Verfahrensgang
VG Berlin (Urteil vom 26.04.2007; Aktenzeichen 2 A 217.04) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. April 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Kläger zu 1 und 2, Eheleute seit 1974, wenden sich gegen die Rücknahme ihrer Einbürgerung.
Der im Jahre 1955 geborene Kläger zu 1 und die im Jahre 1962 geborene Klägerin zu 2 sind seit 1974 verheiratet. Aus ihrer Ehe sind zehn in den Jahren 1975 bis 1996 geborene Kinder hervorgegangen. Sie reisten im September 1981 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie sich als asylsuchend meldeten. Nach bestandskräftiger Ablehnung ihrer Asylanträge stellte Ihnen die Ausländerbehörde im September 1989 Fremdenpässe aus und erteilte Ihnen Aufenthaltsbefugnisse, die zuletzt bis zum 5. August 1993 bzw. zum 13. September 1993 gültig waren.
Im Oktober 1991 beantragten die Kläger für sich und ihre bis dahin geborenen neun minderjährigen Kinder die Einbürgerung als Deutsche. Die Kläger gaben dabei an, im Jahre 1955 bzw. 1962 in Beirut/Libanon geborene staatenlose Kurden aus dem Libanon zu sein. Im Verlauf des Einbürgerungsverfahrens reichten sie die Kopie einer beglaubigten Übersetzung einer Heiratsurkunde nach, wonach sie am 6. Juli 1974 in Beirut die Ehe geschlossen haben. Ausweislich dieser Heiratsurkunde wurde der Kläger zu 1 am 1. Juli 1955 in Beirut, die Klägerin zu 2 am 20. Januar 1962 in Al-Mala/Beirut geboren. Der älteste Sohn der Kläger wurde am 11. März 1993 gemäß § 85 AuslG a.F. eingebürgert, hinsichtlich der übrigen Antragsteller ließ die Staatsangehörigkeitsbehörde das Verfahren zunächst ruhen.
Am 14. Oktober 1993 erhielten die Kläger und ihre acht minderjährigen Kinder auf der Grundlage von § 8 RuStAG als de facto Staatenlose die Urkunde über die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Der Einbürgerungsbehörde war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass die Kläger Sozialleistungen beziehen und die Botschaft des Libanon ein vom Kläger zu 1 eingereichtes Laissez Passer (libanesisches Reisepapier) nicht verlängert hat, weil sie dies für eine Fälschung hielt.
Im Sommer 2003 ermittelte das beklagte Land, dass es sich bei dem Kläger zu 1 in Wahrheit um den am 1. Juli 1955 in Dereici/Türkei geborenen H… D… handelt, welcher die türkische Staatsangehörigkeit besitzt. Bei der Klägerin zu 2, so stellte der Beklagte fest, handelt es sich um die am 25. Juni 1960 in Savur/Türkei geborene S… D…. Die Klägerin zu 2 bestätigte bei ihrer Beschuldigtenvernehmung im Wesentlichen die Richtigkeit dieser Ermittlungen, insbesondere gab sie zu, türkische Staatsangehörige zu sein.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 2004 nahm das beklagte Land die Einbürgerung der Kläger nach § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Die Einbürgerung der Kläger sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Die Voraussetzungen für eine Einbürgerung auf der Grundlage von § 8 RuStAG hätten nicht vorgelegen, da die Kläger entgegen ihren Angaben im Einbürgerungsverfahren nicht staatenlos gewesen seien. Ihre Einbürgerung sei ermessensfehlerhaft verfügt worden, da sie zu einer unerwünschten Doppelstaatsangehörigkeit geführt habe. Ferner hätte bei Kenntnis der türkischen Staatsangehörigkeit eine Einbürgerung bereits deshalb nicht erfolgen dürfen, weil die Kläger die erforderliche Mindestaufenthaltsdauer nicht erfüllt hätten. Auf Vertrauensschutz könnten sich die Kläger nicht berufen, da sie die Einbürgerungsbehörde arglistig über ihre Staatsangehörigkeit getäuscht hätten. Im Laufe des gerichtlichen Klageverfahrens änderte der Beklagte mit Verfügung vom 12. Juli 2006 den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass die Rücknahme der Einbürgerung der Kläger nunmehr mit Wirkung ex nunc verfügt wurde, und hob den Rücknahmebescheid im Übrigen auf.
Mit Urteil vom 26. April 2007 hat das Verwaltungsgericht den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2004 mit der Erwägung aufgehoben, dass nach der neueren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin § 48 VwVfG lediglich für den Fall einer zeitnahen Rücknahme eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage darstelle. Hier sei die Rücknahme nicht mehr “zeitnah” erfolgt, weil zwischen Einbürgerung und Rücknahme ein Zeitraum von mehr als elf Jahren gelegen habe.
Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision macht der Beklagte geltend, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei hier die Rücknahme der erschlichenen Einbürgerung auf der Grundlage von § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin auch elf Jahre nach der Einbürgerung noch möglich. Denn dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass eine Rücknahme auf der Grundlage des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts lediglich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne möglich sein solle; auch der Grundsatz der Vorsehbarkeit der Entscheidung gebiete diese Annahme nicht.
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil und weisen darauf hin, dass sie ihre Einbürgerung nicht durch arglistige Täuschung erwirkt hätten.
Entscheidungsgründe
II
Die (Sprung-)Revision des Beklagten ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2004 in der Gestalt vom 12. Juli 2006 zu Recht aufgehoben.
Im Einklang mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist es davon ausgegangen, § 48 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin stelle keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Einbürgerung der Kläger dar, weil diese nicht zeitnah erfolgt ist.
Der Senat hat mit dem gleichzeitig ergehenden Urteil in dem Verfahren BVerwG 5 C 4.07, auf das er Bezug nimmt, im Einzelnen ausgeführt, dass er der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04 – BVerfGE 116, 24) folgt, nach der mit Rücksicht auf den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der deutschen Staatsangehörigkeit § 48 VwVfG – hier i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG Berlin – nur in bestimmten Fällen eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme von Einbürgerungen bietet. Danach steht die Anwendung der allgemein geltenden Rücknahmeermächtigungen nur “für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst erwiesenermaßen getäuscht hat” in Einklang mit dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Nur für diesen Fall enthält § 48 VwVfG ein für den Betroffenen berechenbares rechtsstaatliches Abwägungsprogramm und ist dessen Anwendung auch unter dem Aspekt der Gewaltenteilung unbedenklich (BVerfG, a.a.O. S. 52).
An einer solchen zeitnahen Rücknahme fehlt es, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat. Bei dem zwischen der Einbürgerung der Kläger am 14. Oktober 1993 und deren Rücknahme am 20. Oktober 2004 verstrichenen Zeitraum von elf Jahren kann nach der Überzeugung des Senats nicht mehr von einer zeitnahen Rücknahme gesprochen werden (vgl. auch insoweit die Ausführungen in dem gleichzeitig ergehenden Urteil im Verfahren BVerwG 5 C 4.07).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Hund, Schmidt, Dr. Brunn, Prof. Dr. Berlit
RiBVerwG Dr. Franke ist wegen Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
Hund
Fundstellen