Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis bei Anfechtungsklage. Rehabilitationsverfahren. Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung. Regelungsgehalt des Rehabilitierungsbescheides. Bindungswirkung für das Folgeverfahren nach VermG
Leitsatz (amtlich)
Die Anfechtungsklage des derzeitigen Eigentümers eines Vermögensgegenstandes gegen einen Rehabilitierungsbescheid, durch den die Wegnahme dieses Gegenstandes durch DDR-Behörden wegen groben Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze aufgehoben worden ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG), ist wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig.
Normenkette
VwfO § 42 Abs. 2; VwRehaG §§ 1, 2 Abs. 2, § 12 Abs. 1 S. 3; VermG §§ 1, 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 2; TreuhG § 23a
Verfahrensgang
VG Schwerin (Entscheidung vom 19.04.2000; Aktenzeichen 1 A 1574/99) |
Tatbestand
I.
Die Klägerin wendet sich im Hinblick auf ein auf sie übergegangenes ehemaliges Bodenreformgrundstück gegen die dem Beigeladenen erteilte Rehabilitierungsbescheinigung.
Dem Vater des Beigeladenen war im Zuge der Bodenreform die im Grundbuch von H. eingetragene Neubauernstelle zugewiesen und übereignet worden, die er zusammen mit seinem Sohn bewirtschaftete. Am 31. August 1961 wurden der Beigeladene und sein Vater mit der Familie zwangsausgesiedelt. Als Eigentümer der verlassenen Neubauernstelle wurde im Juni 1962 auf Ersuchen des Rates des Kreises H. im Grundbuch „Eigentum des Volkes” eingetragen.
Der Vater des Beigeladenen verstarb 1984 und wurde von seiner Ehefrau und dem Beigeladenen zu je 1/2 beerbt. 1995 erwarb der Beigeladene auch den Erbteil seiner Stiefmutter.
Auf Antrag des Beigeladenen hob der Beklagte mit Bescheid vom 2. Januar 1996 die Zwangsaussiedlung auf und erklärte die Entziehung der Neubauernstelle für rechtsstaatswidrig. Zur Begründung führte die Behörde aus, die Zwangsaussiedlung sei im Sinne von § 1 Abs. 3 VwRehaG mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar gewesen. Trotz der Besonderheiten des Bodenreformeigentums liege bei dem Erben noch eine schwere und unzumutbare Beeinträchtigung vor. Der Beigeladene sei Berechtigter; denn nach dem Tod seines Vaters und spätestens ab dem Erbteilserwerb sei er Eigentümer des Grundstücks geworden.
Mit Bescheid vom 30. Dezember 1998 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Mecklenburg-Vorpommern die Rückübertragung der Neubauernstelle auf den Beigeladenen ab, da er nicht Rechtsnachfolger seines Vaters im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG sei. Hierzu verwies das Landesamt auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtsnachfolge in Bodenreformgrundstücke. Gegen diesen Bescheid erhob der Beigeladene Klage, über die bisher noch nicht entschieden ist. Die Klägerin wurde mit Schreiben des Landesamtes vom 19. Februar 1999 von der Klage und dem Rehabilitierungsbescheid der Beklagten vom 2. Januar 1996 in Kenntnis gesetzt.
Am 9. Juni 1999 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Ziel, den Rehabilitierungsbescheid aufzuheben, soweit er sich auf Grundstücke in ihrem Eigentum bezieht. Mit dem Ableben des Neubauern habe das Bodenreformeigentum zumindest die Eigenschaft als Vermögenswert im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG verloren. Der Eigentumserwerb eines Erben habe nach den Bestimmungen der Besitzwechselverordnung die erneute staatliche Übertragung des Bodenreformgrundstücks an den Erben vorausgesetzt. Die Klage sei auch weder verfristet noch treuwidrig, weil sie erst anlässlich des bei ihr eingeleiteten Restitutionsverfahrens von dem Rehabilitierungsbescheid erfahren habe.
Mit Urteil vom 19. April 2000 hat das Verwaltungsgericht Schwerin die Klage als unzulässig abgewiesen.
Die Klageerhebung sei zwar weder verfristet noch treuwidrig, jedoch fehle es der Klägerin an der Klagebefugnis. Der Rehabilitierungsbescheid habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf die dingliche Rechtsposition der Klägerin; über die Rückübertragung des Eigentums werde vielmehr erst im Verfahren vor dem Vermögensamt entschieden. Zwar seien die Vermögensämter bei Feststellungen über die vermögensrechtlichen Folgeansprüche an Vorgaben des Rehabilitierungsbescheides gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG gebunden. Das rechtfertige jedoch nicht die Einbeziehung der Klägerin bereits in den ersten Teil des zweistufigen Verfahrens. Entgegen der Auffassung der Klägerin erstrecke sich die Bindungswirkung der im angegriffenen Bescheid getroffenen Feststellungen des Beklagten nur darauf, dass die Rückgabeberechtigung des früheren Rechtsinhabers dem Grunde nach feststehe. Die hier umstrittene Frage, ob der Beigeladene als Erbe des enteigneten Neubauern Berechtigter im Sinne des § 2 Abs. 1 VermG sei, habe das Vermögensamt richtigerweise selbst geprüft.
Die Annahme des Beklagten, der im hier angegriffenen Bescheid festgestellte Eingriff in die Vermögenswerte des Vaters des Beigeladenen wirke in der Person des Beigeladenen selbst fort, spreche nicht gegen die Prüfungskompetenz des Vermögensamtes hinsichtlich der Berechtigtenstellung. Ihr komme keine Bindungswirkung zu, denn diese sei gemäß § 12 Abs. 1 VwRehaG auf die Feststellungen zur Rechtsstaatswidrigkeit und zu den Ausschließungsgründen beschränkt. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass der Rehabilitierungsbescheid zur Frage der Berechtigtenstellung eine von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichende Rechtsauffassung erkennen lasse. Durch die Äußerung zu einer Vorfrage der Rehabilitierung – nämlich zu der Frage, ob der Beigeladene überhaupt ein Interesse an der Feststellung des rechtsstaatswidrigen Verhaltens der DDR-Behörden gegenüber seinem Vater hatte – werde die Klägerin noch nicht beschwert. Sie sei vielmehr auf die Wahrnehmung ihrer Rechte im Restititutionsverfahren zu verweisen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der diese ihr Klageziel weiterverfolgt. Nach ihrer Auffassung verletzt das angefochtene Urteil Bundesrecht. Durch die Rehabilitierung würden die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen im Hinblick auf die Restitutionsberechtigung des Antragstellers gebunden. Dadurch, dass die ursprüngliche Vermögensentziehung aufgehoben werde, verbleibe den Ämtern nur die Aufgabe, die nunmehr rechtsgrundlos gewordene Vermögensverschiebung rückabzuwickeln. Für den Verfügungsberechtigten bedeute dies, dass er bereits einen Rechtsnachteil erleiden könne, wenn er den Rehabilitierungsbescheid nicht anfechte.
Der Beklagte und der Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil und vertiefen ihre in der ersten Instanz vorgetragenen Rechtsauffassungen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Klägerin sei nicht befugt, den an den Beigeladenen gerichteten Rehabilitierungsbescheid anzufechten, verstößt nicht gegen Bundesrecht.
Nach § 42 Abs. 2 VwGO setzt die Klagebefugnis voraus, dass ein Kläger – soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist – geltend machen kann, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Klägerin, die in der Rechtsnachfolge der Treuhandanstalt und der Bundesanstalt zur Regelung offener Vermögensfragen Eigentum an einem Teil des hier streitbefangenen ehemaligen Bodenreformgrundstücks erlangt hat, kann das – entgegen ihrer Auffassung – nicht für sich in Anspruch nehmen. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
1. Auszugehen ist davon, dass der Gesetzgeber die Rückgabe von Vermögenswerten – hier von Teilen eines ehemaligen Bodenreformgrundstücks – nach Maßgabe des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes von dem erfolgreichen Abschluss zweier unterschiedlicher Verfahren abhängig gemacht hat. In dem ersten, eigentlichen Rehabilitierungsverfahren hat die zuständige Rehabilitierungsbehörde gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG zum einen eine rechtsstaatswidrige Maßnahme im Sinne des § 1 VwRehaG aufzuheben oder die Rechtsstaatswidrigkeit einer solchen Maßnahme festzustellen und zum anderen über Ausschließungsgründe nach § 2 Abs. 2 VwRehaG zu entscheiden. Im Umfang der ihr durch § 12 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG übertragenen Aufgaben ist die Entscheidung der Rehabilitierungsbehörde gemäß § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG für die Behörden und Stellen bindend, die in einem zweiten Verfahren über die Folgeansprüche zu befinden haben. Zu diesen Folgeansprüchen zählen namentlich die Rückgabeansprüche, die in einem sich an die bindende Feststellung im Rehabilitierungsverfahren anschließenden Rückgabeverfahren zu verfolgen sind.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Gesetzgeber eine Beteiligung der einem möglichen Rückgabeanspruch ausgesetzten derzeitigen Eigentümer am Rehabilitierungsverfahren nicht vorgesehen. Für sie ergibt sich vielmehr aus dem für die Klagebefugnis von nur mittelbar Betroffenen maßgeblichen Entscheidungsprogramm der einschlägigen Gesetze (vgl. dazu Urteil vom 5. April 2001 – BVerwG 3 C 24.00 –), nämlich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und des Vermögensgesetzes, ein Beteiligungsausschluss. Diese Gesetze enthalten nach Überzeugung des Senats keine Normen, die darauf abzielen, den Individualinteressen der Eigentümer derart zu dienen, dass diese die Einhaltung der Bestimmungen des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sollen verlangen können.
2.1 Schon die unterschiedliche Fassung der Vorschriften über die Pflichten der jeweils zuständigen Behörden stützt diese Auffassung: Während bei der Umschreibung der Pflichten der Vermögensämter in § 31 Abs. 2 VermG ausdrücklich von einer Information und Hinzuziehung Dritter, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können, gesprochen wird, gilt Vergleichbares für die Rehabilitierungsbehörden nach §§ 12 f. VwRehaG nicht. Hätte der Gesetzgeber auch bereits das vorangehende Rehabilitierungsverfahren unter Einbeziehung des zur Zeit des Verwaltungsverfahrens Verfügungsberechtigten führen lassen wollen, hätte eine Angleichung der Verfahrensvorschriften gerade wegen des engen Zusammenhanges beider Verfahren nahe gelegen.
2.2 Vor allem aber spricht nach Ansicht des Senats die „Mehraktigkeit des Rehabilitationsverfahrens” (vgl. BTDrucks 12/4994 S. 39) als solche und die damit verbundene Zuweisung unterschiedlicher Regelungskomplexe an die beiden aufeinander folgenden Verwaltungsverfahren gegen die Klagebefugnis der potentiell Restitutionsverpflichteten an dem Verfahren erster Stufe, also demjenigen nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Dadurch würden nämlich entgegen der in der Aufsplitterung zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers die beiden verselbständigten Verfahrensgegenstände zwangsläufig miteinander vermengt.
Das Verfahren nach dem Rehabilitierungsgesetz dient allein dem Interesse der Geschädigten an der Feststellung und Aufhebung des ihnen oder ihren Rechtsvorgängern zugefügten Verwaltungsunrechts. Die hierfür zuständige Behörde hat dabei nicht zu berücksichtigen, welche Folgewirkungen ihre Entscheidungen für andere Personen zeitigen können, also z.B. für die derzeitigen Eigentümer der den Geschädigten entzogenen Vermögensgegenstände. Haben deren Rechte und Interessen auf den Ausgang des eigentlichen Rehabilitierungsverfahrens aber keinen Einfluss, so zeigt dies, dass sie an der Rechtsbeziehung zwischen der Rehabilitierungsbehörde und den Antragstellern nicht unmittelbar beteiligt sind. Es ist daher nur folgerichtig, dass – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat – die Eigentümer bisher am Rehabilitierungsverfahren generell nicht beteiligt worden sind, das heißt, weder angehört noch von seinem Ausgang unterrichtet wurden.
Die „Abschottung” des Rehabilitierungs- vom Restitutionsverfahrens ist sachlich hinreichend gerechtfertigt. Zu den bereits erwähnten Gründen kommt hinzu, dass die Verselbständigung des Rehabilitierungsverfahrens bereits in Art. 17 Einigungsvertrag angelegt ist. Die Versagung der Klagebefugnis in dem hier erörterten Zusammenhang findet im Übrigen seine Entsprechung im (gerichtlichen) Verfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Auch dort kann auf die Aufhebung einer grob rechtsstaatswidrigen Vermögenseinziehung erkannt werden (§ 3 Abs. 2 StrRehaG), ohne dass der rückgabepflichtige Eigentümer sich dagegen wehren könnte. Das Gleiche gilt im Hinblick auf Rehabilitierungsbescheinigungen russischer Dienststellen. Da die Interessenlage der Eigentümer bei allen Fallgestaltungen dieselbe ist, spricht auch das Gleichbehandlungsgebot gegen eine Sonderstellung des verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahrens.
2.3 Der Senat verkennt nicht die möglicherweise gravierenden Auswirkungen, die ein zugunsten des Antragstellers ergehender Rehabilitierungsbescheid für das nachfolgende Restitutionsverfahren hat. Sie sind indes nicht geeignet, eine Klagebefugnis zugunsten des zur Zeit des Rehabilitierungsverfahrens Verfügungsberechtigten zu begründen.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG sind die Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde für die Behörden und Stellen bindend, die über die Folgeansprüche entscheiden, insbesondere also für die Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen (vgl. § 1 Abs. 7 VermG). Dabei ergibt sich der Regelungsumfang aus den Bestimmungen, unter die die Rehabilitierungsbehörde den Sachverhalt zu subsumieren, auf die sie also ihre Entscheidung zu stützen hat. Mit dem Ergehen eines positiven Rehabilitierungsbescheides steht insoweit bindend fest, dass in dem konkreten Fall die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 VwRehaG vorliegen und anspruchsausschließende Gründe (§ 2 Abs. 2 VwRehaG) nicht gegeben sind. Das bedeutet, dass im Folgeverfahren nicht eingewandt werden kann, die aufgehobene Wegnahmemaßnahme sei nicht rechtsstaatswidrig gewesen, habe keinen Eingriff in Vermögenswerte dargestellt oder sei in ihren Folgen nicht unmittelbar schwer und unzumutbar fortdauernd. Der Senat sieht – zumal wegen fehlender Originärzuständigkeit für Streitigkeiten nach dem Vermögensgesetz – keine Veranlassung, über das Gesagte hinausgehend darzulegen, welche Einwände der Klägerin im Verfahren vor dem Vermögensamt verblieben sein könnten, um sich gegen den Rückgabeanspruch zur Wehr zu setzen. Selbst wenn die Klägerin Recht haben sollte mit ihrer Ansicht, dass der Beigeladene aufgrund des Rehabilitierungsbescheides auch als „Berechtigter” im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG feststehe und sie somit nicht die Unvererblickkeit des Bodenreformeigentums einwenden könne, würde dies an der fehlenden Klagebefugnis für das Rehabilitierungsverfahren nichts ändern.
Wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, kommt es bei Mehrstufigkeit eines Verwaltungsverfahrens nicht selten vor, dass Beteiligte des einen Verfahrens an die Entscheidung einer für sie relevanten Vorfrage in einem anderen Verfahren, an dem sie nicht beteiligt waren, gebunden sind. Eine unzulässige Beschränkung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz liegt darin nicht, sofern die dem Gesetz zu entnehmende Versagung der Klagebefugnis – wie hier – sachlich begründet ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Januar 1991 – 1 BvR 207/87 – BVerfGE 91, 182, 198).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.06.2001 durch Riebe Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen