Verfahrensgang
VG Magdeburg (Urteil vom 12.04.2005; Aktenzeichen 5 A 265/04) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 12. April 2005 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Festsetzung einer höheren Ausgleichsleistung für ein im Zuge der Bodenreform im Herbst 1945 entschädigungslos enteignetes Gut.
Zum Zeitpunkt der Enteignung waren die Klägerin und ihre Schwester jeweils zu 1/8, insoweit in Erbengemeinschaft nach ihrer im Juli 1945 verstorbenen Großmutter, sowie ihre Mutter zu 6/8 Eigentümerinnen des Gutes. Die Schwester der Klägerin verstarb 1964 und wurde von der Klägerin und ihrer Mutter je zur Hälfte beerbt. Die Klägerin wurde nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1987 deren Alleinerbin, so dass im Ergebnis alle Erbanteile bei ihr zusammenfielen.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2004 setzte das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt – Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen – die nach § 7 EntschG gekürzte Bemessungsgrundlage für das Gut auf 247 750 DM fest. Zur Begründung heißt es: Die Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsleistung belaufe sich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 EntschG auf das Dreifache des Ersatzeinheitswertes für das Gut, sie betrage hier 1 080 000 DM. Für die nach § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG vorzunehmende Kürzung sei diese Bemessungsgrundlage in zwei Ansprüche aufzuteilen: einen Anspruch der Klägerin zu 1/8, entsprechend ihrem eigenen Anteil als Geschädigte, und in einen weiteren Anspruch zu 7/8, der sich aus den gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG zu addierenden Anteilen der Schwester und der Mutter der Klägerin zusammensetze. Für den Anteil der Klägerin ergebe sich nach Anwendung von § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG eine Entschädigung in Höhe von 54 000 DM, für den aus den Anteilen ihrer Schwester und Mutter hergeleiteten Anspruch belaufe sich die Entschädigung nach Degression auf 193 750 DM. Damit stehe der Klägerin – vorbehaltlich der Rückforderung von Lastenausgleich – ein Gesamtanspruch von 247 750 DM zu.
Hiergegen hat die Klägerin Klage mit der Begründung erhoben, für die Degression komme es allein auf die Anteile zum Zeitpunkt der Enteignung an, dementsprechend sei die Kürzung gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG separat für jeden Anteil vorzunehmen. Demgegenüber bedeute die Berechnungsweise des Beklagten eine zweifache Degression. Tatsächlich stehe ihr ein Anspruch in Höhe von 281 500 DM zu.
Mit Urteil vom 12. April 2005 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des angegriffenen Bescheides verpflichtet, die gekürzte Bemessungsgrundlage auf 281 500 DM festzusetzen. Zur Begründung wird ausgeführt: § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG sei nicht anwendbar. Die dort vorgesehene Gesamtschau setze voraus, dass ein Berechtigter Ansprüche für mehrere Vermögenswerte habe. Geschädigter Vermögenswert sei hier aber das enteignete Gut und nicht die daran gehaltenen Anteile. Zum Zeitpunkt des Schadenseintritts seien die Klägerin sowie ihre Mutter und ihre Schwester Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG gewesen. Jeder Anteil sei gesondert zu kürzen. Dass sich die Anteile später in der Person der Klägerin vereinigt hätten, führe nicht zu einer teilweisen Gesamtdegression.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend: Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG hier trotz des Zusammenfallens der Erbanteile nicht anzuwenden sei, sei unzutreffend. Sie stehe auch im Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 – BVerwG 3 C 35.04 – (Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 3).
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, im vorliegenden Fall habe keine Gesamtschau nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG zu erfolgen, steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) verloren haben, oder ihre Erben oder weiteren Erben (Erbeserben) eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. Die Ausgleichsleistungen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG – vorbehaltlich der hier nicht einschlägigen §§ 3 und 5 AusglLeistG – nach Maßgabe der §§ 1 und 9 des Entschädigungsgesetzes zu erbringen. Sie werden gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG, soweit das Ausgleichsleistungsgesetz nicht besondere Regelungen enthält, nach den §§ 1 bis 8 des Entschädigungsgesetzes bemessen und erfüllt.
Streitig ist hier, ob der Beklagte den nach § 2 Abs. 1 AusglLeistG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 EntschG von der Bemessungsgrundlage abzuziehenden Kürzungsbetrag nach § 7 EntschG zu Recht hinsichtlich der Anteile der Schwester und der Mutter der Klägerin im Wege der sog. Gesamtschau nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG ermittelt hat oder ob – wie Klägerin und Verwaltungsgericht meinen – hinsichtlich jedes einzelnen Anteils eine Anteilsdegression nach § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG zu erfolgen hatte. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG ist, wenn ein Berechtigter Ansprüche auf Entschädigung oder auf Ausgleichsleistung für mehrere Vermögenswerte hat, Absatz 1 auf deren Summe anzuwenden. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ist, wenn ein Vermögenswert zu entschädigen ist, der zum Zeitpunkt der Entziehung mehreren Berechtigten zugestanden hat, Absatz 1 auf jeden Anteil gesondert anzuwenden.
1. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts stand das auf besatzungshoheitlicher Grundlage entschädigungslos enteignete Gut zum Schädigungszeitpunkt zu je 1/8 im Eigentum der Klägerin und ihrer Schwester, insoweit als Miterbinnen ihrer im Juli 1945 verstorbenen Großmutter, sowie zu 6/8 im Eigentum ihrer Mutter. Somit liegt – bezogen auf den Zeitpunkt der Schädigung – ein Fall der Anteilsdegression nach § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG vor.
2. Gleichwohl ist, wenn – wie hier – Anteile unmittelbar Geschädigter und damit auch die entsprechenden Wiedergutmachungsansprüche später in der Person eines Leistungsberechtigten zusammenfallen, – allein – § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG anzuwenden. Das hat der Senat mit Urteil vom 19. Mai 2005 – BVerwG 3 C 35.04 – (Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 3) bereits entschieden. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall.
a) Berechtigter im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG ist der Inhaber der Wiedergutmachungsansprüche im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes am 1. Dezember 1994 (Urteil vom 19. Mai 2005 – BVerwG 3 C 19.04 – Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 2).
Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG war demnach die Klägerin zum einen als durch die Enteignung unmittelbar geschädigte Miterbin ihrer Großmutter und zum anderen als Miterbin nach ihrer 1964 verstorbenen Schwester sowie als Alleinerbin ihrer 1987 gestorbenen Mutter; beide waren durch die Enteignung ebenfalls unmittelbar geschädigt worden.
b) Auch im Übrigen sind hier die Voraussetzungen der Gesamtschau nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG in der Person der Klägerin erfüllt. Ihr standen am 1. Dezember 1994 mehrere Ansprüche zu.
Zwar sieht § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG eine Summierung der Ansprüche auf Wiedergutmachung zum Zwecke der Degression nach § 7 Abs. 1 EntschG nur vor, wenn ein Berechtigter Ansprüche für mehrere Vermögenswerte hat. Davon ist hier aber unabhängig davon auszugehen, ob das enteignete Gut im Zeitpunkt der entschädigungslosen Enteignung in Gesamthandseigentum der Klägerin sowie ihrer Mutter und Schwester stand oder ob jedenfalls im Verhältnis zum 3/4-Anteil der Mutter Bruchteilseigentum vorlag; Feststellungen dazu hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen.
Im Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsrecht wird durch § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG im Fall einer Anteilsdegression trotz einer gesamthänderischen Zuordnung des geschädigten Vermögenswertes der gesamthänderische Verbund zum Zwecke der Berechnung von Entschädigung und Ausgleichsleistung gerade aufgelöst (Urteil vom 16. September 2004 – BVerwG 3 C 32.03 – Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 1). Die Mitberechtigungen an dem einen Vermögenswert werden wie gesonderte Vermögenswerte behandelt. Dies rechtfertigt es, im Falle eines späteren Zusammenfallens solcher Mitberechtigungen in einer Person auch im Rahmen von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG dieselbe Fiktion zugrunde zu legen. Wird damit in § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ein in Gesamthandseigentum stehender Vermögenswert nach Anteilen getrennt der Degression unterworfen, setzt sich diese Fiktion in der Weise fort, dass es sich bei einem späteren Zusammenfallen solcher Anteile um “Ansprüche für mehrere Vermögenswerte” im Sinne von § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG handelt. Entsprechendes gilt für die spätere Vereinigung mehrerer Anteile einer Bruchteilsgemeinschaft, die in § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG ebenso behandelt wird.
Diese Wertung steht im Einklang mit Sinn und Zweck der Degressionsregelung. Den Kürzungsregelungen in § 7 Abs. 1 und 2 EntschG liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, vermögende Personen könnten einen vergleichsweise höheren Solidarbeitrag leisten, der auch in der Kürzung ihres Entschädigungsanspruches bestehen könne. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass demjenigen, dem vergleichsweise viel zustehe, am ehesten eine Kürzung zugemutet werden könne (BTDrucks 12/4887 S. 36). Dies spricht dafür, in einem Fall wie hier die Gesamtschauregelung und die damit verbundene stärkere Degression anzuwenden. Der Grund für die mit der Anteilsdegression nach § 7 Abs. 2 Satz 3 EntschG verbundene Privilegierung, dass nämlich der durch den Eingriff Betroffene nur hinsichtlich seines Anteils unmittelbar geschädigt wurde, ist bei einem späteren Zusammenfallen mehrerer Anteile und daraus resultierender Wiedergutmachungsansprüche in einer Person wieder entfallen.
c) Dem Urteil des Senats vom 16. September 2004 – BVerwG 3 C 32.03 – (Buchholz 428.41 § 7 EntschG Nr. 1) ist nichts anderes zu entnehmen. Die Passagen dieses Urteils, auf die das Verwaltungsgericht und die Klägerin ihre Auffassung stützen wollen (a.a.O. S. 4), haben die Abgrenzung der Sätze 3 (Anteilsdegression) und 4 (Gesamtdegression) von § 7 Abs. 2 EntschG zum Gegenstand. Sie enthalten keine Aussage zur Anwendbarkeit der Gesamtschau nach § 7 Abs. 2 Satz 1 EntschG.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette, Liebler, Prof. Dr. Rennert
Fundstellen