Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzustellung. Klagefrist. Lebensgefährte. Parteiwechsel. Vereinsverbot. Zustellung gegen Empfangsbekenntnis
Leitsatz (amtlich)
Wird bei einer Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis der Empfänger in seiner Wohnung nicht angetroffen, so kann das Schriftstück in der Wohnung einem Lebensgefährten als einem zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 ThürVwZVG (§ 11 Abs. 1 Satz 1 VwZG) übergeben werden. Im Hinblick darauf, dass diese Frage in der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beantwortet wird, kann die Ersatzzustellung vorsorglich durch Niederlegung gemäß § 11 Abs. 2 ThürVwZVG (§ 11 Abs. 2 VwZG) bewirkt werden.
Normenkette
VwGO §§ 74, 91; VwZG §§ 5, 7, 9, 11; ThürVwZVG §§ 5, 7, 9, 11
Tenor
Das Verfahren hinsichtlich der Kläger M. D. und M. B. wird eingestellt.
Die Klage der Vereinigungen „B. & H.” und „W. Y.” wird abgewiesen.
Die Kläger M. D. und M. B. tragen die bis zur Klagerücknahme entstandenen Kosten des Rechtsstreits. Im Übrigen tragen die klagenden Vereinigungen die Kosten.
Tatbestand
I.
Das Bundesministerium des Innern stellte durch Verfügungen vom 12. und 13. September 2000 fest, dass sich die Vereinigungen „B. & H.” und „W. Y.” gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die Vereinigungen wurden verboten und aufgelöst. Ferner traf das Bundesministerium des Innern Nebenanordnungen und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Die Verfügung vom 12. September 2000 ist an „B. & H.” adressiert, und zwar zu Händen von neun Personen, darunter die Herren M. D. und M. B. (Kläger zu 1 und 2). Die Verfügung vom 13. September 2000 ist auch an „W. Y.” adressiert; als Empfänger sind insoweit die Herren M. B. und S. Z. benannt. Die Kläger zu 1 und 2 haben am 13. Oktober 2000 in eigenem Namen Klage mit dem Ziel der Aufhebung der Verbotsverfügung erhoben. Mit Schriftsätzen vom 2. März 2001 und 23. Mai 2001 haben die Kläger 1 und 2 dargelegt, von den Vorständen der verbotenen Vereinigungen zur Klageerhebung beauftragt worden zu sein. Sie beantragen, das Rubrum der Klage dahin zu berichtigen, dass anstelle der in der Klageschrift genannten Kläger Degner und Bär die Vereinigungen „B. & H.” und „W. Y.” als Klägerinnen geführt werden. Diese beantragen, die Verfügungen der Beklagten vom 12. und 13. September 2000 aufzuheben.
Die Beklagte ist dem Antrag auf Berichtigung des Klagerubrums entgegengetreten und beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Der Antrag, das Rubrum der Klage zu berichtigen, hat keinen Erfolg. Die Kläger zu 1 und 2 haben die Klage eindeutig im eigenen Namen und nicht für die verbotenen Vereinigungen anhängig gemacht. Für eine Berichtigung, die lediglich klarstellende Bedeutung haben könnte, ist danach kein Raum.
Dem ausdrücklich erklärten Willen der Kläger zu 1 und 2, dass die verbotenen Vereinigungen ihre Stelle als Klagepartei einnehmen sollen, entspricht es, den Berichtigungsantrag als Klageänderung aufzufassen, die auf einen Parteiwechsel gerichtet ist und die Zurücknahme der Klagen der Kläger zu 1 und 2 enthält. Die Klageänderung ist zulässig (§ 91 Abs. 1 VwGO). Der erkennende Senat hält den beantragten Parteiwechsel unter den hier gegebenen Umständen für sachdienlich, weil er zur endgültigen Klärung des Bestands der angefochtenen Verfügungen führt, ohne dass ein weiterer Rechtsstreit anhängig gemacht werden müsste.
2. Die Klagen der verbotenen Vereinigungen (Klägerinnen zu 3 und 4) bleiben ohne Erfolg. Sie sind verspätet erhoben und daher unzulässig.
a) Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden, wenn – wie hier (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO) – ein Widerspruchsverfahren nicht stattfindet. Die Frist beginnt, wenn, was hier der Fall ist, eine den Anforderungen des § 58 Abs. 1 VwGO genügende Rechtsmittelbelehrung vorliegt, bei zustellungsbedürftigen Verwaltungsakten wie Vereinsverboten (§ 3 Abs. 4 Satz 1 VereinsG) mit der formgerechten Zustellung zu laufen (vgl. § 9 Abs. 2 VwZG und die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften). Die angefochtenen Verfügungen sind am 14. September 2000 zugestellt worden, und zwar im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften. Maßgeblich für die Wahrung der Klagefrist ist im Falle eines Parteiwechsels der vorliegenden Art der Zeitpunkt des Eintritts der neuen Klagepartei (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 74 Rn. 7; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 74 Rn. 10; Meissner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 74 Rn. 40). Dieser erfolgte hier nicht vor dem 19. März 2001, zu dem die Schriftsätze der Klägerseite vom 2. März 2001 bei Gericht eingingen, und damit nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist.
b) Die angefochtenen Verfügungen sind den Klägerinnen zu 3 und 4 ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Zustellungen wurden auf Ersuchen der Beklagten im Wege der Amtshilfe durch Landesbehörden bewirkt. Die Beklagte geht zu Recht davon aus, dass sich in diesem Fall die Zustellung nach dem jeweiligen Landesrecht richtet (vgl. § 7 Abs. 1 VwVfG); im Übrigen stimmt das Landesrecht Thüringens, soweit es für die Beurteilung der vom Senat betrachteten Zustellungsvorgänge maßgeblich ist, mit dem Zustellungsrecht des Bundes überein.
Die Klägerinnen zu 3 und 4 sind nicht rechtsfähige Personenvereinigungen. Zuzustellen war daher an ihre Vorsteher, wobei die Zustellung an einen von mehreren Vorstehern genügte (§ 7 Abs. 2, 3 ThürVwZVG ≪§ 7 Abs. 2, 3 VwZG≫). Aus diesem Grunde konnte sich der Senat auf die folgenden Feststellungen beschränken, aus denen sich die ordnungsgemäße Zustellung gegen Empfangsbestätigung ergibt (§ 5 Abs. 1, § 11 ThürVwZVG ≪§ 5 Abs. 1, § 11 VwZG≫).
aa) Die Zustellung an den Kläger zu 1 als Mitglied des Vorstands der Klägerin zu 3 ist im Wege der Ersatzzustellung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 ThürVwZVG oder gemäß § 11 Abs. 2 ThürVwZVG bewirkt worden.
(1) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 ThürVwZVG kann dann, wenn der Empfänger in seiner Wohnung nicht angetroffen wird, das Schriftstück in der Wohnung einem zur Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen oder einem in der Familie beschäftigten Erwachsenen übergeben werden. Derjenige, dem das Schriftstück übergeben worden ist, hat die Empfangsbestätigung (§ 5 Abs. 1 ThürVwZVG) zu unterschreiben; der zustellende Bedienstete vermerkt in den Akten den Grund der Ersatzzustellung (§ 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 ThürVwZVG). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Der zustellende Bedienstete traf den Kläger zu 1 am 14. September 2000 in seiner Wohnung nicht an. Er übergab die zuzustellenden Schriftstücke der dort anwesenden Frau T., die sich für empfangsberechtigt erklärte und die er als Lebensgefährtin des Klägers zu 1 ansah. Frau T. unterschrieb das Empfangsbekenntnis.
Das Empfangsbekenntnis und der Verlaufsbericht des zustellenden Bediensteten vom 15. September 2000 genügen den erwähnten Anforderungen an die Beurkundung der Ersatzzustellung. Dass Frau T. zum Zeitpunkt der Zustellung Lebensgefährtin des Klägers zu 1 war, stand nach den angetroffenen Umständen nicht in Zweifel. Sie war in derselben Wohnung wie der Kläger zu 1 gemeldet, unterhielt mit ihm einen gemeinsamen Hausstand und war mit dessen Angelegenheiten vertraut, worauf u.a. der Besitz und die Übergabe des Postfachschlüssels hindeuteten.
Die in Rechtsprechung und Schrifttum umstrittene Frage, ob Lebensgefährten „zur Familie gehörende erwachsene Hausgenossen” im Sinne des Ersatzzustellungsrechts sein können, ist nach Ansicht des erkennenden Senats in Weiterentwicklung des – zur Parallelvorschrift des § 181 Abs. 1 ZPO ergangenen – Urteils des Bundesgerichtshofs vom 14. März 1990 – VIII ZR 204/89 – (BGHZ 111, 1) und im Anschluss an das Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 7. April 1999 – 9 U 65/98 – (NJW 1999, 2602) zu bejahen. Für die Zulässigkeit der Ersatzzustellung maßgeblich ist, ob nach der Lebenserfahrung von der in der Wohnung angetroffenen Person zu erwarten ist, dass sie wegen ihres nach außen zum Ausdruck gebrachten Vertrauensverhältnisses zum Empfänger diesem das zuzustellende Schriftstück aushändigen wird. Dass dieses Vertrauensverhältnis eine familienrechtliche Grundlage haben müsste, lässt sich bereits dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen (zur unterschiedlichen Bedeutung des Begriffs der Familie im jeweiligen Regelungszusammenhang vgl. Urteil vom 4. Mai 1999 – BVerwG 1 C 25.98 – Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 4 = NJW 1999, 2688) und widerspräche dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung (vgl. im einzelnen OLG Schleswig, a.a.O.). Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind als solche in der Regel auch nach außen erkennbar. Schwierigkeiten bei der Zustellung sind daher nur ausnahmsweise zu besorgen und unterscheiden sich nicht von solchen bei der Anwendung anderer Tatbestandsmerkmale des Zustellungsrechts (z.B. „erwachsener” Hausgenosse).
Einer Anrufung des Gemeinsamen Senats im Hinblick auf die abweichenden Entscheidungen des 4. Senats des Bundesfinanzhofs vom 29. April 1982 – IV R 52/81 – (NJW 1982, 2895) und des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 8. Januar 1987 – 1 StR 381/86 – (BGHSt 34, 250) bedarf es aus den nachfolgenden Gründen nicht.
(2) Ist die Zustellung nach § 11 Abs. 1 ThürVwZVG nicht durchführbar, so kann dadurch zugestellt werden, dass das Schriftstück bei der Gemeinde des Zustellungsortes niedergelegt wird. Über die Niederlegung ist eine schriftliche Mitteilung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben, oder, wenn das nicht tunlich ist, an der Tür der Wohnung mit Anschrift des Empfängers zu befestigen; außerdem ist möglichst ein Nachbar mündlich zu verständigen. Der zustellende Bedienstete vermerkt in den Akten den Grund der Ersatzzustellung sowie, wann und wo das Schriftstück niedergelegt und in welcher Weise die Niederlegung schriftlich mitgeteilt ist (§ 11 Abs. 5 Satz 2, 3 ThürVwZVG).
Die Niederlegung und die Benachrichtigung des Klägers zu 1 genügen den Anforderungen an die Form und Mitteilung der Ersatzzustellung, die zudem ordnungsgemäß in den Akten beurkundet worden ist. Es war hier auch zulässig, die Ersatzzustellung durch Niederlegung vorsorglich zusätzlich zu derjenigen durch Übergabe an die Lebensgefährtin zu bewirken. Die Zustellung nach § 11 Abs. 1 ThürVwZVG war in dem Sinne „nicht durchführbar”, als diese Zustellungsart, wie dargestellt, mit rechtlichen Zweifeln behaftet und der Erfolg der Zustellung zum vorgesehenen Zeitpunkt nicht gesichert war. Der Zweck der Ersatzzustellung gebietet, dass in einem derartigen Fall vorsorglich durch Niederlegung zugestellt werden kann. Berechtigte Interessen des Empfängers stehen dem nicht entgegen.
Bedenken gegen die Wirksamkeit der Zustellung durch Niederlegung bestehen auch nicht mit Blick auf die vorrangig zu versuchende Ersatzzustellung an den Hauswirt oder Vermieter gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 ThürVwZVG. Die Möglichkeit einer derartigen Ersatzzustellung ist von dem zustellenden Bediensteten mit dienstlicher Erklärung vom 6. Juni 2001 ausdrücklich verneint worden; Gegenteiliges wird von der Klägerin zu 3 nicht vorgetragen.
bb) Der Klägerin zu 4 wurden die angefochtenen Verfügungen am 14. September 2000 zugestellt, indem sie Herrn S. Z. gegen ordnungsgemäße Empfangsbestätigung ausgehändigt wurden (§ 5 Abs. 1 ThürVwZVG). Die Zustellung konnte an diesen als Mitglied des Vorstandes der Klägerin zu 4 bewirkt werden. Der erkennende Senat hält den Vortrag der Beklagten, dass Herr S. Z. unter dem Spitznamen „Z.” auftrat, ebenso wenig für zweifelhaft wie ihre Feststellung, er sei führender Funktionär der „B.& H.” – Jugendorganisation „W. Y.”. In zwei – den Klägerinnen zu 3 und 4 offenkundig zuzurechnenden – Publikationen wird „W. Y.” vorgestellt und übereinstimmend ausgeführt, dass die Leitung dieser Vereinigung vorläufig M. B. und „Z.” übernommen hätten, die sie aber zum gegebenen Zeitpunkt an jüngere Leute abgeben würden (vgl. „Kreuzritter – Die Stimme der heidnisch-nationalen Jugend Frankens 2” – S. VI; B. & H. Fanzine Nr. 6 ≪Anlagen Nr. 3 und 4 zum Schriftsatz der Beklagten vom 27. Dezember 2000≫). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat lediglich erklärt, ihm sei nicht bekannt, ob Herr S. Z. Mitglied des Vorstandes von „W. Y.” sei. Dies genügt nicht, um Zweifel an der Richtigkeit der Darstellungen in den genannten Publikationen zu begründen. Weitere Aufklärung ist nicht veranlasst.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 159 VwGO.
Unterschriften
Bardenhewer, Eckertz-Höfer, Gerhardt, Büge, Graulich
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.06.2001 durch Klebba Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
DÖV 2002, 485 |
NJ 2002, 48 |
DVBl. 2002, 339 |
NPA 2003, 0 |