Entscheidungsstichwort (Thema)
Flugverfahren. Abflugverfahren. Flugrouten. Fluglärmkommission. Abwägung. rechtsstaatliches Abwägungsgebot. unzumutbarer Fluglärm. Alternativenprüfung
Leitsatz (amtlich)
§ 29b Abs. 2 LuftVG enthält für die vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung bei der Festlegung von Flugverfahren zu treffende Abwägungsentscheidung keine Direktiven, wenn sämtliche in Betracht kommenden Routen mit unzumutbarem Fluglärm verbunden sind (Abgrenzung zu Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – BVerwGE 121, 152).
Normenkette
FluglärmG § 2 Abs. 2; LuftVG § 8 Abs. 1 S. 3, § 29b Abs. 2, § 32b
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 19.09.2013; Aktenzeichen 11 A 4.13) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. September 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Festlegung von Flugverfahren.
Die Klägerin wendet sich gegen die Abflugverfahren GERGA 1 A, GERGA 1 M, TUVAK 1 A, DEXUG 1 A und SUKIP 1 A, die das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) der Beklagten in der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung (Festlegung von Flugverfahren für An- und Abflüge nach Instrumentenflugregeln zum und vom Flughafen Berlin Brandenburg) vom 10. Februar 2012 (BAnz S. 1086) in der derzeit gültigen Fassung der 3. Änderungsverordnung vom 23. Oktober 2013 (BAnz AT 25.10.2013 V1) festgesetzt hat. Die Flugverfahren, die für den Westbetrieb von der Startbahn 25 R (Nordbahn) bestimmt sind, führen bis zum Streckenpunkt DB 241 in Geradeausrichtung und verlaufen dabei über das Ortszentrum der Klägerin. Die Klägerin hält die Festlegung insbesondere deshalb für rechtswidrig, weil die Flugrouten über ihrem Gemeindegebiet auch für Anflüge genutzt werden und sie dadurch einer unzumutbaren Doppelbelastung ausgesetzt werde.
Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der bei Erlass seines Urteils geltenden Fassung rechtswidrig ist, soweit darin bei Benutzung der Startbahn 25 R in der Nachtzeit (22:00 bis 6:00 Uhr) die Abflugverfahren GERGA 1 A, GERGA 1 M, TUVAK 1 A, DEXUG 1 A und SUKIP 1 A bis zum Streckenpunkt DB 241 festgelegt sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und insoweit zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die angegriffene Flugroutenfestsetzung sei nicht wegen einer vermeintlich unrechtmäßigen Besetzung der Fluglärmkommission formell rechtswidrig. Zum einen treffe schon die Ansicht der Klägerin nicht zu, dass die Fluglärmkommission nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen sei. Zwar sollten gemäß § 32b Abs. 4 Satz 3 LuftVG in die Kommission nicht mehr als 15 Mitglieder berufen werden. Die Erweiterung von 17 auf wohl 34 Mitglieder sei aber gerechtfertigt. Nachdem sich herausgestellt habe, dass der unabhängige Parallelbahnbetrieb abweichend von der Grobplanung der Flugrouten im Planfeststellungsund im Planergänzungsverfahren eine Divergenz der Abflugkurse von mindestens 15° erfordere und eine teilweise Neuplanung der Flugrouten notwendig sei, erscheine es nicht sachwidrig, die nach der Grobplanung nicht von Fluglärm betroffenen Träger kommunaler Interessen, insbesondere weitere Gemeinden und deren Verbände, in die Kommission einzubeziehen. Hiervon abgesehen komme der Fluglärmkommission als rein beratendem Gremium kein formelles Beteiligungsrecht zu. Sie sei lediglich anzuhören. Das BAF treffe eine eigene Abwägungsentscheidung. Daher könne der Umstand, dass die Belange der Klägerin in den Beschlüssen der Fluglärmkommission keine Berücksichtigung gefunden hätten, weil die aus Sicht der Klägerin zu Unrecht in die Fluglärmkommission berufenen Gemeinden und Landkreise die Stimmenmehrheit gehabt hätten, für sich genommen nicht zur Rechtswidrigkeit der angegriffenen Flugroutenfestsetzung führen. Im Übrigen hätten nicht allein die Beschlüsse der Fluglärmkommission bei der Abwägungsentscheidung Berücksichtigung gefunden, sondern auch die interne Meinungs- und Willensbildung u.a. mit der ablehnenden Stellungnahme der Klägerin.
Dass die Beklagte der Flugverfahrensfestsetzung das planfestgestellte Nutzungskonzept eines in zeitlicher Hinsicht ununterbrochenen unabhängigen Parallelbahnbetriebs zugrunde gelegt habe, sei materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Aus dem Planfeststellungsbeschluss ergebe sich, dass der unabhängige Parallelbahnbetrieb ein wesentlicher Grund für den Ausbau des Flughafens Berlin Brandenburg gewesen sei. Einschränkungen des Nutzungskonzepts ließen sich weder dem verfügenden Teil noch der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses entnehmen. An die Entscheidungen der Planfeststellung sei das BAF gebunden. Deren Ausnutzung dürfe es nicht vereiteln. Es sei gehindert, Regelungen zu treffen, die im Widerspruch zu bereits erlassenen Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stünden. Bei der gerichtlichen Überprüfung der angegriffenen Flugroutenfestsetzung könne das planfestgestellte Nutzungskonzept nicht mehr in Frage gestellt werden. Daher sei der Vortrag der Klägerin, dass ein durchgängiger unabhängiger Parallelbahnbetrieb zur kapazitätsgerechten Abwicklung nicht erforderlich sei und statt dessen ein an dem Verkehrsaufkommen orientierter Wechsel des Betriebssystems realisiert werden könne – etwa durch Verlagerung der Abflüge auf die Südbahn bzw. durch Festlegung einer Südabkurvung für Abflüge von der Nordbahn außerhalb von Spitzenzeiten –, nicht entscheidungserheblich.
Soweit es um den Tagzeitraum (6:00 bis 22:00 Uhr) gehe, sei gegen die getroffenen Abwägungen des BAF zur Lärmverteilung auch sonst nichts zu erinnern.
Die Flugroutenfestsetzung sei nicht bereits abwägungsfehlerhaft, weil sie eine Doppelbelastung der Ortsmitte der Klägerin mit An- und Abfluglärm zur Folge habe. Das im Nahbereich des Flughafens gelegene Gemeindegebiet der Klägerin sei von unzumutbarem Lärm betroffen. Es handele sich um einen Verteilungsfall, der dadurch gekennzeichnet sei, dass derartige Lärmbelastungen über dem Gemeindegebiet der Klägerin auf keiner Alternativroute gänzlich vermieden werden könnten. Da die von der Beklagten bestimmten Abflugrouten zunächst gemeinsam geradeaus verliefen, seien diejenigen Teile des Gemeindegebiets der Klägerin besonders betroffen, die auch dem Lärm der aus flugtechnischen Gründen zwangsläufig geradeaus verlaufenden Landeanflüge ausgesetzt seien. Zwar könnten die Belastungen durch die jeweils gegen den Wind erfolgenden Starts und Landungen nie zeitgleich auftreten. Die von der Klägerin gerügte Doppelbelastung liege aber darin, dass die betreffenden Gebiete keine windrichtungsbedingten Lärmpausen hätten.
Es liege im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums des BAF zu entscheiden, ob ein großräumiger Lastenausgleich oder die Verschonung einzelner Gebiete gewählt werde. Das BAF habe sich mit der gewählten NOOST-Alternative 4 für eine Bündelung der An- und Abflugverfahren in gerader Verlängerung der Startbahn 25 R entschieden. Dabei habe es erkannt, dass die Vermeidung von Doppelbelastungen durch An- und Abflüge, ganz besonders im Bereich des unzumutbaren Fluglärms, grundsätzlich von besonderem Gewicht sei. Es habe aber betont, dass solche erheblichen Doppelbelastungen in der Regel in unmittelbarer Nähe zum Flugplatz entstünden und Alternativen fehlten bzw. nur durch erhebliche andere Nachteile „erkauft” werden könnten. Die Lärmverteilung im unmittelbaren Umfeld des Flughafens sei dadurch geprägt, dass sich unzumutbarer Lärm nicht vermeiden lasse, sondern nur anders verteilt werden könne. Die Entscheidung des BAF, den Fluglärm auf einen Korridor zu konzentrieren, habe zwar den Nachteil der Doppelbelastung, gleichzeitig aber den Vorteil, dass die Zahl der von unzumutbarem Fluglärm Betroffenen möglichst gering gehalten werde. Es sei nicht zu beanstanden, dass die angegriffenen Flugverfahren anderen Verfahren vorgezogen worden seien. Die NOOST-Alternativen 5 und 6 zur Nordumfliegung des Gemeindegebiets der Klägerin seien unter Lärmschutzgesichtspunkten nicht eindeutig überlegen oder aus Gründen der Flugsicherung besser geeignet.
Die Klägerin hat die vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision eingelegt, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt, die Rechtswidrigkeit der 247. Durchführungsverordnung zur Luftverkehrs-Ordnung in der derzeit gültigen Fassung festzustellen, soweit darin bei Benutzung der Startbahn 25 R Abflugverfahren bis zum Streckenpunkt DB 241 festgelegt sind. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das vorinstanzliche Urteil steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Flugroutenbestimmung nicht wegen einer angeblich unrechtmäßigen Besetzung der Fluglärmkommission (FLK) formell rechtswidrig ist.
a) Nicht gefolgt werden kann dem Oberverwaltungsgericht allerdings in der Beurteilung der Stellung der FLK im Verfahren der Flugroutenfestsetzung. Der Senat teilt nicht die vorinstanzliche Ansicht, dass der FLK kein formelles Beteiligungsrecht zusteht, sondern sie lediglich anzuhören ist (UA S. 12).
Nach § 32b Abs. 1 Satz 1 LuftVG wird die Fluglärmkommission u.a. zur Beratung des BAF und der Flugsicherungsorganisation über Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm gebildet. Über die aus Lärmschutzgründen beabsichtigten Maßnahmen haben das BAF und die Flugsicherungsorganisation nach § 32b Abs. 2 Satz 1 LuftVG zu informieren. Die Kommission ist berechtigt, Vorschläge zu machen (§ 32b Abs. 3 Satz 1 LuftVG). Halten das BAF oder die Flugsicherungsorganisation die vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht geeignet oder nicht durchführbar, teilen sie dies der Kommission unter Angabe der Gründe mit (§ 32b Abs. 3 Satz 2 LuftVG). Die FLK ist daher in die Bestimmung von Flugverfahren einzubinden. Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der bei Erlass des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (BGBl I S. 2424) davon ausging, § 32b LuftVG sei „insbesondere von Bedeutung für die Lärmproblematik im An- und Abflugbereich von Flughäfen” (BTDrucks 16/11608 S. 18 f.). Der Pflicht des BAF, die FLK zu beteiligen, korrespondiert ein entsprechendes Recht der FLK.
b) Wenn die FLK, wie hier, konsultiert worden ist, ist die Flugroutenbestimmung insoweit unabhängig davon formell rechtmäßig, ob die FLK ordnungsgemäß zusammengesetzt war. Gegenteiliges könnte nur erwogen werden, wenn die FLK das Recht hätte, bei der Festlegung von Flugverfahren mitzuentscheiden, und ihr das BAF dieses Recht abgeschnitten hätte. Ein Recht zur Mitentscheidung hat die FLK, in deren Zusammensetzung sich die gegensätzlichen Interessen im Umfeld eines Flugplatzes widerspiegeln (Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – BVerwGE 121, 152 ≪169≫), indes nicht. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 32b Abs. 1 Satz 1 LuftVG, der ihr nur eine beratende Funktion zuweist. Für eine Befugnis zur Mitentscheidung dürfte es auch an der erforderlichen demokratischen Legitimation fehlen. Das Gesetz gibt zwar in § 32b Abs. 4 Satz 1 LuftVG vor, die Vertreter welcher Interessen der Kommission angehören sollen, und ordnet in § 32b Abs. 4 Satz 3 LuftVG an, dass in die Kommission nicht mehr als 15 Mitglieder berufen werden sollen, überlässt die Besetzung ansonsten aber der Genehmigungsbehörde (§ 32b Abs. 5 Satz 1 LuftVG). Das betrifft die Größe und die Mehrheitsverhältnisse zwischen den einzelnen Gruppen ebenso wie die Mehrheitsverhältnisse innerhalb einer Gruppe, beispielsweise der Gemeinden.
c) Der Senat kann offen lassen, ob die Zusammensetzung der FLK auch dann für die formelle Rechtmäßigkeit einer Flugverfahrensanordnung unerheblich ist, wenn sie willkürlich oder auf einem kollusiven Zusammenwirken von Genehmigungsbehörde und BAF beruht. Denn hierfür geben die tatrichterlichen Feststellungen keinen Anhaltspunkt.
Es erscheint nicht willkürlich, solche Gemeinden im Sinne von § 32b Abs. 4 Satz 1 LuftVG als von Fluglärm betroffen anzusehen, die mit Lärm beaufschlagt werden, der unterhalb der von der Klägerin für maßgeblich erachteten Schwellenwerte von 50 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht liegt. Solche Betroffenheiten sind nicht von vornherein rechtlich unerheblich, sondern ausgehend von der darüber liegenden fachplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsschwelle zu gewichten, die gemäß § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG durch die Grenzwerte des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm – FluglärmG – gezogen wird (Urteil vom 4. April 2012 – BVerwG 4 C 8.09 u.a. – BVerwGE 142, 234 Rn. 190).
Bedenklich könnte allenfalls sein, dass Vertreter von vier Landkreisen in die FLK aufgenommen worden sind. Landkreise sind keine Gemeinden im Sinne des § 32b Abs. 4 Satz 1 LuftVG. Angesichts der in § 32b Abs. 4 Satz 2 LuftVG vorgesehenen Möglichkeit, weitere Mitglieder zu berufen, und der geografischen Lage des Flughafens Berlin Brandenburg lässt es sich aber sachlich rechtfertigen, als Gegengewicht zur Metropole Berlin auch Landkreise als Repräsentanten der ländlichen Räume in die FLK zu berufen.
d) Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Die Klägerin wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, es habe dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt, dass es ihren Beweisantrag zur Lärmbetroffenheit der neuen Mitglieder der FLK in der mündlichen Verhandlung ohne weitere Begründung „als nicht entscheidungserheblich” abgelehnt hat. Die Rüge muss jedenfalls deshalb erfolglos bleiben, weil die Klägerin ihr Rügerecht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO verloren hat (Urteil vom 6. Juli 1998 – BVerwG 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ≪132≫). Die vermisste Begründung für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene mangelnde Entscheidungserheblichkeit hätte sie in der mündlichen Verhandlung anmahnen müssen. Versäumnisse Beteiligter in der Tatsacheninstanz können in der Revisionsinstanz nicht korrigiert werden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 556 ZPO).
Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe ihr das rechtliche Gehör versagt, indem es auf ihren Beweisantrag im Urteil nicht noch einmal zurückgekommen sei, ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat das Argument der Klägerin zu der aus ihrer Sicht zu Unrecht in die FLK berufenen Gemeinden und Landkreise aufgegriffen und ihm entgegengehalten, eine fehlerhafte Zusammensetzung der FLK führe für sich genommen nicht zur Rechtswidrigkeit der Flugroutenfestsetzung, weil das BAF eine eigene Abwägungsentscheidung treffe (UA S. 12). Damit hat das Oberverwaltungsgericht die Ablehnung des Beweisantrags als nicht entscheidungserheblich im Urteil mit einer Begründung unterlegt.
2. Das Oberverwaltungsgericht hat die Festlegung der umstrittenen Flugrouten zu Recht als materiell rechtmäßig bestätigt. Das BAF hat eine Abwägungsentscheidung getroffen, die nicht zu beanstanden ist. Für die gerichtliche Kontrolle kommt es allein auf die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses des Rechtsetzungsverfahrens an und nicht auf mögliche Mängel im Abwägungsvorgang (vgl. Urteil vom 26. Juni 2014 – BVerwG 4 C 3.13 – LKV 2014, 460 Rn. 25).
a) Die Zusammensetzung der FLK und das Abstimmungsverhalten der Gemeindevertreter liefern weder ein Indiz noch gar einen Beleg für die Fehlerhaftigkeit des Abwägungsergebnisses. Da die FLK nur beratende Funktion hat und sich das BAF die Beschlüsse der FLK nach den vorinstanzlichen Feststellungen nicht unbesehen zu eigen gemacht hat (UA S. 12), ist unerheblich, von welchen Motiven sich die Mitglieder der FLK bei ihrer Beschlussfassung haben leiten lassen.
Die Klägerin beanstandet mit der Gehörsrüge, dass das Oberverwaltungsgericht ihren Vortrag zum Meinungsbildungsprozess in der FLK vor deren Beschluss vom 28. März 2011 missachtet habe. Aus dem Vortrag ergebe sich, dass der Beschluss, in dem sich die FLK mehrheitlich für eine Doppelbelastung des Gemeindegebiets der Klägerin ausgesprochen habe, jeglicher rationaler Kriterien entbehre.
Die Gehörsrüge hat keinen Erfolg. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen. Dem entspricht die grundsätzliche Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, auf jedes Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich einzugehen, sondern dürfen sich auf die Gründe beschränken, die für ihre Entscheidung leitend gewesen sind. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪146≫; BVerwG, Beschluss vom 25. November 1999 – BVerwG 9 B 70.99 – Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 64, S. 8; stRspr). Das ist hier nicht der Fall. Das Oberverwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das BAF unter Berücksichtigung der Meinungsund Willensbildung in der FLK und der ablehnenden Haltung der Klägerin eine eigene Abwägungsentscheidung getroffen hat. Die Motive, die dem Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitglieder zugrunde lagen, waren nach Ansicht der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich.
b) Obwohl die Nutzung der umstrittenen Flugrouten zu unzumutbarem Lärm in der Ortsmitte der Klägerin führen wird, ist ihre Festlegung von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Unzumutbar sind Lärmwirkungen, die durch das Qualifikationsmerkmal der Erheblichkeit die Schädlichkeitsgrenze überschreiten (Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – BVerwGE 121, 152 ≪161≫). Da die einfachgesetzliche Grenzlinie der Unzumutbarkeit bei der Festlegung von Flugverfahren nicht anders zu ziehen ist als im luftrechtlichen Planungsrecht, gelten die nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG in der Planfeststellung für Flughäfen zu beachtenden Werte des § 2 Abs. 2 FluglärmG auch hier (vgl. Wöckel, Festlegung von Flugverfahren, 2013, S. 172). In Übereinstimmung damit hat das Oberverwaltungsgericht mit der Beklagten die Grenze, bei der der Lärm die Zumutbarkeitsschwelle überschreitet, bei einem Dauerschallpegel von 55 dB(A) gezogen (UA S. 24 f.). Als Folge der festgelegten Flugrouten werden in der Ortsmitte der Klägerin Betroffenheiten hinsichtlich des Gesamtfluglärms bis in das Pegelband zwischen 60 und 65 dB(A) erwartet.
Nach § 29b Abs. 2 LuftVG haben die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisation auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Lärm hinzuwirken. Die Vorschrift verbietet nicht, die Bevölkerung mit unzumutbarem Lärm zu belasten, normiert aber eine Regelverpflichtung, die Ausnahmen nur zulässt, wenn sich hierfür überwiegende Gründe der geordneten, sicheren und flüssigen Abwicklung des Luftverkehrs ins Feld führen lassen (Urteil vom 24. Juni 2004 a.a.O. S. 162).
Die Abwägungsdirektive des § 29b Abs. 2 LuftVG zu Gunsten des Schutzes der Bevölkerung vor unzumutbarem Lärm ist allerdings auf die Situation zugeschnitten, in der neben Flugverfahren mit Lärmwirkungen oberhalb der Zumutbarkeitsschwelle auch Flugverfahren zur Verfügung stehen, mit der sich unzumutbare Lärmbelastungen vermeiden lassen. Um einen solchen Fall handelt es sich hier nicht, weil die vom BAF untersuchten Alternativ-Routen, mit deren Festlegung sich die Doppelbelastung der Ortsmitte der Klägerin umgehen ließe, anderweitig zu unzumutbaren Belastungen führen würden. Die von der Klägerin geforderte NOOST-Alternative 5 zur Nordumkurvung, die nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts mit einer Reduzierung der Zahl der von An- und Abfluglärm Betroffenen in den hohen Pegeln zwischen 60 und 65 dB(A) um 1 680 einherginge, riefe 3 488 zusätzlich Betroffene in den Pegeln 55 bis 60 dB(A) im besiedelten nördlichen Teil des Gemeindegebiets hervor (UA S. 25). Bei der NOOST-Alternative 6 käme es insgesamt zu einer Zunahme der Anzahl von durch unzumutbarem Lärm Betroffenen. Da die NOOST-Alternative 6 in ihrem Anfangsteil denselben Verlauf nehme wie die NOOST-Alternative 5, seien die für diesen Streckenabschnitt angestellten Berechnungen insoweit übertragbar (UA S. 28).
Bringen alle in Betracht kommenden Flugverfahren unzumutbaren Lärm mit sich, ist § 29b Abs. 2 LuftVG für die Abwägungsentscheidung unergiebig. Die Vorschrift verlangt weder eine Bündelung der Flugverfahren mit einer damit einhergehenden starken Belastung einer geringeren Anzahl Betroffener noch eine Auffächerung der Flugverfahren mit einer geringeren, aber immer noch unzumutbaren Belastung einer höheren Anzahl Betroffener. Sie regelt auch nicht, wie „schwach unzumutbarer” Fluglärm zu „stark unzumutbarem” Fluglärm und die Zahl der jeweils Betroffenen rechnerisch ins Verhältnis gesetzt werden könnten. Namentlich gibt sie keine Antwort auf die Frage, ob etwa der Halbierung der Zahl stark unzumutbar Betroffener vor der gleichzeitigen Verdoppelung der Zahl schwach unzumutbar Betroffener der Vorzug gebührt. Der Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2005 – BVerwG 4 B 43.05 – (juris), auf den sich die Klägerin beruft, hilft ihr nicht weiter. Der auf die Ermittlungspflicht der Behörde bezogene Rechtssatz des Senats, das Luftfahrt-Bundesamt habe umso eingehender zu prüfen, ob sich Streckenalternativen anbieten, die Abhilfe versprechen, je deutlicher die Zumutbarkeitsschwelle voraussichtlich überschritten wird, gibt für eine Binnendifferenzierung nach verschiedenen Intensitäten unzumutbaren Lärms bei der Abwägungsentscheidung nichts her.
Dem BAF obliegt die Entscheidung, ob bei der Bewertung der Belastungsstärke auf den Umfang der räumlichen Betroffenheit oder die Zahl der betroffenen Bewohner abgestellt und welches Gewicht dabei der Stärke der Lärmereignisse zuerkannt werden soll. Es kann nach Maßgabe der Flugsicherheitserfordernisse Flugbewegungen bündeln oder streuen und die Lärmbelastung nach Art eines großräumigen Lastenausgleichs aufteilen oder bestimmte Gebiete möglichst verschonen (Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 15.03 – juris Rn. 40). Einen Rechtsverstoß begeht das BAF nur dann, wenn es die Augen vor Alternativen verschließt, die sich unter Lärmschutzgesichtspunkten als eindeutig vorzugswürdig aufdrängen, ohne zur Wahrung der für den Flugverkehr unabdingbaren Sicherheitserfordernisse weniger geeignet zu sein (Urteil vom 24. Juni 2004 – BVerwG 4 C 11.03 – a.a.O. S. 164). Einen solchen Rechtsverstoß hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend verneint. Der Nachteil der Doppelbelastung durch die Konzentration des Fluglärms auf einen Korridor über dem Ortszentrum der Klägerin steht nicht in einem eklatanten Missverhältnis zu dem Vorteil, dass im Vergleich mit den NOOST-Alternativen 5 oder 6 die Anzahl der von unzumutbarem Fluglärm Betroffenen deutlich kleiner ist.
c) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht beanstandet, dass das BAF Flugverfahren zur Südumkurvung der Ortsmitte der Klägerin nicht in die Alternativenprüfung einbezogen hat. Auch das hält im Ergebnis der revisionsgerichtlichen Kontrolle stand.
Nach dem Verständnis der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht dem Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens BerlinSchönefeld, an den das BAF gebunden ist und den es nicht konterkarieren darf (Beschluss vom 4. Mai 2005 – BVerwG 4 C 6.04 – BVerwGE 123, 322 ≪330 f.≫), und dem darin enthaltenen Konzept eines durchgängig unabhängigen Parallelbahnbetriebs das Verbot entnommen, Flugverfahren festzulegen, die wenigstens in den verkehrsarmen Tageszeiten die Abwicklung des Flugverkehrs mit einem abhängigen Parallelbahnbetrieb vorsehen. Sie hält dem Oberverwaltungsgericht vor, den Planfeststellungsbeschluss falsch ausgelegt zu haben. Der Planfeststellungsbeschluss schreibe einen zeitlich unbeschränkten unabhängigen Parallelbahnbetrieb nicht vor und lasse eine Festlegung von Flugverfahren zu, die ihre Ortsmitte zumindest zeitweise schonten und, wie die Südumkurvung, nicht andernorts unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen nach sich zögen.
Der Senat kann offen lassen, ob die Kritik der Klägerin berechtigt ist. Auch wenn der Planfeststellungsbeschluss die Anordnung von Flugverfahren, die einen unabhängigen Parallelbahnbetrieb ausschließen, für verkehrsarme Tageszeiten zulassen sollte, durfte sich das BAF auf die Betrachtung der in den Blick genommenen Alternativrouten beschränken. Das BAF ist nach den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses gehalten, Flugverfahren festzulegen, die während der ganzen Betriebszeit einen unabhängigen Parallelbahnbetrieb des Flughafens Berlin Brandenburg ermöglichen. Neben den gewählten, den Vorgaben gerecht werdenden Flugverfahren musste es deshalb Alternativen untersuchen, die das Gleiche zu leisten imstande sind. Nicht zum Auftrag des Planfeststellungsbeschlusses gehört die Festlegung von Flugverfahren für einen abhängigen Parallelbahnbetrieb. Solche Verfahren musste das BAF daher nicht in die Alternativenbetrachtung einbeziehen. Ob das BAF für Zeiträume, in denen ein unabhängiger Parallelbahnbetrieb mangels entsprechenden Verkehrsaufkommens nicht notwendig ist, Flugverfahren zur Südumkurvung des Ortszentrums der Klägerin hätte festlegen dürfen, bedarf keiner Entscheidung.
Die Verfahrensrügen, mit denen sich die Klägerin gegen die Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses durch das Oberverwaltungsgericht zur Wehr setzt, brauchen wegen § 144 Abs. 7 VwGO nicht beschieden zu werden. Das gilt auch für die Gehörsrügen. Auch bei einer Verletzung rechtlichen Gehörs ist § 144 Abs. 7 VwGO anwendbar, wenn – wie hier – die beanstandete Feststellung zu einer einzelnen Tatsache nach der materiell-rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erheblich war (vgl. Urteil vom 26. Februar 2003 – BVerwG 8 C 1.02 – NVwZ 2003, 1129 ≪1130≫).
d) Die Festlegung der Flugverfahren ist nicht deshalb zu beanstanden, weil sich das BAF im Falle der sog. „Südumfliegung” Frankfurt für eine Verteilung des Lärms durch eine Spreizung der Flugrouten entschieden hat (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 3. September 2013 – 9 C 323/12.T – DVBl 2014, 459). Das BAF ist nicht gehindert, je nach den örtlichen Verhältnissen und der Bilanzierung der betroffenen Belange einer Bündelung oder einer Streuung unzumutbaren Lärms den Vorzug zu geben. Denkgesetzwidrig ist die Anerkennung eines entsprechenden Handlungsspielraums des BAF entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt – anders als hier – nur vor, wenn ein aus logischen Gründen schlechthin unmöglicher Schluss gezogen wird, indem Voraussetzungen und Folgen in einer Weise verknüpft werden, dass die Folgerung unter keinen Umständen richtig sein kann (Beschluss vom 19. Oktober 1999 – BVerwG 9 B 407/99 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 S. 11).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker, Dr. Külpmann
Fundstellen
BVerwGE 2015, 286 |
DÖV 2015, 389 |
JZ 2015, 126 |
VR 2015, 179 |
ZLW 2015, 537 |
UPR 2015, 200 |