Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorschriftsmäßige Besetzung des Verwaltungsgerichts mit ehrenamtlichen Verwaltungsrichtern
Leitsatz (amtlich)
Hat ein gewählter und nach der vom Präsidium beschlossenen Reihenfolge zur Sitzung heranzuziehender ehrenamtlicher Verwaltungsrichter die Berufung zu seinem Amt abgelehnt, ist das Verwaltungsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn vor der Entscheidung über den Ablehnungsgrund an Stelle des an der Teilnahme an der Sitzung nicht verhinderten ein anderer ehrenamtlicher Verwaltungsrichter mitwirkt.
Normenkette
VwGO §§ 7, 23-24, 30, 138 Nr. 1, § 144 Abs. 3 Nr. 2; GVG § 54
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 31.01.1961; Aktenzeichen X VGL 332/60) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 31. Januar 1961 wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Hamburg zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Ausgleichsbehörden lehnten den Antrag des Klägers, für ihn wegen der am 27. Juli 1943 erfolgten Luftkriegszerstörung seines Textileinzelhandelsgeschäfts Kriegssachschaden an Betriebsvermögen festzustellen, mit der Begründung ab, die Verluste des Klägers seien deswegen von der Feststellung ausgenommen, weil für sie auf Grund der Kriegssachschädenverordnung bereits Entschädigungszahlungen von mehr als 50 v.H. des nach dieser Verordnung anzuerkennenden Verlustes gewährt worden seien. Die Klage, mit der sich der Kläger gegen die ablehnenden Behördenentscheidungen wandte, wurde mit im wesentlichen gleicher Begründung abgewiesen. Auf Grund des Ergebnisses seiner Beweisaufnahme und einer von ihm vorgenommenen Wertberechnung für die verlorengegangenen Gegenstände gelangte auch das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, der Kläger sei durch die Vorauszahlung von 20.000 RM bereits zu mehr als 50 v.H. der nach der Kriegssachschädenverordnung anzuerkennenden Verluste entschädigt worden, so daß eine weitere Schadensfeststellung nicht zulässig sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der nachträglich vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision. Er rügt in erster Linie, das Verwaltungsgericht sei in der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 1961, auf Grund derer das klageabweisende Urteil verkündet worden sei, nicht nach Vorschrift der Gesetze besetzt gewesen. Der ehrenamtliche Verwaltungsrichter Fritz Grießbach sei zu dieser Sitzung deswegen unzulässigerweise herangezogen worden, weil nach dem Geschäftsverteilungsplan und der für die Kammer maßgebenden Liste der ehrenamtlichen Verwaltungsrichter nicht er, sondern der ehrenamtliche Verwaltungsrichter Karl Martens hätte herangezogen werden müssen. Über dessen Gesuch von Mitte Januar 1961, ihn von seinem Amt als ehrenamtlichen Verwaltungsrichter zu entbinden, sei erst am 20. Februar 1961 entschieden worden. Gleichwohl sei er zu der Sitzung am 31. Januar 1961, an der er hätte mitwirken müssen, nicht herangezogen worden. Dies sei unzulässigerweise auf Grund eines auf dem Durchschlag des vom Verwaltungsgerichtspräsidenten dem Senat des Oberverwaltungsgerichts vorgelegten Entlassungsantrags angebrachten Vermerks geschehen. Abgesehen davon beständen gegen die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts auch insofern Bedenken, als der in der Kammer tätige Hilfsrichter nicht ständig in der Kammer mitwirken dürfe. Schließlich rügt der Kläger noch Unrichtigkeiten in der vom Gericht angestellten Wertberechnung und bemängelt insbesondere die dieser Berechnung zugrunde gelegten Abnutzungszeiten, da sie die wirklichen Anschaffungsdaten nicht berücksichtigten. Dies sei auf unzureichende Sachaufklärung seitens des Verwaltungsgerichts trotz bestehender Aufklärungsmöglichkeiten sowie auf unvollständige Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens zurückzuführen. Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Während der Vertreter der Interessen des Ausgleichsfonds von einem Antrag zur Revision absieht, beteiligt sich der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht am Verfahren. Er beschränkt seine Stellungnahme auf die vom Kläger erhobenen Rügen der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung der Kammer des Verwaltungsgerichts bei ihrer Entscheidung vom 31. Januar 1961; er hält diese Rügen für unbegründet.
Der Senat hat auf Grund seines Beschlusses vom 10. Januar 1962, auf dessen Inhalt im übrigen verwiesen wird, zu diesen Rügen eine Auskunft des Präsidenten des Verwaltungsgerichts eingeholt. Dieser hat am 25. Januar 1962 die erbetene Auskunft erteilt und zugleich zu den Revisionsrügen der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung Stellung genommen. Hierauf sowie auf den Inhalt der von ihm seiner Äußerung beigefügten Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichts wird zur Sachdarstellung hiermit Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht. Das Verfahren dieses Gerichts leidet insofern an einem wesentlichen Mangel, als die am 31. Januar 1961 erkennende Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 138 Nr. 1 VwGO). Dieser Verstoß ist eine Verletzung von Bundesrecht, die die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zur Folge haben muß (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Zwar geht die Rüge fehl, die Kammer des Verwaltungsgerichts sei insofern nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, als in ihr ständig ein Hilfsrichter mitgewirkt habe.
Die Mitwirkung von Hilfsrichtern ist beim Verwaltungsgericht gesetzlich zulässig und, sofern bei der Entscheidung nicht mehr als ein Hilfsrichter beteiligt ist, unbedenklich (§§ 17 Abs. 1, 18 VwGO). Wie die Auskunft des Verwaltungsgerichtspräsidenten vom 25. Januar 1962 zu 2) ergibt, ist der als Hilfsrichter der X. Kammer zugeteilte Assessor Beth durch Anordnung der Landesjustizverwaltung vom 30. August 1960 mit Wirkung vom 1. September 1960 auf die Dauer eines Jahres zum Hilfsrichter beim Verwaltungsgericht bestellt worden. Dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1961 ist zu entnehmen, daß außer dem Assessor Beth weitere Hilfsrichter der X. Kammer nicht angehören. Aus der Mitwirkung dieses Hilfsrichters lassen sich demgemäß Bedenken gegen die vorschriftsmäßige Besetzung der Kammer nicht herleiten.
Dagegen rügt die Revision mit Recht, daß infolge der Übergehung des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Martens und der Heranziehung des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Grießbach die Kammer des Verwaltungsgerichts am 31. Januar 1961 nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Nach der vom Präsidium des Verwaltungsgerichts vor Beginn des Geschäftsjahres gemäß § 30 Abs. 1 VwGO bestimmten Reihenfolge, in der die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter zu den Sitzungen heranzuziehen sind, mußte der ehrenamtliche Verwaltungsrichter Martens in der Sitzung vom 31. Januar 1961 mitwirken.
Zwar hatte dieser Richter nach seiner im Dezember 1960 erfolgten Wahl am 15. Januar 1961 dem Verwaltungsgerichtspräsidenten mitgeteilt, daß er die von ihm geforderte Tätigkeit als ehrenamtlicher Verwaltungsrichter ablehne. Gleichwohl war er durch die Wahl ehrenamtlicher Verwaltungsrichter geworden und blieb es, bis über seinen Antrag, von der Übernahme dieses Amtes befreit zu werden (§ 23 Abs. 2 VwGO), vom Senat des Oberverwaltungsgerichts entschieden war (§ 24 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 3 VwGO). Solange er aber ehrenamtlicher Verwaltungsrichter war, war er zur Sitzung heranzuziehen, wenn er an der Reihe war. Die X. Kammer war insofern an die Liste gebunden, die der vom Präsidium des Verwaltungsgerichts beschlossenen Geschäftsverteilung beigefügt war. Hieran ändert auch nichts der Umstand, daß der Verwaltungsgerichtspräsident zugleich mit der Weitergabe des Befreiungsgesuchs des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters die Anordnung traf, dieser Richter sei einstweilen nicht heranzuziehen. Zu einer solchen einstweiligen Anordnung war der Präsident nicht befugt. Die Bestimmung der Reihenfolge der Heranziehung durch das Präsidium dient dem in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes festgelegten Gebote des gesetzlichen Richters. Sie ist dem Präsidium des Verwaltungsgerichts übertragen und kann als Teil der Geschäftsverteilung, wenn überhaupt, während des Geschäftsjahres nur durch Beschluß des Präsidiums geändert werden (§ 7 Abs. 3 VwGO; vgl. Eyermann-Fröhler, VwGO, 3. Aufl. zu § 30 VwGO Bem. 1 und zu § 7 VwGO Bem. 3d). Die Anordnung des Präsidenten, der um seine Befreiung vom Amt bemühte ehrenamtliche Verwaltungsrichter sei einstweilen nicht heranzuziehen, ersetzt diesen nicht.
Diese Anordnung ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Heranziehung eines Vertreters für einen verhinderten ehrenamtlichen Verwaltungsrichter statthaft. Die Entscheidung darüber, ob die Notwendigkeit der Vertretung eines ehrenamtlichen Verwaltungsrichters besteht, hat der Vorsitzende der Kammer zu treffen, der der ehrenamtliche Verwaltungsrichter zugeteilt war (§ 54 Abs. 1 GVG, § 173 VwGO). Ob dieser über die Frage, ob ein Grund zum Abweichen von der vom Präsidium festgelegten Reihenfolge der Heranziehung der ehrenamtlichen Verwaltungsrichter vorlag, unter Bestätigung eigenen pflichtmäßigen Ermessens entschieden hat, mag dahinstehen. Der Umstand, daß von dem Inhalt des Befreiungsgesuchs des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Martens nach dem Vorgang nicht der Vorsitzende der X. Kammer, sondern der auf der Geschäftsstelle tätige Herr Westendorff Kenntnis genommen und die Anordnung der einstweiligen Nichtheranziehung – offensichtlich in den Akten der X. Kammer – “notiert” hat, gibt keinen Anhalt aktenmäßiger Art dafür, daß die Übergehung des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Martens vom Vorsitzenden der X. Kammer angeordnet ist.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß dieser vom Inhalt des Schreibens des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Martens vom 15. Januar 1961 Kenntnis erlangt und sich an Hand dessen seine Ansicht über die Verhinderung dieses Richters gebildet hätte. Einer weiteren Aufklärung der Vorgänge, die schließlich zur Übergehung des ehrenamtlichen Verwaltungsrichters Martens und damit zur Außerachtlassung der vom Präsidium festgelegten Reihenfolge der Heranziehung geführt haben, bedarf es jedoch nicht, da eine Verhinderung des Richters Martens, an der Sitzung vom 31. Januar 1961 teilzunehmen, nicht ersichtlich ist.
In seinem Schreiben vom 15. Januar 1961 hatte der ehrenamtliche Verwaltungsrichter Martens unter Hinweis auf seine im ersten Weltkrieg zugezogene Kriegsverletzung und deren Folgen vorgetragen, daß die Erhaltung seiner Existenz die Aufwendung seiner ganzen Kraft erfordere. Diese Angaben lassen nicht erkennen, daß Martens verhindert gewesen wäre, an der Sitzung vom 31. Januar 1961 mitzuwirken. Sie ergeben vielmehr, daß der körperliche Zustand die Einhaltung der mit dem Amt eines ehrenamtlichen Verwaltungsrichters insgesamt während der Amtsdauer von vier Jahren verbundenen Pflichten als unzumutbar erscheinen lassen sollte. Sie machen aber nicht deutlich, daß gerade für die Wahrnehmung der Sitzung am 31. Januar 1961 ein Hinderungsgrund bestanden hätte, der auch nur als “vorübergehende Verhinderung” im Sinne des Abschnitts III Abs. 5 der Geschäftsverteilung anzusehen wäre. Daß die Stellung des Befreiungsantrages eine derartige Verhinderung nicht bedeutete, bedarf keiner Hervorhebung. Ob der Senat des Oberverwaltungsgerichts vor seiner Entscheidung über den Befreiungsantrag nach § 23 Abs. 2 VwGO die Möglichkeit gehabt hätte, eine vorläufige Amtsentbindung bis zur endgültigen Bescheidung des Antrags anzuordnen, braucht nicht entschieden zu werden. Ebenso kann es offenbleiben, ob eine solche vorläufige Maßnahme als Hinderungsgrund im Sinne des § 54 Abs. 1 GVG, § 173 VwGO gelten könnte, da der Senat des Oberverwaltungsgerichts insoweit nicht tätig geworden ist. Demnach wäre der Vorsitzende der X. Kammer jedenfalls ohne Vorliegen eines Hinderungsgrundes von der ihm durch das Präsidium vorgeschriebenen Reihenfolge, in der die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter zu den Sitzungen heranzuziehen sind, abgewichen, mag er sich auch durch die Anordnung des Präsidenten, die Heranziehung des Richters M… habe einstweilen zu unterbleiben, zu dieser Maßnahme berechtigt gefühlt haben.
Ist aber ohne gesetzlich zulässigen Grund von der nach § 30 Abs. 1 VwGO vom Präsidium festgelegten Reihenfolge abgewichen worden, war die Kammer am 31. Januar 1961 vorschriftswidrig besetzt (vgl. Eyermann-Fröhler a.a.O. zu § 30 VwGO Bem. 1; Klinger, VwGO, zu § 30 VwGO). Diese Verletzung von Bundesrecht führt zur Aufhebung des in unzulässiger Weise zustande gekommenen Urteils.
In der demgemäß erforderlichen erneuten Verhandlung wird das Verwaltungsgericht möglicherweise auf die Rügen der mangelnden Sachaufklärung einzugehen haben, falls der Kläger seine zur Revisionsbegründung insoweit vorgetragenen Ausführungen wiederholt.
Unterschriften
gez. Dr. Sieveking, gez. Vierhaus, gez. Uffhausen, gez. Dr. Dodenhoff, gez. Dr. Rösgen
Fundstellen
Haufe-Index 1344475 |
NJW 1963, S. 1219 |
DVBl 1963, S. 684 Nr. 258 |
DVBl. 1963, 684 |
GbA 1963, S. 244 |