Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögenszuordnung. öffentliche Restitution. Restitutionsausschluss. rechtsstaatswidriger Eigentumserwerb. Treu und Glauben. Bodenreform
Leitsatz (amtlich)
Der öffentlichen Restitution unterliegt kein Vermögen, das eine Gemeinde durch entschädigungslose Enteignung Privater im Rahmen der Bodenreform erlangt hatte. Das gilt auch, wenn sich der Erwerb als Bestandteil eines mehraktigen, insgesamt rechtsstaatswidrigen Vorgangs darstellt (Fortführung des Urteils vom 24. April 2003 – BVerwG 3 C 15.02 – BVerwGE 118, 119).
Normenkette
EV Art. 21 Abs. 3; EV Art. 22 Abs. 1 S. 7; VZOG § 11
Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 15.01.2004; Aktenzeichen 6 A 3568/02) |
Tenor
Das Verfahren über die Anschlussrevision der Klägerin zu 1 wird eingestellt.
Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 15. Januar 2004 geändert. Die Klage der Klägerin zu 2 wird ebenfalls abgewiesen.
Die Gerichtskosten sowie die außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen aus dem ersten Rechtszug tragen die Klägerinnen jeweils zur Hälfte. Von den Gerichtskosten sowie den außergerichtlichen Kosten der Beklagten und der Beigeladenen aus dem Revisionsverfahren tragen die Klägerin zu 1 ein Viertel und die Klägerin zu 2 drei Viertel. Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen die Klägerinnen jeweils selbst.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung von insgesamt 65 Flurstücken der Flur 1 der Gemarkung Neuhaus, die zum Ortsteil Neuhaus der Klägerin zu 2 gehören. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts handelt es sich um Bungalowgrundstücke an der Ostsee, die Bestandteil einer Wochenend- und Ferienhaussiedlung sind. Die Grundstücke standen 1990 im Eigentum des Volkes; als Rechtsträger war der Rat der Gemeinde Dierhagen eingetragen. Die Klägerin zu 2 hat sie in den Jahren 1990 bis 1994 verkauft.
Die Grundstücke waren ursprünglich Teil des Gutes Neuhaus, das seit 1455 im Eigentum der Stadt Ribnitz stand. Die Stadt Ribnitz verpachtete das Gut und begründete 1840 Erbpacht. Der letzte Erbpächter wurde im Zuge der Bodenreform enteignet. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde das Gut später in Volkseigentum überführt. Als Rechtsträger der hier betroffenen Grundstücke wurde der Rat der Gemeinde Dändorf eingetragen, die 1958 in die Klägerin zu 2 eingemeindet wurde. In der Folgezeit wurden dann etwa 100 Grundstücke – hierunter die meisten der vorliegend umstrittenen – herausparzelliert und mit Wochenend- und Ferienhäusern (Bungalows) bebaut.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2002 ordnete der Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Rostock die Grundstücke der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland zu. Hiergegen richten sich die vorliegenden Klagen, die das Verwaltungsgericht verbunden hat.
Die Klägerin zu 1 verlangt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihr hinsichtlich sämtlicher 65 Grundstücke ein Restitutionsanspruch zugestanden habe und dass die Klägerin zu 2 als Veräußerer verpflichtet sei, ihr den Wert der Grundstücke herauszugeben.
Die Klägerin zu 2 hat mit ihrer Klage ursprünglich Zuordnung sämtlicher 65 Grundstücke im Wege der Restitution verlangt. Hierzu hat sie vorgetragen: Zwar sei das Gut Neuhaus im Zuge der Bodenreform enteignet worden. Es sei aber nicht vollständig an Bodenreformeigentümer vergeben worden. Die verbleibende Restfläche sei – als “unbrauchbares” Land – in das Eigentum der Gemeinde Dändorf gelangt und von dort erst Jahre später in Volkseigentum überführt worden.
Mit Urteil vom 15. Januar 2004 hat das Verwaltungsgericht Greifswald die Klage der Klägerin zu 1 abgewiesen, da diese nicht restitutionsberechtigt gewesen sei. Demgegenüber hat es auf die Klage der Klägerin zu 2 den Zuordnungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die umstrittenen Grundstücke dieser Klägerin zuzuordnen, soweit die Grundstücke nicht ehemaligen Bodenreformbauern zugewiesen worden seien. Die Klägerin zu 2 könne Restitution verlangen. Sie sei Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Dändorf, welche die streitgegenständlichen Grundstücke dem Zentralstaat unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Diese Gemeinde sei nach § 2 des mecklenburgischen Gesetzes über die Aufhebung von Sonderrechten an Gemeindevermögen vom 29. April 1948 (GBl S. 77) Eigentümerin derjenigen Grundstücke des ehemaligen Gutes Neuhaus geworden, die nicht im Zuge der Bodenreform Neubauern zugewiesen worden seien. Die Überführung in Volkseigentum im Jahre 1952 sei daher zu ihren Lasten erfolgt. Die Restitution sei auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Gemeinde Dändorf die Grundstücke aus der Bodenreform erlangt habe. Allerdings schließe der Wiedergutmachungsgedanke die öffentliche Restitution aus, wenn der Gemeinde Vermögenswerte entzogen wurden, die sie selbst auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt habe. Die Gemeinde Dändorf sei aber in das Unrechtsgeschehen der Bodenreform nicht involviert gewesen. Sie habe das Eigentum an den Grundstücken nicht unmittelbar aus der Bodenreform, sondern lediglich mittelbar auf der Grundlage des erwähnten Aufhebungsgesetzes von 1948 erlangt. An dessen Zustandekommen sei sie nicht beteiligt gewesen, die dort angeordnete Rechtsfolge des Eigentumserwerbs sei ohne ihr Zutun – insbesondere ohne Antrag – eingetreten. Zudem sei den Gemeinden nur dasjenige Grundvermögen zugeteilt worden, das nach Durchführung der Bodenreform im Bodenfonds verblieben sei und das als “allgemein unbrauchbar” angesehen wurde.
Auf Antrag der Beigeladenen hat der Senat die Revision zugelassen. Zur Begründung ihrer Revision führt die Beigeladene im Wesentlichen aus: Das Verwaltungsgericht verkenne den Anwendungsbereich des mecklenburgischen Gesetzes von 1948. Dieses habe lediglich für die vorbestehenden sog. Realgemeinden gegolten, die aufgehoben und in die politischen Gemeinden überführt worden seien. Das Gut Neuhaus sei aber zu keinem Zeitpunkt in eine Realgemeinde eingebracht gewesen, vielmehr habe es im Obereigentum der Klägerin zu 1 und im Nutzeigentum wechselnder Erbpächter gestanden. Die Ansicht der Klägerin zu 2, das Aufhebungsgesetz erfasse auch Resteigentum aller früheren Grundherrschaften, sei unrichtig.
Die Beklagte hält das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit sie unterlegen ist, ebenfalls für unrichtig.
Die Klägerin zu 2 tritt der Revision entgegen. Sie macht geltend, dass die streitgegenständlichen Grundstücke im Gebiet der “Muttergrundstücke” Flst.-Nrn. 67 und 67/1 lägen, für die das Liegenschaftskataster als Eigentümerin “Gemeinde Dändorf” mit dem Zusatz “Gemeindeausstattung” ausgewiesen habe. Es sei unklar, zu welchem Zeitpunkt die Gemeinde Dändorf das Eigentum erlangt habe, ob schon vor 1945, im Zuge der Bodenreform – als Ausgleichsflächen – oder erst, wie das Verwaltungsgericht angenommen habe, durch das mecklenburgische Aufhebungsgesetz von 1948. Die Auslegung dieses Gesetzes durch das Verwaltungsgericht halte jedenfalls den Angriffen der Revision stand. Dies belegten die Gesetzesmaterialien. In allen drei Fällen aber könne der Gemeinde Dändorf kein rechtsstaatswidriges Verhalten angelastet werden.
Die Klägerin zu 1 hat im Wege der Anschlussrevision beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihre Restitutionsberechtigung festzustellen und die Klägerin zu 2 zur Herausgabe des Wertes der von ihr verkauften Grundstücke an sie zu verpflichten. Später hat die Klägerin zu 1 ihren Anschließungsantrag wieder zurückgenommen.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Das Verfahren über die Anschlussrevision der Klägerin zu 1 war nach deren Rücknahme einzustellen.
Die Revision der Beigeladenen hat Erfolg. Sie führt zur Abweisung auch der von der Klägerin zu 2 erhobenen Klage.
Das Verwaltungsgericht hat einen Restitutionsanspruch der Klägerin zu 2 aus § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VZOG i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Satz 7, Art. 21 Abs. 3 EV für alle Grundstücke bejaht, die im Zuge der Bodenreform nicht an Bodenreformeigentümer ausgegeben worden waren. Hierzu hat es angenommen, diese Grundstücke seien 1948 in das Eigentum der damaligen Gemeinde Dändorf gelangt und erst von dort 1952 in Volkseigentum überführt worden. Die Begründung von Volkseigentum sei daher zu Lasten der Gemeine Dändorf gegangen, die die Grundstücke damit unentgeltlich dem Zentralstaat überlassen habe. Deshalb habe die Klägerin zu 2 als ihre Rechtsnachfolgerin Anspruch auf Rückübertragung. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Grundstücke zuvor dem Erbpächter im Wege der Bodenreform entzogen worden waren; denn an dieser rechtsstaatswidrigen Maßnahme sei die Gemeinde Dändorf nicht beteiligt gewesen. Das steht mit Bundesrecht nicht im Einklang.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die in Rede stehenden Grundstücke seien 1948 in das Eigentum der Gemeinde Dändorf übergegangen. Das Verwaltungsgericht leitet dies aus § 2 des mecklenburgischen Gesetzes über die Aufhebung von Sonderrechten an Gemeindevermögen vom 29. April 1948 (GBl S. 77) her. Nach dieser Vorschrift ging Grundvermögen, das innerhalb eines Gemeindegebietes liegt und als Rest der früheren Grundherrschaft nicht in das Eigentum der politischen Gemeinden übergegangen ist (Dorffreiheiten, Dorfanger, das allgemein Unbrauchbare, herrschaftlicher Besitz usw.), in das Eigentum der politischen Gemeinde als Gesamtrechtsnachfolgerin über. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass hierunter auch solches Bodenreformland fiel, das – als “unbrauchbar” – nicht an Neubauern ausgegeben worden war. Das ist als Auslegung von Landesrecht hinzunehmen; eine Verletzung von Bundesrecht lässt es nicht erkennen.
Das Verwaltungsgericht hat nicht näher geprüft, welcher Rechtsqualität das “Eigentum” war, das die Gemeinde Dändorf aufgrund des § 2 des mecklenburgischen Aufhebungsgesetzes erhalten hatte. Es ist fraglos davon ausgegangen, dass es sich um bürgerlich-rechtliches Fiskaleigentum gehandelt habe. Ob dem zu folgen wäre, bedarf keiner Entscheidung. Denn auch dann könnten die in Rede stehenden Grundstücke der Klägerin zu 2 nicht zurückübertragen werden.
Der öffentlichen Restitution unterliegt kein Vermögen, das eine Gemeinde oder ihre Rechtsvorgängerin durch entschädigungslose Enteignung Privater im Rahmen der Bodenreform erlangt hatte. Der Wiedergutmachungsgedanke schließt die öffentliche Restitution aus, wenn der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Vermögenswerte entzogen wurden, die sie selbst auf rechtsstaatswidrige Weise erlangt hatte. Denn die öffentliche Restitution dient nicht der Wiederherstellung eines rechtsstaatswidrigen Zustands (Urteile vom 30. November 1995 – BVerwG 7 C 42.94 – BVerwGE 100, 62 ≪69≫; vom 18. Februar 1999 – BVerwG 3 C 2.98 – Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 32; und vom 24. April 2003 BVerwG 3 C 15.02 – BVerwGE 118, 119 ≪120≫).
Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zwar nicht verkannt. Es hat aber angenommen, die Gemeinde Dändorf habe die umstrittenen Grundstücke nicht im Rahmen der Bodenreform erlangt, sondern durch das erwähnte Aufhebungsgesetz, das einen weiteren, von der Bodenreform zeitlich und sachlich unterschiedenen Rechtsakt dargestellt habe. Das lässt sich nicht halten. Das Verwaltungsgericht hat selbst angenommen, dass durch § 2 des Aufhebungsgesetzes “unbrauchbares” Bodenreformland zugeteilt worden sei. Damit stellt das Aufhebungsgesetz insoweit selbst eine Maßnahme im Zuge der Bodenreform dar: Es hat Grundeigentum, das auf rechtsstaatswidrige Weise enteignet worden war, (statt an Neubauern) der Gemeinde zugeteilt. Genauso lag es bei dem einen der beiden Grundstücke, die der Senat in seinem Urteil vom 24. April 2003 (a.a.O.) zu beurteilen hatte, ohne dass er insoweit den Zusammenhang der Bodenreform bezweifelt hätte. Erst der anschließende Tausch, der das Grundstück ins Eigentum der damaligen Klägerin brachte, unterlag diesem Zusammenhang dann nicht mehr.
Zu Unrecht hebt das Verwaltungsgericht demgegenüber hervor, die Gemeinde Dändorf sei durch ihr Verhalten nicht selbst mit den guten Sitten und den Grundsätzen von Treu und Glauben in Konflikt geraten; vielmehr sei das mecklenburgische Aufhebungsgesetz ohne ihr Zutun erlassen worden. Damit missversteht sie das Urteil des Senats vom 24. April 2003 (a.a.O. ≪121 f.≫). Die dortige Klägerin hatte die fraglichen Grundstücke durch Rechtsgeschäft, nämlich durch Tausch mit nicht bodenreformverhafteten anderen Grundstücken erworben. Ein Restitutionsausschluss wäre daher nur in Betracht gekommen, wenn der Makel der rechtsstaatswidrigen Enteignung den ertauschten Grundstücken selbst angehaftet hätte. Das hat der Senat verneint. Einen quasidinglichen Makel gibt es nicht; vielmehr kann der Restitutionsausschluss nur die Folge eines ungerechtfertigten Erwerbs gerade durch den Antragsteller sein (a.a.O. ≪121 f.≫). Daran ist festzuhalten. Das schließt aber nicht aus, dass der Erwerb durch den Antragsteller sich als Bestandteil eines mehraktigen, insgesamt rechtsstaatswidrigen Vorgangs darstellt. Der Antragsteller muss sich dann die Rechtsstaatswidrigkeit des Gesamtvorgangs entgegenhalten lassen, selbst wenn er weder für den Gesamtvorgang noch für den ihn betreffenden Einzelakt “etwas kann”. Auf individuelle Vorwerfbarkeit kommt es nicht an. Dass der Senat davon gesprochen hat, dass nur derjenige mit Sanktionen belegt werden kann, der “durch sein Verhalten” mit den guten Sitten und den Grundsätzen von Treu und Glauben in Konflikt geraten ist (a.a.O. ≪121≫), bezog sich auf das allgemeine Institut der unzulässigen Rechtsausübung, wie es im Privatrecht ausgeprägt worden ist, und diente der Erläuterung des tragenden Entscheidungssatzes, darf mit diesem aber nicht gleichgesetzt werden.
Daher muss die Klage abgewiesen werden. Daran ändert auch nichts, dass die Klägerin zu 2 in ihrer Revisionserwiderung den Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass nämlich ihre Rechtsvorgängerin, die Gemeinde Dändorf, das Eigentum an den beanspruchten Grundstücken auf der Grundlage von § 2 des Aufhebungsgesetzes erlangt habe, nunmehr selbst in Zweifel zieht. Sie trägt vor, es sei unklar, zu welchem Zeitpunkt die Gemeinde Dändorf das Eigentum erlangt habe, ob schon vor 1945, im Zuge der Bodenreform – als Ausgleichsflächen – oder erst, wie das Verwaltungsgericht angenommen habe, durch das mecklenburgische Aufhebungsgesetz von 1948. Dieser Vortrag ist unbeachtlich. Es handelt sich um neuen Tatsachenvortrag, der der Klägerin in der Revisionsinstanz verwehrt ist. Gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin zu 2 Gegenrügen nicht erhoben. Hinzu kommt, dass die Klägerin ihre Klage zunächst selbst – allein – mit dem Hinweis auf § 2 des Aufhebungsgesetzes begründet hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 159 VwGO, § 100 Abs. 2 ZPO.
Unterschriften
van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert, Dr. Bier
Fundstellen