Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluß der Vorausleistung für Zweitausbildung. Vorausleistung, Ausschluß der – für Zweitausbildung. Erstausbildung, Anforderungen an –

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG erfaßt auch betriebliche oder überbetrieblich durchgeführte Ausbildungen, die nicht nach § 2 BAföG förderungsfähig sind.

2. Berufsqualifizierende Ausbildungen von kürzerer als drei Jahren Dauer, die das Begabungspotential des Auszubildenden eindeutig nicht ausschöpfen, rechtfertigen den Ausschluß von Vorausleistungen nach dem Sinn des § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht.

 

Normenkette

BAföG (F. 1990) § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5; BAföG (F. 1990) § 36 Abs. 1 S. 2; BAföG (F. 1990) § 37

 

Verfahrensgang

Hamburgisches OVG (Beschluss vom 15.08.1995; Aktenzeichen Bf V 62/94)

VG Hamburg (Entscheidung vom 14.06.1994; Aktenzeichen 2 VG 4139/92)

 

Tenor

Der Beschluß des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. August 1995 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 14. Juni 1994 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 1. April 1992 bis zum 30. September 1992 Ausbildungsförderung in Höhe von weiteren 186,52 DM monatlich als Vorausleistung zu bewilligen. Die Bescheide der Beklagten vom 12. Mai 1992 und vom 1. Juli 1992 sowie der Widerspruchsbescheid vom 11. November 1992 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger fordert für den Bewilligungszeitraum April 1992 bis September 1992 von der Beklagten Ausbildungsförderung im Wege der Vorausleistung in Höhe des ihm angerechneten, aber vom Vater nicht gezahlten Unterhaltsanteils (186,52 DM).

Der Kläger wurde im Jahre 1967 geboren und hat im Juni 1986 die Allgemeine Hochschulreife erlangt. Seine Eltern sind seit 1976 geschieden. Beide Elternteile haben ihre Unterhaltsleistungen mit dem Juli 1986 endgültig eingestellt.

Zum Oktober 1986 zum Wehrdienst einberufen, verpflichtete der Kläger sich als Soldat auf Zeit; da seinem Wunsch nach einer nur zweijährigen Verpflichtung nicht Rechnung getragen wurde, ging er eine Verpflichtung auf vier Jahre ein. Bei der Bundeswehr durchlief er eine Sanitätsausbildung und wurde am 1. Januar 1988 zum Unteroffizier ernannt. Nach Ablauf der vierjährigen Verpflichtungszeit schied er am 30. September 1990 aus der Bundeswehr aus.

Im Rahmen der Ausbildung zum Sanitätsdienstunteroffizier hat der Kläger bei der Bundeswehr einen Krankenpflege-Lehrgang und einen Unteroffiziers-Lehrgang absolviert. Aufgrund dieser Ausbildung erteilte ihm die Stadt H. mit Urkunde vom 28. Juni 1990 die Erlaubnis, die Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelfer” zu führen.

Zum Wintersemester 1990/91 nahm der Kläger an der Universität H. das Studium der Rechtswissenschaft auf. Da die Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz ausliefen, beantragte er für den Bewilligungszeitraum April 1991 bis März 1992 Ausbildungsförderung unter Einschluß von Vorausleistungen gemäß § 36 BAföG wegen Verweigerung von Unterhaltsleistungen seitens seiner Eltern. Letzteres lehnte die Beklagte unter Hinweis auf § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG und die vom Kläger erworbenen beruflichen Qualifikationen als Unteroffizier und Krankenpflegehelfer ab. Die Rechtmäßigkeit dieser Ablehnung ist Gegenstand des Revisionsverfahrens BVerwG 5 C 35.95.

Im Februar 1992 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut Bewilligung von Ausbildungsförderung unter Einschluß von Vorausleistungen. Mit Bescheid vom 12. Mai 1992 gewährte die Beklagte Ausbildungsförderung in Höhe von 436 DM pro Monat für den Zeitraum von April bis September 1992; dabei wurde neben Einkommen des Klägers in Höhe von 201,84 DM ein Unterhaltsanteil des Vaters in Höhe von 186,52 DM im Monat angerechnet. Mit Bescheid vom 1. Juli 1992 wurde der monatliche Förderungsbetrag auf 501 DM erhöht, weil der gesetzliche Förderungssatz sich entsprechend geändert hatte.

Die gegen beide Bescheide eingelegten Widersprüche wies die Beklagte mit Bescheid vom 11. November 1992 unter Hinweis auf die bereits im vorangegangenen Verfahren gegebene Begründung zurück.

Das Verwaltungsgericht hat die auf Bewilligung weiterer Ausbildungsförderung im Wege der Vorausleistung gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger habe nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG in der Fassung des 12. BAföG-Änderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 keinen Anspruch auf Vorausleistungen, da er bei Aufnahme seiner gegenwärtigen förderungsfähigen Ausbildung bereits eine berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen habe; dies sei der Fall, weil der Kläger mit der Urkunde der Stadt H. vom 28. Juni 1990 gemäß § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 des Krankenpflegegesetzes die Erlaubnis erhalten habe, die Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelfer” zu führen. Daß der Kläger einen derartigen Abschluß nicht angestrebt habe, sei für die rechtliche Beurteilung ohne Belang.

Der generelle Ausschluß von Vorausleistungen im Falle eines berufsqualifizierenden Abschlusses gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG sei nicht verfassungswidrig. Der Ausschluß sei eine aus der Sicht des Gesetzgebers notwendige Folge der Aufhebung der elternunabhängigen Förderung gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG gewesen, mit welcher der Gesetzgeber eine stärkere Anbindung der Förderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern beabsichtigt habe. Ohne Änderung des § 36 Abs. 1 BAföG wäre es in all jenen Fällen, in denen die Eltern sich zu Recht weigerten, für eine weitere selbständige Ausbildung des Auszubildenden aufzukommen, weil sie ihre Unterhaltsverpflichtungen bereits erfüllt hätten, weiterhin möglich gewesen, eine elternunabhängige Vollförderung über den Weg der Vorausleistung zu erreichen; zusätzlich wäre die Förderungsverwaltung damit belastet gewesen, im Wege zivilrechtlicher Streitigkeiten zu versuchen, einen Rückgriffsanspruch gegenüber den Eltern des Auszubildenden durchzusetzen. Es sei nicht willkürlich, den Auszubildenden im Falle einer Zweitausbildung darauf zu verweisen, seinen Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern in einem zivilgerichtlichen Verfahren selbst durchzusetzen; infolge der bereits vorhandenen Berufsqualifikation habe der fragliche Personenkreis die Möglichkeit, bei Verweigerung von Unterhaltsleistungen durch die Eltern gegebenenfalls seinen Lebensunterhalt aufgrund der Ausbildung zumindest vorübergehend für die Dauer eines Rechtsstreits zu bestreiten. Im Rahmen der Konzeption des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, Kindern aus Familien mit geringem Einkommen eine angemessene berufliche Ausbildung zu ermöglichen, gehöre es nicht zu den notwendigen Elementen eines Förderungssystems, staatliche Leistungen auch in jenen Fällen – jedenfalls vorläufig – zu gewähren, in denen die Eltern den ihnen obliegenden Unterhaltsbeitrag nicht leisteten.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Revision des Klägers, mit der er seinen Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zu Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG weiterverfolgt. Er rügt Verletzung des § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG und meint, ein Anspruch auf Vorausleistungen ergebe sich jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung dieser Bestimmung; ein Ausschluß der Vorausleistungspflicht gegenüber dem Kläger würde gegen das Grundgesetz verstoßen.

Die Beklagte und der Oberbundesanwalt verteidigen den angegriffenen Beschluß.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG in der Fassung des 12. BAföG-Änderungsgesetzes vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) keinen Anspruch auf Vorausleistungen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

§ 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG schließt den Anspruch auf Vorausleistungen in Höhe des den Eltern nach den Anrechnungsvorschriften dieses Gesetzes zugemuteten, aber von diesen nicht geleisteten Unterhaltsbetrages aus für Auszubildende, „die bereits eine Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen haben”. Diese Vorschrift muß sich der Kläger nach ihrem Sinn und Zweck nicht entgegenhalten lassen.

Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend festgestellt, daß der Kläger mit der Erlaubnis, die Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelfer” zu führen (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 2 Nr. 1 Krankenpflegegesetz vom 4. Juni 1985 ≪BGBl I S. 893≫), bereits einen berufsqualifizierenden Abschluß erlangt hat (vgl. BVerwGE 81, 242 ≪244≫). Der Bewertung der Ausbildung des Klägers als einer „berufsqualifizierenden Ausbildung” im Sinne dieser Vorschrift steht auch nicht entgegen, daß der Kläger sie im Rahmen eines Soldatenverhältnisses erlangt und er die Berufsbezeichnung „Krankenpflegehelfer” nicht als berufsqualifizierenden Abschluß angestrebt hat. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, daß insoweit nicht die subjektiven Vorstellungen des Auszubildenden, sondern allein objektive Gegebenheiten maßgebend sind (BVerwGE 81, 242 ≪244 f.≫). Der Wortlaut des Gesetzes hebt auch nicht darauf ab, ob es sich bei der empfangenen Ausbildung um eine förderungsfähige Ausbildung i.S. des § 2 BAföG gehandelt hat. Die Gesetzesbegründung stellt vielmehr ausdrücklich klar, daß als „berufsqualifizierend abgeschlossene Ausbildung … auch eine betriebliche oder überbetrieblich durchgeführte Ausbildung (zählt), die nicht nach § 2 förderungsfähig ist” (BTDrucks 11/5961 S. 24 zu Nr. 28 Buchst. b; ebenso Tz. 36.1.17 BAföG-VwV, eingefügt durch ÄndVwV 1990 vom 21. Dezember 1990 ≪GMBl 1991 S. 2≫). Das entspricht der tatbestandlichen Weite des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG, dessen Aufhebung das 12. BAföG-Änderungsgesetz von der Vorleistungsseite her durch die Neuregelung des § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG absichern will. Auch § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG setzte nicht voraus, daß die der weiteren Ausbildung vorausgegangene erste Ausbildung eine förderungsfähige Ausbildung i.S. der §§ 2, 7 Abs. 1 BAföG war, ließ vielmehr auch betriebliche und vergleichbare Ausbildungen genügen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juni 1987 – BVerwG 5 C 2.83 – ≪Buchholz 436.36 § 11 BAföG Nr. 11≫).

Bundesrecht verletzt jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, als berufsqualifizierende Erstausbildung komme jede Ausbildung, deren erfolgreicher Abschluß zur Ausübung eines Berufs befähigt, in Betracht. Das widerspricht dem Sinn und Zweck der Regelung.

Ausweislich der Gesetzesbegründung (BTDrucks 11/5961 S. 14 Nr. 1.2) ist § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG als flankierende, die Abschaffung der elternunabhängigen Förderung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG sichernde Norm gedacht: „Die Begrenzung der elternunabhängigen Förderung auf die Fälle des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BAföG erfordert es, die Vorausleistung nach § 36 BAföG auf diejenigen zu beschränken, die noch keine Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen haben. Anderenfalls müßte in Fällen des bisherigen § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG im Rahmen der Vorausleistung praktisch unverändert elternunabhängige Vollförderung gewährt werden. Die mit der Änderung des § 11 Abs. 3 BAföG angestrebte engere Anbindung der Ausbildungsförderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern würde damit unterlaufen.” Und in der Einzelbegründung zu § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG (BTDrucks 11/5961 S. 24 zu Nr. 28 Buchst. b) heißt es: „Durch die Anfügung werden Auszubildende, die sich in einer beruflichen Zweitausbildung befinden, von der Möglichkeit der Vorausleistung nach Absatz 1 ausgeschlossen, da anderenfalls das mit der Einschränkung der elternunabhängigen Förderung verfolgte Ziel einer stärkeren Anbindung der Ausbildungsförderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern nicht oder nur teilweise erreicht werden könnte…” Da die Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes über die Anrechnung elterlichen Einkommens und Vermögens nicht darauf abstellen, ob die Eltern ihre Unterhaltspflicht nach § 1610 Abs. 2 BGB bereits erfüllt haben oder nicht, wären auch nach Erfüllung der elterlichen Unterhaltspflicht Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG zu erbringen, ohne daß die Förderungsverwaltung Rückgriff nach § 37 BAföG nehmen könnte. Auf dem Umweg über § 36 BAföG wäre elternunabhängige Förderung im praktischen Ergebnis wieder eingeführt. Das zu verhindern, ist Sinn des § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG.

Elternunabhängige Vollförderung im praktischen Ergebnis wird dagegen nicht geleistet, wenn einem Auszubildenden, dessen Anspruch auf Ausbildungsunterhalt von seinen Eltern noch nicht erfüllt worden ist, Vorausleistungen nach § 36 BAföG gewährt werden. Denn in Fällen dieser Art steht der Förderungsverwaltung ein Rückgriffsanspruch nach § 37 BAföG zu, mit dessen Hilfe die Bindung staatlicher Ausbildungsförderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern bewirkt werden kann. § 36 BAföG schränkt den Grundsatz der Bindung der Förderung an die wirtschaftliche Leistungskraft der Eltern nicht ein, sondern schwächt ihn nur ab (vgl. BVerwGE 95, 252 ≪262 f.≫). Er stellt seine Realisierung zunächst im Interesse der Sicherung einer ungestörten Durchführung der Ausbildung (vgl. BVerwGE 55, 23 ≪28≫; 60, 99 ≪102≫; 87, 217 ≪221≫; 95, 252 ≪262≫) zurück und verwirklicht ihn erst in einem zweiten Schritt – durch Rückgriff auf die Eltern. Von dieser Ausbildungssicherungsfunktion des § 36 BAföG Abstriche machen zu wollen, lag außerhalb der Regelungsintention des Gesetzgebers bei Erlaß des 12. BAföG-Änderungsgesetzes. Verhindert werden sollte nur, daß das Ziel, die elternunabhängige Förderung von Zweitausbildungen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG abzuschaffen, an § 36 Abs. 1 BAföG scheitern könnte.

§ 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG meint deshalb nach seinem Sinn nicht irgendeine, sondern die e i n e berufsqualifizierende Ausbildung, die dem Auszubildenden nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz als berufsqualifizierende Erstausbildung zusteht und mit der typischerweise auch die Unterhaltspflicht der Eltern erfüllt ist. Sowohl staatliches Ausbildungsförderungsrecht als auch zivilrechtliches Unterhaltsrecht geben grundsätzlich nur Anspruch auf e i n e Berufsausbildung; Zweitausbildungen werden im allgemeinen nicht geschuldet (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 BAföG sowie BGHZ 69, 190 ≪193≫; 107, 376 ≪380≫ sowie Urteil vom 30. November 1994 – XII ZR 215/93 – ≪NJW 1995, 718/719≫). Dabei meint das Bundesausbildungsförderungsgesetz, wenn es von einer berufsqualifizierenden Erstausbildung spricht, grundsätzlich eine Ausbildung, die dem in § 1 BAföG und § 3 Abs. 1 SGB I umschriebenen Ziel dient, also der Neigung, Eignung und Leistung des Auszubildenden entspricht und die es dem Auszubildenden ermöglicht, durch die Ausübung eines neigungs- und begabungsadäquaten Berufs eine ausreichende Lebensgrundlage zu finden. Das gleiche gilt für § 1610 Abs. 2 BGB. Geschuldet wird die den Eltern wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer begabungsgerechten und den beachtenswerten Neigungen des Kindes entprechenden Berufsausbildung (vgl. BGHZ 69, 190 ≪192≫ und Urteil vom 30. November 1994 ≪a.a.O. S. 719≫).

Hatte der Gesetzgeber bei der Einschränkung der Vorleistungspflicht die Ausgrenzung von „Zweitausbildungen” (BTDrucks 11/5961 S. 24 zu Nr. 28 Buchst. b) im Blick, spricht bei Berücksichtigung der Intention des Gesetzgebers, die Streichung der elternunabhängigen Förderung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BAföG durch eine entsprechende Einschränkung der Vorausleistungen abzusichern, und der Systematik der Förderungstatbestände des § 11 Abs. 3 Satz 1 BAföG viel dafür, einen Ausschluß von Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG im allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die berufsqualifizierend abgeschlossene Ausbildung mindestens drei Jahre gedauert hat. Denn um bei einer Erstausbildung davon ausgehen zu können, daß mit ihr regelmäßig die Eltern ihre Pflicht aus § 1610 Abs. 2 BGB erfüllt haben, muß sie nach der typisierenden Betrachtungsweise des Förderungsrechts zumindest diese Ausbildungszeit erfordert haben. Das ergibt sich aus § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG, der – neben einer dreijährigen Erwerbstätigkeit – eine zumindest dreijährige berufsqualifizierende Ausbildung als typisierendes Merkmal nennt, dessen Vorliegen geeignet ist, regelmäßig die Annahme zu rechtfertigen, daß ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch des Auszubildenden gegen seine Eltern auf Übernahme der Ausbildungskosten nicht mehr besteht (vgl. BVerwGE 95, 252 ≪255≫). Damit stimmt überein, daß § 7 Abs. 1 BAföG zur Erfüllung des gesetzlichen Förderungszieles Anspruch auf mindestens drei Jahre beruflicher Ausbildung einräumt.

Ob damit alle berufsqualifizierenden Ausbildungen unter drei Jahren Dauer von § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG ausgenommen sind, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn jedenfalls vermögen berufsqualifizierende Ausbildungen von kürzerer Dauer, die das Begabungspotential des Auszubildenden eindeutig nicht ausschöpfen und damit weder den Förderungszielen des § 1 BAföG noch des § 1610 Abs. 2 BGB gerecht werden, den Ausschluß von Vorausleistungen nach dem Sinn des § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht zu rechtfertigen. Solcher Art ist die Ausbildung, die der Kläger bisher erfahren hat. Die Tätigkeit als Soldat auf Zeit stellt als solche nicht die Teilnahme an einer berufsqualifizierenden Ausbildung dar. Die während der Soldatendienstzeit absolvierte Ausbildung zum Krankenpflegehelfer ist zwar berufsqualifizierender Art. Sie schöpft aber als eine auf ein Jahr konzipierte Ausbildung in einem Heilhilfsberuf das durch den Erwerb der Hochschulreife unter Beweis gestellte Begabungspotential eines Auszubildenden bei weitem nicht aus.

Die den Anspruch des Klägers auf Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 Satz 2 BAföG verneinenden Entscheidungen der Vorin-stanzen waren demnach aufzuheben und die Beklagte zur Bewilligung weiterer Ausbildungsförderung in Höhe von 186,52 DM monatlich als Vorausleistung zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel, Dr. Rojahn, Dr. Franke

 

Fundstellen

BVerwGE

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