Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechenbarkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer im Rentenalter auf Pflichtplätze. Anrechenbarkeit mitarbeitender Familienangehöriger. Verfügbarkeit im Sinne des § 103 AFG trotz Erreichen des Rentenalters

 

Leitsatz (amtlich)

Das Schwerbehindertengesetz 1979 kennt keine Altersgrenze. Der Arbeitgeber kann deshalb seine Pflicht nach § 4 Abs. 1 SchwbG auch durch Beschäftigung eines Schwerbehinderten erfüllen, der das 65. Lebensjahr bereits vollendet hat.

 

Normenkette

SchwbG 1979 §§ 1, 4, 6, 7 Abs. 5; AFG § 100 Abs. 2, § 103

 

Verfahrensgang

Bayerischer VGH (Urteil vom 15.10.1986; Aktenzeichen 9 B 85 A. 1253)

VG Regensburg (Entscheidung vom 05.03.1985; Aktenzeichen RO 4 K 84 A. 1691)

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 1986 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

Die Entscheidung Über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin, die in A. eine Parkettfabrik betreibt, in den Jahren 1980 bis 1982 ihre Pflicht nach § 4 des Schwerbehindertengesetzes – SchwbG – dadurch erfüllt hat, daß sie in ihrem Betrieb die schwerbehinderte, über 70 Jahre alte Ehefrau des Firmeninhabers beschäftigte.

Der Beklagte setzte durch Bescheid vom 21. September 1981 und zwei weitere Bescheide vom 23. November 1983 gegenüber der Klägerin für die Jahre 1980 bis 1982 eine Ausgleichsabgabe von jeweils 1.200 DM fest. Im Widerspruchsverfahren gegen diese Bescheide machte die Klägerin geltend, in ihrem Betrieb seit 1. November 1965 eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin beschäftigt zu haben und deshalb keine Ausgleichsabgabe zu schulden. Aus den hierzu nachgereichten Unterlagen ergab sich u.a., daß es sich bei jener schwerbehinderten Arbeitnehmerin um die am 29. Dezember 1907 geborene Ehefrau des Firmeninhabers handelte, bei der ausweislich verschiedener Bescheinigungen des Versorgungsamtes R. bereits seit 1980 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 70 v.H. vorlag. Die Klägerin legte weiterhin einen Arbeitsvertrag vom 1. November 1965 zwischen dem Firmeninhaber und seiner Ehefrau vor, in dem diese sich verpflichtete, für eine monatliche Vergütung von 420 DM brutto „ihre Arbeitskraft nach bestem Können zu den vereinbarten Arbeitszeiten zur Verfügung zu stellen”.

Der Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 1984 als unbegründet zurück: Die Ehefrau des Firmeninhabers sei bereits aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr dem Personenkreis zuzurechnen, dessen Eingliederung in Beruf und Arbeit das Schwerbehindertengesetz zum Ziel habe. Die Beschäftigungspflicht könne nur durch die Beschäftigung Schwerbehinderter erfüllt werden, die dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden.

Die daraufhin erhobene Klage hatte im ersten Rechtszug Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof dagegen in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen und dies im wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin werde durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt, weil sie ihrer Pflicht, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer in dem streitigen Zeitraum von 1980 bis 1982 zu beschäftigen, nicht nachgekommen sei. Die Beschäftigung der Zeugin G. könne auf diesen Pflichtplatz nicht angerechnet werden; denn sie habe in den fraglichen Jahren das 65. Lebensjahr bereits überschritten gehabt und Altersrente bezogen. Trotz des Fehlens einer altersmäßigen Begrenzung des geschützten Personenkreises könne die Pflicht des Arbeitgebers zur Beschäftigung eines Schwerbehinderten nur durch die Beschäftigung solcher Schwerbehinderter im Sinne der §§ 1 und 2 SchwbG erfüllt werden, die der Arbeitsvermittlung im Sinne des § 103 des Arbeitsförderungsgesetzes – AFG – zur Verfügung stünden. Dies sei bei Personen, die wegen Vollendung des 65. Lebensjahres keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr hätten (§ 100 Abs. 2 AFG), zu verneinen. Die in § 100 Abs. 2 AFG geregelte Altersgrenze wirke auf § 100 Abs. 1 AFG, insbesondere auf den Begriff der Verfügbarkeit zurück. Denn die rechtliche Bedeutung dieses Begriffes erschöpfe sich darin, eine Leistungsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld zu definieren. Dieser Auslegung stehe nicht entgegen, daß der Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz dem schwerbehinderten Arbeitnehmer auch über das 65. Lebensjahr hinaus erhalten bleibe. In vielen Fällen ende das Arbeitsverhältnis ohnhin kraft Tarifvertrags mit Eintritt des Rentenalters. In den verbleibenden Fällen könne zwar der Arbeitgeber durch Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes gezwungen sein, Schwerbehinderte über die Pflichtquote hinaus zu beschäftigen. Ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder das übermaßverbot sei hierin jedoch nicht zu sehen. Seien die Bescheide des Beklagten bereits aus diesem Grunde gerechtfertigt, so brauche der auch nach Anhörung der Zeugin G. im Berufungsverfahren nicht zweifelsfrei geklärten Frage nicht weiter nachgegangen zu werden, ob diese wirklich als Arbeitnehmerin oder nur als sogenannte mithelfende Familienangehörige im Betrieb der Klägerin tätig gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen will. Sie rügt die Verletzung der §§ 6, 8 SchwbG, des § 103 AFG und des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes. Insbesondere verkenne das Berufungsgericht die Bedeutung des § 100 Abs. 2 AFG, dessen Wirkung sich darin erschöpfe, den Anspruch auf Arbeitslosengeld jenseits der Altersgrenze von 65 Jahren auszuschließen, und gerade dadurch bestätige, daß an sich die Voraussetzungen des § 100 Abs. 1 AFG, mithin auch die dort geforderte Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung bei Arbeitnehmern nach Vollendung des 65. Lebensjahres vorhanden sein könnten.

Der Beklagte ist im Revisionsverfahren nicht gemäß § 67 Abs. 1 VwGO vertreten.

Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß auch Schwerbehinderte, die über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigt würden, auf Pflichtplätze anzurechnen seien, da die Anrechnung nach dem Schwerbehindertengesetz nicht vom Lebensalter abhänge. Ebensowenig komme es für die Anrechenbarkeit Schwerbehinderter auf die Frage an, ob der Beschäftigte im Sinne des § 103 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Die vom Berufungsgericht zitierte Passage aus der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs habe sich lediglich auf die Ermittlung der Pflichtplatzquote im Betrieb bezogen. Unabhängig hiervon treffe es nicht zu, daß das Erreichen des 65. Lebensjahres für die Verfügbarkeit im Sinne des § 103 AFG von Bedeutung sei. Das Vorliegen der Verfügbarkeit beurteile sich ausschließlich nach den in § 103 AFG aufgeführten Tatbestandsmerkmalen; altersbezogene Kriterien fänden sich darunter nicht. § 100 Abs. 2 AFG solle die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld durch Rentner, die nicht mehr arbeiten wollten, ausschließen. Die ausdrückliche Normierung der Altersgrenze sei deshalb erforderlich gewesen, weil eben Arbeitslose auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 100 Abs. 1 AFG erfüllen, insbesondere auch verfügbar im Sinne des § 103 AFG sein könnten. In der Praxis zeige sich dies dadurch, daß die Arbeitsvermittlungsdienste der Bundesanstalt für Arbeit auch solchen Arbeitssuchenden zur Verfügung stünden, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Die das Berufungsurteil tragende Ansicht, schwerbehinderte Arbeitnehmer jenseits der Altersgrenze des § 100 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes – AFG – vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) in der hier maßgeblichen Fassung des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes – AFKG – vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1497) könnten nicht auf einen Pflichtplatz im Sinne der §§ 4 ff. des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz) – SchwbG – in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I S. 1649) angerechnet werden, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hätte deshalb die Frage, ob die schwerbehinderte Zeugin G. im Betrieb ihres Ehemannes in den Jahren 1980 bis 1982 als Arbeitnehmerin oder als sogenannte mithelfende Familienangehörige tätig war, nicht offenlassen dürfen, sondern einer Klärung – auch in tatsächlicher Hinsicht – zuführen müssen. Das nötigt zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).

1. Eine Altersgrenze nach Art des § 100 Abs. 2 AFG, jenseits derer die Schwerbehindertenfürsorge endet, kennt das Schwerbehindertengesetz nicht. Eine altersabhängige Einschränkung des Schwerbehindertenschutzes ist weder den §§ 1 ff. SchwbG über den geschützten Personenkreis noch den Vorschriften über die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber oder den Sonderkündigungsschutz zu entnehmen.

a) § 1 SchwbG definiert den Schwerbehinderten im Sinne dieses Gesetzes als Person, die körperlich, geistig oder seelisch behindert und infolge ihrer Behinderung in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um wenigstens 50 v.H. gemindert ist, sofern sie rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes wohnt, sich gewöhnlich aufhält oder eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ausübt. Die Schwerbehinderteneigenschaft hängt demnach weder vom Lebensalter noch von der Fähigkeit der behinderten Person zur Teilnahme am Erwerbsleben ab. Auch behinderte Personen, die noch nicht oder nicht mehr im Erwerbsleben stehen, können Schwerbehinderte im Sinne des § 1 SchwbG sein (vgl. Jung/Cramer, Schwerbehindertengesetz, 3. Aufl. 1987, Rdnr. 9 f. zu § 1; Wilrodt/Neumann, Schwerbehindertengesetz, 7. Aufl. 1988, Rdnr. 9 zu § 1; Gröninger, SchwbG 1981, Anm. 2 b zu § 1; Thieler, Das Schwerbehindertengesetz, 1987, Rdnr. 12 zu § 1).

Dieser allein an Art und Schwere der Behinderung ausgerichtete Schwerbehindertenbegriff entspricht auch dem Gesetzeszweck. Zwar beschäftigt sich das Schwerbehindertengesetz, beginnend mit der Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber (§§ 4 ff. SchwbG) über die nachgehende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 SchwbG) bis hin zur Förderung von Werkstätten für Behinderte (§§ 52 ff. SchwbG), ganz überwiegend mit der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit und Beruf. Von daher erscheint es als vornehmliche Aufgabe des Schwerbehindertengesetzes, den schutzbedürftigen Personen einen Arbeitsplatz zu verschaffen und zu erhalten und den Schwerbehinderten mit Hilfe der gesetzlich vorgesehenen Mittel als Arbeitnehmer in das Erwerbsleben einzugliedern (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1987 – BVerwG 5 C 42.84 – ≪Buchholz 436.61 § 6 SchwbG Nr. 1 S. 3 = NZA 1988, 431/432≫). Hierauf beschränkt sich jedoch der Schutzzweck des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft nicht. Es fühlt sich vielmehr – wie bereits aus dem Gesetzestitel ersichtlich – dem „Gedanken einer umfassenden Rehabilitation aller Behinderten” (vgl. die amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts, BT-Drucks. 7/656, S. 20 unter I.) verpflichtet und regelt deshalb neben der Vorgabe einer programmatischen Leitlinie für die Weiterentwicklung des Vergünstigungswesens für Schwerbehinderte (§ 45 SchwbG) die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr (§§ 57 ff. SchwbG) ebenso wie das Ausweiswesen als Grundvoraussetzung für den „Nachweis für die Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen, die Schwerbehinderten nach diesem Gesetz oder nach anderen Vorschriften zustehen” (§ 3 Abs. 5 Satz 2 SchwbG). Allen diesen Vorschriften ist gemeinsam, daß sie nicht nur auf den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile im Berufs- und Arbeitsleben zielen, sondern eine umfassende Eingliederung des Behinderten in die Gesellschaft erreichen wollen (vgl. BSGE 53, 175 ≪181≫).

Mit diesem auf umfassende Rehabilitation behinderter Menschen angelegten Gesetzeszweck sind altersabhängige Einschränkungen des Schwerbehindertenbegriffs unvereinbar. Dementsprechend knüpfen auch die Vorschriften über den Fortfall des Schwerbehindertenschutzes (§§ 35 f. SchwbG) das Erlöschen des gesetzlichen Schutzes Schwerbehinderter grundsätzlich daran, daß die Schwere der Behinderung unter den von § 1 SchwbG für maßgeblich erklärten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. sinkt (§ 35 Abs. 1 SchwbG). Das Erreichen einer wie auch immer gearteten Altersgrenze kennen die – ersichtlich abschließenden – Vorschriften des 7. Abschnitts über den Fortfall des Schwerbehindertenschutzes als Erlöschenstatbestand nicht.

b) Eine Altersgrenze, jenseits derer der Schwerbehindertenschutz endet, läßt sich auch nicht den Vorschriften über den Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter entnehmen. Sie verlangen neben der Schwerbehinderteneigenschaft desjenigen, dessen Kündigung der Arbeitgeber beabsichtigt (vgl. hierzu BVerwGE 81, 84 ≪86 ff.≫), lediglich, daß der Schwerbehinderte in einem Arbeitsverhältnis gesetzlich definierter Art (§ 12 in Verbindung mit § 17 SchwbG) steht. Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nicht kraft tarif- oder einzelvertraglicher Vereinbarung mit Vollendung des 65. Lebensjahres ohne Kündigung beendet wird (vgl. auch § 19 SchwbG), kann deshalb auch nach Erreichen dieses Alters den Sonderkündigungsschutz der §§ 12 ff. SchwbG beanspruchen (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 29. Mai 1980 – 3 Sa 146/80 – ≪DB 1980, 1551 f.≫; zustimmend Neubert/Becke, Schwerbehindertengesetz, 2. Aufl. 1986, Rdnr. 2 zu § 15; Dörner, Schwerbehindertengesetz ≪Std: 1. November 1990≫, Anm. I zu § 1 sowie Wilrodt/Neumann, Jung/Cramer, Thieler und Gröninger, jeweils a.a.O.).

c) Schließlich ist auch den Vorschriften über die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber an keiner Stelle zu entnehmen, daß der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht von Schwerbehinderten auf Pflichtplätzen nur durch die Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer im normalen Arbeitsalter bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres genügen kann. Auf Pflichtplätze im Sinne des § 4 Abs. 1 SchwbG wird jeder Schwerbehinderte angerechnet, der – im Regelfall – wenigstens 20 Stunden in der Woche beschäftigt wird (vgl. § 7 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SchwbG). Dem Begriff des Arbeitsplatzes (§ 6 SchwbG), der der Pflichtplatzberechnung zugrunde liegt, fehlt in seinen tatbestandlichen Konturen jeglicher Hinweis auf das Lebensalter des Beschäftigten. Er ist, wie sich aus der Enumeration der Ausnahmen in § 6 Abs. 2 und 3 SchwbG ergibt, abschließend. Auch ansonsten weisen die Vorschriften über die Beschäftigung von Schwerbehinderten auf Pflichtplätzen einen Altersbezug lediglich insoweit auf, als Schwerbehinderte, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und nach § 5 Nr. 2 SchwbG einen besonderen Beschäftigungsschutz genießen, nach § 7 Abs. 6 SchwbG auf mehr als einen Pflichtplatz angerechnet werden können. Im übrigen ist die Anrechenbarkeit eines Beschäftigten auf einen Schwerbehindertenpflichtplatz vom Lebensalter des Beschäftigten unabhängig; sie beginnt vielmehr mit der förmlichen Feststellung der Schwerbehinderung (§§ 1, 3 SchwbG) oder der Gleichstellung nach § 2 SchwbG (vgl. Senatsurteil vom 21. Oktober 1987 a.a.O.) und endet mit dem Erlöschen des gesetzlichen Schutzes (§ 35 Abs. 3 SchwbG).

Die Beschränkung der Beschäftigungsvorschriften auf Schwerbehinderte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres folgt auch nicht aus der Entstehungsgeschichte des Schwerbehindertengesetzes und seinen systematischen Bezügen zum Arbeitsförderungsgesetz. Zwar geht die wohl herrschende Meinung in Anknüpfung an die Materialien zu § 4 Abs. 1 SchwbG davon aus, daß die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber „sich trotz der Ausdehnung des geschützten Personenkreises nur auf Personen im Sinne der §§ 1 und 2 bezieht, die der Arbeitsvermittlung im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes zur Verfügung stehen” (vgl. die amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts, BT-Drucks. 7/656, S. 25 zu Nr. 5; Jung/Cramer ≪a.a.O.≫, Rdnr. 15 zu § 5; Weber, Schwerbehindertengesetz ≪Std.: Juli 1990≫, Anm. 3 zu § 1). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts schließt jedoch das Erreichen der in § 100 Abs. 2 AFG normierten Altersgrenze die Verfügbarkeit in der Bedeutung des § 103 AFG nicht aus.

§ 100 Abs. 2 AFG geht typisierend davon aus, daß Arbeitnehmer mit dem Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren ganz regelmäßig aus dem Erwerbsleben ausscheiden und deshalb sachgerecht der Rentenversicherung zuzuordnen sind. Er schließt deshalb und um einen sozialpolitisch unerwünschten Doppelbezug von Leistungen (hier: Altersruhegeld und Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe ≪vgl. insoweit § 134 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 100 Abs. 2 AFG≫) zu unterbinden, vom Beginn des auf die Vollendung des 65. Lebensjahres folgenden Monats an den Anspruch auf Arbeitslosengeld aus (vgl. Regierungsentwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes vom 16. November 1967, BT-Drucks. V/2291, S. 79 zu § 90 Abs. 3; BSGE 43, 128 ≪129 ff.≫ sowie Gagel/Steinmeyer, Arbeitsförderungsgesetz ≪Std.: März 1990≫, Rdnr. 25 zu § 100). Auf den eigenständig in § 103 AFG definierten Begriff der Verfügbarkeit hat § 100 Abs. 2 AFG keine Rückwirkung. Die in § 103 AFG für die Prägung des Begriffs der Verfügbarkeit verwendeten Tatbestandsmerkmale weisen ebensowenig wie das Schwerbehindertenrecht altersbezogene Kriterien auf. Es ist deshalb – worauf der Oberbundesanwalt zu Recht hinweist – prinzipiell nicht ausgeschlossen, daß auch ein Arbeitsloser nach Vollendung des 65. Lebensjahres die Voraussetzungen der Verfügbarkeit erfüllt. Gerade deshalb war die ausdrückliche altersmäßige Begrenzung in § 100 Abs. 2 AFG gesetzessystematisch erforderlich.

Schließlich trifft auch die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu, die rechtliche Bedeutung des Begriffs der Verfügbarkeit erschöpfe sich darin, eine Leistungsvoraussetzung für den Bezug von Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe zu definieren. Der Hauptzweck des im Arbeitsförderungsgesetz verankerten Systems gegen Arbeitslosigkeit besteht nicht in der Gewährung der Versicherungsleistung, sondern vorrangig in der Vermittlung in Arbeit. Dieser Schutzzweck bleibt dem Arbeitnehmer auch nach Vollendung seines 65. Lebensjahres erhalten (vgl. BSGE 43, 128 ≪131≫), vorausgesetzt, der Arbeitnehmer steht der Arbeitsvermittlung im Sinne des § 103 AFG zur Verfügung.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt es deshalb weder in der Intention des Schwerbehindertengesetzes noch in der des Arbeitsförderungsgesetzes, ältere schwerbehinderte Arbeitnehmer, die zur Fortsetzung ihrer beruflichen Tätigkeit noch gewillt und in der Lage sind, von einem bestimmten Alter an zugunsten jüngerer schwerbehinderter Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben auszugliedern.

2. Die Abweisung der Klage läßt sich hiernach nicht darauf stützen, daß die im Betrieb der Klägerin tätige Ehefrau des Betriebsinhabers bereits im Rentenalter steht. Das Berufungsgericht hat die Frage, „ob die schwerbehinderte Zeugin wirklich Arbeitnehmerin im Betrieb der Klägerin war oder ob sie als Ehefrau des Betriebsinhabers als sogenannte mithelfende Familienangehörige anzusehen war”, bisher nicht beantwortet, da es von seinem Rechtsstandpunkt aus hierauf nicht ankam. Damit dies nachgeholt werden kann, muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

a) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Mitarbeit des einen Ehegatten im Betrieb des anderen auf rein familienrechtlicher Grundlage im Rahmen der Vorschriften über die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber keine Berücksichtigung findet (vgl. Wilrodt/Neumann, a.a.O., Rdnr. 53 zu § 7; Jung/Cramer, a.a.O., Rdnr. 17 zu § 7; a.A. Dörner, a.a.O., Anm. II 1 zu § 7 ≪S. 4 f.≫). Denn nach § 4 Abs. 1 SchwbG trifft die Beschäftigungspflicht den Arbeitgeber; sie bezieht sich darüber hinaus auf Arbeitsplätze, Stellen also, auf denen unter anderem Arbeiter und Angestellte, also Arbeitnehmer, beschäftigt werden (§ 6 Abs. 1 SchwbG). Die Vorschriften über die Beschäftigungspflicht der Arbeitgeber bezwecken damit ersichtlich die Eingliederung schwerbehinderter Arbeitnehmer in das Arbeitsleben. Dieses Schutzes bedürfen Personen, die in Erfüllung familienrechtlicher Bindungen im Betrieb ihres Ehegatten mitarbeiten, nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof wird bei der näheren Prüfung der Rechtsbeziehung zwischen der Zeugin G. und dem Inhaber der Klägerin von den Grundsätzen auszugehen haben, die der Bundesfinanzhof für die steuerrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit von Arbeitsverhältnissen unter Ehegatten entwickelt hat. Denn sie eignen sich auch als sachgerechter Maßstab für die Prüfung, ob der Arbeitgeber seine Pflicht zur Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers erfüllt hat. Vertragsverhältnisse zwischen Ehegatten sind demnach im Rahmen der §§ 4 ff. SchwbG nur dann zu berücksichtigen, wenn sie ernsthaft vereinbart sind, inhaltlich dem zwischen Fremden üblichen entsprechen und auch tatsächlich durchgeführt werden (vgl. BFH, Urteil vom 12. Oktober 1988 – X R 2/86 – ≪BFHE 155, 307/308 f. = NJW 1989, 2150 = BStBl. II 1989, 354/355≫). Der Anerkennung eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses steht dabei nicht entgegen, daß der vereinbarte Arbeitslohn hinter einer „angemessenen” oder „üblichen” Entlohnung zurückbleibt. Denn die Eheleute können nicht nur entscheiden, ob, sondern auch in welchem Umfang die Mitarbeit auf familienrechtlicher oder arbeitsvertraglicher Grundlage geleistet werden soll, wobei auch ein teilentgeltliches Geschäft denkbar ist. Etwas anderes ist nur dann anzunehmen, wenn die vereinbarte Vergütung so niedrig ist, daß sie schlechterdings nicht mehr eine Gegenleistung für eine begrenzte Tätigkeit des Ehegatten sein kann und deshalb angenommen werden muß, daß die Beteiligten sich rechtsgeschäftlich nicht haben binden wollen (vgl. zu alledem BFH, Urteil vom 28. Juli 1983 – IV R 103/82 – ≪BFHE 139, 376/377 f. = NJW 1984, 1487 = BStBl. II 1984, 60 f.≫).

b) Ob und inwieweit bei Anlegung dieser Maßstäbe die Beschäftigung der Zeugin G. im Betrieb der Klägerin auf arbeitsrechtlicher Grundlage erfolgte, läßt sich anhand der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilen. Das zwingt – wie bereits gesagt – zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Sollte sich dabei ergeben, daß die Ehegatten Arbeitsleistungen auf arbeitsrechtlicher Grundlage nur in einem Umfang von weniger als 20 Stunden wöchentlich vereinbart haben, so würde eine Anrechnung der Zeugin G. auf einen Pflichtplatz nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SchwbG ausscheiden und allenfalls unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 5 Satz 2 SchwbG in Betracht kommen.

 

Unterschriften

Dr. Franke, Rochlitz, Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

BVerwGE, 205

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