, dass sowohl ein Anspruch auf Anteilsentschädigung als auch ein Anspruch auf grundstücksbezogene (Singular-)Entschädigung, d. h. auf gesonderte Entschädigung für ein Betriebsgrundstück, dem Grunde nach für ein und denselben Berechtigten bestehen. Diese Auslegung folgt bereits aus dem Wortlaut des § 2 Satz 4 NS-VEntschG, wonach die Entschädigung für ein Betriebsgrundstück “zu der Entschädigung für das Unternehmen” hinzutreten muss. Sie ergibt sich darüber hinaus aus dem Zweck der Vorschrift und ihrer systematischen Stellung. Die durch das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz vom 10. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2471) als dessen Artikel 2 eingeführte Vorschrift des § 2 Satz 4 NS-VEntschG soll eine unzulässige Doppelentschädigung zumindest der Höhe nach für den Fall vermeiden, dass beide Entschädigungsansprüche dem Grunde nach bestehen (vgl. hierzu auch Heise/Leiner, in: Fieberg u. a., VermG, § 2 NS-VEntschG, Rn. 13 f.) und ergänzt damit die zeitgleich eingeführte Vorschrift in Satz 3. Letztere bezieht sich auf den Fall, in dem nach erfolgter Einzelgegenstandsrestitution bzw. Einzelgegenstandsentschädigung eine Unternehmensentschädigung ansteht, und ordnet an, dass der Verkehrswert bestimmter Vermögensgegenstände (Bruchteilseigentum an einem Vermögensgegenstand, anteiliger Verkehrswert oder eine entsprechende Beteiligung an einem Unternehmen) zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs abzüglich bestimmter zu erstattender Kosten von der Entschädigung des Unternehmens abzuziehen ist. Eine andere verfahrensrechtliche Abwicklung sieht § 2 Satz 4 NS-VEntschG für den Fall vor, in dem eine Einzelgegenstandsentschädigung ansteht und in eine tatsächliche wie rechtliche Beziehung zu einer bereits erfolgten, gleichzeitig erfolgenden oder künftigen Unternehmensentschädigung tritt. Um zu vermeiden, dass eine gewährte Einzelgegenstandsentschädigung mit Blick auf eine (umfassende) Unternehmensentschädigung zurückzugewähren bzw. (in voller Höhe) anzurechnen ist, ist zu prüfen, ob der konkrete Vermögensgegenstand, für den eine gesonderte Entschädigung zu gewähren ist, bei einer erfolgten oder erfolgenden Unternehmensentschädigung berücksichtigt wurde bzw. zu berücksichtigen ist.
Hier treffen – wie es § 2 Abs. 4 NS-VEntschG verlangt – beide Ansprüche zusammen. Der Klägerin steht unstreitig – dem Grunde nach – ein Anspruch auf Entschädigung für die Anteilsschädigung an der DEWOG (Muttergesellschaft) zu, der – auch nach Auffassung der Beklagten – die Anteile an der GEWOG (Tochtergesellschaft) umfasst, da diese zu 100 % im Eigentum der DEWOG gestanden hatten. Zudem ist rechtskräftig entschieden, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung für das streitbefangene Betriebsgrundstück zusteht.
b) Die Festsetzung der Höhe der für das Betriebsgrundstück gesondert zu gewährenden Entschädigung ist aber, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, nicht nach § 2 Satz 4 NS-VEntschG ausgeschlossen, weil das Betriebsgrundstück hier nicht – wie es der letzte Halbsatz des § 2 Satz 4 NS-VEntschG ausdrücklich verlangt – in der Bemessungsgrundlage für das Unternehmen berücksichtigt wird.
Was als Bemessungsgrundlage für die Entschädigung eines Unternehmens zu berücksichtigen ist, ist gesetzlich festgelegt und richtet sich nach § 2 Satz 2 bzw. § 2 Satz 5 NS-VEntschG i. V. m. § 4 Abs. 2 bis 4 EntschG. Maßgeblich ist danach in erster Linie der vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert. Bei der Schädigung des Berechtigten durch die Entziehung von Unternehmensanteilen kommt es dementsprechend auf den Wert des Unternehmens vor der Anteilsschädigung an. Dies ist bereits in der vermögensrechtlichen Fiktion des § 3 Abs. 1 Satz 4 letzter Teilsatz VermG angelegt, wonach in Fällen der ergänzenden Singularrestitution als Zeitpunkt der Schädigung der Zeitpunkt der Entziehung des Unternehmens oder der Beteiligung gilt. Dies wiederum gilt unabhängig davon, welche konkrete Regelung hier für die Anteilsschädigung der DEWOG angewendet wird. Denn die entschädigungsrechtliche Maßgeblichkeit des Unternehmenswertes vor der Schädigung folgt sowohl aus den entschädigungsrechtlichen Regelungen, nach denen ausdrücklich der vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert zugrunde zu legen ist (§ 2 Satz 2 NS-VEntschG), als auch aus jenen Vorschriften des Entschädigungsgesetzes, die auf den Einheitswert abstellen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 EntschG, wonach Bemessungsgrundlage grundsätzlich “das 1,5fache des im Hauptfeststellungszeitraum vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswertes” ist).
In dem somit für die Anteilsschädigung maßgeblichen Zeitpunkt vor der Schädigung des Unternehmens – also vor Mai 1933 – gehörte das streitbefangene Grundstück noch nicht zum Unternehmen und ist dementsprechend auch nicht in der Bemessungsgrundlage für die Schädigung des Unternehmens i. S. v. § 2 Satz 4 NS-VEntschG zu berücksichtigen. Denn das streitbefangene Grundstück ist erst 1939 von dem NS-Nachfolgeunternehmen erworben worden.
1.3 Entgegen der Ansicht der Beklagten wird das später angeschaffte (“zugeschwommene”) Betriebsgrundstück auch nicht deswegen in die Bemessungsgrundlage für die Unternehmensentschädigung einbezogen, weil durch die Vervierfachung des Einheitswertes in § 2 Satz 2 NS-VEntschG alle Wertsteigerungen und damit auch alle später erworbenen Vermögenswerte bis zum 1. April 1956 pauschal abgegolten seien. Diese Auslegung des § 2 Satz 2 NS-VEntschG, nach der zugeschwommene Grundstücke stets in der Bemessungsgrundlage der Unternehmensentschädigung enthalten wären, würde dazu führen, dass § 2 Satz 4 NS-VEntschG keinen Anwendungsbereich mehr hätte und leerliefe. Gerade der Regelung im letzten Halbsatz des § 2 Satz 4 NS-VEntschG sowie der konditionalen Konjunktion “wenn” hätte es nicht bedurft, wenn für diese Grundstücke eine gesonderte Entschädigung von vornherein nicht gewährt werden sollte. Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers fehlen Anhaltspunkte, auch wenn den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen ist, welche Fallkonstellationen er im Einzelnen hat erfassen wollen.
1.4 Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten gilt das Betriebsgrundstück auch nicht in entsprechender Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG als in der Bemessungsgrundlage der Entschädigung für die Unternehmensanteile berücksichtigt. Die vermögensrechtliche Vermutungsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG ist im Rahmen der entschädigungsrechtlichen Vorschrift des § 2 Satz 4 NS-VEntschG weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Ein entsprechender Gesetzesbefehl ist weder § 2 NS-VEntschG noch dem dort in Bezug genommenen § 4 EntschG zu entnehmen. Abgesehen davon wäre eine entsprechende Anwendung mit dem Schutzzweck der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG nicht vereinbar. Dieser hat anspruchserweiternde Funktion und besteht in einer Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten im Rahmen des ihm nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ergänzend zur Unternehmensrestitution gewährten Anspruchs auf Einzelrestitution. Der Geschädigte ist infolge der Vermutungsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG des Nachweises enthoben, dass ein später angeschaffter Vermögensgegenstand tatsächlich mit Mitteln des Unternehmens erworben wurde. Dieser Schutzzweck weist keinen analogiefähigen Bezug zur Wertermittlung im Entschädigungsrecht auf. Die vermögensrechtliche Begünstigung darf entschädigungsrechtlich jedenfalls nicht dadurch in einen Rechtsnachteil in dem von der Beklagten vertretenen Sinne umgekehrt werden, dass die Vermutungsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG im Rahmen des § 2 Satz 4 NS-VEntschG zu Lasten des Geschädigten herangezogen wird und im Ergebnis dessen Anspruch auf gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück leerläuft. Durch eine solche Betrachtungsweise würde gerade in den hier in Rede stehenden Fällen, in denen nach einer Anteilsschädigung vom Unternehmen (mit Unternehmensmitteln) Vermögensgegenstände wie Betriebsgrundstücke hinzuerworben worden sind, die innere Berechtigung für die vermögensrechtliche Zugriffsmöglichkeit der Geschädigten auch und gerade auf diese Gegenstände in Frage gestellt werden, die aus der für gewöhnlich berechtigten Erwartung abzuleiten ist, dass die Geschädigten ohne die Schädigung in den unmittelbaren oder mittelbaren Genuss dieses hinzuerworbenen Gegenstandes gelangt wären. Dieser Bewertung folgt das Entschädigungsrecht, indem es dem Geschädigten in § 2 Satz 4 NS-VEntschG einen Anspruch auf Einzelentschädigung für den Fall einräumt, dass eine Bruchteilsrestitution nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG nicht möglich ist. In diesem Sinne verfolgen der vermögensrechtliche Anspruch auf Einzelrestitution und der Anspruch auf Einzelentschädigung, wenn auch auf unterschiedliche Weise, dasselbe Regelungsziel.
Es kann offen bleiben, ob hiernach eine Konstellation denkbar ist, in der eine nach § 2 Abs. 4 NS-VEntschG für das Betriebsgrundstück gewährte Entschädigung bei einer späteren Entschädigung für das Unternehmen zu berücksichtigen ist, und – dies unterstellt – wie eine Berücksichtigung zu erfolgen hätte.
2. Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist, dass das Verwaltungsgericht für die konkrete Berechnung der zu gewährenden Entschädigung den erstmals im Jahre 1941 für das Grundstück festgestellten Einheitswert herangezogen hat.
Zwar folgt aus dem Charakter der nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG denkbaren Rückgabeansprüche als (ergänzende) Singularrestitutionsansprüche, dass sie als – vermögensrechtlich nach § 3 Abs. 1 Satz 3 VermG zulässig isoliert geltend gemachte – Surrogatansprüche in Form eines (grundstücksbezogenen) Entschädigungsanspruchs an den Maßstäben in § 3 EntschG (entsprechend) zu bemessen und zu bewerten sind. Deshalb hat das Verwaltungsgericht für die isolierte Entschädigung des Betriebsgrundstücks im Ansatz zu Recht auf einen Grundstückseinheitswert abgestellt. Es hätte jedoch unter Beachtung von § 2 Satz 2 NS-VEntschG, wonach Bemessungsgrundlage der Entschädigung für Vermögensgegenstände, für die ein Einheitswert festgestellt wird, und damit auch für Grundvermögen der vor der Schädigung zuletzt festgestellte Einheitswert ist, auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Grundstücks im Jahre 1939 abstellen müssen. Zwar kann bei Grundstücken, die zum Schädigungszeitpunkt (hier: Anteilsschädigung im Jahre 1933) noch nicht zum Unternehmensvermögen gehörten, nicht auf diesen Schädigungszeitpunkt und noch weniger auf die Schädigung der NS-Nachfolgeunternehmen (Enteignungen in der Nachkriegszeit) abgestellt werden. Beide Zeitpunkte würden nämlich dem Charakter der mit einer Anteilsschädigung verbundenen Entschädigung für einen konkreten einzelnen Vermögensgegenstand, welche seine fehlende Rückgabemöglichkeit möglichst wertgenau kompensieren soll, nicht gerecht. Dies bedeutet indes nicht, dass mangels zusätzlicher Schädigung des Grundstücks selbst kein Anknüpfungspunkt für die Wertbemessung besteht. Anzuknüpfen ist an den konkreten Erwerbszeitpunkt, weil es nach der vermögensrechtlichen Wertung (“später angeschafft”) dieser Zeitpunkt ist, der für die Zugriffsmöglichkeit der Geschädigten auf den Gegenstand rechtlich maßgeblich ist.
3. Das Verwaltungsgericht wird demnach den grundstücksbezogenen Wert festzustellen haben, der den damaligen Wertzuwachs für das Unternehmen – und damit mittelbar eine verbreiterte Zugriffs- und Entschädigungsgrundlage für die geschädigten Anteilseigner – abbildet, und hierfür Wertveränderungen, die in der Folgezeit auf geänderten tatsächlichen Grundlagen (etwa Bebauung) beruhen und in den Einheitswert des Jahres 1941 eingeflossen sein mögen, außer Betracht lassen müssen.
Ebenso müssen die in den 1940er Jahren erfolgten Belastungen des Grundstücks entgegen der Ansicht der Beklagten nach § 2 Satz 5 NS-VEntschG unberücksichtigt bleiben. Auch nach ihrer Meinung trägt diese Vorschrift dem zeitgeschichtlichen Erfahrungswissen Rechnung, dass schon seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten (30. Januar 1933) Verbindlichkeiten häufig verfolgungsbedingt entstanden waren und außerdem die wirtschaftliche Betätigung vornehmlich jüdischer Bürger oder anderer politisch Verfolgter massiv behindert wurde, so dass sie häufig nicht in der Lage waren, bestehende Verbindlichkeiten zu tilgen; noch mehr ist hiervon für die Zeit nach dem Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze (15. September 1935) auszugehen (Urteil vom 18. Februar 1999 – BVerwG 3 C 8.98 – VIZ 1999, S. 476). Sind mithin für den hier maßgeblichen Zeitraum regelmäßig (sogar) Fälle der erzwungenen Selbstschädigung unbeachtlich, so kann es keinen anerkennenswerten Gesichtspunkt geben, den Geschädigten entschädigungsmindernd solche Handlungen und Erklärungen entgegenzuhalten, die – nach verfolgungsbedingt erfolgter Schädigung – nach der Wertung in § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG zu restituierende Vermögensgegenstände mit anhaftenden Verbindlichkeiten belasteten und daher als Fremdschädigungen zu qualifizieren sind, auf die die Geschädigten keinerlei Einfluss mehr ausüben konnten. Deshalb kann aus den grundstücksbezogenen langfristigen Belastungen, die auf Handlungen und Erklärungen derjenigen NS-Organe zurückzuführen sind, welche Schädiger bzw. Nutznießer der Anteilsschädigungen waren, kein rechtlicher Nachteil für die verfolgungsbedingt Geschädigten abgeleitet werden.
Die Zurückverweisung gibt dem Verwaltungsgericht im Übrigen Gelegenheit zur Prüfung, ob der von den Verfahrensbeteiligten während des Revisionsverfahrens mitgeteilte außergerichtliche Vergleich über die Entschädigung für das Vermögen der Bauhütte teilweise auch den streitgegenständlichen Anspruch erfasst.
Keiner Entscheidung des Senats bedarf es schließlich darüber, ob (ursprünglich) das Gericht der belegenen Sache (§ 52 Nr. 1 VwGO) oder dasjenige Verwaltungsgericht örtlich zuständig war, in dessen Bezirk die Bundesbehörde ihren Sitz hat (§ 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO). Denn der Senat macht von dem ihm eingeräumten Ermessen (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO) in der Weise Gebrauch, dass er den Rechtsstreit an das mit der Sache vorbefasste Verwaltungsgericht zurückverweist, dessen Entscheidung mit der Revision angegriffen worden ist.
Unterschriften
Hund, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit, Stengelhofen, Dr. Störmer
Fundstellen
Haufe-Index 2141145 |
BVerwGE 2009, 330 |
DÖV 2009, 507 |
DVBl. 2009, 600 |